© 1995 Christo & Prestel Verlag
Interview mit Christo
von Masahiko Yanagi
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Mit freundlicher Genehmigung des Prestel Verlags
Collage 1992
Foto: Wolfgang Volz
Privatsammlung, Berlin
Yanagi:
Was für ein Material werden Sie verwenden, und welche Farbe wird es
haben?
Christo:
Im Gegensatz zu dem recht leichten Nylongewebe, das für den
Verhüllten Pont Neuf benutzt wurde, wird für den Verhüllten
Reichstag ein
viel dickeres, mit PVC, einem schweren Material, beschichtetes
Gewebe verwendet werden. Durch eine eventuelle Beschichtung wird das Gewebe dem Material sehr ähnlich sein, das ich
für das Projekt 5600-Kubikmeter-Paket in Kassel benutzte; dadurch
werden die Falten viel steifer und eckiger, fast wie bei gotischen
Skulpturen - die Formen sind nicht so sehr gerundet, als vielmehr
gebrochen. Das Gewebe wird die Konturen des Gebäudes energisch hervorheben, während beim Verhüllten Pont Neuf die
Brücke
eher "umschmeichelt" wurde. Es wird eine silberglänzende,
metallische Farbe haben, nicht wie Aluminium, eher wie das mattierte Metallic, das wir von Autos kennen. Der Stoff, den ich für
das letzte maßstabgerechte Modell verwendet habe, ist noch
nicht genau der, der uns vorschwebt, aber er gibt doch schon
eine Vorstellung von dem Material für den Reichstag, weil es kein
weißer Stoff ist. Für die frühen Collagen und das erste
Modell
hatte ich einfach weißes Tuch benutzt. Das metallicfarbene Material wird die Kontraste zwischen den Schlaglichtern und den
Schatten verschärfen und eine sehr starke visuelle Wirkung
haben, weil der Himmel über Berlin immer stahlblau oder grau
ist. Ich glaube, das Material paßt ausgezeichnet zum metallischen Himmel von Berlin, und das Ergebnis wird wunderschön.
Collage 1992
Foto: Wolfgang Volz
Privatsammlung, Berlin
Yanagi:
Wenn man sich Ihre ausführlichen Erläuterungen anhört und die
schönen Photagraphien Ihrer
früheren Projekte kennt, wird deutlich, daß Sie großen Wert
darauf legen, wie das verhüllte
Objekt schließlich tatsächlich aussehen wird. Wie wichtig ist
für Sie der visuelle bzw. ästhetische Aspekt lhrer Projekte?
Christo:
Sehr wichtig. Dieser Aspekt ist das Allerwichtigste überhaupt.
Nachdem ich das Pont Neuf-Projekt realisiert hatte, waren viele
Leute überrascht, als sie das Ergebnis sahen, weil sie etwas ganz
anderes erwartet hatten. Sie hatten angenommen, der Pont Neuf
würde durch die Verhüllung verunstaltet werden. Die Leute
waren tatsächlich nicht darauf vorbereitet, daß das
Verhüllungsmaterial selbst visuell so reizvoll, von so großer Schönheit und
intensiver Ausdruckskraft sein würde. Ich weiß im voraus, welche
zusätzlichen Mengen an Stoff benötigt werden, damit die Falten
harmonisch verteilt werden können, ich weiß um die Wirkung der
Energie der Falten und der Schwere des Gewebes, die ich erreichen will. Alle diese Details nehmen in den Planungen für ein Projekt einen breiten Raum ein. Oft sind die Leute verblüfft, wenn sie
schließlich das realisierte Kunstwerk sehen, weil sie sich meine
Zeichnungen nicht sorgfältig genug oder vielleicht auch gar nicht
angeschaut haben. " Christo verhüllt eine Brücke" oder
" Christo
errichtet einen Zaun" - das ist alles, was sie gehört haben. Was
das Reichstag-Projekt betrifft, möchte ich weit über das hinausgehen, was die frühen Modelle und Zeichnungen zeigen, und ein
sehr viel schwereres und dichteres Material verwenden. Ich weiß
aber noch nicht genau, wie die Stoffbahnen genäht werden sollen (für die Fassade und für die Türme wird es jeweils
verschiedene Maße geben, oder wie das Gewebe um die Skulpturen
und Wände verteilt werden soll. Deshalb brauchen wir noch eineinhalb Jahre für die Planungen, bevor die Herstellung des
eigentlichen Materials in Angriff genommen werden kann. Viele,
viele Details müssen berücksichtigt werden, damit das realisierte
Projekt ein ästhetischer Erfolg wird.
Yanagi:
Im letzten Herbst [1985] haben Sie den Verhüllten Pont Neuf realisiert,
und das Reichstag-Projekt ist das einzige Verhüllungsprojekt, das sich zur Zeit [1986] in
Planung befindet. Bedeutet das, daß Sie Ihr lnteresse an Verhüllungsprojekten verlieren?
Christo:
Formal bezieht sich das Reichstag-Projekt auf meine Ideen der späten sechziger Jahre. Ich kann heute nicht sagen, ob ich in Zukunft
noch etwas anderes verhüllen werde oder nicht. Die Verhüllungen repräsentieren wahrscheinlich eine äußerst wichtige Schaffensepoche in meinem Werk. Das größte und in technischer Hinsicht aufwendigste und schwierigste meiner Verhüllungsprojekte
war Verhüllte Küste, 100000 Quadratmeter, Little Bay, Australien,
1969. Ein zusätzlicher Aspekt des Reichstag-Projekts liegt darin, daß es
sich um ein öffentliches Gebäude handelt, um Architektur im eigentlichen Sinne, während wir es beim Verhüllten Pont Neuf mit einem
technischen Bauwerk zu tun hatten. Im Zusammenhang mit dem, worüber wir vorhin gesprochen haben, mit meinen Vorschlägen für
Verhüllte öffentliche Gebäude aus den frühen sechziger
Jahren, hat das
Reichstag-Projekt deshalb eine enorme Bedeutung für mich. Es ist
zweifellos die Kulmination dieser Idee. Ich kann nicht behaupten,
daß ich nie wieder etwas mit Stoffverhüllen werde, aber die Projekte, die wir in den letzten 15 Jahren realisiert haben - vom Valley Curtain über den Running Fence und die Surrounded Islands bis hin zu The
Umbrellas, Projekt für Japan und den Westen der USA, das wir hoffentlich
jetzt realisieren werden - sind in formaler Hinsicht ganz anders
und gehen über das Verpacken oder Verhüllen hinaus.
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