© 1995 Christo & Prestel Verlag

Interview mit Christo

von Masahiko Yanagi

Seite 8 von 12

Mit freundlicher Genehmigung des Prestel Verlags

Collage 1992
Foto: Wolfgang Volz
Sammlung Jeanne-Claude Christo, New York

Yanagi:

War Ihnen der Reichstag ein Begriff, bevor Sie das Projekt in Angriff nahmen?

Im Zusammenhang mit Dimitroff, der nach dem Zweiten Weltkrieg der erste Präsident Bulgariens wurde, hatte ich schon einmal etwas über den Reichstag gehört. Das Gebäude selbst lernte ich jedoch erst näher kennen, als ich mit den Vorbereitungen für das Projekt begann.

Yanagi:

In welcher Jahreszeit möchten Sie den Reichstag verhüllen?

Wir bemühen uns immer alle unsere Projekte während der angenehmsten Zeit des Jahres zu realisieren. Es wäre sehr traurig und ärgerlich, wenn wir bei schlechtem Wetter, im windigen und kalten Winter arbeiten müßten. Die beste Zeit ist immer zwischen spätem Frühling und frühem Herbst. Wir haben mit Eberhard Diepgen, dem [damaligen] Bürgermeister von Berlin, gesprochen, und wie es zur Zeit aussieht, hoffen wir den Reichstag irgendwann im späten Juni oder frühen Juli 1988 verhüllen zu können. Im Sommer ist in Berlin immer sehr viel los. Berlin ist wie eine Insel, und die Berliner können nicht aufs Land fahren, weil die Stadt von Ostdeutschland umschlossen ist. Die meisten Berliner halten sich im Sommer in den Parks und auf den öffentlichen Freiflächen auf. Auch für die Ostberliner, die mit einbezogen sind, weil sie von ihrem Teil der Stadt aus das Gebäude ja auch sehen können, wäre der Sommer die günstigere Jahreszeit. Und auch aus technischen Gründen brauchen wir gutes Wetter; ein großer Teil der Arbeiten findet ja im Freien statt, und das Dach des Gebäudes wird unsere Arbeitsplattform sein.

Wie lange soll der Reichstag verhüllt bleiben?

Am besten zwei Wochen lang, wie Der verhüllte Pont Neuf, der Running Fence und die Surrounded Islands.

Wäre es nicht besser, wenn er länger verhüllt bliebe, damit mehr Menschen ihn erleben können?

Für mich endet der kreative Prozeß, wenn die Arbeit abgeschlossen ist. Der Reichstag könnte wahrscheinlich länger verhüllt bleiben, aber das ist zu teuer. Da ich alle Kosten selbst trage, muß die Dauer auf zwei Wochen beschränkt bleiben. Technisch und organisatorisch wären ein oder zwei Monate durchaus möglich, aber das würde unsere finanziellen Möglichkeiten weit übersteigen, und wir können unsere Projekte nur bis zu einem gewissen Punkt durchkalkulieren, dessen Überschreitung ihre Verwirklichung unmöglich machen würde.

Zeichnung in zwei Teilen 1992
Foto: Wolfgang Volz
Privatsammlung, Berlin

Yanagi:

Was passiert im Inneren des Reichstags, wenn das Gebäude verhüllt ist?

Wir wollen das Gebäude nicht lahmlegen.Wir arbeiten Hand in Hand mit der westdeutschen Regierung, und die derzeitige Ausstellung und das Restaurant werden zugänglich bleiben. Weitere Veranstaltungen im Reichstag sind meines Wissens für die Zeit der Verhüllung nichtvorgesehen.

Ich kann mir denken, daß die Verhüllung eines so großen Gebäudes ein enorm schwieriges Unterfangen ist. Inwieweit sind Sie selbst an der technischen Realisierung der Verhüllung beteiligt?

In sehr hohem Maße. In gewissem Sinne bin ich ständig daran beteiligt, weil niemand wirklich weiß, wie ein Gebäude verhüllt bzw. verpackt wird, auch ich nicht. Ausgerechnet beim Reichstag-Projekt sind die technischen Überlegungen jedoch schon sehr weit gediehen, weil es 1984/85 eine Chance gab, das Reichstag-Projekt noch vor dem Pont Neuf-Projekt zu realisieren. Unsere amerikanischen Ingenieure waren oft in Berlin, und wir haben viele Tage dort mit technischen Studien verbracht. Ich habe verschiedene maßstabgerechte Modelle angefertigt, unter anderem auch ein konstruktionstechnisches Modell. Dann kam uns wieder einmal die Politik in die Quere. Im großen und ganzen steht uns jedoch schon klar vor Augen, wie das Gebäude verhüllt werden soll. Wenn wir ein städtisches Projekt realisieren, brauchen wir eine Arbeitsfläche. In diesem Fall hätte sie an der Seite des Gebäudes liegen können, nicht jedoch an der Ostfassade. Die Sowjets hätten uns nie erlaubt, dort Kräne aufzustellen. Für die Ostfassade hätten wir vom Dach aus arbeiten müssen, und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, ausschließlich von oben zu arbeiten. Da es ein nicht sehr stabiles Dach aus Glas und Teer ist, müssen wir ein zweites Dach auf das Dach des Reichstags bauen, eine Art von mit Holz bedecktem Gerüst. Die Stoffbahnen werden zusammengefaltet, in Schutzhüllen verpackt und auf das Dach gehievt, wo sich unsere Kräne und Arbeiter befinden werden. Indem wir vom Dach aus arbeiten, können wir uns die Schwerkraft des Materials zunutze machen; wir können die Stoffbahnen vom Dach herablassen, ohne den öffentlichen Verkehr um das Gebäude herum zu behindern.

Wir werden auf eine Reihe von Methoden zurückgreifen, die sich beim Pont Neuf-Projekt sehr gut bewährt haben. Unter dem Stoff und auch am Boden werden wir Kabel installieren. 1984/85, als der Ingenieur dieses System entwickelte, waren wir uns noch nicht sicher, ob wir es anwenden sollten, doch inzwischen haben wir beim Pont Neuf-Projekt sehr gute Erfahrungen damit gemacht. Bei der Verhüllung der Brücke hat sich herausgestellt, daß dieses Kabelsystem, das den Stoff von unten verankert, klug, ja fast schon genial ist. Es ist nicht teurer als andere Systeme, aber schnell und einfach zu installieren, sehr leicht, und eignet sich auch zur Sicherung der Seile. Bei den Straßenlaternen auf dem Pont Neuf mußte nur der obere Teil unter dem Stoff mit einem Gehäuse abgedeckt werden; diese Laternen waren ziemlich klein, doch beim Reichstag müssen wir enorme Schutzgehäuse für alle diese riesigen Soldatenfiguren und Urnen aus Stein bauen. Was den formalen Aspekt betrifft, würde ich die Form des Gebäudes, das einen extrem gebrochenen optischen Eindruck macht, durch die Verhüllung gerne so umgestalten, daß es eine regelmäßigere und vereinfachte Gestalt erhält. Das alles vorzubereiten, wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Das ganze Material wird im voraus in einer Fabrik gefertigt und dann zum Reichstag gebracht.

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