© 1995 Christo & Taschen Verlag
Valley Curtain, Rifle, Colorado
1970-1972
Nylongewebe, Stahlseile und Beton
111 x 381 m
Foto: Harry Shunk
Der Vorhang war 381 Meter breit und erreichte zum Teil eine Höhe von bis zu 111 Metern; die Hänge und der Talgrund wurden nicht berührt. Die Drahtseile, die den Vorhang hielten, überspannten eine Breite von 417 Metern und wogen 50 Tonnen. Für die Fundamente der Verankerungen wurden rund 800 Tonnen Beton benötigt. Wieviel Mühe und wieviel Zeit hatte dieses Projekt gekostet alles in allem 28 Monate! Doch schon am folgenden Tag, dem 11. August 1972, erzwang ein Orkan den vorzeitigen Abbau des Valley Curtain: Das Temporäre im Werk der Christos wurde auf diese Weise durch die Kraft der Elemente auf die Spitze getrieben. Er interveniert nur einen Augenblick lang, wie Albert Elsen es treffend formuliert hat, und bringt, wie der Künstler es nennt, sanfte Verstörungen zwischen Erde und Himmel hervor, um uns völlig neue Eindrücke zu verschaffen. Christo glaubt, daß der temporäre Charakter seiner Projekte ihnen eine größere Energie verleiht und unsere Reaktion intensiviert. Doch sobald er ein Bauwerk verhüllt oder in eine Landschaft eingegriffen hat, wird er auf immer mit diesem Ort assoziiert. Immer wieder wird das temporäre Element hervorgehoben und einiges spricht dafür, daß der Verweis auf das Temporäre stichhaltiger ist als der auf das etwas vage, von Elsen beschworene auf immer. Dieses auf immer wäre ja durch die menschliche Lebenszeit begrenzt, wenn es keine anderen Zeugnisse für die Projekte der Christos gäbe als die Erinnerungen derer, die sie mit eigenen Augen gesehen haben.
Valley Curtain, Rifle, Colorado
1970-1972
Nylongewebe, Stahlseile und Beton
111 x 381 m
Foto: Harry Shunk
Nachdem das Werk vorbereitet und nachdem es aufgebaut und wieder abgebaut worden ist, besteht es weiter, behauptet Marina Vaizey. Es lebt in der Erinnerung von Tausenden fort, die es aus erster Hand miterlebt haben. Es lebt auch in der Erinnerung derjenigen fort, die das Werk in Film, Fernsehen und Zeitungen gesehen haben. Und ein wesentlicher Bestandteil ist Christos eigene bewegliche Kunst, die wunderbaren Skizzen, Zeichnungen, Collagen und Drucke, die sowohl Werkzeichnungen als auch Kunstwerke in sich selbst sind. Erinnerungen sind zeitlich begrenzt. Den Arbeiten, die parallel zu den Projekten oder in ihrem Vorfeld entstehen, kommt jedoch offensichtlich die uralte Rolle zu, der Zeit zu trotzen und ihre eigene Beständigkeit (und somit die des Kunstwerks als Ganzes) zu behaupten. Der so oft angeführte Verweis auf die Erinnerungen derer, die Christos realisierte Projekte mit eigenen Augen gesehen haben, ist prekär, da er suggerieren könnte, Kunst brauche nur vor dem inneren Auge zu existieren ganz zweifellos ein Trugschluß. Doch die Arbeiten der Christos, die im Umfeld seiner Projekte entstehen, erfüllen tatsächlich die Funktion, seine Schöpfungen für die Nachwelt festzuhalten. Hier verbirgt sich wohl tatsächlich ein Paradoxon, das nicht einfach aufzulösen ist.
Die Mauer, Projekt für eine Verhüllte römische Stadtmauer, Rom
Zeichnung, 1974
Bleistift, Zeichenkohle und Buntstift
165 x 106,6 cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Harry Shunk
Vor ihrem nächsten größeren Landschaftsprojekt wandten sich die Christos mit Die Mauer, Verhüllte römische Stadtmauer (1974) erneut der städtischen Umgebung zu (Stadt und Land haben sich in ihrer Bedeutung für die Künstler ständig abgelöst). Das von den Christos auf einer Länge von 259 Metern mit Polypropylengewebe und Seilen verhüllte Teilstück der zweitausend Jahre alten, unter Kaiser Mark Aurel erbauten Stadtmauer liegt am Ende der Via Veneto, einer der Hauptverkehrsadern Roms, in unmittelbarer Nähe der Gärten der Villa Borghese. Während der 40tägigen Verhüllungsaktion wurden drei der vier verhüllten Torbögen weiterhin für den Autoverkehr genutzt, der vierte blieb den Fußgängern vorbehalten. Das Projekt stieß in Rom auf reges Interesse.
Die Mauer - Verhüllte römische Stadtmauer, Rom
1974
Polypropylengewebe und Seil
15 x 259 m
Foto: Harry Shunk
Im selben Jahr wurde in Newport, Rhode Island, das Projekt Ocean Front realisiert (1974). Achtzehn Tage lang bedeckten 14.000 Quadratmeter weißes Polypropylengewebe die Wasseroberfläche einer halbmondförmigen kleinen Bucht bei King's Beach an der Südseite des Ocean Drive, dem Teil des Long Island Sound gegenüber, der bei Rhode Island mit dem Atlantik zusammentrifft. Die Konstruktion selbst wurde von den Ingenieuren Mitko Zagoroff, John Thomson und Jim Fuller entwickelt und überwacht, die auch schon das Valley Curtain-Projekt betreut hatten. Die Arbeit begann, so das offizielle Bulletin der Christos, am Montag, dem 19. August 1974, um 6.00 Uhr. Das gebündelte Gewebe wurde vom Lastwagen aus an ungelernte Arbeiter weitergegeben, die Schwimmwesten trugen. Paarweise trugen sie die insgesamt 2.722 Kilogramm schwere, auf Bretter verteilte Last zum Wasser. Das Gewebe wurde an einer 128 Meter langen, mit zwölf Danforth-Ankern gesicherten hölzernen Sperre befestigt, um den vorderen Rand des schwimmenden Gewebes im Wasser zu fixieren.
Im Lauf der Jahre sind diese Kommuniques zu einem integralen Bestandteil der Projekte der Christos geworden. Das große Kommunikationstalent der Christos ist allgemein anerkannt, und Marina Vaizey geht so weit zu behaupten, daß die Christo-Präsentation, das Christo-Interview an sich ein Stück Christo-Kunst ist. Eher auf dem Boden der Tatsachen steht ihre Bemerkung, daß Christo Wege gefunden hat, die Gesellschaft in die Herstellung von Kunst miteinzubeziehen. Das ist mit Sicherheit die wichtigste Absicht, die die Christos mit ihren berühmten Bulletins, der Einbeziehung der Medien, der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit verfolgen: Sie möchten ihre Ideen auf die öffentliche Bühne bringen, wo sie wahrhaft demokratisch begutachtet, debattiert und erwogen werden können.