© 1995 Christo & Taschen Verlag
Running Fence, Counties Sonoma und Marin, Kalifornien
1972-1976
Nylongewebe, Stahlpfosten und Stahlseile
5.5 m x 39,5 km
Foto: Wolfgang Volz
Zweifellos besonders eindrucksvoll und von einer epischen Schönheit war der mehr als 39 Kilometer lange Running Fence in den nördlich von San Francisco gelegenen kalifornischen Counties Sonoma und Marin (1972-1976). Gegen beträchtliche Widerstände hatten die Christos ihr Vorhaben durchgesetzt und ihren langen weißen Zaun errichtet, der sich vom Pazifischen Ozean aus an Farmen vorbei und durch Dörfer hindurch ins Land hinein erstreckte. Vorausgegangen waren sage und schreibe achtzehn öffentliche Anhörungen, drei Verhandlungen am Obersten Gerichtshof von Kalifornien und ein Bericht über die Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt, der den Umfang eines Telefonbuchs hatte (0). Durch das Ergebnis wurden alle diese Mühen jedoch aufs reichlichste belohnt.
Running Fence, Counties Sonoma und Marin, Kalifornien
Foto: Jeanne-Claude Christo
Die Faszination des sich durch die Landschaft schlängelnden Zauns wurde noch dadurch erhöht, daß er an die Chinesische Mauer erinnerte. Und war es nicht ein merkwürdiger Zufall, daß der Vorsitzende Mao Tse-Tung ausgerechnet am Tag vor der Fertigstellung des Running Fence starb? Derartige Zufälle sind natürlich kein konstitutiver Bestandteil eines Kunstwerks, doch für seine Breitenwirkung können sie durchaus wichtig sein.
Running Fence, Counties Sonoma und Marin, Kalifornien
Foto: Wolfgang Volz
Der 5,5 Meter hohe und 39,5 Kilometer lange Running Fence, der sich in der Nähe des Freeway 101 über den Grundbesitz von 59 Ranchern erstreckte, den sanften Hügeln dieser Region folgte und in der Bodega Bay in den Pazifischen Ozean hineinführte, konnte am 10. September 1976 fertiggestellt werden. Alle Bestandteile des Running Fence die weißen Nylonstoffbahnen (ca. 200.000m2), die 145Kilometer Stahlseile, 2.060 Pfosten und 14.000 Bodenverankerungen waren so konzipiert, daß sie komplett wieder entfernt werden konnten. Der Running Fence hinterließ daher auf den Hügeln der Counties Sonoma und Marin keine einzige bleibende sichtbare Spur. Wie mit den Ranchern und den Bezirks-, Staats- und Bundesbehörden abgesprochen, begann der Abbau des Running Fence bereits vierzehn Tage nach seiner Vollendung, und das ganze Material wurde den kalifornischen Ranchern überlassen.
Running Fence, Counties Sonoma und Marin, Kalifornien
Um die erforderlichen Genehmigungen von den kalifornischen Regierungsbehörden
zu erhalten,
mussten die Künstler auf eigene Kosten einen 355seitigen Umweltschutzbericht erstellen lassen
1972-1976
Foto: Wolfgang Volz
Er borgt Land, öffentliche Gebäude und Räume, schrieb Albert Elsen. Während ein Eroberer wie Napoleon seiner militärischen Macht wegen auf immer und ewig mit bestimmten Orten assoziiert wird, identifiziert man Christo aufgrund der Macht seiner Kunst dauerhaft mit Orten und historischen Gebäuden. Die Dauerhaftigkeit ist freilich ein strittiger Punkt nicht zuletzt deshalb, weil es natürlich noch zu früh für ein abschließendes Urteil ist. Bei den Christos selbst dürfte es jedenfalls auf entschiedenen Widerstand stoßen, die Idee der Dauerhaftigkeit in Kunstprojekte einführen zu wollen, die doch gerade durch ihren temporären Charakter bestimmt sind. Doch jeder, der den Running Fence mit seinen eigenen Augen sah er war so angelegt, daß man auf insgesamt 65 Kilometern öffentlicher Straßen ununterbrochen an ihm entlangfahren konnte , wird bestätigen können, daß die Künstler mit ihrem Werk einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen haben. Aus den in aller Welt zu vernehmenden begeisterten Reaktionen auf dieses Projekt war eines zu erkennen: Indem die Christos temporär die Landschaft intuitiv mit ihrer eigenen Idee von Schönheit prägen, verleihen sie der Intuition vieler anderer Menschen Ausdruck.
Verhüllte Parkwege, Jacob L. Loose Memorial Park, Kansas City, Missouri
1977-1978
Foto: Wolfgang Volz
Weit weniger spektakulär, jedoch von besonderer Ästhetik, war das folgende Projekt, die Verhüllten Parkwege (1977-1978) im Jacob L. Loose Park in Kansas City, Missouri. 12.400 Quadratmeter safrangelbes Nylongewebe wurden von einer ganzen Armada von Näherinnen in einer Fabrik in West Virginia und im Park selbst zugeschnitten und zusammengenäht; 84 Arbeitskräfte wurden benötigt, um das Material auf die Wege zu legen. Spazierwege und Joggingpfade von über vier Kilometern Länge blieben vom 4. bis zum 16. Oktober 1978 mit Stoff bedeckt; anschließend wurde der Park in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt. Das Material wurde entfernt und der Gartenbauverwaltung von Kansas City zur Weiterverwendung überlassen.
Verhüllte Parkwege, Jacob L. Loose Memorial Park, Kansas City, Missouri
1977-1978
Foto: Wolfgang Volz
Auch dieses Projekt wurde ein großer Publikumserfolg, und wie so oft war dieser Erfolg nicht zuletzt auf die charismatische Persönlichkeit der Christos zurückzuführen, auf ihre Fähigkeit, Menschenscharen zu begeistern und zu mobilisieren, Teamgeist zu wecken und das Gefühl einer gemeinsam erbrachten Leistung zu vermitteln. Marina Vaizey erinnert daran, daß das Prinzip der Kooperation tiefe Wurzeln in der künstlerischen Tradition hat:
Wir sind mit der Vorstellung zweier unterschiedlicher Arten von kooperativen Projekten in Kunst und Technologie vertraut. In Kunst und Design gibt es den Begriff des Ateliers mit Lehrlingen, Studenten, Assistenten und Spezialisten, die unter der Leitung des Künstlers arbeiten. Diese in der Frührenaissance weitverbreitete Praxis erwuchs aus der Art und Weise, in der Konstruktionszeichner und Künstler von der Philosophie her untrennbar miteinander verbunden waren, auch wenn jeder einzelne ein Spezialgebiet haben konnte. Die Schaffung sakraler Kunstwerke im Norditalien des 14. Jahrhunderts zum Beispiel erforderte verschiedene Fähigkeiten, die nicht unbedingt alle von derselben Person ausgeübt wurden. Einige bereiteten die Holztafeln vor, andere waren Spezialisten auf dem Gebiet des Vergoldens, wieder andere Maler, und die Person, der das Gemälde zugeschrieben wurde, war für den gesamten Entwurf und die Komposition verantwortlich, auch wenn sie es nicht ganz allein angefertigt hatte. An anderer Stelle schreibt die Autorin über Christo: Er hat die Methoden des demokratischen Kapitalismus für die Kunst nutzbar gemacht. Seine Methode ist untrennbar mit seiner Kunst verbunden. Er und sein Werk sind im Zentrum der Städte und in abgelegenen Landstrichen zu Hause. Er hat gewaltige Projekte realisiert, die nur für Tage oder Wochen Bestand hatten, um dann für immer zu verschwinden, festgehalten nur von den Medien und in der Erinnerung von jenen Hunderten von Menschen, die am Prozeß ihrer Gestaltung beteiligt waren. Die seit Jahrhunderten in unser Bewußtsein eingeprägte Unvergänglichkeit des Kunstwerks der gemeißelte Stein, das bedruckte Papier, die unzerstörbare Melodie ist nie radikaler in Frage gestellt worden als durch die Werke der Christos: höchster technischer Aufwand, Monate, Jahre der Vorbereitung und Planung und der tatkräftige Einsatz vieler Menschen und das alles nur, um Werke hervorzubringen, die nach kurzer Zeit wieder verschwinden, ohne auch nur eine Spur an ihrem Entstehungsort zurückzulassen.