© 1995 by Christo & Taschen Verlag
Surrounded Islands, Projekt für die Biscayne Bay, Greater Miami, Florida
Zeichnung, 1983 in zwei Teilen
Bleistift, Zeichenkohle, Pastell, Buntstift, Emailfarbe, Luftaufnahme und Stoffmuster
244 x 38 cm und 244 x 106,6 cm
New York, Sammung Simon Chaput
Foto: Wolfgang Volz
Eines der spektakulärsten Projekte, das die Christos konzipierten und realisierten, waren die Surrounded Islands in der Biscayne Bay, Greater Miami, Florida (1980-1983) ein Projekt, das mich ganz besonders in seinen Bann gezogen hat. Dieses gigantische Projekt der natürlichen Umgebung angepaßt, eine symbiotische Verbindung von Kunst, Großstadt und Natur, ohne der Natur Schaden zuzufügen war ein Werk von großer Schönheit, Anmut und Poesie. Zugleich war es aber auch ein ungewöhnlich kühnes Vorhaben, das mit beträchtlichen Risiken und technischen Schwierigkeiten verknüpft war.
Surrounded Islands, Biscayne Bay, Greater Miami, Florida
1983
Elf Inseln waren von 603.850 Quadratmetern Stoff umgeben
Foto: Wolfgang Volz
Elf künstlich aufgeschüttete Inseln inmitten der Region Greater Miami, die als Müllabladeplätze mißbraucht wurden, wollten die Christos für kurze Zeit mit Stoffbahnen umgeben. Die Vorbereitungen für dieses urbane Projekt waren langwierig und kompliziert. Wie bei den anderen Projekten gehörten Zeichnungen, Collagen und Fotografien dazu, und um die erforderlichen Genehmigungen zu erhalten, mußten Dokumentationsmaterial zusammengestellt und zahlreiche Treffen mit Vertretern staatlicher und städtischer Behörden organisiert werden. An den Vorbereitungsarbeiten für das Projekt Surrounded Islands, die im April 1981 begannen, waren außer Rechtsanwälten, einem Meerestechnologie-Ingenieur, vier beratenden Ingenieuren und einem Bauunternehmer auch ein Meeresbiologe sowie ein Ornithologe und ein Experte für Seekühe beteiligt. Christo stellte 400 Helfer ein, die die Inseln von insgesamt 40 Tonnen Müll befreiten. Der Gouverneur von Florida, der Stadtrat von Miami und zahlreiche andere Behörden mußten ihre Einwilligung geben, einschließlich des U.S. Army Corps of Engineers: Allein die Genehmigungsakte des U.S. Army Corps of Engineers ist 15cm dick, schrieb der Miami Herald, dicker als eine Bibel, dicker als die ungekürzte Ausgabe von Websters Third International Dictionary. Und das Ergebnis war ein Anblick, der zu den unvergeßlichsten und poetischsten gehört, die die Kunst in unserer Zeit hervorgebracht hat.
Surrounded Islands, Biscayne Bay, Greater Miami, Florida
1980-1983
Foto: Wolfgang Volz
Nie werde ich vergessen, wie ich in einem Hubschrauber über die Inseln flog. Das Panorama, das sich vor uns auftat, zeigte wieder einmal, welch wunderbare Metamorphosen die Christos hervorbringen können. Für kurze Zeit war die Landschaft in eine andere, atemberaubend schöne Realität verwandelt worden schier unfaßbar war die Harmonie zwischen dem leuchtenden rosafarbenen Gewebe, das die Inseln wie Blütenblätter umgab, und der tropischen Vegetation der Inseln, dem Licht des Himmels von Miami und den Farben der seichten Gewässer der Bucht. Wie mit leichter Hand hingeworfene Blüten schwebten die Surrounded Islands auf dem Wasser. Unwillkürlich kamen einem Claude Monets Seerosenbilder mit ihrem nuancenreichen Wechselspiel von Licht und Farbe in den Sinn.
Surrounded Islands, Biscayne Bay, Greater Miami, Florida
Während der Installation der Surrounded Islands, Mai 1983
Foto:Jeanne-Claude Christo
Mit größter Vorsicht war die Farbe des Materials ausgewählt worden. Rosa, mit der süßlichen Untermischung von Marzipan, erscheint dem, der nach Miami kommt, schon nach wenigen Stunden als symbolische Farbe der Region, wie Werner Spies bemerkte. Rosarot, die einzige natürliche Farbe des Landstrichs, Farbe einer euphorischen Künstlichkeit. Der liebevoll-satirische Unterton, der in der Entscheidung für diese Farbe sprach, blieb von der örtlichen Presse nicht unbemerkt. Rosarot erinnerte in Miami bisher an Flamingos, Sonnenuntergänge und Art-Deco-Hotels, so The Orlando Sentinel am 17. April 1983. Jetzt erinnert es an Christo.
Surrounded Islands, Biscayne Bay, Greater Miami, Florida
1980-1983
Foto: Wolfgang Volz
Der sanfte Eingriff in die Großstadt, wie Werner Spies es treffend formulierte, wurde am 7. Mai 1983 vollendet, und die elf das sich, auf der Wasseroberfläche schwebend, von jeder Insel aus sechzig Meter weit in die Biscayne Bay hinein erstreckte. Von November 1982 bis April 1983 war der Stoff in einer angemieteten Fabrik in Hialeah zu insgesamt 79 verschiedenen Formteilen zusammengenäht worden, die den Konturen der Inseln angepaßt waren. In jede Naht wurde ein Schwimmstreifen eingelassen, und im Luftschiffhangar in Opa Locka wurden die Formteile wie ein Leporello zusammengefaltet, um sie später einfacher auf dem Wasser entfalten zu können. Am 4. Mai wurde mit der Aufdeckung der Stoffbahnen begonnen. Die Surrounded Islands wurden pausenlos von über 120 Aufsehern in Schlauchbooten überwacht.
Surrounded Islands, Biscayne Bay, Greater Miami, Florida
Christo und sein Sohn Cyril wahrend der Installation der Surrounded Islands, Mai 1983
Foto: Jeanne-Claude Christo
Dieses außergewöhnliche Projekt machte Schlagzeilen weit über Miami hinaus; den nachhaltigsten Eindruck erhielten jedoch zweifellos diejenigen, die es während seiner zweiwöchigen Existenz mit eigenen Augen gesehen haben. In diesen zwei Wochen erlebte der Tourismus in Miami einen beispiellosen Boom. Eine Hubschraubergesellschaft verkaufte rund 5.000 Flüge über die Inseln zu jeweils 35 Dollar. Rund um den Globus jedoch erregten die Christos mit diesem Projekt Aufsehen in Rundfunk und Presse, wie Grace Glueck in der New York Times am 15.Mai 1983 berichtete. Das Ereignis tauchte in einer Reihe mit den Schlagzeilen über Hitlers Tagebücher, das Truppenabkommen zwischen Israel und Libanon und die nukleare Abrüstung auf. . Niemand kann der Welt mangelnde Aufmerksamkeit für den Künstler Christo, den Meister der Manipulation von Landschaft und Medien, vorwerfen. Tatsächlich muß man sagen, daß kein anderer bildender Künstler soviel öffentliches Aufsehen natürlich nicht immer im positiven Sinn erregt hat, seit Christo in den späten sechziger Jahren im Freien Projekte von gigantischem Ausmaß zu verwirklichen begann.