© 1995 Christo & Prestel Verlag
Interview mit Christo
von Masahiko Yanagi
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Mit freundlicher Genehmigung des Prestel Verlags
Zeichnung 1977
Foto: Wolfgang Volz
Sammlung Jeanne-Claude Christo, New York
Yanagi:
In der Vergangenheit haben Sie mehrere Projekte aufgegeben. Und im Falle des
Verhüllten Kolumbus-Denkmals, Projekt für Barcelona, haben Sie es sogar
fallengelassen, nachdem
Sie die Genehmigung bereits erhalten hatten.
Christo:
Das ist das einzige Projekt, das ich aufgegeben habe, nachdem ich
die Genehmigung erhalten hatte. Andere Projekte habe ich aufgegeben, weil sie nicht bewilligt wurden oder weil ich das Interesse daran verloren hatte, zum Beispiel 1968 Verhüllte Bäume,
Projekt für die Champs-Elysées, Paris, oder 1967 Verhülltes Gebäude,
Projekt für den Allied Chemical Tower, 1 Times Square, New York. . . Ich führe ein Projekt nur
dann aus, wenn es mich inspiriert. Begeistert bin ich von The
Umbrellas [Die Schirme], Projekt für Japan und den Westen der USA und
auch vom Reichstag-Projekt, doch an einem bestimmten Punkt kann sich
auch alles wieder ändern. 1981, nachdem das Reichstag-Projekt
abgelehnt worden war, war ich zum Beispiel sehr deprimiert. Wir
hatten furchtbare Probleme mit The Gates [Die Tore], Projekt für den Central Park, New York, und ich war mitten in den Vorbereitungen zu Surrounded Islands, Biscayne Bay, Greater Miami, Florida,1980-83. Ich wollte
das Reichstag-Projekt aufgeben, doch viele Menschen, unter
anderen der frühere Kanzler Willy Brandt, sagten mir, daß es nicht
mehr nur meine persönliche Entscheidung sei, das Projekt fallenzulassen, und daß ich an die vielen Leute denken müsse, die sich
für das Projekt eingesetzt hätten. Obwohl ich die Nase gestrichen voll hatte und niedergeschlagen war war es sehr befriedigend zu sehen, daß mir so viele Leute zur Seite standen und daß
es immer noch eine geringe Chance gab, die Genehmigung zu
bekommen.
Zeichnung in zwei Teilen 1986
Foto: Wolfgang Volz
Sammlung Jeanne-Claude Christo, New York
Yanagi:
Haben Sie je daran gedacht, ein einmal aufgegebenes Projekt wieder aufzunehmen,
falls sich
im Laufe der Zeit die Umstände geändert haben?
Christo:
Nein, aber es könnte passieren, das ist nicht unmöglich. Irgend-
eine alte Idee könnte wieder inspirierend werden, doch bis jetzt
ist das noch nicht passiert. Viele Leute vergessen, daß ich lange
an diesen Projekten arbeite. Letztes Jahr war immer wieder zu
lesen: "Christo arbeitet jetzt in der Stadt". Man hatte ganz vergessen, daß die Planungen für das Pont Neuf-Projekt schon zehn
Jahre vorher begonnen hatten. Und wenn das Reichstag-Projekt
verwirklicht wird, wird vielen Leuten wahrscheinlich gar nicht
bewußt sein, daß die Vorbereitungen mehr als 14 Jahre [1993
bereits mehr als 22Jahre] in Anspruch genommen haben. Wenn
eine Idee 1960 für mich gültig war könnte sie auch heute noch
Gültigkeit haben. Ich weiß es wirklich nicht.
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