© 1995 Christo & Taschen Verlag
Die Mastaba von Abu Dhabi, Projekt für die Vereinigten Arabischen
Emirate, 1979
(Ausschnitt)
Collagierte Fotografie, 56 x 35cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Wolfgang Volz
Die wichtigsten Werke, die sich zur Zeit in Vorbereitung befinden, sind abgesehen vom Reichstagsprojekt: Die Mastaba von Abu Dhabi, Projekt für die Vereinigten Arabischen Emirate (1979); The Gates, ein Projekt für den Central Park in New York City (1991); und Over the River (1992), ein Projekt für den Westen der USA (zur Zeit steht noch nicht fest, wo es genau realisiert werden soll).
Die Mastaba von Abu Dhabi, Projekt für die Vereinigten Arabischen
Emirate
Zeichnung, 1978
Bleistift, Zeichenkohle, Pastell und Buntstift, 71 x 56cm
Privatbesitz
Foto: Wolfgang Volz
Das Mastaba-Projekt hat eine Vorgeschichte. Eine Mastaba ist der Oberbau eines Grabes, eine uralte architektonische Form mit zwei senkrechten Wänden, zwei geböschten Wänden und einem flachen Dach. Anläßlich ihrer Ausstellung im Institute of Contemporary Art in Philadelphia schufen die Christos 1968 ihr erstes als Mastaba bezeichnetes Projekt. Diese Mastaba aus 1.240 Ölfässern über sechs Meter hoch, neun Meter breit und zwölf Meter tief wurde im Museum errichtet. 1969 planten die Christos dann eine Mastaba für Houston, Texas, die aus 124.000 Fässern bestehen sollte. Dieses Projekt, für das Christo Zeichnungen, Pastelle und Collagen anfertigte, wurde jedoch nicht realisiert.
Die Mastaba von Abu Dhabi ist laut der Pressemitteilung der Christos sowohl als Symbol des Emirats und der Gräße des Scheichs Zayed als auch als Symbol der vom Öl geprägten Weltzivilisation konzipiert. Sie soll höher und massiver als die Cheopspyramide bei Kairo werden. Es liegt natürlich eine eklatante Logik darin, die Golfregion mit ihrer gewaltigen Erdölproduktion als Standort für ein Projekt auszuwählen, das aus beinahe 400.000 Ölfässern errichtet werden soll. Eine Logik von weniger offensichtlicher Art liegt allerdingsin der beabsichtigten Analogie zwischen der visuellen Wirkung, die durch Fässer in vielen verschiedenen Farben erreicht werden soll, und der islamischer Mosaiken, eine Analogie, die diesem Projekt eine ganz außerordentliche ästhetische Anziehungskraft verleihen dürfte.
Ursprünglich war eine Mastaba Teil eines altägyptischen Grabbaus. In einer äußeren Kammer wurden Opfergaben hinterlegt, während sich in einer inneren Kammer ein Bildnis des Verstorbenen befand. Von dort aus führte ein Schacht ins eigentliche Grab hinunter. Eine Mastaba war also ein sakraler, ritueller, religiöser Zweckbau, sie war ein Monument, das der Erinnerung und der Ehrerbietung diente. Im Gegensatz dazu hat Christos geplante Mastaba (8) nur den einen Zweck, als riesiges skulpturales Artefakt einfach existent zu sein. Wenn das Projekt realisiert wird, werden die horizontal auf der Seite liegenden Fässer ein Bauwerk von einer Größe ergeben, daß mehrere 40stöckige Wolkenkratzer bequem darin Platz finden könnten. Es wird nur einen Zugang geben: eine Passage zu den Aufzügen, die die Besucher auf die Oberseite bringen, 150 Meter über dem Erdboden. Von dort aus werden sie faszinierende Aussichten genießen können, bis etwa 50 Kilometer weit ins Land hinein. Der phänomenale Eindruck des Ganzen, das sinnliche Erlebnis des Bauwerks und seiner Umgebung, wird der einzige Zweck der Mastaba sein.
Das Gelände, durch das die zur Mastaba führenden Wege verlaufen, wird sich dem Besucher wie eine Oase mit Blumen und Wiesen darbieten. Um die Mastaba herum werden in einem gewissen Abstand auch Palmen, Eukalyptusbäume, Dornbüsche und anderes Strauchwerk gepflanzt werden, die als Windschutz dienen und die Gewalt der Sandstürme mildern sollen. Die Projektbeschreibung sieht einen Gebetsraum (wie auch Parkplätze und andere Einrichtungen) in dieser doch etwas entlegenen Gegend vor; eine einfühlsame Reverenz an die ursprüngliche Funktion solcher Bauten und eine Höflichkeitsbezeugung gegenüber der islamischen Welt. Obwohl die Christos einen detaillierten Ausstellungskatalog in arabischer Sprache veröffentlicht haben, ist das Projekt bis jetzt noch nicht gebilligt worden.
The Gates, Projekt für den Central Park, New York City
Collage, 1994, in zwei Teilen
Bleistift, Stoff, Zeichenkohle, Buntstift, Stadtplan, 30,5 x 77,5cm
und 66,7 x 77,5cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Wolfgang Volz
The Gates, Projekt für den Central Park, New York City steht nicht für den monumentalen Aspekt im Werk der Christos, wie er so oft in Zusammenhang mit massiven Bauwerken in Erscheinung getreten ist, sondern für eine andere Facette, die uns aus Projekten wie The Umbrellas oder Surrounded Islands vertraut ist. Die Gates (Tore), die in Abständen von etwa drei Metern auf den Fußwegen im Central Park aufgestellt werden sollen, werden etwa fünf Meter hoch sein; die Breite wird mit der Breite der Wege variieren. Die an den oberen Rahmen der Stahltore befestigten gelben Stoffbahnen werden in Richtung des jeweils folgenden Tors wehen, wenn der Wind aus der richtigen Richtung kommt.
Als die Christos dieses Projekt im Jahre 1980 konzipierten, hofften sie, die Tore im Oktober 1983 oder 1984 zwei Wochen lang aufstellen zu können. Tatsächlich wartet das Projekt jedoch bis heute auf seine Realisierung. Damals legten sie eine schriftliche Zusicherung vor, derzufolge weder der Stadt New York noch der Parkverwaltung irgendwelche Kosten entstehen würden; auf der Grundlage der Vereinbarungen, die anläßlich der Realisierung des Projekts Running Fence mit den zuständigen Behörden in Kalifornien getroffen worden waren, sollte ein Vertrag abgeschlossen werden. Darin wollten die Christos sich dazu verpflichten, eine Haftpflichtversicherung gegen Personen- und Sachschäden abzuschließen, um das Gartenamt vor jeglichen Schadensersatzansprüchen zu bewahren, auf Wunsch der Parkverwaltung ein Umweltschutzgutachten erstellen zu lassen und das Parkgelände nach der Entfernung der Tore in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Den zuständigen Behörden wurde ein uneingeschränktes Mitspracherecht zugesagt. Außerdem versicherten die Christos, nur in Manhattan ansässige Arbeitskräfte zu beschäftigen, die Kosten der Parküberwachung zu übernehmen und einen unbehinderten Zugang für Wartungs-, Polizei- und Rettungsfahrzeuge zu garantieren. Darüber hinaus sicherten sie zu, daß die Vegetation und die Felsformationen nicht in Mitleidenschaft gezogen und die Lebensräume der im Park lebenden Tiere nicht gestört werden würden. Mit einem Wort: Die Christos machten ihren Vorschlag auf eine Art und Weise, die geradezu zu einem Markenzeichen geworden ist gut durchdacht, gewissenhaft, umsichtig, diplomatisch und vor allem mit einem wirkungsvollen Sinn für organisierte Verantwortlichkeit. Diese Taktik ist zu einem integralen Bestandteil all ihrer Projekte und damit zu einem Teil ihrer Kunst geworden.
Das Projekt The Gates würde das organische Element des Central Park unterstreichen, der einen Gegensatz zum geometrischen Gitternetzmuster Manhattans bildet, und mit der Schönheit des Parks harmonieren wenn es denn einmal realisiert werden kann. In den 80er Jahren, nachdem die Christos detaillierte Pläne und Umweltverträglichkeitsstudien unterbreitet hatten, legte der Leiter der städtischen Parkbehörde leider einen 200seitigen Bericht vor, worin die Genehmigung abgelehnt wurde.
Over the River, Projekt für den Arkansas
River, Colorado
Zeichnung, 1992
Bleistift, Zeichenkohle, Pastell, Buntstift
106,6 x 165cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto. Wolfgang Volz
Over the River (1992), das neueste Projekt der Christos, wurde 1992 in Angriff genommen. Christo schuf Zeichnungen und Collagen von mehreren Örtlichkeiten, die für das Vorhaben ins Auge gefaßt worden sind. Bis jetzt ist jedoch weder über den Schauplatz noch über die Farbe des Stoffes eine endgültige Entscheidung getroffen worden. Das Konzept sieht vor, daß horizontal über der Wasseroberfläche schwebende Stoffbahnen dem Lauf der mal ruhig dahinfließenden, mal weiß schäumend hinabströmenden Flußwasser in seiner ständig wechselnden Gestalt und Breite folgen werden. Drapierte, an im Ufer verankerten Stahldrähten aufgehängte Nylonstoffbahnen sollen den Fluß in einem Abstand zur Wasseroberfläche von zwei bis sieben Metern und auf einer Länge von sechseinhalb bis zehn Kilometern überdecken mit Unterbrechungen für Brücken, Felsen, Bäume und Büsche, die das Licht hineinfließen lassen. Das leuchtende Spiel des durch das Gewebe hindurchscheinenden Sonnenlichts wird den Fluß transformieren, und zwei Wochen lang wird das temporäre Kunstwerk Over The River die Freizeitaktivitäten und die Natur am und im Fluß um eine Attraktion bereichern.
Over the River, Projekt für den Arkansas River, Colorado
Zeichnung, 1992
Bleistift, Zeichenkohle, Pastell, Buntstift
106,6 x 165cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Wolfgang Volz
In den inzwischen drei Jahrzehnten ihres gemeinsamen künstlerischen Schaffens haben die Christos ein gewaltiges und vielgestaltiges Werk hervorgebracht, und obwohl dieses Werk stets kontrovers diskutiert wurde und wird, zählen sie heute nicht nur zu den populärsten zeitgenössischen Künstlern, sondern auch zu den wenigen unter ihnen, denen Liebe und Respekt entgegengebracht werden. Die Universalität und Weltläufigkeit ihres künstlerischen Denkens tritt sowohl in der immer wieder verblüffenden Wahl der unterschiedlichsten Schauplätze für ihre Projekte zutage als auch in ihrer Unerschrockenheit angesichts schier unüberwindlich scheinender Schwierigkeiten. ber die Philosophie, die den Projekten der Christos zugrunde liegt, äußert sich Christo folgendermaßen: In jeweils unterschiedlichem Maße enthalten alle unsere temporären Kunstwerke Elemente gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer und umweltpolitischer Anliegen, darüber hinaus jedoch auch Aspekte der Malerei, der Architektur, der Skulptur und der Stadt- und Landschaftsplanung. Die Surrounded Islands zum Beispiel könnten als riesige flach auf der Wasseroberfläche ausgebreitete Leinwände gesehen werden. Der verhüllte Pont Neuf mit seinen Falten und Draperien zeigt das Erscheinungsbild einer klassischen Skulptur gleichzeitig blieb die Brücke, solange sie verhüllt war, jedoch auch ein Stück Architektur; Fußgänger und Autos überquerten sie, Schiffe fuhren unter ihren Bögen hindurch. The Umbrellas, Japan-USA hatten dagegen ganz entschieden mehr mit Stadt- und Landschaftsplanung zu tun; Reisfelder, Tankstellen, Häuser, Weideland, Kirchen, Tempel, Schulen, Hügel, ein Fluß, Berge waren in das Projekt einbezogen.
Wenn Maler oder Bildhauer uns fragen, wie wir 4 oder 6 oder 10 oder 21 Jahre lang an ein und demselben Projekt arbeiten können, dann haben sie nicht erkannt, was jedem einzelnen unserer Werke inhärent ist; Architekten oder Stadtplanern würden sie diese Frage nicht stellen, weil es offensichtlich ist, daß man viele Jahre braucht, um eine Brücke, einen Wolkenkratzer, einen Highway oder einen Flughafen hervorzubringen.
Nur zu oft impliziert ein solch globaler Wirkungsbereich eine kommerzielle Trivialisierung, doch die Christos wissen die notwendigen Unterscheidungen zu treffen: Die meisten Kunstwerke werden den Leuten als Knüller in Ausstellungen vorgeführt, die nicht viel besser sind als Disneyland. Unsere Projekte sind Erlebnisse, die man nur einmal im Leben hat. Es geht in ihnen um Freiheit. Unsere bürgerliche Gesellschaft begreift Kunst als Ware, die nur begrenzten Personenkreisen zur Verfügung steht. Um unsere Kunst zu erleben, brauchen die Leute keine Eintrittskarten zu kaufen.
In dieser Abneigung gegen die herkömmlichen Vorstellungen vom Kunstkonsum sind einerseits Christos Wurzeln in der kommunistischen Ideologie wiederzufinden; andererseits spricht daraus eine völlig individuelle Entschlossenheit, populistische Idealvorstellungen von universaler Verfügbarkeit in die Tat umzusetzen. Gleichwohl ist es Christo und Jeanne-Claude mit nie versiegender Energie, mit ihrer visionären Kraft und ihrem Engagement gelungen, sich mit großem Erfolg in einer Kunstwelt zu behaupten, die mehr und mehr von Marktkräften beherrscht wird, in einer Welt, die Künstlern ein Höchstmaß an Dynamik abverlangt.
Das letzte Wort möchte ich Christo selbst überlassen. In einem Interview für die Zeitschrift Balkan (November/Dezember 1993) bemerkte er: Unsere Projekte haben nichts mit Phantasie zu tun. Phantasie ist das, was wir im Kino und im Theater finden, unsere imaginäre Vorstellung von den Dingen. Wenn wir jedoch den wirklichen Wind, die wirkliche Sonne spüren, den wirklichen Fluß, den Berg, die Straßen vor uns sehen das ist die Wirklichkeit, und darauf greife ich in meinem Werk zurück. Diese Wirklichkeit kommt in unseren Projekten zum Tragen.