© 1995 Christo & Prestel Verlag
Interview mit Christo
von Masahiko Yanagi
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Mit freundlicher Genehmigung des Prestel Verlags
Collage 1992
Foto: Wolfgang Volz
Privatsammlung, Berlin
Yanagi:
Wie alle ihre früheren Projekte wollen Sie auch das Reichstag-Projekt
vollständig aus eigenen
Mitteln finanzieren. Warum lehnen Sie es so entschieden ab, Gelder aus
öffentlichen Fonds
oder von privaten Sponsoren anzunehmen?
Christo:
Aus vielen Gründen. Der allerwichtigste: Ich will mir die Freiheit
nicht nehmen lassen, das zu tun, was ich tun möchte. Indem ich an
dieser Freiheit festhalte, bewahre ich mir meine intellektuelle Individualität und behalte - ganz pragmatisch gesehen - die uneingeschränkte finanzielle Kontrolle. Ich kann noch nicht sagen, wieviel das Projekt kosten wird. Die Kosten für die eigentliche Realisierung, die in eineinhalb oder zwei Jahren anfallen werden, sind
ja nur das eine. Wenn man aber alles das zusammenrechnet,
was wir in den letzten zehn Jahren, der Zeit der Vorbereitungen
und Verhandlungen, für technische Versuche und Reisekosten
ausgegeben haben, wer würde uns das erstatten Es ist meine
Idee, meine Entscheidung, und deshalb glaube ich, daß kein
anderer an diesem Projekt beteiligt sein kann. Das Projekt kostet
mich so viel Lebenskraft und Herzblut, daß ich niemandem auch
nur einen winzigen Teil davon abtreten möchte. Falls wir das
Reichstag-Projekt realisieren, dann ist die Verhüllung des Reichstags für Geld nicht zu haben, denn selbst wenn alle Kosten von
anderen beglichen würden, wäre das nichts gegen die Idee, das
Engagement, die Energie und die Bedeutung, die das Projekt für
mich und für die Menschen hat, die jahrelang mit mir darauf hingearbeitet haben. Deshalb möchte ich zum Beispiel auch nicht,
daß der Reichstag zu einer Zeit verhüllt wird, in der andere
große
Ereignisse in Berlin stattfinden. Im nächsten Jahr wird das 750
jährige Stadtjubiläum von Berlin gefeiert, und ich habe den Behörden und der westdeutschen Regierung unmißverständlich
erklärt, daß ich das Gebäude in diesem Jahr [1987] nicht
verhüllen werde. Es ist sehr wichtig, daß das Projekt seine eigene
Dimension, seine eigene Berufung und seinen eigenen Zeitpunkt
hat, daß es für sich selbst steht, ohne auf ein anderes Ereignis
bezogen zu sein. Und dazu gehört auch materielle, visuelle und
ökonomische Freiheit. Indem ich dieses Projekt selbst finanziere,
bewahre ich meine Integrität. Andererseits ist es ja auch so, daß
Sponsoren und öffentliche Stellen eigentlich gar nicht die Möglichkeithaben, sich für ein Projekt wie dieses zu engagieren. 1972,
als wir dieses Projekt in Angriff nahmen, waren so viele Leute
dagegen, daß keine Stiftung, Regierungsbehörde oder Institution sich auf etwas so Kontroverses, Umstrittenes und Schwieriges eingelassen hätte. Dies alles gehört jedoch zur Realität
meines Projekts. Es ist diese subversive Dimension meines Werks, die
die Leute normalerweise davon abhält, sich daran zu beteiligen.
Zeichnung in zwei Teilen 1992
Foto: Wolfgang Volz
Sammlung Jeanne-Claude Christo, New York
Yanagi:
Letztes Jahr waren einige Sammler in Paris, um den Verhüllten Pont Neuf zu
sehen, und sie sagten, sie seien sehr froh, Ihre Zeichnungen gekauft zu haben, da sie damit
zur Finanzierung der verpackten Brücke beigetragen hätten.
Christo:
Das sehe ich natürlich genauso. Es gibt Hunderte von Freunden,
Sammlern und Händlern, denen ich Dank schulde. Es ist sehr
wichtig, daß diese Menschen das wissen. Ich kann diese Projekte
nur verwirklichen, weil es Leute gibt, die meine Arbeiten kaufen.
Wir sind uns dessen immer voll bewußt, daß diese Menschen
unsere Projekte erst ermöglichen
Yanagi:
Hat es bisher schon Ausstellungen zum Reichstag-Projekt gegeben?
Christo:
1977 gab es in der Annely Juda Gallery in London die erste Ausstellung über den Verhüllten Reichstag, und 1978 hatte ich zwei
klei-
nere Ausstellungen über das Reichstag-Projekt in Museen - eine in
Zürich und eine in Brüssel, mit einem maßstabgerechten
Modell,
Photographien, Collagen und Zeichnungen [...]. Dann wurde
das Projekt 1977 zum ersten Mal abgelehnt, und 1978 zum zweiten
Mal. Die Ausstellung in der Galerie Satani ist die erste Ausstellung über das Reichstag-Projekt seit 1979 [...].
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