© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Chronologie des Reichstags-Projektes
1987
Collage 1987
28 x 35,5 cm
Collage, Foto von Michael S. Cullen
Sammlung Jeanne-Claude Christo, New York
13. Januar 1987:
Roland Speckers Unterschriften-Aktion wird in der
Philharmonie aus "Gleichheitsgründen" - die Gegner haben keine
Möglichkeit, dort gegen das Projekt Unterschriften zu sammeln -
untersagt.
25. Januar 1987:
Bundestagswahl. Da die CDU/CSU stärkste Fraktion
bleibt, wird erwartet, daß Jenninger Bundestagspräsident bleiben
wird.
29. Januar 1987:
Es wird bekannt, daß Christo den
diesjährigen Goslarer Kaiserring erhält. Das Christo-Team ist
euphorisch, denn diese Auszeichnung kann dazu benutzt werden, den Gegnern zu
zeigen, daß Christos Reputation auch in Kunstkreisen erheblich gestiegen
ist. Die Entscheidung war schon früher getroffen, aber bis zu den
Bundestagswahlen geheimgehalten worden.
10. Februar 1987:
Um 13.00 Uhr trifft Christo sich in der Berliner
Landesvertretung in der Joachimstraße in Bonn mit den F.D.P.-MdBs
Wolfgang Lüder und Gerhart Baum.
Um 16.00 Uhr ist Christo mit dem US-Botschafter in Bonn, Richard Burt,
verabredet, der Hilfe verspricht. Christo erfährt, daß Jenninger
seinen Brief angeblich schon vor Monaten beantwortet habe. Christo hat dieses
Antwortschreiben nie erhalten.
18. Februar 1987:
In der ersten Sitzung des Bundestags, 11. Wahlperiode,
erhält Jenninger 393 von 514 abgegebenen Stimmen (519 Abgeordnete) und
wird als Bundestagspräsident bestätigt.
Februar 1987:
Noch immer schreibt der Bundestagspräsident
geharnischte und unfreundliche Briefe, aus denen hervorgeht, daß er dem
Projekt seine Zustimmung nicht geben wird. Als Roland Specker um einen Termin
für die Übergabe der Unterschriften bittet, die der Verein "Berliner
für den Reichstag" für das Christo-Projekt gesammelt hat, bekommt er
zu hören, daß er sie bestenfalls bei Hans-Jürgen Heß
abgeben kann. Einen Termin mit dem Bundestagspräsidenten zu bekommen wird
zunächst als aussichtslos bezeichnet.
Mitte März 1987:
Jenningers Brief wird (noch einmal?) an Christo
geschickt. Diesmal kommt er an. Jenninger stimmt einem Treffen zu und
schlägt als Termin den 5. Mai in seinem Büro vor.
16. März 1987:
In der Welt erscheint ein ganzseitiges
Interview mit Christo.
29. März 1987:
Die Welt am Sonntag berichtet: "Hausherr des
Reichstags bleibt beim nein."
30. März 1987:
Dr. Alfred Herrhausen, Vorstandsvorsitzender der
Deutschen Bank, schreibt Jenninger und bittet ihn, seine Zustimmung für
das Projekt zu geben.
30. März 1987:
Die Unterschriften werden gezählt. Es sind
schon mehr als 60 000.
7. April 1987:
Philipp Jenninger schreibt an Alfred Herrhausen: "Ich
habe bisher von einem solchen Vorhaben Abstand genommen, weil doch erhebliche
Gründe gegen diese Idee sprechen. Sowohl der Bundespräsident [sic]
als auch der Bundeskanzler haben sich bisher gegen das Vorhaben ausgesprochen.
Darüber hinaus haben sich zahlreiche Berliner Bürger
außerordentlich kritisch an mich gewandt. Die überwiegende Mehrheit
der Berliner Bevölkerung lehnt das Vorhaben ab. Es wäre nicht sehr
klug, wenn man bei der ohnehin sensibilisierten Stimmung des konservativen
Lagers über deren Gefühle hinweggehen würde. Vielleicht
können wir uns gelegentlich mündlich darüber unterhalten."
8. April 1987:
Im Berliner Abgeordnetenhaus wird die kleine Anfrage
gestellt: "Wie steht der Senat von Berlin zu dem fragwürdigen Projekt
>Verhüllung des Reichstages< durch den Künstler Christo?"
14. April 1987:
Christo und Jeanne-Claude beantworten den Brief
Jenningers. Im Prinzip wollen sie sich mit Jenninger treffen, können aber
auf den Terminvorschlag 5. Mai nicht eingehen. Sie bitten ihn, einen anderen
Vorschlag zu machen.
April 1987:
Die Unterschriftensammlung macht Fortschritte.
16. April 1987:
Der ehemalige Senator für Kulturelle
Angelegenheiten, Prof. Dr. Dieter Sauberzweig, bittet Jenninger um Zustimmung
für das Christo-Projekt.
Mitte April 1987:
Von Walter Leisler-Kiep verlautet, in einem
Gespräch mit US-Botschafter Burt und Alfred Herrhausen habe Jenninger
gesagt, daß er dem Projekt seine Zustimmung nicht geben werde.
28. April 1987:
Jenninger überreicht dem Berliner Abgeordnetenhaus
ein Faksimile-Exemplar des großen Reichstagswerks "Das
Reichstagsgebäude in Berlin von Paul Wallot", das zuerst 1913 erschienen
ist und anläßlich des 750. Stadtjubiläums vom Westermann Verlag
abermals herausgegeben worden ist.
30. April 1987:
Im FAZ-Magazin beantwortet Christo den
Proustschen Fragebogen: "Das vollkommene irdische Glück? Ein langes,
gesundes, freies Leben".
4. Mai 1987:
In seiner Antwort auf die kleine Anfrage vom April schreibt
der Senat: "Das Projekt Christos ist künstlerisch interessant und hat
weltweite Beachtung gefunden."
5. Mai 1987:
Alexander Longolius, Vizepräsident des Berliner
Abgeordnetenhauses, sagt Cullen, daß er für die SPD in Berlin das
Thema "Reichstagsverhüllung" vor dem Kulturausschuß und im Plenum
zur Sprache bringen könnte.
13. Mai 1987:
Philipp Jenninger schlägt den Christos als
Besuchstermin den 17. Juni, 13.00 Uhr, in seinem Amtszimmer vor.
18. Mai 1987:
Bundestagspräsident Jenninger antwortet auf
Sauberzweigs Brief vom 16. April, er sei beeindruckt von dem Engagement, mit
dem sich zahlreiche Bürger für oder gegen dieses Projekt
aussprächen. Die Gesichtspunkte, die zur Begründung der
unterschiedlichen Standpunkte genannt würden, ließen über alle
Auffassungsunterschiede hinweg immer wieder erkennbar werden, welche Bedeutung
das Reichstagsgebäude auch bei den Bürgern habe. Er beurteile die
Wirkung einer künstlerischen Verpackung oder Verhüllung des
Reichstagsgebäudes jedoch anders als Sauberzweig. Dieses wieder aufgebaute
Haus stehe symbolisch auch für den Willen des deutschen Volkes, seine
Einheit in Freiheit auch staatlich zu vollenden. Im geteilten Deutschland sei
das Reichstagsgebäude der Tagungsort, wo die Bundespräsenz in
Berlin-West täglich gelebt werde. Ein solcher Ort eigne sich nicht
für eine spektakuläre Verfremdung, wie sie durch Christo angestrebt
werde. Sauberzweigs Hinweis, daß ein solcher Vorgang das Gebäude
unmittelbar an der Mauer und Berlin in den Blickpunkt einer
Weltöffentlichkeit rücken würde, möge zwar zutreffen, ein
so gewecktes Interesse wirke aber nicht über den Tag hinaus und auch nicht
in der Weise, daß dies für die Wert- und Zielvorstellungen, für
die das Reichstagsgebäude symbolisch steht, förderlich oder sonst
hilfreich wäre.>
21. Mai 1987:
Christo und Jeanne-Claude sagen ihren Besuch bei Jenninger
zu.
27. Mai 1987:
In einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost
lehnt Jenninger Christos Projekt ab.
29. Mai 1987:
Im Illustrierten Sonderdienst von Associated
Press behauptet der Reporter Joe Bodenstein unter der Überschrift
"Christo mit >Reichstags-Projekt< auf Siegeszug", daß Christo sehr
nahe am Ziel sei. Allerdings versäumt er nicht zu schreiben, daß
Jenninger und der Berliner Bundessenator Prof. Dr. Rupert Scholz noch immer
gegen das Projekt seien.
In der Rundfunksendung Journal in 3 für den SFB beschreibt Werder
Rhode Jenninger als "starrköpfigen Hausherrn": "Daß Philipp
Jenninger mit Kunst, die unvertraute Wege geht, nichts im Sinn hat, weiß
man seit 1976, als er sich bei einer Klaus-Staeck-Ausstellung in der Bonner
Parlamentarischen Gesellschaft als Bilderstürmer hervortat. Daß er
jedoch seit 1984 im hohen Amt des Bundestagspräsidenten weiter einseitig
mit dem, wie Staeck es nannte, >kerngesunden Volksempfinden< paktiert und
das Projekt >Wrapped Reichstag< autoritär-starrköpfig
blockiert, statt auch die zahlreichen positiven Stimmen zu hören, statt
auf die Kompetenz von qualifizierten Gutachtern zu setzen, das ist ein nun in
der Tat würdeloses Bonner Trauerspiel."
3. Juni 1987:
Die Zeitung Der Tagesspiegel bringt auf Seite 1
einen Bericht, wonach der Reichstag eine Kuppel bekommen und Christo ihn nicht
verhüllen soll. Dies habe Jenninger erzählt. Er würde, wenn er
Christo am 17. Juni sieht, ihm dies auch sagen.
4. Juni 1987:
Die F.D.P. wirft Bundestagspräsident Jenninger, wenn
er bei seiner Ablehnung bleibt, eine "kulturpolitische Torheit" vor.
12. Juni 1987:
Roland Specker übergibt dem
Bundestagspräsidenten im Reichstag, kurz vor dem Auftritt von Ronald
Reagan am Brandenburger Tor, eine notariell bescheinigte Urkunde, die besagt,
daß der Verein 70 000 Unterschriften gesammelt hat.
14. Juni 1987:
Christo erkrankt, er kann nicht nach Bonn kommen. Das
Treffen mit Jenninger findet nicht statt.
16. Juni 1987:
Cullen hält einen Diavortrag für einen
kulturpolitischen Dämmerschoppen der CDU. Anwesend: Dr. Volkmar
Köhler, Dr. C. Schroeder (Freiburg), Dr. Max Kunz, Klaus Harries, Roland
Sauer (Stuttgart), Dr. F. H. Kappes, Heinz Seesing, Thomas Kossendey, Bernd
Neumann, Jochen Feilcke, Klaus Daweke und Wolfgang Börnsen.
18. Juli 1987:
Im Press Club of Tokyo stellen Christo und Jeanne-Claude
das Projekt "Umbrellas" vor.
26. September 1987:
Christo und Jeanne-Claude erhalten in Goslar den Kaiserring.
© 1995 Christo & Luebbe Verlag
Text HTML-edited by Oskar Schirmer