Das läßt sich nicht trennen. Man kann nicht zehn Jahre lang ein
Projekt vorbereiten, ohne das endgültige Ergebnis - das Objekt - vorweisen zu können.
Wäre es nur ein Vorschlag gewesen, die Brücke zu verhüllen, hätte es keine zehnjährige
Vorbereitungszeit gegeben.
Sowohl die Menschen, die das Projekt abgelehnt haben, als auch die, die geholfen haben, es zu realisieren, mußten fest an das Endergebnis glauben, daran, daß der Pont Neuf eines Tages verhüllt werden würde. Wenn ich nun sage, daß all dies zusammen das Kunstwerk ausmacht, dann bedeutet das im Grunde, daß ich meine Projekte in zwei Hauptphasen oder -stufen unterteile, die ich gerne als Software - bzw. Hardwarephase bezeichne. In der Softwarephase eines Projekts beschäft
ige ich mich mit Zeichnungen, Plänen, maßstabgerechten
Modellen, rechtlichen Angelegenheiten und technischen Daten.
In dieser Softwarephase ist das Endergebnis noch nicht wirklich sichtbar weil es nur vage Vorstellungen davon geben kann, wie die Brücke aussehen wird. Ein Architekt oder Brückenbauer kann zum Beispiel auf schon vorhandene Wolkenkratzer oder Brücken Bezug nehmen und sich danach richten. Da wir jedoch noch nie
eine Brücke verhüllt hatten, ist jeder Plan neu und einzigartig, sogar für uns. Obwohl wir sorgfältige Studien und Modelle machen, können wir nie exakt im voraus planen, wie das Werk tatsächlich aussehen wird. In dieser Softwarephase gehen viele Dinge in das Kunstwerk ein. Wie die Brücke schließlich in der Realität aussehen würde, war noch nicht definiert, als ich 1975 die Idee hatte. In den ersten Zeichnungen, die plump und einfach waren, gab es noch kein
e kristallklare Vision davon, wie die Verhüllung aussehen würde, die Form war noch nicht festgelegt.
Bei der endgültigen Realisierung dagegen handelte es sich um die
verfeinerte Idee nach zehn Jahren Arbeit. Was ich klarstellen möchte: Der kreative Akt der Verwirklichung des endgültigen Objekts ist weder eine isolierte Situation noch ein abstraktes Phänomen. Das realisierte Kunstwerk - Der verhüllte Pont Neuf - ist die Akkumulierung einer Vielfalt vorweggenommener und erwarteter Kräfte: formaler, visueller, symbolischer politischer, sozialer und historischer. Deshalb ist dann der zweite Teil -die Hardwarephase, also die materielle Verwirklichu
ng des Werks - doch wohl der schönste und befriedigendste, weil er die Krönung vieler Jahre der Erwartung ist. Die Hardwarephase läßt sich gut mit einem Spiegel vergleichen. Sie führt vor Augen, woran wir gearbeitet haben - und mehr als das.
Das endgültige Objekt ist wirklich der Abschluß dieser dynamischen Werkidee. Deshalb
betrachte ich diese zehn Jahre in ihrer Gesamtheit als eine kreative Zeitspanne. Das Objekt ist tatsächlich der Zweck all dieser Energie und Mühe, denn wenn es nur eine intellektuelle Übung wäre, dann gäbe es diese zehn Jahre hindurch ja nicht den Widerstand, das ständige Ja und Nein und Geben und Nehmen.
Diese zehn Jahre sind so voller Pläne und Phantasie, daß es ohne Frage sehr befriedigend ist, wenn wir dann an Ort und Stelle an die materielle Verwirklichung herangehen.