Teil I: Bayerns Weg in die Telekommunikationsgesellschaft

4. Grundlagen für den Einstieg in die Telekommunikationsgesellschaft

Mit dem Telefon begann der Einstieg der breiten Öffentlichkeit in die Telekommunikationsgesellschaft; das Telefax hat bereits in sehr viel kürzerer Zeit zunächst den gewerblichen Bereich und nun auch die Privathaushalte erreicht. Auch der digitale Mobilfunk gewinnt seit der begrenzten Öffnung des Marktes rapide an Kunden und weist in Deutschland mittlerweile über 2 Mio Teilnehmer auf; dies bei zweistelligen jährlichen Wachstumsraten. Inzwischen beträgt der Anteil des Medien- und Kommunikationssektors am deutschen Bruttoinlandsprodukt 10 %, mit weiter steigender Tendenz.

4.1. Geeignete Endgeräte

4.1.1. Fernseher als Multimedia-Endgerät

Radio- und Fernsehgeräte sind in Deutschland heute zwar flächendeckend in fast jedem der 35,5 Mio Privathaushalte vorhanden. Sie erlauben bislang jedoch lediglich den Empfang von Information, also die unidirektionale Informationsübermittlung vom Sender zum Zuhörer und Zuschauer. Dennoch findet bereits vereinzelt zwischen Radio- und Fernsehmoderatoren auf der einen und dem Konsumenten auf der anderen Seite eine einfache Form bidirektionaler Kommunikation statt, indem der Zuhörer / Zuschauer ermuntert wird, per Telefon an der Sendung mitzuwirken. Neue interaktive Dienste ermöglichen dem Zuschauer jedoch eine aktivere Rolle als bisher. Dafür ist echte bidirektionale Kommunikation erforderlich; d.h. der Konsument muß einen Rückkanal zur Verfügung haben. Eine Möglichkeit dafür ist die ADSL-Technik (Asymmetrical Digital Subscriber Line), bei der sowohl der Datenkanal zum Konsumenten als auch der Rückkanal über die Telefonleitung geführt wird. Das ankommende Signal für die Darstellung am Fernseher aufzubereiten und den Rückkanal zur Verfügung zu stellen, sind zwei der wesentlichen Aufgaben, die von einem neuen Zusatzgerät, der sog. Set-top-box erfüllt werden. Die Bandbreite des Datenkanals zum Empfänger über den normalen Telefonanschluß kann über kurze Entfernungen (bis ca. 3 km) bis zu 1,5 Mbit/s betragen, der Rückkanal kommt mit wenigen Kbit/s aus (daher "asymmetrical").


Datenübertragungswege für private und gewerbliche Nutzer.

Daneben werden Techniken erprobt, die den Anschluß der Set-top-box an das TV-Kabel als bidirektionales Leitungsnetz vorsehen, d.h. ebenfalls mit Hin- und Rückkanal. Dieses hochgeschwindigkeitstaugliche Kupfer-Breitbandkabel nutzen inzwischen immerhin fast 15 Mio der Haushalte in Deutschland, das sind rd. zwei Drittel der unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten anschließbaren Haushalte. Eine Nutzung dieses koaxialen BK-Netzes für interaktiven Rundfunk und interaktives Fernsehen bietet sich daher jedenfalls vorübergehend an.

Dies gilt gerade auch im Hinblick auf die für 1995 vorgesehene teilweise Digitalisierung des TV- Kabelnetzes, die durch Datenkompression eine immense Erweiterung der vorhandenen Übertragungskapazitäten ermöglicht. Derzeit wird im BK-Netz lediglich ein Übertragungsbereich von 300 MHz für die Verteilung der analogen Rundfunk- und Fernsehprogramme genutzt. Der Bereich zwischen 300 und 540 MHz, das Hyperband, wird derzeit für weitere Kanäle zur analogen und digitalen Übertragung aufbereitet, so daß in diesem Frequenzbereich künftig bis zu 180 Programme übertragen werden können. Bis maximal 600 MHz kann das BK-Netz vom C-Verstärker bis zum Fernsehgerät für Individualkommunikation verwendet werden. Dies ermöglicht Video-on-demand. Voraussetzung ist lediglich, daß die Zuleitung zum C-Verstärker mit Glasfaser erfolgt. Das so geschaffene hybride Glasfaser/Koax-Netz eröffnet dem jeweiligen Netzbetreiber eine kostengünstige Möglichkeit, zumindest für die am BK-Netz angeschlossenen Rundfunk- und Fernsehteilnehmer die Leitungswege für eine Versorgung mit komplexen Multimedia-Anwendungen wie Video-on-demand anzubieten. Das Problem der teuren "last mile" wird hierdurch wesentlich entschärft, denn weder ist eine Glasfaserverlegung bis zum Rundfunk- / Fernsehteilnehmer erforderlich noch eine Änderung im Leitungssystem des Kunden.

Ein professioneller Videodialog setzt allerdings derzeit einen Anschluß des Endgerätes an ein breitbandiges Vermittlungsnetz auf Glasfaserbasis voraus. Die Übertragungstechniken unter Zuhilfenahme des Telefon- oder TV-Kabelnetzes mit Kupferleitungen (in den USA diskutiert man als Obergrenze für das Koax-Kabel bereits 8 Gbit/s!) können aber bis zu einer Verkabelung der Kunden mit Glasfasern eine Übergangslösung darstellen, da die rasant fortschreitende Technik eine zunehmend tiefere Ausschöpfung der Möglichkeiten der neuen Kommunikationstechniken erlaubt.

Gleichzeitig findet am anderen Ende der Leitung eine Revolution statt: Neben den bisherigen Rundfunk- und Fernsehprogrammanbietern schicken sich Handel und Dienstleistungsgewerbe an, als "Sender" aufzutreten, um dem Kunden über das Kabel die Dienstleistungs- und Verkaufsangebote zugänglich zu machen. Dieser kann am Bildschirm aus dem Angebot auswählen, per Kabel (online) bestellen und sofort die Einzugsermächtigung für das Bankkonto oder die Kreditkarte erteilen.

4.1.2. Der PC als Multimedia-Endgerät

Während das Fernsehgerät noch einer Aufrüstung bedarf, steht mit dem PC durch die schnelle Verbreitung immer leistungsfähigerer Rechner in den Unternehmen und zuhause dagegen bereits heute ein preiswertes Endgerät zur Verfügung, das eine multimediale Kommunikation und damit die organische Verknüpfung der Individuen ermöglicht. Die einfachste und preiswerteste, vor allem aber flächendeckende Verbindung der PCs erfolgt über das Telefonnetz, sei es über einen herkömmlichen Telefonanschluß, sei es über einen Anschluß mit ISDN-Qualität. Beide Anschlußarten sind für schmalbandige Interaktionen ausreichend. Neben der geschäftlichen und privaten Kommunikation der PC-Besitzer untereinander haben diese auch zunehmend Zugriff auf Angebote des Handels und des Dienstleistungsgewerbes. Für diese ist es einerlei, ob am anderen Ende der Leitung ein "interaktives Fernsehgerät" oder ein PC steht.

Während in Deutschland heute ca. 13 Mio PCs installiert sein dürften, davon ca. 6 Mio in Privathaushalten, die mit geringstem finanziellem Aufwand (Kosten für ein Modem, das eine Vernetzung über das Telefonnetz ermöglicht, ab rd. 100 DM) für die Telekommunikation eingesetzt werden können, haben digitale Fernsehempfänger und multimedia-fähige Set-top-Boxen noch nicht die Marktreife, geschweige denn eine Verbreitung erreicht, die für den breiten Einsatz der neuen Kommunikations- und Informationsdienste erforderlich wären. Für PCs erwarten Experten bis zum Jahr 2000 eine Marktdurchdringung von etwa 40 % aller Privathaushalte in Deutschland. So dürfte kurz- und mittelfristig der PC auch für den Privathaushalt das am weitesten verbreitete und ideale Endgerät für die moderne Telekommunikation darstellen. Ob mittel- bis langfristig die Trennung von PC und Fernsehgerät im privaten Bereich erhalten bleibt oder ein Gerät (gerade auch im Hinblick auf die Möglichkeit der Nutzung eines hybriden BK-Netzes) den Markt erobern wird, das beide Funktionen miteinander vereint, ist derzeit noch offen, angesichts stetig sinkender Hardware-Preise jedoch zu erwarten.

4.2. Bedarfsgerechtes Übertragungsnetz

Ebenso wie für den optimalen Einsatz von Fahrzeugen optimale Verkehrswege erforderlich sind, ist Grundlage für einen optimalen Einsatz der neuen Kommunikationstechnologien ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes Telekommunikationsleitungsnetz.

4.2.1. Einzelanschlüsse

Während ein herkömmlicher analoger Telefonanschluß (bei Einsatz eines Daten-Modems Übertragungsraten bis 28,8 Kbit/s) und ein über das Telefonnetz verfügbarer ISDN- Anschluß (2x64 Kbit/s) die Masse der heute möglichen und üblichen schmalbandigen Anwendungen neuer Telekommunikationstechnologien erlaubt, sind neuere Nutzungsformen auf Leitungen mit deutlich höheren Übertragungsraten angewiesen.Mit 64 Kbit/s läßt sich zwar ein Dokument mit Text und Bildteilen von Rechner zu Rechner übertragen, eine interaktive Bearbeitung ist jedoch nur mühsam möglich. Für Bildtelefon und Videokonferenzen ist ein ISDN- Anschluß ausreichend, sofern nicht Fernsehqualität erwartet wird. Für unkomprimierte Standbilder (etwa Faksimileseiten von Dokumenten in digitalen Bibliotheken) reichen 2 Mbit/s kaum aus, da die Antwortzeiten, wie die Erfahrungen aus dem Deutschen Wissenschaftsnetz (WiN) zeigen, 5 Sekunden und länger betragen. Erst Anschlüsse, die Übertragungsgeschwindigkeiten von 4 (MPEG 2) bis 70 Mbit/s (professioneller HDTV-Bereich) bieten, erlauben eine professionelle Übertragung farbiger Bilder oder von Videos, etwa eines schlagenden Herzens. Weite Landesteile Bayerns sind darüber hinaus per TV- Kabel erschlossen, das für die angeschlossenen Privathaushalte bereits heute Übertragungsraten von 2 Mbit/s und mehr zuläßt. Während daher für den privaten Bereich die heute üblichen Anschlüsse auf absehbare Zeit ausreichen, wird im professionellen Bereich der Trend zu höheren Anschlußleistungen gehen.

4.2.2. Übertragungswege

Nicht nur komplexere Anwendungsmöglichkeiten der neuen Telekommunikationstechnologien, sondern auch die Kumulation einer ständig zunehmenden Zahl von Nutzern und eines wachsenden Datenverkehrs pro Nutzer erzeugen einen exponentiell wachsenden Bedarf an Übertragungsleistungen, wie sie nur die sog. Datenautobahnen bieten, d.h. Verbindungen mit Übertragungsraten von 34 Megabit pro Sekunde (34 Mbit/s) und mehr. Die derzeit in zwölf deutschen Städten installierten modernsten Datennetze (Datex-M) leisten diese 34 Mbit/s. Die Universitäten in München, Erlangen und Würzburg verfügen über ein "Stadtnetz" auf Glasfaserbasis, das eine Übertragungsrate bis 155 Mbit/s erlaubt und derzeit mit 100 Mbit/s betrieben wird.

Dabei ist es durch neue Übertragungs- und Vermittlungstechniken wie SDH (Synchrone Digitale Hierarchie) und ATM (Asynchroner Transfer Modus) gelungen, die Flexibilität der vorhandenen Leitungen künftig wesentlich zu erhöhen. Die ATM-Technik ermöglicht außerdem eine bessere Auslastung des Netzes. Während die bisher auf den Leitungen verwendete synchrone Übermittlungstechnik lediglich eine "eisenbahnmäßige" Nutzung zuließ, erlaubt es die ATM-Technik, daß mehrere Nutzer dieselbe Leitung wie eine Autobahn, also mit der Möglichkeit des "Spurwechselns" und "Überholens" benutzen. Hierdurch können in der Praxis auf einer Leitung erheblich mehr Daten übertragen werden als bei synchroner Übertragungstechnik. Die ATM- Technik steckt allerdings noch in den Kinderschuhen; für eine kommerzielle Nutzung ist es noch zu früh. Ein ATM-Versuch wird derzeit auf der 34 Mbit/s-Versuchsstrecke zwischen den Universitäten München und Erlangen im Rahmen des "Regionalen Testbeds Bayern" (RTB) durchgeführt.


Mit ATM-Technik können erheblich mehr Daten übertragen werden als bei synchroner Übertragungstechnik.

Das ATM-Pilotprojekt der TELEKOM wurde dagegen außerhalb Bayerns gestartet: durch die Installation der Vermittlungseinrichtung in Berlin Anfang 1994. Bis 1996 sollen über ein ATM- Hochgeschwindigkeits-Kommunikationsnetz Berlin, Hamburg und Köln verbunden werden. Das Netz wird in der Lage sein, Daten mit einer Geschwindigkeit von 155 Mbit/s zu übermitteln. Immerhin soll - neben anderen - ein bayerisches Unternehmen, die Siemens AG, die Basistechnologie für das Projekt liefern. Bayern war auf der Datenautobahn-Karte der TELEKOM bis zur Initiative von Ministerpräsident Dr. Stoiber für das Konzept "Bayern online - Datenhochgeschwindigkeitsnetz und neue Kommunikationstechnologien für Bayern" Mitte 1994 ein "weißer Fleck".

Bereits heute verfügt Deutschland mit 90.000 km über das dichteste Glasfasernetz der Welt. Rund 15 Mio Haushalte sind verkabelt. Bis Ende 1995 will die TELEKOM die neuen Länder vollständig mit einem Glasfasernetz überzogen haben, das auch im regionalen und Nahbereich komplexeste Anwendungen und größte Übertragungsraten ermöglicht. Die letzte Strecke bis zum Teilnehmer bleibt allerdings auch dann noch Kupferleitung. Die entsprechenden Netze in Bayern arbeiten dagegen überwiegend durchgängig auf Kupferbasis.

Einige private und öffentliche Institutionen, wie die Universitäten München, Erlangen- Nürnberg, Würzburg, Bayreuth und Regensburg, verfügen bereits über Direktanschlüsse mit Datenübertragungsraten von immerhin 2 Mbit/s. Während allerdings an den deutschen Hochschulen selbst 2 Mbit/s-Anschlüsse die Ausnahme bilden, sind in den USA, im Vereinigten Königreich, in Frankreich und in den skandinavischen Ländern Hochschulen schon mit 155 Mbit/s-Anschlüssen versehen. Dies entspricht einem Geschwindigkeitsverhältnis vom Fahrrad zum Düsenflugzeug.

In Bayern ist derzeit nur ein Zugriff auf folgende Hochgeschwindigkeitsnetze denkbar:

Obwohl die von der TELEKOM angebotenen Anschlüsse damit nur ausnahmsweise Übertragungsraten in der Größenordnung von 34 Mbit/s und mehr zulassen, kann der aktuelle Kommunikationsbedarf hierzulande und gerade auch in Bayern mit den vorhandenen Leitungen und der herkömmlichen Technik bislang dennoch ohne Probleme gedeckt werden. Lediglich bei den Hochschulen besteht ein Bedarf nach höherer Leistung.

4.3. Akzeptanz

Was auf den ersten Blick beruhigend wirkt, muß auf eine nähere Untersuchung hin jedoch alarmieren: Denn es ist der dürftige Einsatz moderner Telekommunikationstechniken, der unsere "Daten-Landstraßen" ausreichend erscheinen läßt.

4.3.1. Nutzerseite

Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen und in den Privathaushalten fehlt vielfach das Wissen um die Möglichkeiten der neuen Informations- und Telekommunikationstechniken. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die in Deutschland bereits durchgeführten Pilotprojekte den Anwendungsbedarf dieser Nutzergruppen nicht ausreichend berücksichtigt haben.

4.3.2. Anbieterseite

Doch es mangelt auch an einer attraktiven Vielfalt von Dienste-Anbietern und -Angeboten. Gerade im zu erwartenden Massenmarkt, dem Einsatz von Multimedia im Bereich der Privathaushalte, sind die Investitionen in Programme und Technik sowie die laufenden Betriebskosten so hoch, daß bei den potentiellen Anbietern bislang keine Bereitschaft ersichtlich war, von sich aus in größerem Umfang in höherwertige Dienste zu investieren.

4.3.3. Kosten

Eine der wesentlichsten Ursachen für die geringe Akzeptanz sind die unverhältnismäßig hohen Kosten des Zugangs zur Informationsinfrastruktur und damit auch die Kosten ihrer Anwendungen. Kostet etwa ein 128 Kbit/s Netzanschluß in den USA bei CommerceNet (der kommerziellen Variante von Internet) 150 US $ pro Monat, d.h. ca. 2.700 DM pro Jahr, so kostet ein 64 Kbit/s Anschluß am WiN aufgrund der hohen Gebühren der TELEKOM selbst für eine Universität noch 60.000 DM pro Jahr, ein 2 Mbit/s Anschluß sogar 360.000 DM/a. Diese hohen Kosten bewirken, daß sowohl für die Unternehmen als auch für die Privatkunden der Einstieg in die neuen Telekommunikationstechniken derzeit in der Regel wirtschaftlich uninteressant ist. Bei entsprechenden Straßenbenutzungsgebühren hätte sich in Deutschland weder die heute vorbildliche Straßeninfrastruktur noch eine Automobilindustrie mit all ihren Zulieferern entwickelt, die eines der Standbeine unserer Volkswirtschaft darstellt.


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