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Virtuelles Parlament
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Ulrich Sarcinelli

Aufklärung und Verschleierung

Anmerkungen zur Symbolischen Politik

April 1945, Verliereradler und Siegerfahne
© Chaldej/Voller Ernst

4. Medienpräsenz als "Machtprämie"

Öffentliche Meinung ist demnach in der modernen, durch politische Großorganisationen dominierten Wettbewerbsdemokratie nicht einfach der mediale Reflex von Meinungen und Wünschen des Volkes, eine Art Spiegel des allgemeinen "Meinens", hinter dem sich das bonum commune verbirgt: öffentliche Meinung gleichsam als Ausdruck von Rationalität der Gesellschaft. Sie entsteht in der Massendemokratie ganz wesentlich als Produkt aktiver Meinungspflege organisierter Interessen, prominenter Akteure, staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen. Sie steht unter dem Einfluß gemachter, hergestellter Öffentlichkeit. Ihre Struktur, ihre Themenkonjunkturen, ihre Akteure und ihre Bilder, kurz ihr Realitätsgehalt hängen wesentlich davon ab, wer in welcher Weise in der Lage ist, sich durch aktive Öffentlichkeitsarbeit medienwirksam zur Geltung zu bringen. Für die Politik, aber auch für gesellschaftliche Interessenvermittlung ist deshalb die Fähigkeit zur Kommunikation, ist Medienkompetenz ein entscheidender Leistungsfaktor, Medienpräsenz eine der wichtigsten "Machtprämien". Mit professionellem Geschick die Mediendramaturgie zu beherrschen, auf der medialen Klaviatur zu spielen, d.h.vor allem Timing, Themen und Bilder der medialen Wirklichkeit zu beeinflussen, wird zum zentralen Kompetenzmerkmal und zur politisch-strategischen Ressource.

Wenn demokratische Politik auch als die Kunst begriffen werden muß, im Medium der Öffentlichkeit Zustimmungbereitschaft zu erzeugen (Hermann Lübbe), so wird man den Bedeutungszuwachs von Politikvermittlung auch unter demokratietheoretischer Perspektive nicht prinzipiell in Frage stellen können, so sehr auch das publicitybewußte Auftreten so mancher politischer Akteure im einzelnen wie die Mediatisierungsfolgen überhaupt zu Kritik berechtigen. Die zunehmende Entkoppelung von Sozialstruktur und politischem Verhalten, Wertewandel, Individualisierungsprozesse, kurz die Modernisierungsentwicklung unserer Gesellschaft läßt die von politischem Loyalitätsmanagement ziemlich unabhängigen "treuen" Stammkundschaften schrumpfen. Politisches Verhalten wird mehr und mehr zur "Wahl", zur Fall-zu-Fall-Entscheidung, die zu beeinflussen eines ständigen und erhöhten Kommunikationsaufwandes bedarf. Technologische Schübe, gesellschaftliche Modernisierungsentwicklungen und soziale Wandlungsprozesse haben einen wohl kaum umkehrbaren Prozeß in Gang gesetzt, der mit dem wachsenden Bedarf an Information und Kommunikation prinzipiell auch die Option auf verstärkte Teilnahme und Mitentscheidung, im weiteren Sinne auf mehr Demokratie, offenhält.

5. Funktionen symbolischer Politik

In einer Gesellschaft jedoch, in der es keine Interpretations- und Deutungsmonopole gibt, deren mediale - vor allem elektronische - Umwelt sich von einem ehemals einigermaßen überschaubaren Set von Angebotsmedien, bei dem den Vollprogrammen eine gewisse Leit- und Orientierungsfunktion zukam, zu einem zunehmend unübersichtlichen Markt von Nachfragemedien entwickelt, werden Aufmerksamkeit, Orientierungsfähigkeit und politische Verhaltenssicherheit zu knappen Gütern des sich verschärfenden Kommunikationswettbewerbs. In nüchtern funktionaler Betrachtung kommt dabei Symbolischer Politik, dem Gebrauch symbolischer Mittel in der medialen politischen Kommunikation, eine gewisse Signalfunktion zu. Symbolische Politik wird zum kommunikativen Steuerungsmittel für die Initiierung von Aufmerksamkeit. Zugleich bietet sie ein Regulativ für die Bewältigung von Informationsmengen auch im Sinne einer Reduktion von politischer Problemkomplexität, wenn die Vielschichtigkeit von Informationen abstrahiert, vereinfacht, kurz: auf den Begriff gebracht, ins Bild oder in Szene gesetzt wird. Sie liefert gleichsam Schemata, Fixpunkte für die mediale Darstellung und Wahrnehmung politischer Wirklichkeit. Dabei geht es nicht nur um das Benennen von Sachverhalten, sondern auch um Definitionsmacht, um die politische Durchsetzung einer bestimmten Sicht von Welt, sei es durch die "Besetzung von Begriffen" (Biedenkopf), das Bestimmen politischer Bilder oder die Vermittlung einer mehr oder weniger eindrucksvollen politischen Szenerie. Moderne Wahlkämpfe sind geradezu Hoch-Zeiten Symbolischer Politik und zugleich Laboratorien für den Test neuer politischer Kommunikationsformen und -strategien (Sarcinelli 1987). Schließlich enthält Symbolische Politik stets auch eine spezifische Mixtur aus Information und Emotion. Gefühlsadressiert kann sie Identifikation auslösen, Gruppenbewußtsein schaffen, Wir-Gefühle mobilisieren und damit zugleich zur politischen Abgrenzung beitragen.

Kein Zweifel, Symbolischer Politik kommt in hohem Maße eine politische Orientierungsfunktion zu; eine Orientierungsfunktion allerdings mit Janusgesicht (Vgl. Abélès/Rossade 1993). Denn alle diese Funktionen sind ambivalent, können zu durchaus konstruktiven ebenso wie zu destruktiven Elementen politischer Wirklichkeitsvermittlung werden (Sarcinelli 1994a). So gibt es regressive Symbolische Politik ebenso wie solche, die zur Reflexion anregt. Es gibt Symbolische Politik, bei der ein mehr oder weniger privatistisches Image an den Mann oder an die Frau gebracht wird. So manche Personalisierungsstrategie wäre dazu zu rechnen, vor allem wenn sich mit der legitimen Vertrauens- und Sympathiewerbung keinerlei politische Probleme, Inhalte oder Kompetenzaussagen verbinden lassen und damit im Dunkeln bleibt, was der Sympathieträger denn mit der ihm übertragenen Macht anzufangen gedenkt. Es gibt Symbolisches, das Politik ausschließlich aus der Akteursperspektive darstellt, und solches, das die Bürgerperspektive widerspiegelt, wie der Jahrhundertslogan "Wir sind das Volk". Im übrigen zeigt die Konjunktur dieses Slogans etwas Interessantes. Hat politische Symbolik erst einmal ein Stück demokratische Öffentlichkeit hergestellt oder gar die öffentliche Meinung erobert, dann bleibt Konkurrenz nicht aus. Andere Interessen stoßen mit ihren Symbolisierungen nach. Und das folgenreiche Ergebnis dieser Konkurrenz kennen wir alle: "Wir sind ein Volk" und "Deutschland einig Vaterland".


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