Öffentliche Meinung ist demnach in der modernen, durch politische
Großorganisationen dominierten Wettbewerbsdemokratie nicht einfach der
mediale Reflex von Meinungen und Wünschen des Volkes, eine Art Spiegel des
allgemeinen "Meinens", hinter dem sich das bonum commune verbirgt:
öffentliche Meinung gleichsam als Ausdruck von Rationalität der
Gesellschaft. Sie entsteht in der Massendemokratie ganz wesentlich als Produkt
aktiver Meinungspflege organisierter Interessen, prominenter Akteure,
staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen. Sie steht unter dem
Einfluß gemachter, hergestellter Öffentlichkeit. Ihre Struktur, ihre
Themenkonjunkturen, ihre Akteure und ihre Bilder, kurz ihr Realitätsgehalt
hängen wesentlich davon ab, wer in welcher Weise in der Lage ist, sich
durch aktive Öffentlichkeitsarbeit medienwirksam zur Geltung zu bringen.
Für die Politik, aber auch für gesellschaftliche
Interessenvermittlung ist deshalb die Fähigkeit zur Kommunikation, ist
Medienkompetenz ein entscheidender Leistungsfaktor, Medienpräsenz eine der
wichtigsten "Machtprämien". Mit professionellem Geschick die
Mediendramaturgie zu beherrschen, auf der medialen Klaviatur zu spielen,
d.h.vor allem Timing, Themen und Bilder der medialen Wirklichkeit zu
beeinflussen, wird zum zentralen Kompetenzmerkmal und zur
politisch-strategischen Ressource.
Wenn demokratische Politik auch als die Kunst begriffen werden muß, im
Medium der Öffentlichkeit Zustimmungbereitschaft zu erzeugen (Hermann
Lübbe), so wird man den Bedeutungszuwachs von Politikvermittlung auch
unter demokratietheoretischer Perspektive nicht prinzipiell in Frage stellen
können, so sehr auch das publicitybewußte Auftreten so mancher
politischer Akteure im einzelnen wie die Mediatisierungsfolgen überhaupt
zu Kritik berechtigen. Die zunehmende Entkoppelung von Sozialstruktur und
politischem Verhalten, Wertewandel, Individualisierungsprozesse, kurz die
Modernisierungsentwicklung unserer Gesellschaft läßt die von
politischem Loyalitätsmanagement ziemlich unabhängigen "treuen"
Stammkundschaften schrumpfen. Politisches Verhalten wird mehr und mehr zur
"Wahl", zur Fall-zu-Fall-Entscheidung, die zu beeinflussen eines ständigen
und erhöhten Kommunikationsaufwandes bedarf. Technologische Schübe,
gesellschaftliche Modernisierungsentwicklungen und soziale Wandlungsprozesse
haben einen wohl kaum umkehrbaren Prozeß in Gang gesetzt, der mit dem
wachsenden Bedarf an Information und Kommunikation prinzipiell auch die Option
auf verstärkte Teilnahme und Mitentscheidung, im weiteren Sinne auf mehr
Demokratie, offenhält.
In einer Gesellschaft jedoch, in der es keine Interpretations- und
Deutungsmonopole gibt, deren mediale - vor allem elektronische - Umwelt sich
von einem ehemals einigermaßen überschaubaren Set von
Angebotsmedien, bei dem den Vollprogrammen eine gewisse Leit- und
Orientierungsfunktion zukam, zu einem zunehmend unübersichtlichen Markt
von Nachfragemedien entwickelt, werden Aufmerksamkeit,
Orientierungsfähigkeit und politische Verhaltenssicherheit zu knappen
Gütern des sich verschärfenden Kommunikationswettbewerbs. In
nüchtern funktionaler Betrachtung kommt dabei Symbolischer Politik, dem
Gebrauch symbolischer Mittel in der medialen politischen Kommunikation, eine
gewisse Signalfunktion zu. Symbolische Politik wird zum kommunikativen
Steuerungsmittel für die Initiierung von Aufmerksamkeit. Zugleich bietet
sie ein Regulativ für die Bewältigung von Informationsmengen auch im
Sinne einer Reduktion von politischer Problemkomplexität, wenn die
Vielschichtigkeit von Informationen abstrahiert, vereinfacht, kurz: auf den
Begriff gebracht, ins Bild oder in Szene gesetzt wird. Sie liefert gleichsam
Schemata, Fixpunkte für die mediale Darstellung und Wahrnehmung
politischer Wirklichkeit. Dabei geht es nicht nur um das Benennen von
Sachverhalten, sondern auch um Definitionsmacht, um die politische Durchsetzung
einer bestimmten Sicht von Welt, sei es durch die "Besetzung von Begriffen"
(Biedenkopf), das Bestimmen politischer Bilder oder die Vermittlung einer mehr
oder weniger eindrucksvollen politischen Szenerie. Moderne Wahlkämpfe sind
geradezu Hoch-Zeiten Symbolischer Politik und zugleich Laboratorien für
den Test neuer politischer Kommunikationsformen und -strategien (Sarcinelli
1987). Schließlich enthält Symbolische Politik stets auch eine
spezifische Mixtur aus Information und Emotion. Gefühlsadressiert kann sie
Identifikation auslösen, Gruppenbewußtsein schaffen,
Wir-Gefühle mobilisieren und damit zugleich zur politischen Abgrenzung
beitragen.
Kein Zweifel, Symbolischer Politik kommt in hohem Maße eine politische
Orientierungsfunktion zu; eine Orientierungsfunktion allerdings mit
Janusgesicht (Vgl. Abélès/Rossade 1993). Denn alle diese
Funktionen sind ambivalent, können zu durchaus konstruktiven ebenso wie zu
destruktiven Elementen politischer Wirklichkeitsvermittlung werden (Sarcinelli
1994a). So gibt es regressive Symbolische Politik ebenso wie solche, die zur
Reflexion anregt. Es gibt Symbolische Politik, bei der ein mehr oder weniger
privatistisches Image an den Mann oder an die Frau gebracht wird. So manche
Personalisierungsstrategie wäre dazu zu rechnen, vor allem wenn sich mit
der legitimen Vertrauens- und Sympathiewerbung keinerlei politische Probleme,
Inhalte oder Kompetenzaussagen verbinden lassen und damit im Dunkeln bleibt,
was der Sympathieträger denn mit der ihm übertragenen Macht
anzufangen gedenkt. Es gibt Symbolisches, das Politik ausschließlich aus
der Akteursperspektive darstellt, und solches, das die Bürgerperspektive
widerspiegelt, wie der Jahrhundertslogan "Wir sind das Volk". Im übrigen
zeigt die Konjunktur dieses Slogans etwas Interessantes. Hat politische
Symbolik erst einmal ein Stück demokratische Öffentlichkeit
hergestellt oder gar die öffentliche Meinung erobert, dann bleibt
Konkurrenz nicht aus. Andere Interessen stoßen mit ihren Symbolisierungen
nach. Und das folgenreiche Ergebnis dieser Konkurrenz kennen wir alle: "Wir
sind ein Volk" und "Deutschland einig Vaterland".