1935, Reichsparteitag in Nürnberg
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Es bedarf keiner großen Phantasie, sich vorzustellen, daß die Indienstnahme der im Vergleich zum rheinischen Bonn anders dimensionierten, geschichtsbeladenen und nicht selten auch geschichtsbelasteten Berliner Regierungs- und Verwaltungsarchitektur und die damit veränderte Kulisse für Staatsrepräsentation noch so manchen Anlaß für Reflexionen und Irritationen über den Zusammenhang von Politik und Symbolik geben wird. Solche Debatten sind unausweichlich. Sie müssen als Teil der notwendigen Selbstvergewisserung eines demokratischen Gemeinwesens gesehen werden, das nicht zuletzt auch mit seiner Staatsarchitektur eine politisch-symbolische Visitenkarte abgibt.
Doch Christos Verhüllungsprojekt provoziert nicht nur dazu, über große Repräsentationsarchitektur, symbolträchtige Staatsaktionen und prominente politische Feiertagsrituale nachzudenken. Sie gibt auch Gelegenheit, nach der Bedeutung des Symbolischen im alltäglichen Politikbetrieb zu fragen, nach der Symbolischen Politik jenseits der Staatsmannsgesten vom Kaliber der Umarmung zwischen Adenauer und de Gaulle, des Kniefalles Willy Brandts in Warschau oder etwa so mancher politisch-demonstrativer Akte im Zusammenhang mit den Gedenkfeiern zum 8. Mai. Jenseits aber auch einer geschichtsmächtig gewordenen Symbolik "von unten", wie sie sich etwa in unserer Wahrnehmung des Untergangs der DDR bleibend eingeprägt hat: der Ansturm auf die deutschen Botschaften in Prag, Budapest und Warschau, der begeisterte Empfang für die ersten Trabbikarawanen, die Leipziger Montagsdemonstrationen, der friedliche Protest kerzenhaltender Menschen, der Ruf "Wir sind das Volk" oder kurze Zeit später "Deutschland einig Vaterland" und einiges andere mehr.
So eindrucksvoll, aber auch politisch wirkmächtig, dies alles war und ist und demzufolge eine entsprechende zeithistorische Würdigung erfährt, so wäre es doch eine folgenschwere Perspektivenverengung, Symbolische Politik auf demonstrative Gesten und hoheitliche Aktionen, auf Staatsaufzüge oder auch auf revolutionsverdächtige Bürgerprotestaktionen zu reduzieren. Denn Symbolisches hat auch in der alltäglichen politischen Kommunikation seinen Platz, ist Teil der Produktion politischer Alltagsikonographie.
Symbolische Politik und politische Symbolik aus dem politischen Alltag eleminieren zu wollen, wäre insofern blauäugig. Es wäre zudem auch ein erkenntnistheoretisches Unding, vermittelt sich doch Wirklichkeit, auch politische Wirklichkeit, im Zeitalter allpräsenter Massenmedien kaum unmittelbar. Dabei gilt, was der Publizistik-Klassiker Walter Lippmann - noch weithin in Unkenntnis über die Verbreitung und Wirkung moderner elektronischer Medien und vor allem des Fernsehens - in seiner berühmten Studie über "Die öffentliche Meinung" bereits 1922 mit geradezu prophetischem Gespür diagnostizierte: "Die Welt, mit der wir es in politischer Hinsicht zu tun haben, liegt außer Reichweite, außer Sicht, außerhalb unseres Geistes. Man muß sie erst erforschen, schildern und sich vorstellen... Denn die reale Umgebung ist insgesamt zu groß, zu komplex und auch zu fließend, um direkt erfaßt zu werden... Obgleich wir in dieser Welt handeln müssen, müssen wir sie erst in einfacheren Modellen rekonstruieren, ehe wir damit umgehen können." (Lippmann 1990: 18 und 27) Die Gesetzmäßigkeiten öffentlicher Meinungsbildung, die der erfahrene Publizist Lippmann aus vorwiegend kognitions- und sozialpsychologischer Sicht entdeckte und die diese "Pseudoumwelt" ausmachen, nämlich Stereotype, Symbole, Rituale, Images, Fiktionen, Standardversionen, geläufige Schemata - Symbolisches also -, erweisen sich dabei als auch heute noch gültige Muster der Komplexitätsreduktion in der Wahrnehmung ebenso wie in der Darstellung und Vermittlung von Politik.
Fahnen, Embleme, Abzeichen, aber auch Begriffe und Schlagworte, politische Formeln oder Slogens können ebenso als bedeutungsvermittelnde Symbole bezeichnet werden, wie bestimmte Handlungen. In der systemtheoretischen Terminologie Niklas Luhmanns bedeutet dies: Symbolische Kürzel sind eine notwendige Voraussetzung, um angesichts hochkomplexer Erwartungslagen Sinn zu generalisieren und damit Orientierung zu ermöglichen (Luhmann 1980: 415 ff.). Ein Befund, der auch wissenssoziologisch abgestützt ist. Die Wahrnehmung von Politik erfolgt überwiegend über "symbolische Sinnwelten", in die unterschiedliche und bisweilen auch widersprüchliche Ausschnitte politischer Alltagserfahrungen integriert werden können (Berger/ Luckmann 1982: 104-112).
Politik ist nun einmal nicht "pur", gleichsam zum Nennwert zu haben, politisches Sein ohne "Design" nicht vermittelbar. Problematisch wird die Sache allerdings dann, wenn das "politische Design" zu sehr den Blick auf das politische Sein trübt bzw. politisches Sein ersetzt. Dieses Problem ist historisch gesehen nicht neu. Es existiert, seitdem politische Herrschaft ausgeübt und über kommunikative Mittel zur Durchsetzung von Politik theoretisch reflektiert wird (Münkler 1993). Sich mit dieser Gefahr auseinanderzusetzen, gebietet allerdings schon der Anspruch einer demokratischen Politik, die gerade auf die Legitimation durch gelingende Kommunikation, auf die zustimmende Resonanz einer demokratischen Öffentlichkeit angewiesen ist. Zudem läßt sich schwerlich bestreiten, daß sich auch Reichweite und Wirkungspotential Symbolischer Politik mit dem "Strukturwandel der Öffentlichkeit" (Habermas 1971) geändert haben. Denn demokratische Öffentlichkeit rekrutiert sich nicht mehr aus den elitären Zirkeln eines kritisch räsonierenden Bürgerpublikums, das in Sorge um das Gemeinwohl zusammentrifft. Sie ist wesentlich das Ergebnis wohlorganisierter Prozesse zur Erzeugung von Massenpublizität durch Entfaltung demonstrativer und vielfach auch manipulativer Publizität.