hide random home http://www.kulturbox.de/christo/buch/engeli2.htm (Einblicke ins Internet, 10/1995)

KULTURBOX

Virtuelles Parlament
Alle Texte © 1995 KULTURBOX


Seite 2 von 3

Stefan Engelniederhammer

Zwischen Pathos und Polemik
Die Reichstagsverhüllung im politischen Diskurs

2. Der politische Diskurs

Die Debatte im Bundestag hatte noch einmal die über Jahre hinweg geführte öffentliche Diskussion des Projektes gebündelt. Ganz im Sinne der "Öffentlichkeitskunst", wie sie Christo für seine Werke reklamiert. Erneut war deutlich geworden, daß sich Befürworter und Gegner in allen politischen Lagern befanden. Die Trennlinie zwischen zustimmender und ablehnender Argumentation verlief quer zu den Fraktionen (ausführlich in: Engelniederhammer 1995: 72-101). Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, schlaglichtartige Zuordnungen und Kurzanalysen der maßgeblichen Argumentationsmuster vorzunehmen und zu erörtern.

2.1 Die befürwortenden Argumente

Innerhalb der argumentativen Positionen, die die Reichstagsverhüllung befürworteten, lassen sich zwei Grobrichtungen erkennen. Zum einen folgte die große Zahl der Befürworter der Argumentation Christos. Ausgehend von der ästhetisch-künstlerischen Wirkung des "Verhüllten Reichstages" solle die Komplexität der politischen Implikationen reflektiert und dabei insbesondere die dialektische Position des Projektes zum Reichstagsgebäude selbst wahrgenommen werden. Dies spiegelt sich in den Argumentationsmustern, wonach die ästhetische Qualität des Projektes, die symbolische Eigenwirkung der Verhüllung als Werk künstlerischen Ausdrucks und die öffentliche Thematisierung des Reichstagsgebäudes in seiner historischen und symbolischen Bedeutung hervorgehoben wurden.

Zum anderen gab es eine zweite Richtung, die den politischen Gehalt der Verhüllung gleichsam überhöhte und für eigene Zwecke umdeutete. Diese Intention ließ sich ablesen bei Argumentationen, die in der Verhüllung ein Zeichen des souveränen Umgangs mit deutscher Geschichte sahen oder sich gar von der Symbolwirkung des Projektes eine "kathartische Läuterung" des Reichstages erhofften. Die Verhüllung könne und solle demnach eine Transformation des Reichstages bewirken. Den Ausschlag für die Zustimmung zum Projekt gab letztlich vielleicht der Aspekt der ökonomischen Effekte für Berlin. Doch auch dieses Argument reduzierte die Verhüllung, deutete sie als lediglich gewinnbringendes Spektakel und instrumentalisierte sie dadurch für rein materielle Zwecke.

Diese Zusammenfassung der Pro-Argumente kann natürlich nur einer Faustskizze entsprechen. Stets wurde ein Füllhorn von Argumenten angeführt, um für die Realisierung zu werben. Doch das Projekt wurde von der großen Zahl der Befürworter keineswegs nur in altruistischem Sinne propagiert, wie an zwei unterschiedlichen Standpunkten deutlich wird. Als Beispiele sind die Positionen des Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Rüdiger Landowsky und des SPD-Bundestagsabgeordneten Freimut Duve herauszugreifen. Beide sind langjährige, engagierte Unterstützer des Projektes und beide verbanden damit eigene politische Vorstellungen. Duve sah in der Zustimmung zum Projekt ein positives Signal, um gegenüber dem Ausland ein gutes, geradezu ein besseres Bild von Deutschland und den Deutschen zu zeigen, das durch rechtsextremistische Ausschreitungen und Anschläge in Verruf geraten war. Duve nannte in seiner Rede im Bundestag die Verbrechen von Rostock und Mölln als Beispiele. So wird bei Duve die Verhüllung zu einer unprätentiösen Versöhnungsgeste nach außen und zum Aufruf zu einem zivilen, entspannteren Umgang im eigenen Lande. Gerade Christos "Verhüllter Reichstag" sei in der Lage, den Übergang zu einer zivilen Gesellschaft zu visualisieren, die sich selbst einen derartigen Umgang mit einem Gebäude wie dem Reichstag erlaube. Landowsky indes sieht gerade die patriotische Notwendigkeit zur Verhüllung, um eine "Huldigung an die Demokratie" zu symbolisieren, als Zeichen des neuen Aufbruchs des vereinten Deutschland (Landowsky 1993). Ein Signal, das nach innen gerichtet ist. Es soll den Neubeginn an historischem Ort markieren, nachdem der Reichstag durch Christos "Huldigungszeremoniell" im Sinne der griechischen Katharsis geläutert ist und mit ihm, so ist der Gedankengang fortzusetzen, zugleich die Deutschen. Darin spiegelt sich, mit Pathos und Emphase, ein modern-konservativer Anspruch einer durchaus national geprägten Demokratie, gewandet in ein Sinnbild des Zeitgeistes. Die öffentliche Unterstützung der Reichstagsverhüllung im politischen Diskurs, so ist festzuhalten, diente zugleich als Projektionsfläche eigener politischer Vorstellungen.

2.2 Die ablehnenden Argumente

Auch bei den Contra-Positionen sind wiederum zwei Grobrichtungen auszumachen. Zum einen argumentierte eine große Zahl der Projektgegner mit unkorrekten oder verfälschenden Angaben: Dies zeigte sich bei den stets wiederkehrenden Argumentationen zu den vermeintlichen Kosten, die dem Steuerzahler entstünden und den ökologischen Folgen, die durch das "Verpackungsmaterial" verursacht würden. Diese vorgeschobenen Argumente dienten meist dazu, eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Projekt erst gar nicht stattfinden zu lassen. In diesem Sinne wurde auch gebetsmühlenartig das Argument der fehlenden Notwendigkeit eingesetzt, gewissermaßen als Pauschalargument, um die Irrelevanz des Projektes zu beweisen: Es gäbe Wichtigeres zu entscheiden, und Christos Projekt, so wurde resümmiert, sei sowieso keine Kunst. "Verpacken könne schließlich doch jeder. Da könne man doch gleich Einpacken." Ignoranz und Unverständnis wurden so oftmals mit flacher Polemik kaschiert.

Zum anderen sah eine zweite Richtung der Gegner konkrete, politische Gefahren im Projekt. Ihre Ablehnung verbanden sie damit, eigene politische Vorstellungen zu illustrieren und durch die Diskussion über die Verhüllung wirksam zu transportieren. Hierfür steht stellvertretend die Befürchtung, die Verfremdung des Gebäudes führe zu einer Ent-Würdigung und Ent-Weihung des Reichstages als institutionellem Symbol. Die stets unbewiesene Vermutung, ein Wandel in Christos Argumentation hätte im Laufe des Projektes stattgefunden, diente ferner dazu, das gesamte Projekt als suspekt und unberechenbar in seinen Wirkungen darzustellen. Es sei ein Experiment mit ungewissem Ausgang, das die Menschen irritiere. Zudem gebe es ihnen ein Symbol für die Politikverdrossenheit an die Hand. Deshalb müsse das Projekt abgelehnt und die Realisierung verhindert werden. Dabei hatte nicht Christo seine Argumentation gewandelt, die Gegner selbst waren es, die seit 1989 den Streit um die Verhüllung forcierten, als die Mauer gefallen war und der Reichstag von vielen politisch wiederentdeckt wurde: Als Kulisse für die Vereinigungsfeier zum 3. Oktober, als zukünftiger Sitz des Bundestages und als universell zitierfähiges Pauschalsymbol deutscher Geschichte.

Trotz ähnlicher Argumentationsmuster der Gegner, die sich aus allen politischen Lagern rekrutierten, sind im Bogen dieser groben Kurzanalyse unterschiedliche Einzelpositionen auszumachen. Der größte politisch-argumentativer Gegensatz besteht wohl zwischen der argumentativen Zielrichtung von Wolfgang Schäuble (CDU) im Jahre 1994 und der frühen Position von Günter Gaus (SPD) im Jahre 1977.

Die ablehnende Haltung von Gaus spiegelte seine Position zum Reichstag als Symbol "so vieler Kreuzstationen deutscher Geschichte". Vor dem Hintergrund dieser geschichtlichen Erfahrungen mit dem Reichstag empfand Gaus eine gewisse "Scheu", die er zu "bedenken" gab. Mit seiner Ablehnung propagierte Gaus keinen überhöhenden, pathetischen Umgang und keine unreflektierte Verherrlichung historischer Mahnmale. "Manches tut man eben nicht," so Gaus wörtlich, "manches läßt man" (Gaus 1977: 65). In diesen Worten verkörperte sich nicht ein "Verbieten-wollen" des Projektes, um die Diskussion darüber zu unterbinden, wie dies zur gleichen Zeit Carstens gefordert hatte. Gaus' Position entstammte vielmehr einer kritischen Reflexion der Bundesrepublik in den siebziger Jahren. Er sprach sich gegen ein unreflektiertes "anything goes" in Kultur und Gesellschaft aus. In der Aufforderung zum bewußten Verzicht auf die Verhüllung sah Gaus die Chance, jene dialektischen Wirkungen zu erzielen, die das Projekt intendierte, nämlich den widersprüchlichen Symbolgehalt des Reichstages zu vergegenwärtigen und die Wesensfrage des jungen Staates Bundesrepublik nach adäquater Repräsentation aufzuwerfen. Gaus mahnte in seiner ablehnenden Position den Verzicht auf "die Attitüde jener Pseudo-Weltläufigkeit, die in der Bundesrepublik stilbildend geworden" sei (Gaus 1977: 65-66).

Schäubles Befund über die Deutschen in den neunziger Jahren weist dagegen in eine andere Richtung. Er entwirft ein politisches Szenario, in dem die Reichstagsverhüllung zum irrationalen Fanal einer Polarisierung und Spaltung des deutschen Volks stilisiert wird. Im Gegensatz zur Position von Gaus impliziert Schäubles Argumentation dabei allerdings keinen differenzierten und reflexiven Umgang mit Staatssymbolen. Insbesondere in seiner, auch in diesem Band dokumentierten, Bundestagsrede malt Schäuble das Bild eines statischen, von Tabuisierungen belegten Umganges mit national derart bedeutsamen Symbolen wie dem Reichstag. Die nationale Würde schließlich, die Schäuble dem Reichstag zuwies, würde durch die Verhüllung verletzt (DBT, 12/211: 18285). An diese Warnung koppelte Schäuble sein politisches Programm einer national orientierten, konservativen Wertebesinnung in Deutschland, einer Besinnung nach innen. Ein "Verhüllter Reichstag" berge dabei die Gefahr, die Menschen zu irritieren und zu desorientieren. Hatte Gaus noch einen Verzicht gefordert, so verhängte Schäuble geradezu ein Verbot. Die öffentliche Ablehnung und deren argumentative Begründung diente demnach als Zerrspiegel zur Darstellung eigener politischer Positionen. Die stets öffentlichkeitsrelevante Debatte um Christos Reichstagsprojekt nutzten die Gegner dabei medienwirksam als Bühne und Kanzel.


Zurück Index Weiter
© 1995 KULTURBOX