Deskriptiv orientierte Argumentationsmuster finden sich auch bei den Projektgegnern. So wurde dem Reichstagsprojekt oftmals polemisch Banalität oder Trivialität zugeschrieben oder gar generell der Charakter von Kunst abgesprochen. In diesem Zusammenhang ist exemplarisch der Publizist Wolf Jobst Siedler anzuführen, der in Christos Projekt ästhetisch eine Belanglosigkeit zu sehen glaubte, da das Projekt künstlerisch überholt sei. Daraus leitete er seine generös-gleichgültige bis larmoyant-ablehnende Haltung ab (Siedler 1994 und in diesem Band).
Gleichzeitig wurde in beiden Lagern das Projekt nicht ausschließlich selbstzweckhaft thematisiert, wie an den ausgewählten Beispielen illustriert, sondern stets mit politischen Inhalten und Zielen konnotiert und normativ diskutiert. So verknüpfen beispielsweise die geschilderten Positionen von Günter Gaus und Freimut Duve, obwohl in ihren jeweiligen Standpunkten zum Projekt konträr, gleichermaßen die Diskussion um die Reichstagsverhüllung mit analytischen "Bestandsaufnahmen" der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Ausgehend von der Interpretation des Christo-Projektes skizzieren sie jeweils ihre Leitbilder der gesellschaftlichen Entwicklung. Gaus, als früher Gegner des Projektes, und Duve, als emphatischer Befürworter, plädieren gleichermaßen für ein ziviles, selbstreflexives Gesellschaftsmodell. Ein hierzu entgegengesetztes Gesellschaftsbild skizzieren beispielsweise Landowsky und Schäuble. Schäuble bedient sich eines Negativ-Szenarios der Verhüllung als Fanal der Politikverdrossenheit und der gesellschaftlichen Entsolidarisierung. Diese Phänomene resultieren, so argumentiert Schäuble auch in seinem jüngsten Buch, aus einem vermeintlich gestörten Verhältnis der Deutschen zur Nation (Schäuble 1994 a). Das Christo-Projekt, das individualistisch ein nationales Symbol thematisiere, diente Schäuble als Beleg. Er benutzt deshalb die Verhüllung als argumentative Folie, um sein Leitbild einer nationalstaatlichen Schutzgemeinschaft zu skizzieren. Seine Philippika mündete in eine moderne Form der Dämoniserung zeitgenössischer Kunst. Kerngedanke dieser Negativ-Überhöhung des Reichstagsprojektes war wohl die Befürchtung, die Zustimmung zur Reichstagsverhüllung könne der Union, wenige Monate vor der Bundestagswahl, potentielle Wählerstimmen kosten und diese in das rechte Lager abdriften lassen (DBT, 12/211, 18283-18286). Doch statt mit dieser vorweggenommenen "ersten Regierungserklärung" Schäubles die Reihen in der Unionsfraktion geschlossen zu halten, bewirkte dieses "rhetorische Overselling" das Gegenteil (Noetzel 1994: 819). Anders als bei seiner vielbeachteten Rede in der Hauptstadt-Debatte, die maßgeblich zur Berlin-Mehrheit geführt hatte, votierten nun letzte Zweifler des Projektes angesichts des Schäubleschen Szenarios für die Verhüllung und gegen Schäubles Instrumentalisierung. Diese Stimmen trugen somit dazu bei, die Mehrheit für das Christo-Projekt zu sichern (Cullen/Volz 1995: 219).
Für die Berliner CDU nutzte Klaus-Rüdiger Landowsky die normativ geführte Debatte. Der durch eine Verhüllung "geläuterte", von historischer Schuld "bereinigte" Reichstag wäre Signal für einen demokratisch-nationalstaatlichen Aufbruch des vereinten Deutschland an historischer Stätte, in der alten und neuen Hauptstadt Berlin. Landowsky propagierte das Projekt im Hinblick auf diesen immateriellen Gewinn für Deutschland und den zusätzlich zu erzielenden, materiellen Gewinn für Berlin (Landowsky 1993). Obwohl Landowsky und Schäuble entgegengesetzte Standpunkte zum Christo-Projekt einnehmen, weisen ihre normativen Politikziele weitgehend Kongruenzen auf. Die Diskussion um die Reichstagsverhüllung ist dabei nicht nur in der Politik geführt worden, sondern wurde auch stets durch die Politik
- geradezu beliebig- für die jeweiligen Ziele eingesetzt. Die Diskussion hatte sich selbst zu einem Akt symbolischer Politik entwickelt.
Im Zuge der dritten und maßgeblichen Etappe im Entscheidungsprozeß waren es die Gegner, die stellvertretend mit dem "Verhüllten Reichstag" die Quersumme gegenwärtiger politischer und gesellschaftlicher Problemerscheinungen diskutiert und zunehmende Politikverdrossenheit, Entsolidarisierung, Irritation und Desorientierung der Menschen mit dem Projekt verknüpft hatten. Letztlich symbolisiere die Reichstagsverhüllung jedoch die These vom Werteverlust moderner Gesellschaften. Der "Verhüllte Reichstag" ist aus dieser Sicht kein Symbol des Werteverlustes, wie die Gegner dies versichern, er ist eher das Symbol eines Wertewandels, der zweifelsohne in der Gesellschaft stattgefunden hat. Diese in den letzten zwei Jahrzehnten veränderte Wahrnehmung trug ebenso zur Zustimmung im Bundestag bei wie die bereits erwähnte, erfolgreiche Lobby- und Unterstützungsarbeit von Christo und seinen Mitstreitern.
Im Hinblick auf die Realisierung und das Berliner Rahmenprogramm ist zu fragen, ob die Verhüllung des Reichstages lediglich als medienwirksames Sommerspektakel einen Platz in der Erinnerung der Besucher finden wird oder ob es tatsächlich gelingt, durch weiterführende Diskussionen und Rezeptionen des Projektes die politischen Implikationen einzulösen und den Symbolwert des Verhüllten Reichstages für die politische Kultur zu bewahren. Dies kann allerdings nur geschehen, wenn die Verhüllung des Reichstages ohne Pathos und Polemik betrachtet und erlebt wird. Dann wird sich der immanente Anspruch des Projektes einlösen, und das Kunstwerk fände als eigenständiges politisches Symbol Eingang in unsere politische Kultur, in den kollektiven Fundus öffentlicher Bezugspunkte.