© 1995 by Christo & Taschen Verlag
Die Verhüllung kleinerer Objekte, die in limitierter Auflage auf den Kunstmarkt gebracht werden konnten, war für Christos künftige Laufbahn besonders wichtig. Diese Auflagenobjekte wurden zu einer wichtigen Einnahmequelle und trugen somit erheblich zur Finanzierung seiner Projekte bei, die immer aufwendiger und kostspieliger wurden. Zu den Editionen der sechziger Jahre gehörten: Verhüllte Zeitschrift; eine Verhüllte Blume (diese Edition wurde seinerzeit vom Fluxus-Propagandisten George Maciunas nicht mehr veröffentlicht und erst 1978 nach dessen Tod in dessen Archiv gefunden); Verhüllte Rosen (1968, anläßlich der Ausstellung Christos im Institute of Contemporary Art in Philadelphia zur Finanzierung der dort realisierten Mastaba aus 1.240 Ölfässern und im selben Jahr in einer Edition der Richard Feigen Graphics in New York); eine unter Mithilfe Klaus Staecks angefertigte Edition eines verhüllten Andenkenmodells des Kölner Doms (1969) sowie Druckgraphiken verhüllter Bäume (1970; der erste Verhüllte Baum entstand 1966 in den Niederlanden). Gelegentlich wurden diese kleinformatigen Objekte an Gönner verschenkt. Für gewöhnlich jedoch wurden sie von Sammlern erworben, die bleibende Erinnerungen an bestimmte Projekte haben und durch einen Finanzierungsbeitrag an Christos großen Projekten beteiligt sein wollten.
Das Prinzip des Verpackens, Verhüllens und Verbergens (ohne die Objekte jedoch völlig unkenntlich zu machen) ließ eine verblüffende Vielseitigkeit zu. Werke wie Paket auf einem Tisch (1961), Verhüllter Stuhl (1961) oder Verhülltes Motorrad (1962) waren teils in blickdichtes Gewebe, teils in halbtransparentes Material eingehüllt, zum Teil aber auch sowohl in das eine wie in das andere. Die Objekte konnten entweder nur teilweise verhüllt sein oder natürlich auch ganz, so daß der Inhalt nicht sichtbar und nicht zu erahnen war (Paket, 1961). Für das künstlerische Prinzip, das von den Christo-Kritikern als geistlos, von seinen Anhängern dagegen als faszinierend erachtet wird, fand der Christo-Biograph David Bourdon die perfekte Formel: Enthüllen durch Verbergen.
Paket auf einem Tisch, 1961
Holz, Stoff und Seile
124 x 61,5 x 30 cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Wolfgang Volz
Hier liegt tatsächlich der Schlüssel. In den 35 Jahren seit seinen bescheidenen Anfängen in Paris hat Christo alles Erdenkliche verhüllt von Blechdosen bis hin zu einem australischen Küstenstreifen und damit ein Lebenswerk geschaffen, das, wie wir noch sehen werden, weit über das Verpacken und Verhüllen hinausgegangen ist und dessen einziger gemeinsamer Nenner die Verwendung von Stoff ist. Sein Werk hat den Menschen eines der unheimlichsten visuellen Spektakel unserer Zeit (Bourdon) vor Augen geführt und die Christos selbst zu Berühmtheiten werden lassen. Nicht, daß die Prominenz als solche von Interesse wäre: Der Ruhm der Christos ist jedoch der Lohn für das unerschütterliche Festhalten an ihrer Vision.
Verhüllte Zeitschrift Der Spiegel, 1963
Zeitschrift "Der Spiegel", Polyethylenfolie und Schnur
30 x 13 x 2,5 cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Eeva-Inkeri
In Christos Pariser Jahren wurde die Kunstszene von den Nouveaux Réalistes dominiert, der 1960 von Pierre Restany gegründeten Künstlergruppe der Neuen Realisten. Christos Zugehörigkeit zu dieser Gruppe wurde immer wieder in Frage gestellt, nicht zuletzt von ihm selbst. Die acht Gründungsmitglieder und Mitunterzeichner des Originalmanifests, waren Yves Klein, Martial Raysse, François Dufrêne, Raymond Hains, Jacques de la Villeglé, Jean Tinguely, Arman und Daniel Spoerri. Gérard Deschamps, Mimmo Rotella, Niki de Saint-Phalle, César und Christo selbst, die später mit dieser Gruppe in Verbindung gebracht wurden, hatten das Pariser Manifest nie unterzeichnet. Obwohl er der Gruppe formell nicht angehörte, beteiligte sich Christo an den Ausstellungen der Nouveaux Réalistes 1963 in München und später in Mailand. Pierre Restany hat behauptet, diese Ausstellungsbeteiligungen gäben seine Mitgliedschaft zu erkennen. Christo selbst widerspricht dieser Behauptung, und Bourdon schreibt in seiner Biographie, Christo sei nur marginal und kurz beteiligt gewesen. Heute jedoch wird Christo im allgemeinen den dreizehn Mitgliedern der Nouveaux Réalistes zugerechnet, und tatsächlich beteiligte er sich auch noch sehr viel später an Ausstellungen der Gruppe in Nizza (Juli-September 1981) und im Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris (Mai-September 1986).
Wie dem auch sei, Christos erste verhüllte Objekte und seine frühen Ölfässerprojekte entstanden in der künstlerischen Umgebung der Nouveaux Réalistes. Er stellte in dieser Zeit auch aus: 1961 hatte er seine erste Einzelausstellung in der Galerie Haro Lauhus in Köln, wo er seine ersten Faßkonstruktionen im Freien zeigte. Die lebensprühende Kunstszene, für die Köln heute bekannt ist, war schon damals im Entstehen begriffen, und Christo begegnete dort John Cage, Nam June Paik und Mary Bauermeister wie auch seinem ersten Sammler, dem Industriellen Dieter Rosenkranz. Die Dockside Packages, Köln, Hafen (1961) und Gestapelten Ölfässer wurden parallel zu dieser Ausstellung in und für Köln geschaffen. Die am Kölner Rheinufer errichteten Dockside Packages bestanden aus verschiedenen, mit Zeltplanen überdeckten und mit Seilen vertäuten Stapeln aus Pappkartonfässern und Industriepapierrollen. Die Gestapelten Ölfässer waren genau das, was der Titel besagt: Die Fässer waren, längsseitig liegend, aufeinandergestapelt. Für beide Werke wurde Material verwendet, das im Kölner Rheinhafen schon vorhanden war und nur neu arrangiert werden mußte.
Dockside Packages, Köln, Hafen, 1961
mit Christo, Papierrollen, Segeltuch und Seil
480 x 180 x 960 cm
Foto: Stephan Wewerka
David Bourdon bemerkte in seiner Christo-Biographie, daß die großen Assemblagen aus Ölfässern, die Christo am Kölner Rheinufer errichtete, von den Stapeln aus Fässern, wie sie in allen Häfen zu finden sind, kaum zu unterscheiden waren, daß er jedoch seine Materialien tatsächlich gestalterisch zusammengesetzt und Winden, Kräne und Traktoren zu Hilfe genommen hatte, um sie nach seinen Vorstellungen zu arrangieren. Wenn gelegentlich von einem minimalistischen Element in Christos Kunst gesprochen wird, dann ist genau dieser Aspekt gemeint. Normalerweise gehört es zum Selbstverständnis eines Künstlers, sowohl in seiner Auswahl aus der vorgefundenen Wirklichkeit als auch in seinem Umgang mit dem gewählten Materialvöllig frei zu sein. Seit Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn gehören die Christos zu denen, die diese künstlerische Vorstellung in Frage gestellt haben; mit größter Selbstverständlichkeit haben sie immer auf das zurückgegriffen, was an Ort und Stelle vorhanden war, ohne größere Eingriffe vorzunehmen.
1961 war natürlich auch das Jahr, in dem, am 13. August, mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen wurde. Christo selbst ein Flüchtling aus einem kommunistischen Land und ein Staatenloser ohne Paß war bis ins Innerste aufgewühlt und voller Zorn über diese Maßnahme des Ostberliner Regimes. Als er im Oktober 1961 aus Köln nach Paris zurückkehrte, begann er mit den Vorbereitungen für seine persönliche Antwort auf den Bau der Mauer, die Mauer aus Ölfässern Eiserner Vorhang (1961-1962). Die Christos schlugen vor, die Rue Visconti, eine enge Einbahnstraße am linken Seineufer, mit 204 Ölfässern zu versperren, und erarbeiteten eine detaillierte Beschreibung des Projekts.
Verhüllte Verkehrsschilder, 1963
Verkehrsschilder aus Holz, Stahlständer, Laterne, Kette, Stoff, Seil und Jute
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Wolfgang Volz
Die Erarbeitung von schriftlichem Dokumentationsmaterial, begleitet von Fotocollagen und logistischen Analysen, ist im Laufe der Jahre in dem Maße, wie die Projekte der Christos anspruchsvoller und ehrgeiziger geworden sind immer komplexer geworden. Die Ziele, denen diese Dokumentationen dienen, sind jedoch im wesentlichen die gleichen geblieben: Es geht darum, die für die Genehmigung eines Projekts zuständigen Behörden zu überzeugen und, wie einige Kommentatoren angeführt haben, auch darum, die Kritiker mit technischen, gesellschaftlichen oder umweltpolitischen Angaben von einer ästhetischen Bewertung abzulenken. Im Falle des Projekts Mauer aus Ölfässern Eiserner Vorhang wurde das erste Ziel nicht erreicht: Die Genehmigung wurde verweigert. Jahre später, als er anläßlich des Endes der Dada- und Surrealismus-Ausstellung im Museum of Modern Art am 8. Juni 1968 die 53. Straße mit 441 Fässern verbarrikadieren wollte, war ihm erneut kein Glück beschieden: Verschiedene New Yorker Behörden weigerten sich, die erforderlichen Genehmigungen zu gewähren.
Die Christos ließen sich davon jedoch nicht abschrecken und führten ihr Projekt Mauer aus Ölfässern Eiserner Vorhang ohne behördliche Genehmigung durch. Am 27.Juni 1962 blockierte Christo die Rue Visconti wo in früheren Zeiten Künstler und Schriftsteller wie Racine, Delacroix und Balzac gelebt hatten mit 204 Ölfässern, deren Zustand (Anstrich, Firmenname und Roststellen) unverändert belassen wurde. Christo trug jedes dieser Fässer selbst. Die Helfer, Spezialisten, aber auch ungelernte Arbeitskräfte, die an den spektakulären Kunstprojekten der späteren Jahre scharenweise beteiligt waren, fehlten bei dieser Nacht-und-Nebel-Aktion. Die Barrikade maß 4,3 x 3,8 x 1,7 Meter und sperrte die Straße für den Verkehr, wie Christo es konzipiert hatte.
Wie vorherzusehen war, wurden die Christos auf der Polizeiwache verhört doch es wurde keine Anklage erhoben. Ob die Passanten die Barrikade tatsächlich mit der Berliner Mauer in Verbindung brachten, ist ein strittiger Punkt. Damals fanden in Paris viele Demonstrationen gegen den Krieg in Algerien statt, und die Genehmigung war möglicherweise deshalb verweigert worden, weil die Beamten Christos Projekt als einen Protest gegen diesen Krieg mißverstanden hatten. Nichtsdestoweniger hatten die Christos jedoch der Kunst im öffentlichen Raum zu einem Durchbruch verholfen: Sie hatten sich gegebener, nie zuvor als kunstwürdig erachteter Fakten bedient einer Straße, der Ölfässer und sogar der Anwesenheit der Menschen auf der Straße , um ein temporäres Kunstwerk zu schaffen. In der postmodernen Kunstauffassung der Christos ist die Betonung des Temporären, des Transitorischen, immer ein wesentliches Element gewesen.