Man würde allerdings den Bogen überspannen, reduzierte man politische Realität ausschließlich auf mediale Wirklichkeitskonstruktion in dem Sinne, daß die Erzeugung von Realität völlig im Belieben politisch-instrumenteller oder medialer Interessen steht. Insofern kann hier der Position des radikalen Konstruktivismus nicht gefolgt werden. Gleichwohl verdient die auch vom Bundesverfassungsgericht in seinen Rundfunkurteilen immer wieder betonte Medium-Faktor-Funktion des Massenkommunikationssystems Beachtung. Moderne Medien spiegeln nicht nur politische Wirklichkeit, sondern schaffen und verändern auch Wirklichkeit. Wie zu keinen Zeiten bieten sie die Plattform für politisches "Ereignismagement" (Kepplinger 1992), sind sie zu einem "Wirklichkeitsgenerator sui generis" (Merten/Schmidt/Weischenberg 1994: 1) geworden.
Zwar geht es nicht immer so dramatisch zu, doch das Wechselspiel von medialer Darstellung, Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit und politischem Ereignisverlauf, das Jens Reich mit Blick auf die Endphase vor dem Zusammenbruch der DDR eindrucksvoll beschrieben hat, macht die Wirkungsmechanismen auf drastische Weise anschaulich. Der Einfluß gerade des Fernsehens sei unglaublich gewesen. Eine "massive Wechselwirkung zwischen tatsächlichem Ablauf und elektronischem Schein" habe es gegeben. Die aufgeregte Darstellung der Westmedien lähmte einerseits die Anhänger des Systems, andererseits erzeugte die Selbstbeobachtung der Regimegegner und der von ihr Mitgerissenen einen lawinenartigen Verstärkungseffekt. Reich kommt angesichts seiner teilnehmenden Beobachtung zu dem Schluß, daß alle zukünftige Gesellschaftstheorie, aber auch jede machiavellistische Praxis in Zukunft die potentielle Wirkung dieses Wechselspiels und wirbelnden Ineinander-Übergehens zwischen Geschehen und Widerspiegelung in die Berechnung einbeziehen müsse (Reich 1994).
Es stellt sich die Frage, ob bei solcher Fundamentalkritik die Wahrnehmungs-, Lern- und Urteilsfähigkeit des Publikums nicht unterschätzt wird. Auch scheint dem Medienmarkt, insgesamt also der dynamischen Entwicklung des Mediensystems als Forum politischer Wirklichkeitsvermittlung und -erschließung, eine eindimensionale Verfallslogik zugeschrieben zu werden, im Sinne eines zwangsläufigen Prozesses, der zum Niedergang der politischen Kultur, zum Ende unserer gängigen Vorstellungen von Demokratie führen muß. Politik als eine medial dauerpräsente Scheinwelt, Täuschung als dominierendes Politikvermittlungs- und Politikwahrnehmungsprinzip, als letzter (De-) Legitimierungsgrund. Neu und besonders originell ist diese Argumentationsfigur nicht. - Bei aller Berechtigung der Kritik spricht auch hier einiges dafür, daß der Abstieg von den Höhen gesellschaftskritischer Weltdeutung so manchen Einblick in die verschiedenen Grautöne politisch-medialer Wirklichkeiten freigibt.
Gewiß, medienvermittelte Politik ist in hohem Maße inszenierte Politik. Aber weder läßt sich eine monolitische Front politischer Inszenierungsakteure ausmachen, noch kann man von einer konvergenten Negativentwicklung medialer Politikdarstellung oder gar des gesamten Mediensystems sprechen. Auch sollte man vorsichtig sein mit der Einschätzung, das Medienpublikum befinde sich in einem unaufhaltsamen Prozeß politischer Selbstnarkotisierung. Dies schließt nicht aus, daß der moderne Öffentlichkeitsprozeß "das Risiko kollektiven Irrtums" (Schulz 1993: 23) erhöht, daß die Anpassung politischer Entscheidungslogik an die Medienlogik den "unheilvollen Prozeß der Umkehrung der Wichtigkeiten" (Weizsäcker 1992: 157) begünstigt und die Kluft zwischen medialer Politikdarstellung und politischem Handeln vergrößert (Sarcinelli 1994b).
Dennoch: Auch für Symbolproduzenten wird Symbolische Politik dann kontraproduktiv, wenn das politische Symbolprinzip mit dem politischen Realitätsprinzip dauerhaft in Konflikt kommt. Solange die "offene Gesellschaft", auch gestützt auf moderne Möglichkeiten der Information und Kommunikation, die Chancen für "Diskrepanzerfahrung" (Bentele 1992: 229) - sei es auf seiten des Publikums, des politischen Journalismus oder auch auf seiten konkurrierender politischer Akteure - prinzipiell offenhält, ist das Absinken der Politik "zur Sparte der Bewußtseins- und Unterhaltungsindustrie" (Hofmann 1993) keine Zwangsläufigkeit.
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