Pressemitteilungen der Bayerischen Staatsregierung - Gleichstellungsgesetz

20. Juni 1995

Bericht aus der Kabinettssitzung:

  1. Bayerisches Gleichstellungsgesetz auf den Weg gebracht
  2. Gesetz zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes
  3. Bayerisches "Schülerbafög" soll weitergeführt werden
  4. Internationale Abkommen gegen Versenkung von Ölbohrinseln

1. Bayerisches Gleichstellungsgesetz auf den Weg gebracht

Der Ministerrat verabschiedete den Entwurf für ein bayerisches Gleichstellungsgesetz, mit dem im gesamten öffentlich-rechtlichen Bereich die Gleichstellung von Männern und Frauen innerhalb des nächsten Jahrzehnts weiter vorangebracht werden soll. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber bezeichnete das Gleichstellungsgesetz als Eckstein für eine glaubwürdige Familien- und Frauenpolitik in Bayern. Nach Aussage Stoibers ist das Gleichstellungsgesetz die Erfüllung eines Verfassungsauftrags, tatsächliche Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen und Männern im Alltag zu fördern und durchzusetzen.

Stoiber: "Wir setzen mit dem Gleichstellungsgesetz das Instrument rechtlich bindender Bestimmungen ein, um die Zukunft für die Frauen gerechter zu gestalten, Bewußtseinsänderungen herbeizuführen und Verkrustungen abzubauen. Unser Ziel ist es, die Freiheit der Frauen für eine eigenverantwortliche Gestaltung ihres Lebens zu stärken und sie nicht auf Rollenbilder festzulegen. Auch eine Entscheidung allein für die Familie verdient volle Anerkennung." Moderne Frauenpolitik müsse, so Stoiber, die beruflichen Chancen für Frauen in allen Aufgabengebieten des öffentlichen Lebens durch praxisgerechte Regelungen entscheidend verbessern. Stoiber: "Unser Leitbild ist nicht die einzelne Quotenfrau, wir wollen eine neue Partnerschaft und eine gerechte Anerkennung der Leistungen sowohl im Beruf als auch in der Familie für die große Mehrheit der Frauen."

Stoiber erklärte, viele Frauen mit qualifizierter Ausbildung lehnen heute die Alternative entweder Beruf oder Familie ab. Das Gleichstellungsgesetz unterstütze diese Frauen in ihrem berechtigten Wunsch, sowohl Beruf als auch Familie zu verwirklichen. Das Gesetz verbessert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen, aber auch für Männer, zum Beispiel durch weitreichende Regelungen für flexible Arbeitszeit, Teilzeit, Beurlaubung und Wiedereinstellung. Dabei wird der Anerkennung und Aufwertung von Familientätigkeit besonderes Gewicht beigemessen. Der Anteil der Frauen soll in allen Berufsbereichen erhöht werden, in denen sie bisher in erheblich geringerer Zahl beschäftigt sind als Männer. Wichtigste Instrumente des neuen Gesetzes sind die Aufstellung von Gleichstellungskonzepten im Dreijahresturnus und die Bestellung von Gleichstellungsbeauftragten. Stoiber: "Mit dem Gesetz wollen wir auch eine Sog- und Signalwirkung für die private Wirtschaft erreichen. Konkrete familien- und frauenpolitische Verbesserungen erhöhen die Motivation und Leistungsfähigkeit." Die Staatsregierung hat für die Zielsetzung des Gesetzes eine 10-Jahresfrist festgelegt, um durch die Vorgabe einer Zeitspanne die tatsächliche Gleichstellung zu beschleunigen. Nach der jetzt durchzuführenden Verbandsanhörung und der abschließenden Beschlußfassung durch den Ministerrat soll das Gesetz im Herbst 1995 dem Landtag zur Entscheidung vorgelegt werden. Vorgesehen ist, daß das Gleichstellungsgesetz zum 1. Januar 1996 in Kraft tritt.

Staatsministerin Barbara Stamm betonte, daß das Gleichstellungsgesetz für alle Behörden, Gerichte und öffentlichen Stellen des Freistaats wie etwa die Schulen, für die Gemeinden, Gemeindeverbände sowie die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts gilt. Frau Stamm: "Einbezogen sind auch alle öffentlichen Stellen, die als Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen, wie etwa öffentliche Krankenhäuser, Theater, Sparkassen, öffentlich-rechtlich organisierte Banken und der Bayerische Rundfunk sowie die Landeszentrale für neue Medien. Die Einbeziehung von Wettbewerbsunternehmen gehört ganz wesentlich zur Leitbildfunktion der öffentlichen Hand für die private Wirtschaft."

Als wichtigen Schritt zur Förderung der Gleichstellung verpflichtet das Gesetz den gesamten öffentlich-rechtlichen Bereich zu einer Erhöhung des Anteils von Frauen im Rahmen der dienstrechtlichen Bestimmungen bei Einstellungen, Beförderungen und der Übertragung höherwertiger Tätigkeiten auch mit Vorgesetzten- und Leitungsfunktionen in allen Bereichen, in denen Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Dabei setzt die Staatsregierung nicht auf die Vorgabe starrer Quoten, sondern auf eine stetige und flexible Erhöhung des Frauenanteils innerhalb der 10-jährigen Laufzeit des Gesetzes. Nach Aussage von Ministerpräsident Stoiber setzt das Gesetz auch deutliche familienpolitische Akzente: So ist vorgesehen, daß im gesamten öffentlich-rechtlichen Bereich Beschäftigten mit Familienpflichten eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit im Rahmen dienstlicher Belange ermöglicht wird. Auch für Stellen mit Vorgesetzten- oder Leitungsfunktion muß ein ausreichendes Angebot an Teilzeitarbeitsplätzen geschaffen werden. Beschäftigte, die aus familiären Gründen beurlaubt oder teilzeitbeschäftigt sind, sollen unter Wahrung der dienstrechtlichen Vorschriften vorrangig berücksichtigt werden, wenn sie vorzeitig wieder eine Teilzeit- bzw. Vollzeitbeschäftigung anstreben. Auch Urlaubs- und Krankheitsvertretungen oder befristete Beschäftigungsmöglichkeiten sind grundsätzlich vorrangig aus familiären Gründen beurlaubten Beschäftigten anzubieten. Für die Beurteilung der Eignung im Einzelfall bei Einstellungen und Beförderungen sollen künftig auch Erfahrungen und Fähigkeiten aus der Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen und aus Ehrenämtern, die für die Tätigkeit von Bedeutung sind, einbezogen werden. Stoiber: "Diese familienpolitischen Akzente sind einmalig in Deutschland."

Staatsministerin Stamm wies darauf hin, daß der Gesetzentwurf dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen sehr weitgehend Rechnung trägt und den juristischen Personen des öffentlichen Rechts Freiräume bei der Umsetzung der Ziele des Gleichstellungsgesetzes einräumt. So können entsprechend einem Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände die Kommunen ihr Gleichstellungskonzept unter Beachtung der Ziele des Gesetzes durch Satzung frei regeln und statt hauptamtlichen Beschäftigten auch ehrenamtlich tätige Bürger wie etwa Gemeinderats- oder Kreistagsmitglieder als Gleichstellungsbeauftragte bestellen. Kreisangehörigen Gemeinden ist freigestellt, ob sie Gleichstellungskonzepte aufstellen oder Gleichstellungsbeauftragte bestellen. Auch für sie gelten aber die Ziele des Gesetzes und die materiellen Regelungen. Für die sonstigen juristischen Personen soll der Gesetzentwurf voll gelten, ihnen ist aber die Bestellung von Gleichstellungsbeauftragten freigestellt.

Die Instrumente Gleichstellungskonzept und Gleichstellungsbeauftragte müssen nach Angaben der Frauenministerin in Dienststellen mit mindestens 100 Beschäftigten verwirklicht werden, kleineren Dienststellen sind die Instrumente Gleichstellungskonzept und Gleichstellungbeauftragte freigestellt. Auch für die kleineren Dienststellen gelten die materiellen Verpflichtungen des Gesetzes aber uneingeschränkt. Die Gleichstellungskonzepte müssen dabei einen zeitlichen Rahmen sowie Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Bereichen, in denen sie deutlich unterrepräsentiert sind sowie Initiativen zur Sicherung der Chancengleichheit von Frauen und Männern und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf enthalten. Die Gleichstellungskonzepte müssen von den Dienststellen bekanntgegeben werden. Soweit das Gleichstellungskonzept nicht realisiert werden konnte, müssen die Gründe dafür ebenfalls bekanntgegeben werden.

Aufgabe der Gleichstellungsbeauftragten ist, den Vollzug des Gesetzes und der Konzepte zu fördern und zu überwachen und auch weitergehende eigene Initiativen zu entwickeln. Die Gleichstellungsbeauftragten sind von Weisungen unabhängig und der Leitung ihrer Dienststelle grundsätzlich unmittelbar zugeordnet. Ihre Bestellung erfolgt in der Regel durch Ausschreibungen aus den Reihen der Beschäftigten. Gleichstellungsbeauftragte sind von ihrer sonstigen dienstlichen Tätigkeit angemessen freizustellen.

2. Gesetz zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes

Der Ministerrat billigte einen von Innenminister Dr. Beckstein vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes. Mit dieser Änderung soll eine Lücke im Ausländer- und Asylrecht geschlossen werden. Sie hat sich besonders dramatisch im Zusammenhang mit dem brutalen Verbrechen vom 22. Januar 1995 in der U-Bahn-Station Bonner Platz in München gezeigt. Dort erschoß ein strafrechtlich bereits in Erscheinung getretener Ausländer einen Polizeibeamten und verletzte eine Polizeibeamtin schwer. Künftig sollen sich ausländische Straftäter der Abschiebungshaft nicht mehr durch einen Asylantrag entziehen können. Dieser Gesetzentwurf soll nach dem Beschluß des Ministerrats jetzt umgehend im Bundesrat eingebracht werden.

Bei Ausländern, deren Aufenthalt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt wie es bei der Begehung schwerer Straftaten in der Regel der Fall ist, wird die Ausreisepflicht durch Abschiebung vollzogen. Zu ihrer Sicherung kann auf richterliche Anordnung Abschiebungshaft angeordnet werden. Diese endet nach der bisherigen Rechtslage allerdings dann, wenn der Ausländer zur Verhinderung der Abschiebung aus der Abschiebungshaft heraus einen Asylantrag stellt. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf soll künftig verhindert werden, daß ausländische Straftäter ohne weitere Prüfung aus der Abschiebungshaft entlassen werden müssen, wenn sie einen Asylantrag stellen.

Der Gesetzentwurf sieht vor, daß die Abschiebungshaft bis zur Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge fortgesetzt werden kann, wenn ein Asylantrag aus der Abschiebungshaft heraus gestellt wird. Wenn das Bundesamt feststellt, daß der Asylantrag unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet ist, kann sich weitere Sicherungshaft bis zur Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung oder der Abschiebungsanordnung anschließen.

3. Bayerisches "Schülerbafög" soll weitergeführt werden

Der Ministerrat beschloß, die bayerische Ausbildungsförderung uneingeschränkt weiterzuführen. Die Staatsregierung wird dem Landtag nach einem Vorschlag von Kultusminister Hans Zehetmair einen entsprechenden Deckungsvorschlag für die erforderlichen Einsparungen in Höhe von jährlich 5,5 Millionen DM an anderer Stelle im Haushalt des Kultusministeriums vorzulegen. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber hatte den Kultusminister in der Kabinettssitzung vom 23. Mai 1995 gebeten, gemeinsam mit Finanzminister Dr. Georg von Waldenfels die Möglichkeiten zur Erhaltung des bayerischen "Schülerbafögs" zu prüfen und so die im Haushaltsentwurf vorgesehene Streichung der Förderung zu vermeiden. Stoiber begrüßte außerordentlich, daß jetzt eine Möglichkeit gefunden wurde, ohne Ausweitung des bundesweit vorbildlichen Sparhaushalts durch Umschichtungen die gerade für Kinder aus dem ländlichen Raum wichtige Förderung fortzuführen.

Mit dem "Schülerbafög" wird die auswärtige Unterbringung von Schülern aus einkommensschwachen Familien in den Klassen fünf bis neun gefördert. Diese Förderung, die über die Leistungen des Bafög hinausgeht, gibt es in keinem anderen Bundesland. Kultusminister Zehetmair betonte, gerade in einem Flächenstaat wie Bayern müßten Kinder zum Besuch weiterführender Schulen nicht selten außerhalb des Elternhauses untergebracht werden. Bisher sei landesweit eine Internatsunterbringung von 940 Kindern mit durchschnittlich 454 Mark im Monat gefördert worden. Diese Mittel sind nach den Worten des Ministers wegen der relativ niedrigen Einkommensgrenzen nur wirklich bedürftigen Familien zugute gekommen. Die Weiterführung der Förderung trage dazu bei, die lebendige Tradition zahlreicher kleinerer, insbesonderer kirchlicher Internate in Bayern zu erhalten.

4. Staatsregierung fordert internationale Abkommen gegen Versenkung von Ölbohrinseln

Die Staatsregierung forderte den Shell-Konzern und die britische Regierung eindringlich auf, die geplante Versenkung der Ölplattform "Brent Spar" aufzugeben. Der Schutz der Nordsee müsse absoluten Vorrang vor dem Wunsch des Unternehmens nach einer kostengünstigen Entsorgung haben. Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber erklärte, global handelnde Unternehmen müßten auch die globalen Auswirkungen ihrer Tätigkeit in Bezug auf die Umwelt berücksichtigen. Stoiber hat sich an den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Shell-AG mit dem nachdrücklichen Appell gewandt, seinen Einfluß im Shell-Konzern geltend zu machen, damit dieses Vorhaben noch gestoppt wird. Angesichts der berechtigten Empörung insbesondere in Deutschland, den Niederlanden und Dänemark liege eine Umkehr auch im ureigensten Interesse des Unternehmens. Nach Auffassung der Staatsregierung müssen schnellstmöglich internationale Vereinbarungen gegen ein solches selbstherrliches Vorgehen zu Lasten der Weltmeere auf den Weg gebracht werden.

Erforderlich sei ein internationales Umweltrecht, das für die Zukunft den Schutz der Weltmeere vor solchen unverträglichen Eingriffen sicherstelle. Stoiber: "Es ist bezeichnend für die bestehenden großen Regelungslücken, daß sich die britische Regierung darauf berufen konnte, die geplante Versenkung der "Brent Spar" stehe im Einklang mit internationalem Recht. Die Regierungen einzelner Länder dürfen nicht länger zu Lasten aller Anliegernationen und des Globus bestimmen, wie weit der Schutz der Weltmeere geht. Bayern unterstützt die Bundesregierung bei ihrem Vorstoß für effizientere internationale Vorschriften und eine Entsorgung von ausgedienten Offshore-Anlagen an Land im Rahmen der EU, des Oslo-Paris-Übereinkommens von 1992 für den Nordost-Atlantik und der derzeit anstehenden Überarbeitung der weltweit geltenden Londoner Konvention von 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen. Bayern wird noch in dieser Woche einen entsprechenden Antrag im Bundesrat einbringen.

Ministerpräsident Stoiber äußerte Verständnis für die Bürger, die aus Umweltbewußtsein und Empörung über die unverantwortliche Umweltgefährdung von Shell für sich die Konsequenz ziehen und keine Produkte des Konzerns mehr kaufen. Für weniger sinnvoll hält die Staatsregierung in diesem Zusammenhang aber einen von den Grünen geforderten Boykott staatlicher Stellen, weil das in erster Linie die kleinen Tankstellenpächter und die Beschäftigten trifft, die keinerlei Einfluß auf die Entscheidungen der Konzernspitze haben. Es wäre ungerecht, wenn sie als Stellvertreter büßen müßten und durch einen breiten staatlichen Boykott ihre wirtschaftliche Existenz ruiniert wird.

Der Ministerrat forderte die Shell AG auf, den Tankstellenpächtern einen vollen Ausgleich für die entstandenen Verluste zu geben. Scharf verurteilte die Staatsregierung die Gewalttaten und Anschläge gegen einzelne Tankstellen. Gewalt sei niemals ein legitimes Mittel des Protests.

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