Die Einführung der Datenbank MEDLINE im CD-ROM-Format hat nicht nur auf den Benutzer, sondern auch auf weite Teile der Bibliothek einen großen Einfluß ausgeübt. Die Verbindung isolierter CD-ROM-Stationen zu einem Netzwerk hat die Voraussetzung für einen hochschulweiten Fernzugriff auf die Informationen der Bibliothek geschaffen. Dadurch bekommt die Bibliothek ein neues, positives Image und kann die Informationsbedürfnisse der medizinischen Klientel in stärkerem Maße zufriedenstellen als es mit den bisher vorhandenen Medien möglich war. Doch die CD-ROM ist nicht nur an der Schnittstelle zwischen Benutzer und Bibliothek wirksam - im Auskunftsdienst-, sondern dringt auch in diejenigen Arbeitsbereiche der Bibliothek ein, wo der Bibliothekar selber zum Benutzer wird. Mit gedruckten Indizes und Katalogen konkurrierend, wird die CD-ROM in der Erwerbung, Katalogisierung und Archivierung eingesetzt (74) und stellt das bisherige Arbeitsumfeld des Bibliothekars in Frage.
Die in dieser Arbeit gemachten Ausführungen über die Verdrängung gedruckter Bibliographien, die Notwendigkeit eines Personaltrainings, die zunehmende Arbeitsbelastung, das veränderte Rollen- und Selbstverständnis des Bibliothekars, den erhöhten Bibliotheksetat und die Werbung für die Bibliothek, sind in ihrer Substanz auch auf andere bibliographische Datenbanken, sowie auf elektronische Bibliothekskataloge und generell auf die Auswirkungen neuer Technologien übertragbar. In den Stellungsnahmen vieler Autoren, von denen einige hier schon zitiert wurden, klingt immer wieder an, daß die Bibliothekare vor einer Weggabelung stehen, die eine große Wichtigkeit für die Zukunft der Bibliothek besitzt. Die Gefahr einer Entscheidung gegen die intensive Nutzung der neuen Technologien wird heraufbeschworen. Die Bibliothek könnte zu einem 'Ort der (Friedhofs-) Ruhe' inmitten eines rastlosen Stroms von Informations- und Dateneinheiten werden. Wie das Kolosseum läge die Bibliothek mitten im Verkehrsfluß (der Informationen), diesen behindernd. Wehmütig bestaunt als überbleibsel einer längst vergangenen, informationslosen Zeit, würde sie ihr Schattendasein am Rande einer globalen Informationsgesellschaft fristen.
Wird diese drohende Entwicklung dadurch gebannt, daß der Etat von Personal- zu EDV-Mitteln umgeschichtet wird (75), CD-ROM-LANs installiert und einige CD-ROM-Datenbanken gekauft werden?
Ist allen Benutzern damit gedient, wenn Auskunftsbibliothekare zu LAN-Managern werden, um dazu beizutragen, daß "die 'Bibliothek als Ort' der 'Bibliothek als transparentem Wissensnetzwerk' Platz macht" (76)?
Gibt die Bibliothek durch diese Veränderung nicht eine ihrer genuinen Aufgaben preis, nämlich Offenheit, Beratung und gezielte Wissensvermittlung in der Interaktion mit dem Benutzer?
Seit die Informationsermittlung in immer stärkerem Maße von dem 'Endnutzer' selber durchgeführt werden muß, wird die Zahl der Benutzer, die gelernt haben, die Bibliothek zu meiden (77), größer. Diese Benutzer sind in einen Frustrationszyklus geraten, weil sie die Techniken der Informationsbeschaffung in der industriellen Informationsgesellschaft nicht mehr beherrschen. Zur Vermittlung dieser Fähigkeiten wären personalintensive Schulungskurse erforderlich. Es scheint, als ob die Bibliothek durch die Ansprüche der 'high-end'-Nutzer auf der einen und die Bedürfnisse der 'low-end'-Nutzer auf der anderen Seite in eine Art Zwickmühle gerät:
"Die Forschungsbibliothek stützt sich schwer auf
arbeitsintensive interne Operationen, um das gedruckte
Material,
das die Wissenbasis ausmacht, zu verwalten und verlangt
dieselben
arbeitsintensiven Anstrengungen von seinen Benutzern.
Ungefähr 90% der Informationsbedürfnisse der
akademischen und wissenschaftlichen Forschungsprogramme sind
von
diesem Informationssystem abhängig, das im wesentlichen
aus
dem 19. Jahrhundert stammt, und das gegenwärtig nur 10%
dieser Bedürfnisse bedienen kann. Die Koexistenz
trägt
zu einer rasenden Schizophrenie unter Studenten und
Wissenschaftlern bei, die die Effizienz und Annehmlichkeit
elektronischer Anlagen von traditionellen
Bibliotheksdienstleistungen erwarten und die vollständige
Literaturabdeckung der traditionellen Bibliothekssammlungen
von
elektronischen Systemen. Daß das technische Potential,
um
Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen, die das Beste
beider Systeme vereinen, existiert - rein theoretisch -,
erzeugt
unrealistische Erwartungen. Das Problem ist (vielfältig)
zusammengesetzt, da heutzutage die Masse der gelehrten
Literatur
nur in den traditionellen Druckformaten vorliegt."
(BATTIN 1990)