Medizinische Bibliotheken im elktronischen Zeitalter

copyright 1994 by Dr. Oliver Obst


5. Der Einfluß der CD-ROM auf die Benutzer

5.1. Die Informationsbedürfnisse der Benutzer

Ein Mediziner kann nicht alles, was er wissen muß, im Kopf haben. Die im medizinischen Bereich veröffentlichte Information nimmt ständig zu und ändert sich zudem so rasch, daß die einmal gefundene Information schon bald überholt sein kann. Bevor ein Mediziner das ihm im Studium vermittelte Wissen praktisch anwendet, kann dieses Wissen in vielen Fällen schon veraltet sein. Deshalb kann ein Mediziner, der sich auf das Wissen der Lehrbücher verläßt - ohne Zugang zu jeweils neuesten Informationen - , schwerwiegende Fehler in der Diagnose und Behandlung von Patienten begehen (63). Und in der Tat, Verurteilungen von Medizinern in Kunstfehlerprozessen aufgrund von fehlenden Literaturrecherchen sind nicht unbekannt (STROSS et. al. 1979; EVANS et. al. 1984; LEE 1988; WILLIAMSON et. al. 1989; FLöHL 1989).

Welche verschiedenen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung existieren für einen Mediziner oder einen Studenten der Medizin?

-Lehr-, Hand- und Wörterbücher, Nachschlagewerke,
-Zeitschriften (auch solche auf CD-ROM),
-Zeitschriftenindexe: z.B. Index Medicus, MEDLINE (CD-ROM o. Online),
-Bildmaterial in Form von Dias, Videos; computerisierte Lernprogramme,
-Labordaten, Gespräche mit dem Patienten, mit Kollegen.

Wie werden diese Informationsquellen von ihnen in Anspruch genommen?

In einer Umfragestudie der Zentralbibliothek der Medizin in Köln stellte sich heraus, daß Fachzeitschriften als Quelle einer Literaturbestellung von Klinikärzten und Studenten am häufigsten genannt wurden. Mit großem Abstand folgten Online- Recherchen (DIMDI) und gedruckte Referateblätter wie Index Medicus und Current Contents (BAHE u. KüHNEN 1980, S.236). Neueste medizinisch relevante Forschungsergebnisse erscheinen als Veröffentlichungen in einer Fachzeitschrift. Im Idealfall sollten niedergelassene oder klinisch tätige Mediziner einen vollständigen überblick über die in ihrem Fachgebiet wichtigen Zeitschriften haben. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, denn nach KING (1987) stellen die persönlichen Zeitschriftensammlungen der Mediziner nur eine unvollständige und grobe Auswahl aus den Zeitschriften ihres Fachgebietes dar.

In einer Studie unter 47 Internisten in Los Angeles stellte sich zudem heraus, daß nur jede zehnte ihrer Fragen eine Beantwortung durch persönlichen Zeitschriften oder Nachschlagewerke fand, während Kollegen über die Hälfte der Fragen beantworten konnten (COVELL et. al. 1985). So ist es nicht verwunderlich, daß ein Großteil der Interviewten mit der Organisation ihrer Zeitschriftensammlungen unzufrieden war. Trotzdem benutzen die meisten von ihnen die gut erschlossenen Zeitschriften einer Bibliothek nicht regelmäßig, denn, wie STINSON u. MUELLER (1980) bei einer Umfrage unter 400 Medizinern aus Alabama feststellten, besuchten 48% die lokale medizinische Bibliothek weniger als einmal im Monat. Aus diesen und den Ergebnissen weiterer Studien (BOWDEN u. BOWDEN 1971; SIEGEL 1982; BRITTAIN 1985) schliessen HAYNES und seine Kollegen (1990):

"...unglücklicherweise haben Kliniker unterentwickelte Strategien, Informationen zu suchen und lassen Einsicht in dieses Problem vermissen."

Der wohl wichtigste Faktor, der eine Informationsbeschaffung verhindert oder verschlechtert, ist die fehlende Zeit vieler Mediziner (COVELL et. al. 1985) (64). Nach KING (1987) haben die meisten Mediziner nur Zeit, einige wenige Zeitschriften ihres Fachgebiets zu lesen. Wenn die Mediziner zwischen zwei Operationen in die Bibliothek stürmen, finden sie sich oft in dem überangebot an Informationsmaterialien nicht zurecht, teilweise auch aus dem Fehlen einer klar formulierten Frage heraus (COVELL et. al. 1985).

Welche Unterschiede bestehen zwischen den Informationsbedürfnissen der Mediziner und denen der Studenten? Zur Beantwortung dieser Frage ist es hilfreich, sich den beruflichen, sozialen und finanziellen Kontext der jeweiligen Benutzergruppe vor Augen zu halten. Während die Mediziner fest im Berufsleben stehen und oft noch während einer Habilitation ins Gefüge einer Klinik eingespannt sind, tragen die Studenten kaum Verantwortung und haben einen weniger stark strukturierten Tagesablauf. So leiden zwar auch die Studenten unter Zeitdruck, ihre Zeit ist aber nicht annähernd so wertvoll wie die der Mediziner. Dagegen spielt ihre finanzielle Unflexibilität eine dominierende Rolle: In nahezu allen Untersuchungen geben Studenten an, sie würden auf der CD-ROM recherchieren, weil es umsonst wäre (vgl. ANDERS u. JACKSON 1988). Neben den Kosten spielen jedoch noch andere Faktoren für die Wahl der Informationsquelle eine Rolle, denn selbst wenn als Alternative kostenlose Online-Recherchen zur Verfügung stehen, wechseln die studentischen Benutzer zur CD-ROM über, wie BERNAL u. RENNER (1990) beobachtet haben. Einen Hinweis auf diese anderen Faktoren geben ihre verbalen Reaktionen auf die Einführung der CD-ROM. Sie zeugen nicht von überlegungen finanzieller oder sonstiger Art, sondern von einer überschwenglichen und enthusiastischen Begeisterung: "Das ist großartig! Es macht, das ich mich wie Supermann fühle!" (ANDERS 1990). "Ein Leben ohne CD-ROM ist nicht wert, gelebt zu werden." (YOUNGKIN et. al. 1990). Die stark emotionelle Färbung der Benutzeräußerungen läßt MILLER (1987, S.206) kritisch anmerken, daß auch beim Aufkommen eines der ersten Computerspiele namens "Pong" die Benutzer ähnlich begeistert rea gierten, dies aber nach dem Ausschöpfen aller Spielmöglichkeiten schnell wie der zurückging (65). MILLER warnt deshalb die Bibliothekare vor den stetig steigenden Ansprüchen und Wünschen der Benutzer, denn sind sie einmal des neuen Spiels überdrüssig, verlangen sie das nächste (vgl. CREA et. al. 1992).

Die unermeßlichen und undenkbaren Erleichterungen von heute werden schon sehr bald nicht mehr als Luxus wahrgenommen, und morgen sind sie der nächste Standard, gibt TESLER (1991, S.81) zu bedenken.

Des weiteren ist zu beobachten, daß Studenten der Meinung sind, wenn sie an der CD-ROM-Station sitzen, hätten sie leichten und direkten Zugang zu jedweder Art von Information auf dieser Welt. Dieses Empfinden verändert ihr Informationsbewußtsein auf dramatische Weise. FAIRMAN(1991, S.362) spricht gar von einem "Quantensprung" in der Bereitschaft der Studenten, sekundäre Quellen zu gebrauchen. Es scheint, als ob sie sich als Teil eines globalen Dorfs betrachten würden. Dieser Eindruck könnte zutreffen, wenn die Originalliteratur ebenso rasch verfügbar wäre wie die Zitate auf dem Monitor der CD-ROM-Station. Doch momentan befindet sich hier noch ein "Flaschenhals" im Informationsfluß. Erst 3% der weltweiten produzierten Informationsmenge wird in elektronischer Form angeboten. Die restlichen 97% sind entweder in der Bibliothek vorhanden oder müssen über den langwierigen Prozeß der Fernleihbestellung beschafft werden (66). Die neu entwickelte Bewußtheit der Studenten elektronischen Informationsmöglichkeiten gegenüber erhöht - in Zusammenarbeit mit dem erfolgreichen Gebrauch dieser Medien - ihr Selbstbewußtsein ungemein:

"Studenten sind aufmerksamer auf die überhaupt verfügbare Information geworden. Es gibt einen gestiegenen Bedarf nach Online-Recherchen; die Bedürfnisse der Studenten sind größer und spezifischer. Sie sind ausgefeilter - sie werden oft ihre Frage in die Form einer Suchstrategie kleiden." (TENOPIR u. NEUFANG 1992, S.60)

5.1.1. Versuche, die Informationsbedürfnisse der Benutzer zu befriedigen 5.1.1.1. Clinical Medical Librarian

In den späten 70er Jahren wurde in den USA versucht, die Lücke zwischen Bedarf nach und Verfügbarkeit von Information durch hochspezialisierte Dienstleistungsprogramme wie LATCH (Literature Attached to the Chart) (BABISH u. WARNER 1983) und das Clinical Medical Librarian (CML) - Programm (CIMPL 1985) zu schliessen. Das CML-Programm wurde 1971 von LAMB (1982) entwickelt, um den Mediziner mit qualitativ hochwertiger, vorgefilterter Information zu versorgen. Die Teilnahme an Visiten, an Berichtssitzungen und Konferenzen, ermöglicht dem CML, die Informationsbedürfnisse und Fragen der Mediziner zu verstehen. Diese setzt er dann in geeignete Suchstrategien um. Das so erzielte Ergebnis wird von ihm gewichtet, interpretiert und so dem Mediziner in "appetitlichen Häppchen" (VEENSTRA 1992) serviert. Der Mediziner spart Zeit, und die Bibliothek kann ihrem Unterhaltsträger gegenüber einen erhöhten Etat durchsetzen. Trotz der Zufriedenheit mit dem CML-Programm und seiner nachgewiesenen Effektivität und positiven Auswirkung auf die Patientenversorgung (vgl.: GREENBERG et. al. 1978; SCURA u. DAVIDOFF 1981) befindet sich der CML seit einigen Jahren in einer Phase der Stagnation und notwendig werdender Umorientierung. Die Ursache dieser Entwicklung liegt in der Zunahme der Informationssuche durch die Endnutzer selber, die Mediziner und Medizinstudenten, begründet.

5.1.1.2. Die ersten Endnutzersysteme

Der erste Schritt, um das große Potential der informationsbedürftigen, aber nicht online recherchierenden Benutzer zu erreichen, war die Einführung von Endnutzersystemen wie z.B. BRS/Afterdark Anfang der 80er Jahre. Dieser Versuch der Online-Datenbanken-Anbieter, einen größeren Kreis von potentiellen Kunden zu erreichen, wurde kein durchschlagender Erfolg, da zwar ein Großteil der Mediziner (72% nach einer Studie von HAYNES et. al. 1990) am liebsten selber recherchieren wollte, dies aber letztendlich nur von 6% in die Tat umgesetzt wurde. Der Anteil der Endnutzer unter den Medizinern beträgt in der Bundesrepublik sogar nur weniger als ein Prozent. Als wichtigster Hinderungsgrund gilt die Zeitknappheit wie ANDERS u. JACKSON (1988) betonen:

"Sie mögen es weder, Abende und Wochenenden zu blockieren, in dem si Endnutzerrecherchen durchführen, noch in einer Schlange zu warten, um Laserdiskprodukte zu nutzen."

Das Phänomen, daß die Endnutzer schnell ihr Interesse an den selbst durchgeführten Recherchen verlieren, wird in den meisten Untersuchungen beobachtet (67). MULLAN u. BLICK (1987) erklären dies mit der raschen Verlernung der Einstiegsbefehle und Suchkommandos, mit der Kompliziertheit der Online-Recherche und mit der mangelnden Zeit der Mehrzahl der Benutzer. Eine weitere Erklärung dieses Phänomensberuht auf dem Kommunikationsmodell von SIEGEL (1982) und OSIOBE (1985). Nach ihrer Hypothese werden von den Medizinern eher informelle Kommunikationskanäle, wie z.B. Kontakte zu Kollegen, benutzt als formelle wie z.B. Bibliotheken (68). Informelle Kanäle sind "feedback-orientiert", oft mündlich (aber zunehmend auch elektronisch, z.B. 'e- mail') und an Personen gebunden. Sie schlußfolgern, daß je informeller eine Publikation ist, desto mehr Benutzer mit ihr interagieren, d.h. sie benutzen werden. MEDLINE auf CD-ROM ist per definitionem - wie die Online-Version oder der gedruckte Index Medicus - ein formelles Medium, kann jedoch in einer informellen Umgebung wie z.B. einem Büro oder einem Krankenhausflur Eigenschaften eines informellen Kommunikationskanals annehmen (DALRYMPLE 1990) (69).

5.1.1.3. Wissensdatenbanken

SIEGEL (1982) kommt in seiner Analyse des Informationsverhaltens der Mediziner zu keinem guten Urteil über bibliographische Online-Datenbanken. Er bezeichnet sie als "uneffektive Wissenstransfermechanismen für zeitgestresste Mediziner", ganz abgesehen davon, daß die Verfügbarkeit der Literatur völlig unzureichend sei. Er bleibt nicht bei diesem "Statement", sondern schlägt die Schaffung sogenannter Knowledge Bases (70) vor, die - ähnlich wie Expertensysteme - den Medizinern im Frage- und Antwortspiel, interaktiv, ohne den Umweg über Zeitschriften, Kataloge, Magazine und Fernleihe, die zwei, drei Fakten liefern, die er jetzt gerade - "just in time" - benötigt.

Der Chemiker HINZE(1990, S.16,17) spricht also insofern auch den Medizinern aus der Seele, wenn er den Wunschtraum der Wissenschaftler schildert: Die Information einer ganzen Bibliothek und vieler Volltext-Datenbanken sollen von seinem Schreibtisch aus auf Knopfdruck verfügbar sein. Im Zuge der Popularisierung modernster Kommunikationstechnologien werden diese Möglichkeiten auch für Studenten eine zunehmende Wichtigkeit erlangen.

Mediziner müssen - schon allein um des Patientenwohles wegen - auf jede ihrer Fragen eine Antwort in möglichst kurzer Zeit haben. Sie wollen sich nicht durch Berge von Zitaten quälen und haben auch keine Zeit, die entsprechende Anzahl von Artikeln zu studieren. Demgegenüber steht "die häufige Unfähigkeit, Fragen auch so zu formulieren, daß sie auf dem Weg der formellen Kommunikation - sei es ein Bibliothekar, ein gedruckter Index oder ein Computer system - beantwortet werden können" (DALRYMPLE 1990). Initiativen, wie die der NLM, eine uniformierte Suchanfrage in natürlicher Sprache (ULMNS) auf der Basis eines Meta-Thesaurus (HERSH u. GREENES 1990, S.305) und interaktive Suchsoftware zu fördern, sind Ausdruck und erste Lösungsansätze dieser Problematik.

5.2. Benutzungsverhalten der Mediziner und Studenten
5.2.1. Zufriedenheit der Benutzer mit dem CD-ROM-System

In der Umfragestudie wurden die Benutzer gebeten, ihre Zufriedenheit mit dem Suchergebnis sowie mit fünf Teilbereichen des CD-ROM-Systems (Handhabung der Recherche, Bedienungsanleitung, Ausdruck/Download der Zitate, CD-Manager-Menü, Schnelligkeit der Recherche) zu äußern. Ihnen war dazu ein Notenspektrum von 1 bis 6 (= sehr gut bis mangelhaft) vorgegeben worden.

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In der obigen Abbildung ist der prozentuale Anteil der Noten 1-6 für jede der insgesamt sechs Bewertungskriterien dargestellt. Deutlich zu erkennen ist, daß - je nach Kriterium - zwischen 40 und 60% der Benutzer die Note 2 vergeben hatten. Die Noten 1 und 3 wurden etwa gleich häufig ausgewählt, während die restlichen Noten 4, 5 und 6 insgesamt nur auf einen durchschnittlichen Anteil von weniger als 12% pro Parameter kamen. Das bedeutet, daß mehr als 88% der Benutzer die Note "befriedigend" oder eine bessere vergaben. Dies resultierte in einer Gesamtnote von 2,3 für alle sechs Bereiche. Betrachtet man die Benotung der einzelnen Bereiche des CD-ROM-Systems, so schneidet die Handhabung mit 2,1 am besten ab, oder anders formuliert, 96% der Benutzer befanden diesen Teil des Systems für befriedigend oder besser. Die Zufriedenheit mit dem Suchergebnis und den Ausdruck- bzw. Downloadmöglichkeiten lagen mit einer Durchschnittsbenotung von jeweils 2,2 ebenfalls über der Norm. Die Bewertung des CD-Managermenüs lag mit 2,3 genau im Mittelmaß, während die Rechercheschnelligkeit (2,5) und die Bedienungsanleitung (2,7) deutlich schlechter benotet wurden. Die beiden letztgenannten Punkte boten den Benutzern des öfteren Anlaß zu Kritik, was sich auch in dem Punkt 'Verbesserungsvorschläge' des Benutzerfragebogens bemerkbar machte.

Insgesamt spiegelt das Ergebnis die aus der einschlägigen Literatur bekannten Befunde wider, wenn diese auch an CD-ROM-Einzelplätzen und mit anderen Fragestellungen erhoben wurden. So fand GROBE (1992) unter den Benutzern der MEDLINE-CD-ROM in der UB Ulm eine Zufriedenheit von 2,3 mit dem Suchergebnis, das CD-ROM-System erhielt mit 2,6 eine deutlich schlechtere Note.

Der Wunsch nach schnelleren und besseren Computern sowie kürzeren Antwortzeiten des Systems wurde angesichts der chronischen Zeitnot der CD-ROM-Klientel erwartet. Wird das Ergebnis genauer analysiert, zeigt sich, daß Benutzer von Einzelplatz-CD-ROMs durchschnittlich unzufriedener (2,7) waren mit der Schnelligkeit der Recherche als Benutzer von Netzwerk-CD-ROMs (2,5). Dies könnte darauf beruhen, daß zum einen mit der Netzwerkeinführung der zeitaufwendige CD-Wechsel wegfiel, zum anderen neuere und schnellere PCs angeschafft wurden.

Die Kritik an den Bedienungsanleitungen war schon immer, nicht nur von Benutzerseite aus, zu hören und bezog sich zumeist auf die der CD-ROM-Hersteller. Trotzdem stimmt die schlechte Benotung nachdenklich, da 90% der untersuchten Bibliotheken selbstverfaßte Bedienungsanleitungen auslegten, von denen sie glaubten, sie wären besser als die bekrittelten der Hersteller.

5.2.1.1. Unterschiede in der Zufriedenheit zwischen Medizinern und Studenten

Ist die Reaktion von Medizinern und Wissenschaftlern auf die Einführung der CD-ROM eine wesentlich andere als die stark emotional geprägte der studentischen Benutzer? MULLAN u. BLICK (1987, S.140) antworten auf diese Frage, daß der Enthusiasmus der Wissenschaftler sich qualifizierter darstellte. Also 'nur' qualifizierter und nicht prinzipiell anders? Auch Wissenschaftler sind Menschen und besitzen einen Spieltrieb. Wie alle Bibliotheksstatistiken ausweisen, werden sie genauso von dem neuen Medium angezogen wie alle anderen Benutzer auch. Nur scheinen sie offenbar - geschult durch Online-Recherchen - erfahrener, kritischer und mit höheren Erwartungen an das CD-ROM-System heranzugehen. Diese Vermutung wird durch das Ergebnis der hier vorgestellten Umfrage bestätigt. Bis auf den Teilbereich 'Bedienungsanleitung' bewerteten die Mediziner sämtliche Aspekte des CD-ROM-Systems sowie ihr eigenes Suchergebnis teilweise deutlich negativer als die Studenten. Die unten stehende Abbildung zeigt das Ergebnis im Detail.

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In dieser Abbildung ist die Zufriedenheit der beiden Benutzergruppen mit fünf Bereichen des CD-ROM-Systems und mit ihrem Suchergebnis dargestellt (die Abszisse ist nur auschnittsweise wiedergegeben). Die Mediziner nehmen insbesondere die Möglichkeit des Ausdrucks bzw. Downloads (2,3 vs. 1,9), die Schnelligkeit (2,5 vs. 2,3), die Handhabung der Recherche (2,1 vs. 1,8) und das CD-Managermenü (2,2 vs. 2,0) kritischer wahr als die Studenten. Bei der Bewertung der Bedienungsanleitung und des Suchergebnisses lassen sich dagegen nur geringe Unterschiede zwischen den Benutzergruppen erkennen. Die Signifikanz dieser Unterschiede wurde nicht eruiert und so fällt auch der Vergleich mit der Studie von GLOECKNER-RIST et. al. (1989) schwer, die aufgrund leichter, aber nicht signifikanter Differenzen spekulieren, daß Mediziner wegen ihrer Erfahrung mit Online-Recherchen und EDV allgemein, sowie ihrer größeren Fachkenntnisse weniger Schwierigkeiten im Umgang mit dem CD-ROM-System hätten und sich deshalb positiver äußern würden.

TENOPIR (1991, S.61) vermutet nach der Auswertung eigener Umfragen ebenfalls, daß Mediziner kritischer als Studenten sind. Dies sei auch ein Grund dafür, daß sie eher als Studenten dazu tendieren, ihre Recherchen von einem Informationsvermittler durchführen zu lassen.

5.2.1.2. Unterschiede in der Zufriedenheit zwischen Anfängern und erfahrenen Benutzern

Eine von KALTENBORN (1991, S.109) durchgeführte Studie zeigt einen interessanten Befund. Anfänglich werden die Recherchen von den Benutzern sehr viel besser bewertet, als nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung in das System. KALTENBORN vermutet, daß dies auf einer anfänglichen Euphorie - ausgelöst durch den Spielcharakter der CD-ROM -beruhen könnte.

"Erst wenn aus dem Reiz des Spiels Alltagsroutine wird, (...) wird die Beurteilung des Suchergebnisses objektiver; und somit manchmal auch negativer."

Diesen Befund zu verifizieren, gelang jedoch in der hier vorgestellten Umfragestudie nicht, wie unten stehende Abbildung zeigt.

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Aus dem gesamten Benutzerkreis wurden drei Gruppen unterschiedlicher 'Erfahrung' gebildet. Der Gruppe der 'Anfänger' (gestreifte Balken) gehörten diejenige Benutzer an, die auf dem Fragebogen angegeben hatten, zum erstenmal eine Recherche auf der CD-ROM durchzuführen. Die Gruppe der 'Erfahrenen' (schwarze Balken) bestand aus den Benutzern, die angegeben hatten, 12 oder mehr Recherchen im Jahr durchzuführen. Der größste in dieser Gruppe angegebene Wert war 100 Recherchen/Jahr. Die dritte Gruppe setzte sich aus den Benutzern zusammen, die angegeben hatten, zwischen zwei- und fünfmal pro Jahr zu recherchieren (graue Balken). Es ist keine Tendenz sichtbar, die z.B. von den Anfängern über die 'mittlere' Gruppe zu den Erfahrenen weisen würde. Insgesamt schienen die Anfänger erstaunlicherweise kritischer zu sein als die beiden anderen Gruppen. Dies galt insbesondere für das Suchergebnis, die Möglichkeit des Ausdrucks/Downloads und die Bedienungsanleitung.

Vor dem Hintergrund dieses Ergebnisses muß also die Frage, ob erfahrene Benutzer kritischer seien als Anfänger, verneint werden. Betrachtet man die Verbesserungsvorschläge der Benutzer genauer, fällt auf, daß mehrere von ihnen angaben, nicht das richtige Suchwort finden zu können. Wie auch von KALTENBORN (1991, S.179) vermutet, wird anscheinend die technische Seite der Recherche von ihnen gemeistert, die intellektuelle Anforderung, komplexe, medizinische Fragestellungen in geeignete Suchprofile umzusetzen, jedoch nicht. Dies könnte eine Erklärung darstellen für die Unzufriedenheit der Anfänger mit ihren eigenen Suchergebnissen und mit der Bedienungsanleitung, die ihm natürlich keine Schlüsselbegriffe und Suchstrategien liefern kann.

5.2.1.3. Unterschiede zwischen den Benutzern mit hohen und denen mit niedrigen Zitatezahlen

Im Benutzerfragebogen wurde gefragt, wieviele Literaturzitate im Schnitt pro Recherche erhalten wurden. Viele Benutzer gaben zu diesem Punkt aus verständlichen Gründen keine einzelen Zahl, sondern Spannweiten an, da dieser Wert je nach Zweck der Recherche stark schwanken kann. So wurde pragmatisch der arithmetische Mittelwert gebildet, wenn der Benutzer eine Spannbreite angab.

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Die obige Abbildung zeigt die von den Benutzern angegebene Zitatzahl in Klassen zusammengefaßt und ihr jeweiliger prozentualer Anteil an der gesamten Stichprobe (n=183) dargestellt. Es ergab sich ein zweigipfliger Verlauf mit Maxima bei 11-20 und bei 100 Zitaten/Recherche. über die Hälfte der Benutzer (52%) gab an, 20 oder weniger Zitate/Recherche zu erhalten, während erstaunlich viele (15%) kundtaten, bei jeder Recherche 100 oder mehr Zitate zu erhalten. Der höchste angegebene Wert war 700 Zitate. Der Mittelwert betrug 50 Zitate/ Recherche und war bei den Einzelplatzbenutzern mit 55 nur geringfügig größer, obwohl in den einzelnen Klassen zum Teil erhebliche Unterschiede bestanden. So ist der Anteil der Netzwerkbenutzer, die nur 1 bis 10 Zitate pro Recherche erhielten, mit 26% um fast 3/4 größer wie der entsprechende Teil der Einzelplatzbenutzer. über die Ursache kann nur spekuliert werden, unter Umständen wurde der Benutzer im CD-ROM-Netz eher dazu animiert, kurze (Probe-)Recherchen durchzuführen, bei denen weniger Zitate resultierten.

Im weiteren wurde die Hypothese getestet, ob sich die Unzufriedenheit mit dem Suchergebnis auf die geringe Zahl der erzielten Zitate bezieht. Dazu wurden aus der Gesamtzahl der Benutzer zwei Gruppen gebildet. Die eine umfaßte die Benutzer, die angegeben hatten, pro Recherche 1-20 Zitate zu erhalten(gestreifte Balken), die andere solche mit mehr als 21 Zitaten(graue Balken). Bei der zweiten Gruppe lag das Maximum der angegebenen Zitatezahl bei 700, die durchschnittlich erzielte Zitatanzahl bei 92 (gegenüber 13 der ersten Gruppe). Das Ergebnis ist in der unten stehenden Abbildung dargestellt worden. Es ist zu beachten, daß nur ein Ausschnitt aus der Abszissenachse dargestellt wurde.

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Das Ergebnis bestätigt die Hypothese: Benutzer mit wenigen Zitaten sind unzufriedener mit ihrem Suchergebnis als solche mit vielen Zitaten. In allen anderen Bereichen sind sie jedoch deutlich zufriedener als jene mit vielen Zitaten. Es darf vermutet werden, daß sie ihr schlechtes Suchergebnis nicht auf Fehler des CD-ROM-Systems zurückführen, sondern auf ihre eigene Unzulänglichkeit.

5.2.2. Vor der CD-ROM-Recherche benutzte Informationsquellen

Die CD-ROM steht mitten in der Bibliothek, umlagert von Publikum und Bibliothekaren, und betreibt eine so hervorragende Eigenwerbung, daß es nicht erstaunlich ist, daß durch dieses neue Medium mehr Benutzer in die Bibliothek kommen. Die unten stehende Abbildung zeigt, daß unter den befragten Medizinern und Studenten ganz neue Benutzerkreise durch die CD-ROM angesprochen werden konnten.

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Das Ergebnis der Frage, welche anderen Informationsquellen vor der CD-ROM-Recherche benutzt worden waren, ist in obiger Abbildung dargestellt. Nur ein viertel der Benutzer gaben an, daß sie vor der CD-ROM-Recherche die gleiche Datenbank in der Print- (17%) oder der Online-Version (8%) benutzt hatten. Das impliziert, daß 3/4 aller CD-ROM-Benutzer diese wichtige medizinische Datenbank erst durch das CD-ROM-Angebotwerden konnten. Immerhin 28% der Benutzer geben an, vor der CD-ROM-Recherche überhaupt keine Informationsquellen benutzt zu haben. Beide Ergebnisse unterstreichen die Fähigkeit der CD-ROM, Benutzer anderer Informationsmaterialien oder solche, die zuvor keine benutzt hatten, anzuziehen. 47% der Benutzer machten keine Angaben zu dieser Frage oder aber solche, die nicht in die ersten drei oben aufgeführten Kategorien fielen, wie z.B. "Current Contents", "Chemical Abstracts", "der Bibliothekskatalog", "Zeitschriften", "Bücher", usw. .

5.2.3. Zweck der CD-ROM-Recherchen

Welches Informationsbedürfnis führt die Mediziner, welches die Medizinstudenten zu einer CD-ROM-(Endnutzer)-Recherche?

Die nächste Graphik stellt den von den Benutzern angegebenen Zweck ihrer Literaturrecherchen dar, nach Studenten und Medizinern getrennt.

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Es ist deutlich zu sehen, daß bei Fragen des privaten Interesses oder anderen Fragen sich die Rechercheneigung der beiden Benutzergruppen nicht wesentlich unterscheidet. Dagegen recherchieren Mediziner natürlich häufiger für Fragen der Patientenversorgung, für Veröffentlichungen und für die Forschung. Die Studenten wiederum benützen die Möglichkeit der CD-ROM-Recherche überwiegend dazu, um Literatur für ihre Dissertationen zu finden. Nach einer Studie von KALTENBORN (1991, S.110) recherchieren Mediziner in 33% der Fälle für ein Forschungsprojekt (diese Umfrage: 36%), in 24% der Fälle für eine Veröffentlichung (20%) und nur in 9% der Fälle für eine Dissertation (27%). Während die Prozentanteile der ersten beiden Rechercheanlässe denen dieser Studie sehr ähneln, fällt der dreifach höhere Anteil der Recherchen für Dissertationen in dieser Umfrage aus dem Rahmen. Ein möglicher Grund dieser Diskrepanz könnte in der Art und Weise der Fragestellung liegen. Als Antwortmöglichkeit war in der hier vorgestellten Umfragestudie "Arzt/wiss. Mitarbeiter" angeboten worden. Es liegt nun nahe anzunehmen, daß sich viele Studenten höherer Semester, die vielleicht schon an einem Institut als wissenschaftliche Mitarbeiter tätig sind, sich eher als ärzte/wiss. Mitarbeiter fühlten, denn als Studenten, und deswegen die Kategorie der Mediziner mit Studenten durchsetzt war. Ob die neue Studienordnung, die den 'Arzt im Praktikum' an das Studium anhängte, auch den Zeitpunkt für das Schreiben der Dissertation vom Studenten zum Arzt hin verschob, kann nur spekuliert werden.

Die Mediziner, die auf einem CD-ROM-Einzelplatz gearbeitet haben, geben seltener an, für eine Dissertation recherchiert zu haben (15 gegen 27%). Inwieweit dieser Unterschied auf lokale Gegebenheiten in den 'Einzelplatz- bzw. Netzwerkbibliotheken' zurückzuführen ist oder nur unsignifikante Schwankungen darstellen, kann aufgrund des vorliegenden Probenmaterials nicht abgeschätzt werden.

Der Bibliothekar Karl-Franz KALTENBORN hat einige sehr aufschlußreiche Stu dien zum Informationsverhalten der medizinischen Bibliotheksklientel durchgeführt. 3/4 aller studentischen CD-ROM-Benutzer in der Zentralen Medizinischen Bibliothek der UB Marburg informierten sich zusätzlich zur CD-ROM-Recherche in medizinisch-wissenschaftlichen Büchern, 60% in gedruckten Indices. Unter den Mediziner betrugen die entsprechenden Werte nur 50% bzw. 41% (KALTENBORN 1988, S.307). Vor der CD-ROM-Recherche bedienten sich beide Benutzergruppen etwa in gleichem Maße der Informationsvermittlungstelle, während dies nach der CD-ROM-Recherche erstaunlicherweise doppelt so viele Studenten wie Mediziner beabsichtigten (wobei fraglich ist, ob dies angesichts der für Studenten hohen Preise von 50 DM und mehr auch in die Tat umgesetzt wurde). Nach KALTENBORN spiegelt dieser Befund den unterschiedlichen Informationsbedarf beider Gruppen wieder. Mediziner versuchen einen überblick über den aktuellen Stand der Forschung auf ihrem Gebiet für Veröffentlichungen und Forschungsarbeiten zu bekommen. Monographien spielen deswegen und auch wegen des größeren Erfahrungs- und Wissenshintergrund der Mediziner keine so große Rolle. Studenten müssen sich dieses Wissen erst noch aneignen und sind daher auf Monographien eher angewiesen.

5.2.4. Benutzungshäufigkeit der einzelnen Jahrgänge

Nach der Umfrage von GROBE (1992) in der Universitätsbibliothek Ulm wurde zwar in 34% der Fragebögen angegeben, daß man auch gerne in früheren Jahrgängen recherchiert hätte, aber nur wenige dieser Benutzer führten selber eine stark retrospektiv orientierte Recherche durch. Die (ältesten) '85- und '86-Jahrgänge dieses Einzelplatzsystems wurden mit 6 bzw. 5% so gut wie gar nicht benutzt. Da auch von den Benutzern dieser hier vorgestellten Umfrage der Wunsch nach weiteren Jahrgängen geäußert wurde, wäre es interessant herauszufinden, inwieweit dieses Begehren aus "prospektiver Bestandssicherung" (wie GROBE es formulierte) oder aus einem echten Informationsbedürfnis resultierte.

Mit den in dieser Studie erhobenen Daten kann diese Frage nicht beantwortet werden. Jedoch kann konstatiert werden, daß der Anteil der Benutzer, die mit älteren Jahrgängen arbeiten, wesentlich größer ist als in der oben angeführten GROBE-Untersuchung (siehe unten stehende Abbildung). Beide Studien können jedoch nicht direkt miteinander verglichen werden, da GROBE die Zahl der ausgedruckten Zitate über die Jahre aufgetragen hat, während in der folgenden Graphik die Zahl der benutzten Jahrgänge dargestellt wurde, unabhängig davon, wieviele Zitate jeweils gefunden und ausgedruckt wurden.

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Obige Abbildung zeigt die von den Benutzern angegebene Zahl von retrospektiv durchsuchten Jahrgängen. Mehrere Jahrgänge wurden jeweils zu Klassen zusammengefaßt und der jeweilige prozentuale Anteil der Klassen an den insgesamt durchgeführten Recherchen dargestellt. Auf der Abszisse wurde der numerische Wert der recherchierten Jahre aufgetragen. Natürliche Grenzen werden den Benutzern dabei durch die jeweilige MEDLINE-Version der Bibliothek gesetzt. Nur zwei der befragten Bibliotheken bieten die vollständige Version ab 1966 an, eine die Version ab 1974, zwei die ab 1981, jeweils eine die ab 1983, 1984 bzw. 1986. Daraus ergeben sich Benutzungsspitzen bei 12 und bei 27 Jahren.

Studenten scheinen seltener retrospektiv zu recherchieren als Mediziner. Obwohl ein signifikanter Unterschied aufgrund der weiten Streuung der Werte nicht vorliegen mag, widerspricht dieser Befund dem Ergebnis einer von KALTENBORN (1988) durchgeführten Studie, Medizinstudenten würden stärker retrospektiv recherchieren, da sie für ihre Dissertation historische Entwicklungsabrisse geben müßten. Eine genaue Analyse ergab, daß für die in dieser Studie angegebenen 122 Dissertationsrecherchen durchschnittlich 7,5, für Nicht-Dissertationsrecherchen dagegen mit 8,2 sogar mehr Jahrgänge durchsucht wurden. Nach den Befunden dieser Umfragestudie ist es also höchst zweifelhaft, ob die von Studenten bzw. die für den Zweck einer Dissertation durchgeführten Recherchen eine größere Anzahl von Jahrgängen erfordern als die von Medizinern bzw. für andere Zwecke.

5.2.5. Suchstrategien der Benutzer

Den Bibliothekaren war schon immer ziemlich klar, daß große Teile ihre Klientel schlecht ausgeprägte Suchstrategien anwenden. Die Sorgen der Bibliothekare sind mit der Einführung der CD-ROM nicht geringer geworden, im Gegenteil. Schon 1986 warnte VAN ARSDALE vor der paradoxen Situation einer "Abnahme der Suchqualität in einer Zeit der erhöhten Verfügbarkeit der Information." Viele Bibliothekare sind frustriert, wenn sich die Benutzer mit ungenauen und grob fehlerhaften Suchergebnissen zufrieden geben (71).

Drei Fragen tauchen in diesem Zusammenhang auf, die es zu stellen und zu beantworten gilt:

1) Wie kommt es dazu, daß die Benutzer, wie TYLMAN (1989, S.441) es formuliert, "kaum die Oberfläche der Möglichkeiten und Kapazitäten des CD-ROM-MEDLINE- Systems ankratzen, mal gerade nach einem umgangssprachlichen Wort, das ihnen angemessen erscheint, im Freitext suchen und ab und zu im gedruckten Thesaurus der MeSH-Begriffe blättern"?
2) Welche Fehler der Benutzer sind hauptsächlich für die Verschlechterung ihrer Rechercheergebnisse verantwortlich?
3) MEDLINE ist eine komplexe Datenbank mit ausgefeilten hierarchischen Strukturen,die in einem hunderte Seiten starken Thesaurus niedergelegt sind. Informationsvermittler benutzen die Thesaurusbegriffe und haben gute Ergebnisse. Wie aber benutzen Endnutzer die Datenbank?

5.2.5.1. Fehler allgemeiner Art

a) Sie benutzen weniger Jahrgänge.
b) Sie beherrschen die Technik der Suchsoftware nicht genügend, drücken falsche Tasten, weil sie davon ausgehen, daß das System simpel genug sei, daß man schon damit zurechtkommt (NEUMANN 1990, S.72).
c) Sie benutzen die CD-ROM unregelmäßig und können so keine Erfahrung und kein Wissen sammeln.
d) Sie haben keine Motivation, komplizierte Recherchen durchzuführen oder Schulungskurse zu belegen.
e) Nach einer Umfrage(BARBUTO u. CEVALLOS 1991, S.221) halten mehr als die Hälfte der Benutzer ihre Suchergebnisse von 1-20 Zitaten für vollständig, obwohl die Erfahrung lehrt, daß diese Anzahl für die meisten Fragestellungen zu gering sein dürfte.
f) Solange, wie die Benutzer überhaupt etwas finden, halten sie ihre Recherchen für gut.
g) Sie denken, ihre Recherchen seien vollständiger, als sie in Wirklichkeit sein können. Sie überschätzen die CD-ROM-Datenbanken und meinen, mit einer Recherche hätten sie das gesamte erforderliche Wissen abgedeckt.
h) Sie benötigen für ihre Suche oft doppelt so lange wie professionelle Researcher.
(GLOECKNER-RIST 1989).

5.2.5.2. Sachliche Fehler

a) Sie definieren nicht richtig, was das Ziel ihre Suche sein soll. Oft entstehen Suchbegriffe erst während der Recherche, die Richtung der Recherche ändert sich fortlaufend (SEWELL u. TEITELBAUM 1986).
b) Sie trunkieren falsch und bemerken es nicht, bei der Verknüpfung benutzen sie falsche Suchstatementnummern oder verwenden statt dieser Suchworte. Alles in allem wirkt ihre Suche oft unbeholfen.
c) Sie machen keinen oder kaum Gebrauch von den Boole'schen Operatoren, wenn doch, dann verwechseln sie 'und' mit 'oder'.
d) Sie benutzen keine Nest-Operatoren.
e) Sie suchen natürlichsprachige Begriffe in unstrukturiertem Format, obwohl ihnen der Thesaurus in 73% der Fälle einen kontrollierten Term für ihre Suchbegriffe anbieten könnte(GLOECKNER-RIST 1989, S.157; JANKE 1984).
f) Die inhärenten Begrenzungen der Datenbank werden von ihnen nicht verstanden, ebenso, wie sie mit Inhalt und Zweck der gedruckten Versionen nicht vertraut sind (BARBUTO u. CEVALLOS 1991, S.224).
g) Ihre Suche bezieht sich auf den ganzen Text, anstatt auf bestimmte Felder zu beschränkt.

5.2.5.3. Fehlerquellen

Die Vielfalt der möglichen Fehlerquellen weist auf die komplexe Natur der Datenbankrecherche hin. Nach PFAFFENBERGER (1990, S.106) ist das Retrieval mit Computerhilfe ein Versuch, Konzepte mit Hilfe einer unvollkommenen Beschreibung - der Wörter - zu finden. Ein Konzept läßt sich zwar durch mehrere Wörter darstellen, je nach Kontext kann aber jedes dieser Worte mehrere - verschiedene - Bedeutungen haben. Er schlägt als Ausweg kreativeres Denken und den zwingenden Gebrauch von Thesauri vor. Thesauri und kontrolliertes Vokabular sind also für eine erfolgreiche Recherche zwar unumgänglich, werden aber von den meisten Benutzern nicht angewendet. Warum nicht? GLOECKNER-RIST's et. al. (1989, S.157) Analyse des Benutzerverhaltens hilft uns vielleicht, seine Beweggründe besser zu verstehen:

"Die seltenen Deskriptorensuchen der Endnutzer sind also offensichtlich nicht darauf zurückzuführen, daß der Thesaurus ihnen keine adäquate Abbildung ihrer Suchfrage erlaubt. Wahrscheinlicher ist, daß sie diesen aus Unkenntnis oder mangelnder Akzeptanz nicht einsetzen..."

Der Erklärungsversuch von GLOECKNER-RIST et. al. trifft zwei der wichtigsten Faktoren, die den fehlerhaften Recherchen zugrundeliegen: Unkenntnis und mangelnde Akzeptanz. Unkenntnis der Fehlerhaftigkeit der eigenen Recherchen, Unkenntnis der komplexen Natur der Datenbanken, Unkenntnis der Fähigkeiten des Systems. Mangelnde Akzeptanz von Schulungskursen, mangelnde Akzeptanz von professioneller Hilfe, mangelnde Akzeptanz, "weil man nur eben mal schnell ein paar Treffer landen will", und keine Zeit für eine umfassende und gründliche Assimilation des neuen Mediums hat. Bei diese Verhaltensweisen der Benutzer möchte mancher Bibliothekar mit LEE (1988, S.201) spekulieren:

"Vielleicht ziehen Endnutzersysteme gerade die Sorte von Suchern an, die die meiste Hilfe nötig haben."

5.2.5.4. Fehlerbehebung

Brauchen und wollen die Benutzer eine Hilfestellung oder ein Training? Trotz all diesen Unzulänglichkeiten geben nur wenige Benutzer an, daß sie für eine erfolgreiche Recherche professionelle Hilfe bräuchten. Zeigt man den Benutzern jedoch ihre offensichtlichen Fehler auf, dann empfinden es 76% (vorher nur 4%) als notwendig, einen professionellen Rat zum Erstellen einer optimierten Suchstrategie einzuholen (KALTENBORN 1991, S.179). Es gibt weitere ermutigende Studien, die aufzeigen, daß die Benutzer durchaus ihre Grenzen kennen und dann auch bereit sind, einen Bibliothekar um Hilfe zu bitten oder eine vermittelte Online-Recherche ein Anspruch zu nehmen. KALTENBORN (1991, S.179) resümiert zu diesem Punkt:

"In dem Benutzerwunsch nach fachwissenschaftlicher Hilfestellung bei der Ausformulierung eines problemgerechten Suchprofils (...) spiegelt sich die (...) Erkenntnis der Benutzer wider, daß Fehler und Defizite in der Suchformulierung von ihnen selbst zu wenig erkannt wurden, und daß die Umsetzung einer medizinischen Fragestellung in eine adäquate Suchstrategie doch höhere Anforderungen stellt als ursprünglich vermutet."

Es kristallisiert sich immer wieder heraus, daß die meisten Benutzer ganz einfach eine andere Wahrnehmung und einen viel geringeren Anspruch haben als die Bibliothekare. Wenn sie zehn Zitate für eine Seminararbeit oder einen Vortrag wollen, und sie finden zehn, dann sind sie hochzufrieden, obwohl in den Augen von Experten eine vollständige Suche erst bei 50 Zitaten anfängt. Dennoch wurden die Benutzer von den Autoren mehrerer Untersuchungen in ihrem Suchverhalten bestärkt, denn wenn eine Benutzerrecherche mit einem professionell optimierten Suchprofil wiederholt wurde, wurden nicht viel mehr relevante Zitate gefunden. Der Benutzer fand mit seiner groben Suchstrategie die wichtigsten relevanten Artikel. (CLELAND 1991; KALTENBORN 1991; CREA et. al. 1992). Jedoch führten die optimierten Suchprofile häufig zu weiteren, von den Benutzern als relevant eingestuften Zitaten. Die Verbesserung der Suchergebnisse durch Verwendung von kontrolliertem MeSH-Vokabular scheint je nach Komplexizität der Recherche mal mehr, mal weniger deutlich auszufallen (COLLIER 1991). In einer früheren Untersuchung wiesen die Recherchen von Anfängern oder ungeübten Benutzern einen niedrigeren recall auf als die der Informationsvermittler, die Präzision war aber in beiden Fällen ungefähr gleich (FENICHEL 1981).

Als Resümee dieser Untersuchungsergebnisse kann mit FLAVIN (in MILLER 1987, S.207) gesagt werden:

"Man kann das System noch erfolgreich benutzen, selbst wenn man es nicht so benutzt, wie es richtig wäre."

Daß viele Benutzer oft nicht die volle Information bei ihren Recherchen erhalten, mag diejenigen, die in einer Studie damit konfrontiert wurden, zwar erschrecken und nach professioneller Hilfe rufen lassen, ob aber einem Großteil der Benutzer ihre Fehler so bewußt sind, daß sie bereit sind, ihre wertvolle Zeit für Trainingsmaßnahmen zu opfern, erscheint unrealistisch. CREA et. al. (1992) lassen sich durch diese Studienergebnisse nicht aus der Ruhe bringen. Sie meinen pragmatisch, wenn die Benutzer trotz ihrer etwas anderen Suchstrategie genug wichtige, relevante Zitate finden, ist die Qualität ihrer Suche zweitrangig. Angesichts immenser Benutzermassen erscheint es tatsächlich illusorisch, jedem Benutzer in einem intensiven, individuellen Training (andere Schulungen bewirken keine Verbesserung) eine qualitativ höherwertige Suchstrategie zu vermitteln. Eine fortgeschrittene Trainingsmethode vermag zwar, die Suchstrategie zu verbessern, "aber in welchem Ausmaß und zu welchem Preis ?", fragt DYER (1990) berechtigterweise.

Allgemein ist ein Trend unter den Bibliothekaren zu realistischeren Erwartungen festzustellen, was die Qualität der Benutzerrecherchen betrifft. Sie merken langsam, daß sie die Suchbestrebungen der Benutzer nicht an denen der Informationsvermittler messen können. So reagieren sie gelassener, weil sie akzeptiert haben, daß die Benutzer wirklich nur ein paar gute Zitate und keine 'erschöpfende' und perfekte Suchstrategie wollen. Trotz der zahlreichen Stimmen, die dem Benutzer eine gewisse qualitative Eigenständigkeit bescheinigen, sollten zwei Dinge nicht vergessen werden:

1) Die Befriedigung der Informationsbedürfnisse des Benutzers darf nicht als Alibi verwendet werden, um den Benutzer nur noch sich selbst zu überlassen. Gerade in der Medizin kann es fatale Auswirkungen haben, wenn Informationen für Diagnose und Therapie von Patienten nicht gefunden bzw. übersehen wird. Im schlimmsten Fall droht eine Verurteilung wegen Kunstfehler aufgrund 'fahrlässigen Umgangs mit Information' (LEE 1988, S.199).

2) Es gibt nicht 'den' Benutzer. Neben 'schwarzen' Schafen, die das System mit einer hohen Fehlerrate - ohne viel darüber nachzudenken - benutzen, gibt es auch genügend 'weiße' Schafe, die mit Akribie und Enthusiasmus dem bibliothekarischen Anspruch "jeder Endnutzer sein eigener Informationsvermittler" gerecht werden wollen. Die Gefahr besteht nur darin, daß die Zahl der sogenannten 'high-end'-Benutzer zwar steigt, der Abstand zu den sog. 'low-end'-Benutzern aber immer größer wird (MACCLURE 1992, S.53).

Die folgende Frage WHITSEDs(1989) zielt genau auf jene Gratwanderung, der sich heutzutage viele Bibliothekare ausgesetzt sehen:

"Wie besorgt sollten wir über die Qualität der Suche sein, und können wir dies beim Planen unseres Trainings mit in Betracht ziehen?"

Es gilt für sie, einen Kompromiß zwischen der Verantwortung für die richtige Nutzung der Information und dem vertretbaren Arbeitsaufwand des benötigten Trainings zu finden. BARBUTO u. CEVALLOS (1991) fordern deshalb eine "quick-und-dirty"-Lehrmethode als angemessene Antwort auf die "quick-und-dirty"-Recherchen großer Benutzermassen. Es sei unklug, die Benutzer mit Gewalt von ihren 'schlechten' Recherchen abzubringen. Statt dessen sollten ihnen die Gefahren und Risiken einer solchen Strategie vor Augen gehalten werden, so daß sie sich selbst entscheiden können, wie sie ihre Recherchen durchführen wollen. Die Möglichkeit, bei wirklich wichtigen Recherchen, z.B. für eine Dissertation, sich an einen gewieften Bibliothekar zu wenden, sei immer vorhanden, so daß der Benutzer ruhig seinen eventuell niedrigen Kenntnis- und Strategiestand beibehalten könnte (72).

5.3. Die CD-ROM kommt den Informationsbedürfnissen und dem Benutzungsverhalten derMediziner und Studenten entgegen

Im folgenden werden sieben Eigenschaften des CD-ROM-Systems beschrieben, die hauptverantwortlich dafür sind, daß die CD-ROM den Informationsbedürfnissen und Verhaltensweisen vor allem der studentischen Benutzer, aber auch der Mediziner, in idealer Weise entgegenkommt.

5.3.1. One-Stop-Shopping

Die Benutzer lieben nach DALRYMPLE (1989, S.30) das One-Stop-Shopping: Zu einem Ort gehen zu können, wo alles das zu haben ist, was sie momentan brauchen. Die CD-ROM-Benutzung ersetzt zahlreiche Anläufe der Informationssuche wie: In gedruckten Indizes blättern; gefundene Zitate herausschreiben/kopieren; im Zeitschriftenkatalog den Bestand des Zeitschriftentitels suchen; in den Zeitschriftenbänden das Zitat auf Relevanz überprüfen; ev. den Abstract abschreiben/kopieren. Alle diese Arbeitsgänge können nun - bequem auf einem Stuhl sitzend - in einem Arbeitsgang an der CD-ROM-Station durchgeführt werden. Ist der Benutzer fertig, kann er mit einer ausgedruckten Bibliographie unter dem Arm nach Hause gehen. Einzig die Beschaffung der Originalliteratur erweist sich als Nadelöhr. Doch viele Benutzer beschränken sich gerne auf die 'local library holdings' oder sind erst einmal mit den - in der Datenbank MEDLINE reichlich vorhandenen - Abstracts zufrieden.

5.3.2. Informationen sind besser verfügbar

Solange wie die Benutzer etwas finden, sind sie zufrieden, sagt TYLMAN (1989, S.442). Daß sie etwas finden, irgendetwas, dafür sorgt das CD-ROM-System. So stellten MUSSER u. CONKLING (1991, S.111) fest, daß die Benutzung einer schlecht erschlossenen Berichtesammlung nach der Einführung der CD-ROM sprunghaft anstieg. Die CD-ROM machte zum einen die Benutzer darauf aufmerksam, daß es diese Berichte überhaupt gab, zum anderen stellte sie eine hervorragende Erschließung dieser Literatur dar. Des weiteren ist das CD-ROM-System einfach und von jedermann ohne umständliche und abschreckend wirkende Prozduren zu benutzen. Da die Studenten nur 'ein paar gute Zitate' brauchen, um tief befriedigt von dannen zu ziehen, ist die Selbstbedienung mittels der CD-ROM ein geeigneter Weg, dieses Ziel zu erreichen, denn sie denken, alles was aus einem Computer komme, sei gut. TENOPIR u. NEUFANG (1992, S. 60) beklagen die blauäugige Einstellung der Benutzer, mit einer CD-ROM-Recherche alle verfügbaren Informationen erhalten zu haben. Ein weiterer Hinweis auf die Naivität der Benutzer ist der von ihnen geäußerte Wunsch, die Artikel der Datenbank MEDLINE sollte Volltext verfügbar sein! Das Ergebnis der Benutzerumfrage kann in diesem Punkt einige wichtige Hinweise geben. Es war auf den ersten Blick erstaunlich, daß über die Hälfte der Benutzer (57%) nur 40% oder weniger ihrer recherchierten Zitate für relevant erachteten. Allein ein gutes viertel der Benutzer (26%) hielt mehr als 60% der gefundenen Zitate für relevant (mit einem Mittelwert von 34%). Doch diese geringe Relevanzquote ist nicht unbedingt gleichbedeutend damit, daß nur 1/3 der recherchierten Zitate auch wirklich relevant waren, denn nach der Untersuchung von MAYER u. BAERNS (1982) kann die tatsächliche Relevanzquote höher sein als die subjektive Beurteilung der Relevanz durch den Benutzer. In ihrer Studie ermittelten sie eine tatsächliche Präzisionsrate von 84%, während die Benutzer selber nur auf eine von 36% angaben. Diese Diskrepanz scheint der oben erwähnten schnellen Zufriedenheit des Benutzer zu widersprechen. Durchschnittlich 89% der relevanten Zitate wurden letztendlich auch gelesen, was angesichts der oft komplizierten Literaturbeschaffung eine beachtliche Zahl war. Die Vermutung, ein für relevant befundenes Zitat würde auch auf jeden Fall gelesen, traf für immerhin 11% der Zitate nicht zu.

5.3.3. Serendipity

Die CD-ROM fördert das nicht zielgerichtete und oft kreativere 'Stöbern' (engl. Serendipity oder browsing) in Bibliographien und ermöglicht auf diese Art interessante Zufallsfunde, die über den engen Horizont des Fachgebiets hinausweisen können. Das Ziel der Recherchen ist selbst-, nicht fremdbestimmt, die Benutzer können mitten in der Recherche ihr eine andere Richtung geben, ihr Ziel modifizieren. Aktuelle Bedürfnisse können revidiert werden. Probeläufe sind durchführbar.

5.3.4. Spielcharakter

Der Erfolg der CD-ROM kann nicht nur durch rationale Faktoren erklärt werden, da er auf einer besonderen Anziehungskraft dieses Mediums beruht. Diese Kraft beruht auf dem Phänomen, daß die CD-ROM als Spiel wahrgenommen wird und den Benutzern Spaß bei der Recherche vermittelt. Ihre Assimilation erinnert an das Aufkommen der ersten Computerspiele, und ruft ebenso wie diese eine starke Begeisterung und Spielleidenschaft hervor. Dieser 'Appeal' ist für die stark emotionell gefärbten Benutzerreaktion verantwortlich.

5.3.5. Zeit

Die CD-ROM hilft dem Benutzer wertvolle Zeit zu sparen. Dies gilt auch für Studenten. Der Zeit-Faktor ist nach Untersuchungen der wichtigste Grund einer CD-ROM-Benutzung durch Mediziner und Wissenschaftler und gilt als zweitwichtigster (nach der Kostenfreiheit) bei Studenten. Die Wichtigkeit eines schnellen Service wird auch dadurch deutlich, daß neben der Bedienungsanleitung die Schnelligkeit der CD-ROM-Recherche am schlechtesten von den Benutzern bewertet wurde. Auch bei den Verbesserungsvorschlägen wird der Wunsch nach einem schnelleren Rechner am häufigsten geäußert, dicht gefolgt von der Bitte, doch einen schnelleren Download und Ausdruck zu ermöglichen. Die öffnungszeiten der Bibliothek können eine weiteren limitierenden Faktor darstellen, der von den Benutzern kritisiert wird. In der Umfragestudie wurden sie danach gefragt, wann sie am ehesten Zeit für eine Recherche hätten. Mehrfachnennungen waren erlaubt, so daß die Summe der Antworten 100% überschritt. 57% der Benutzer waren offensichtlich mit den bestehenden öffnungszeiten der Bibliothek zufrieden, denn sie gaben an, am liebsten "tagsüber" zu recherchieren. 44% wollten jedoch zwischen 18 und 20 Uhr die CD-ROM-Station nutzen, weitere 27% zwischen 20 und 24 Uhr. Nur 2% gaben an, daß sie auch ab 24 Uhr recherchieren wollten. Die öffnungszeiten der befragten Bibliotheken deckten die weite Spannbreite von 48 bis zu 105 Stunden - bei einem Mittelwert von 66 Std. - pro Woche ab. Nach den Benutzerantworten zu schließen, kann davon ausgegangen werden, daß zwar über die Hälfte zufrieden mit einer täglichen öffnungszeit von 8 bis 9 Stunden ist (entsprechend 50 Std./Woche), daß aber öfters die Rechercheabsichten vieler Benutzer (73%) an zu restriktiven öffnungszeiten in den Abendstunden (und am Wochenende) scheitern. Dies wird natürlich in den zwei Bibliotheken mit öffnungszeiten über 80 Std./ Woche kaum der Fall sein, ebenso in den Bibliotheken mit hochschulweit zugänglichen CD-ROM-Netzwerken. Hier wird von einer Bibliothek zu Recht die Frage nach der 'öffnungszeit' für eine CD-ROM-Recherche mit "im Prinzip jederzeit" angegeben.

5.3.6. Selbständigkeit

Die CD-ROM ist frei zugänglich. Kein Dritter greift in den Prozeß der Informationsermittlung ein. Die oft umständliche und ungeliebte Erklärung der Suchziele und -Absichten entfällt, der Benutzer muß sich und sein Informationsbedürfnis nicht vor kritischen Fremden offenlegen. Die Verdeutlichung solcher Bedürfnisse kann oft schwieriger sein, als selbst die Recherche durchzuführen. Bei dieser ist der Benutzer meistens allein, er ist sein eigener Herr, denn kein Bibliothekar schaut ihm argwöhnisch über die Schulter und korrigiert ihn. Er kann sich in aller Ruhe Abstracts anschauen und aus langen Listen von Zitaten die für ihn geeignetsten auswählen und ausdrucken. Die Privatheit und Ungestörtheit der Recherche wird vollkommen, wenn der Benutzer von seinem Arbeitsplatz im Labor oder Büro aus 'remote' (73) auf das CD-ROM-Netzwerk der Bibliothek zugreifen kann. Einer Nutzung am Wochenende oder nach Feierabend steht dann nichts mehr im Wege, ebensowenig der Vision, daß bei Krankheiten die medizinische Datenbank der Bibliothek anstelle des Hausarztes befragt wird.

Viele Benutzer wünschen, das CD-ROM-System alleine kennenzulernen, entweder mit Hilfe einer kurzen Bedienungsanleitung und/oder der Methode des Versuch-und-Irrtums. Einige geben an, daß ihnen die Hilfefunktionen der CD-ROM-Software genügen würden.

5.3.7. Kostenfreiheit

Studentische Benutzer geben als wichtigsten Grund der CD-ROM-Nutzung die Kostenfreiheit des Systems an. Nach Erhebung von Gebühren werden nur noch die wichtigsten Recherchen durchgeführt, die Gesamtzahl sinkt drastisch ab (LEMHLER 1990). Zudem werden Recherchen, die bezahlt werden müssen, als unbefriedigender erlebt (GlOECKNER-RIST et. al. 1989). Wissenschaftliche Benutzer lassen sich in den seltensten Fällen von einer Gebühr abschrecken. Sie sind von finanziellen Erwägungen weitgehend befreit, oft lassen sich die Kosten 'absetzen', sei es steuerlich oder aus der 'Portokasse' des Instituts. Ein interessantes Ergebnis der Benutzerumfrage in diesem Zusammenhang war, daß 30% aller Benutzer auch dann noch recherchieren würden, wenn ein Ausdruck von bis zu 40 Zitaten 5 DM kosten würde. Weitere 53% würden die Gebühren ebenfalls in Kauf nehmen, als Konsequenz aber nicht mehr so oft recherchieren oder auf einen Download ausweichen. Nur 7% geben an, daß sie in einem solchen Falle gar nicht mehr kommen würden.

5.4. Die Nutzung von vermittelten Online-Recherchen durch CD-ROM-Benutzer

Mediziner und Wissenschaftler waren schon immer Stammkunden der Informationsvermittlungsstelle und werden diesen Service auch weiterhin gerne benutzen (vor allem, wenn sie nicht selbst dabeisein müssen). Die Online-Recherchen scheinen länger und komplexer zu werden. Die Bibliotheksklientel nimmt sie dort in Anspruch, wo die Möglichkeiten der CD-ROM erschöpft sind: Bei aktuellster Information, beim datenbankübergreifenden Retrieval, oder wenn noch keine CD-ROM in der Bibliothek für ein bestimmtes Fachgebiet vorhanden ist. Besonders Studenten, aber auch Mediziner können durch die CD-ROM auf die vermittelten Online-Recherchen aufmerksam werden und so neue Stammkunden werden. Dieser Prozeß mag dazu beitragen, daß in der Literatur über eine Umkehrung des Trends sinkender Online-Recherchen berichtet wird (O'LEARY 1990; ECKES 1991; TENOPIR 1991). Dieser Trend wurde in den zehn untersuchten Bibliotheken nicht beobachtet, von ihnen wurden im Gegenteil sinkende Recherchezahlen vermeldet. Die von den Benutzern angegebene Recherchezahl beläuft sich auf 2954 im Jahr (Einzelplatz u. Netzwerk zusammen). Dies sind etwa 12 Recherchen pro Benutzer pro Jahr oder eine im Monat. Die Summe der von ihnen im gleichen Jahr in Anspruch genommenen Online-Recherchen beträgt dagegen nur 57, das bedeutet auf jeden Benutzer umgerechnet eine Recherche in 50 Monaten. Allerdings muß hinzugefügt werden, daß in den allermeisten der untersuchten Bibliotheken die Einführung des CD-ROM-Netzwerks zu kurz zurückliegt, um mit einiger Verläßlichkeit Trends angeben zu können.


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Maintainer: Dr. Oliver Obst (obsto@uni-muenster.de) 30.11.94