Bundestag 1994
© Deutscher Bundestag
Das Vorhaben der Künstler stieß ebenso auf Skepsis und Ablehnung wie auch auf Symphatie und begeisterte Zustimmung. Mit dem Fall der Mauer im Jahre 1989 und schließlich der Entscheidung des Deutschen Bundestages für Berlin als Regierungssitz stand das Reichstagsgebäude plötzlich wieder im Zentrum des öffentlichen Interesses. Die Reichstagsverhüllung galt nun nicht mehr nur einem Monument der wechselvollen deutschen Demokratiegeschichte, das mit seiner Lage an der Berliner Mauer zugleich ein Symbol für die Teilung Deutschlands darstellte, sondern sie gilt nun auch dem zukünftigen Sitz des Bundes-tages. Vergangenheit und Zukunftserwartungen der deutschen Demokratie verdichten sich in der ästhetischen Anschauung, die zum Nachdenken einlädt.
In der politischen Diskussion wandte sich unter diesen Bedingungen das Blatt zu Gunsten des Projekts "Wrapped Reichstag". Die Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 25. Februar 1994 ermöglichte schließlich nach einer leidenschaftlichen Kontroverse die Realisation der Reichstagsverhüllung. Die in diesem Band versammelten Beiträge aus der Politik geben einen Überblick über diese Diskussion. Hintergründe und Verlauf der politischen Diskussion werden zudem von kritischen Beobachtern analysiert und kommentiert (Kapitel 1).
Die Verhüllungskunst von Christo und Jeanne-Claude wird in einer kleinen Werkauswahl dokumentiert. Ihr Werk bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte und Bezüge für den kulturellen Diskurs und entzieht sich der dort gebräuchlichen Sparteneinteilung. Diese Werkbezüge diskutieren Autoren aus Wissenschaft, Kunstgeschichte und Theater einerseits, der Architektur andererseits (Kapitel 2).
Die Reichstagsverhüllung lenkt den Blick auf den Reichstag als politisches Symbol. Das Reichstagsgebäude steht für die wechselvolle Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Die deutsche Parlamentarismusgeschichte bildet in ihren verschiedenen Abschnitten - vom Wilhelminismus über die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die Bonner und nunmehr die künftige Berliner Republik - den historischen Kontext, aus dem heraus sich die Bedeutung des Reichstagsgebäudes als eines politischen Symbols erst erschließen läßt. Die historischen Tiefenschichten des Reichstagsgebäudes wie auch seine Rolle im deutschen Parlamentarismus werden aus der geschichtswissenschaftlichen Perspektive beleuchtet (Kapitel 3).
Die politische Diskussion über die Verhüllung des Reichstages bietet Anlaß auch für die politikwissenschaftliche Auseinandersetzung. Die Diskussion über den Zusammenhang von Kunst, Symbolik und Politik verweist in ihrem Zentrum auf die Wechselbezüge von politischer Kultur und repräsentativer Demokratie. Klärungsbedürftig ist insbesondere das Verständnis von politischer Symbolik und ihrer Bedeutung für die Ausbildung einer kollektiven politischen Identität. Die Repräsentation politischer Herrschaft in der liberalen Demokratie beschränkt sich nicht auf bloßes Interessenhandeln, sondern hat immer auch einen symbolischen Bezug.
Politische Symbolik und symbolische Politik sprechen die Macht der Gefühle an und erfüllen eine wichtige Funktion in Prozessen politischer Kommunikation. Gefragt werden muß daher nach der Rolle von politischer Symbolik und symbolischer Politik in der politischen Öffentlichkeit und den Verständigungsprozessen einer politischen Gemeinschaft. Klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang vor allem das Verhältnis von politischer Symbolik und praktischer Urteilskraft. Eine solche Klärung gibt Hinweise auf die Anforderungen, die im Hinblick auf demokratische Lernprozesse für symbolische Politik gestellt werden müssen. Die hier angerissenen Fragestellungen werden in diesem Band aus der Perspektive von Politikwissenschaft, Philosophie und politischer Bildung behandelt (Kapitel 4).
Natürlich können hier nicht alle Freunde und Unterstützer genannt werden. Bei der Konzeption hat Rudolf Speth Ratschläge gegeben. Bernward Klein hat für uns in Bonn zwei Beiträge akquiriert. Unser Dank gilt Rüdiger Thomas aus der Bundeszentrale für politische Bildung und O. Ulrich Weidner von der Redaktion der Wochenzeitung "Das Parlament". Sie haben ermöglicht, daß wir die Beiträge zu dem parallel zu diesem Server erscheinenden Themenheft der Wochenzeitung in einer - meist ausgebauten - Langfassung haben übernehmen können.
Unser Verleger Edmund Budrich hat sich auf das Wagnis eingelassen, das Buch in das Programm von Leske+Budrich aufzunehmen, obwohl zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, welche Autoren zusagen werden und ob das Projekt in der knappen Zeit würde bewältigt werden können. Das einzige, was wir präzise angeben konnten, war der von uns ins Auge gefaßte Termin: Das Buch sollte zur Reichstagsverhüllung in Berlin vorliegen. Der Buchumfang hat sich aufgrund der überraschend großen Resonanz bei den Autorinnen und Autoren auf unsere Einladung zur Mitarbeit gewaltig ausgedehnt. Daß es gleichwohl hat realisiert werden können, bedurfte des Entgegenkommens des Verlegers. Daß die Buchtexte im Internet kostenlos angeboten werden, verdanken wir ebenfalls der Genehmigung des Verlages.
Unser Dank gilt auch dem Kultursenat von Berlin, der uns für die Erstellung dieses Buches finanziell unter die Arme gegriffen hat. Kostenlos haben uns zur Verfügung gestellt Bildmaterial die Bundesbaubehörde in Berlin, Frau Herrenkind, Gerhard Mester und Wolfgang Volz. Der Berlin Verlag genehmigte den Abdruck des Beitrages von Friedrich Dieckmann.
Unsere Graphikerin Susanne Appelt und die "Digitale Manufaktur" haben unseretwegen zahlreiche Nachtschichten mit Geduld und guter Laune eingeschoben. Jürgen Specht und die Firma Media-Link haben uns im technischen Bereich geholfen. Mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat uns Michael Fröhling. - Unterstützt haben uns bei den redaktionellen Abschlußarbeiten zudem Thomas Schamoni, Dirk G. Winkler, Ursula Müller-Breitkreutz und Markus Rohde.
Last but not least bedanken wir uns natürlich bei allen Autorinnen und Autoren, die unter Inkaufnahme engster Fristen und unseres nicht vorhandenen Honorarbudgets ihre Manuskripte verfaßt und uns zur Verfügung gestellt haben.
Die Herausgeber