Däubler-Gmelin/ Kriminalität/ Maastrichter Vertrag/ EU/
Schwerpunkte der SPD- Rechtspolitik in der
13. Legislaturperiode =
20. März 1995 - 0470
Herta Däubler-Gmelin
Schwerpunkte der SPD- Rechtspolitik in der
13. Legislaturperiode
Die stellvertretende SPD-Parteivorsitzende und rechtspoli-
tische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Herta
Däubler-Gmelin, stellt die Ergebnisse der Klausurtagung
der Arbeitsgruppe Rechtstik der Fraktion vor:
Die letzten Bundestagswahlen haben das politische Gewicht
der Parteien neu gesetzt:
CDU/CSU und FDP regieren mit kleinerer Mehrheit, die zudem
durch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat begrenzt
wird. Sie werden künftig auch in der Rechtspolitik nur
handlungsfähig sein, wenn sie bei der Durchsetzung ihrer -
inhaltlich bisweilen auseinanderlaufenden - rechtspoliti-
schen Vorstellungen die Überlegungen der SPD berücksich-
tigen.
Die SPD wird ihr gestärktes politisches Gewicht in Bund
und Ländern nutzen, um folgende Grundsätze durchzusetzen :
1. Qualität geht vor Quantität.
In der letzten Zeit nimmt nicht nur die Kritik an der
Menge der vom Bundesgesetzgeber beschlossenen Gesetze zu;
auch die an der Qualität der Gesetze wird stärker. Wir
halten manches an dieser Kritik für berechtigt und werden
sie berücksichtigen :
Es macht keinen Sinn, die Normdichte ständig zu stei-
gern. Wir werden deshalb bei der Erarbeitung neuer Ge-
setze darauf drängen, zugleich den Bestand auf Überflüssi-
ges zu durchforsten und solche Regelungen aufzuheben.
In vielen Bereichen sind nicht fehlende gesetzliche
Regelungen, sondern
Vollzugsdefizite das Problem. Wir werden deshalb bei
der Beratung von Vorschlägen für Gesetzesänderungen bzw.
für neue gesetzliche Regelungen die Prüfung der Erfahrun-
gen der Praxis mit bestehenden Gesetzen und ihrer Durch-
setzung wieder stärker als in den vergangenen Jahren in
den Vordergrund rücken. Dazu gehört auch, daß Anhörungen
im Bundestag wieder zum Ort der Vermittlung von Kennt-
nissen und Erkenntnissen aus Wissenschaft und Praxis wer-
den und nicht länger als Alibi- Veranstaltungen mißbraucht
werden, wie in den letzten Jahren häufig geschehen.
Viele der beanstandeten Qualitätsmängel und die zu-
nehmende Unlesbarkeit von Gesetzen sind nicht nur das
Ergebnis von Formelkompromissen, sondern häufig auch
Ergebnis zu flüchtiger Beratung bzw. Bearbeitung von
Gesetzesvorlagen. Wir werden daher bei jeder Vorlage dar-
auf drängen, daß neben inhaltlichen auch diese formalen
Gesichtspunkte berücksichtigt werden und damit schon bei
der Beratung der von der Bundesregierung vorgelegten neuen
Mietengesetze beginnen.
2. Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg verbessern
Bei der Sicherung des Inneren Friedens und bei der notwen-
digen Erneuerung des Rechtsstaats wird die Zusammenarbeit
über die nationalen Grenzen hinweg immer wichtiger, häufig
ist sie wichtiger als die Verschärfung oder Veränderung
nationaler Gesetze. Kriminalität, aber auch die Nutzung
von wissenschaftlich/technischen Forschungen und Entwick-
lungen machen an nationalen Grenzen nicht Halt; im Prozess
des Zusammenwachsens Europas wächst zudem die Zahl der zi-
vil- und strafrechtlichen Verfahren mit Auslandsberührung.
Wir werden darauf drängen, daß
die 3. Säule des Maastrichter Vertrags , die die
Rechtspolitik mit umfasst, zügig gestärkt und ausgebaut
und daneben
die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz , wie auch
die Angleichung wichtiger Rechtsgrundsätze und Gesetze
auch bilateral verstärkt wird;
bei der Planung und Beratung von Gesetzen auch die
Erfahrungen und Regelungen , sowie die Planungen aus dem
Bereich der EU ( Parlament und Kommission), sowie der
nationalen Parlamente unserer Nachbarstaaten berück-
sichtigt werden.
3. Erneuerung des Rechtsstaats
Unsere Schwerpunkte bei der Erneuerung des Rechtsstaats
folgen der Aufgabe von Rechtspolitik, Institutionen,
staatliche Entscheidungen, aber auch die Nutzung neuer
technisch / wissenschaftlicher Erkenntnisse und Entwick-
lungen nach den Vorgaben unserer Verfassung zu gestalten
und so das Vertrauen in den demokratischen und sozialen
Rechtsstaat zu stärken.
Wir werden auf folgenden Schwerpunkten Initiativen ergrei-
fen :
Gerechtigkeit
Am 8.5.1995 jährt sich das Ende des 2. Weltkriegs und da-
mit die Befreiung Deutschlands und Europas vom Nationalso-
zialismus zum 50. Mal.
Wir werden auch deshalb darauf dringen, daß endlich die
Unrechtsurteile der NS- Militärjusitz aufgehoben, die
zehntausende wegen Wehrkraftzersetzung oder Fahnenflucht
zum Tode Verurteilten rehabilitiert und da, wo dies noch
möglich ist, entschädigt werden.
Wir treten dafür ein, die sog. Mauergrundstücke an ihre
Eigentümer zurückzugeben und die Entschädigungsregelungen
für Opfer des SED- Unrechts zu verbessern.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung
revidiert und festgestellt hat, daß friedliche Demonstra-
tionen auch in der Form sog. Sitzblockaden nicht Gewalt im
Sinne von § 240 StGB sind, werden wir einen Gesetzentwurf
einbringen, der die zu Unrecht Verurteilten rehabilitiert.
Wir werden durch parlamentarische Initiativen die durchge-
hende Verbesserung und Berücksichtigung der Interessen und
Recht von Verbrechensopfern fördern. Das gilt für den Be-
reich des Täter- Opfer- Ausgleichs, der ausgebaut werden
muß, ebenso, wie für die Verbesserung der Stellung und den
Schutz von sog. Opferzeugen im Strafprozess, wie auch für
Entschädigung und Hilfe.
Justiz
Wir halten es für dringend erforderlich, den Zugang zur ,
die Organisation von und die Verfahrensordnungen im Be-
reich der Justiz durch mehr Transparenz, Vereinfachung und
weniger Bürokratie bürgernäher und effizienter zu machen.
Die vorhandenen Ressourcen müssen mobilisiert und schwer-
punktmässig vernünftiger eingesetzt werden als dies heute
bisweilen der Fall ist.
Wir werden daher Initiativen ergreifen, um
das Ziel der Dreistufigkeit des Gerichtsaufbaus zu
erreichen,
die aussergerichtliche Streitbeilegung, auch durch
Gutachtervorverfahren, zu fördern.
die Verfahrensordnungen zu vereinfachen, wo immer das
sinnvoll und rechtsstaatlich möglich ist ( z. B. OWiG,
einheitliche Verfahren u.a. bei Verkehrssachen )
bürokratieärmere Sanktionen bei Kleinkriminalität (
z. B. bei Ladendiebstahl, Schwarzfahren ) zu fördern,
Entkriminalisierung dort durchzusetzen, wo dies unter
Berücksichtigung von Gerechtigkeit und Kriminalitäts-
bekämpfung notwendig und sinnvoll ist ( z. B. bei der
folgenlosen, kurzfristigen Entfernung vom Unfallort;
beim Besitz einer geringfügigen Menge sog. weicher Dro-
gen zum Eigenverbrauch )
Familie
Wir bereiten parl. Initiativen zur Reform des Kindschafts-
rechts vor.
Die Strafbarkeit von Vergewaltigungen muß durchgängig gel-
ten - ob Vergewaltigung nun innerhalb einer Ehe oder aus-
serhalb geschieht. Die Verabschiedung der entsprechenden,
dem Bundestag vorliegenden Gesetzesinitiativen ist über-
fällig.
Rechtsstaatliche Gestaltung der Nutzung wissenschaft-
lich/technischer Erkenntnisse bzw. Entwicklungen
Wir werden einen Gesetzentwurf zur Nutzung des sog. gene-
tischen Fingerabdrucks im Strafverfahren unter Berücksich-
tigung des Datenschutzes vorlegen und bereiten Initiativen
zur Modernisierung des Arbeits-, des Verbraucher- und des
Datenschutzrechts vor.
Presserecht
Wir werden unseren überarbeiteten Gesetzentwurf zur Ver-
besserung des Zeugnisverweigerungsrechts für Journalisten
erneut einbringen.
Kriminalitätsbekämpfung
In diesem Bereich wird der Schwerpunkt unserer Initiativen
bei der Bekämpfung von Korruption, Wirtschaftskriminalität
und Organisierter Kriminalität liegen.
Unser Gesetzentwurf zur Streichung der steuerlichen
Absetzbarkeit von Schmiergeldern ist bereits einge-
bracht;
ein in Vorbereitung befindlicher Gesetzentwurf zur
wirksamen Verhinderung und Verfolgung der Geldwäsche im
Zusammenhang mit organisierter Kriminalität wird unsere
Kritikpunkte an dem geltenden, wirkungslosen Geldwäschege-
setz aufgreifen ( zu hoher Schwellenwert, zu viele
Schlupflöcher, u.a. durch Auslandsfilialen, zu
bürokratisches Verfahren, ineffiziente Haftungsrege-
lungen, fehlende Beweislastumkehr ).
Wir halten die Harmonisierung der Strafverfahren und
ihre ( Wieder - ) Anpassung an die Rechtsgüterordnung
unseres Grundgesetzes für dringend erforderlich und berei-
ten entsprechende Initiativen vor.
Der geltende Katalog der Strafsanktionen muß ausge-
weitet und differenziert werden. Wir werden dazu unseren
überarbeiteten Gesetzesentwurf wieder vorlegen, der neben
Geld- und Freiheitsstrafe weitere differenzierte
Sanktionen sowie einen verbesserten Täter- Opfer- Aus-
gleich vorsieht.