AG Mitgliederentwicklung


Zwischenbericht der Arbeitsgruppe "Mitgliederentwicklung" für die Parteivorstands-Klausur am 21./22. Mai 1995 und den Parteirat am 23. Mai 1995

Die Arbeitsgruppe "Mitgliederentwicklung" hat bisher zweimal getagt. Es ist geplant, bis Ende Oktober die Ergebnisse der Arbeitsgruppe vorzulegen. Die bisherigen Arbeitsergebnisse lassen sich so zusammenfassen:

  1. Mit den Ergebnissen des Projektes "SPD 2000" sind die theoretischen und konzeptionellen Grundlagen vorgegeben. "Wir wollen die SPD im Westen als große Mitgliederpartei erhalten und in den neuen Bundesländern aufbauen. Die SPD soll sich nicht zu einem Wahlverein für Abgeordnete entwickeln, der sich lediglich hauptberuflicher Politmanager bedient. Die SPD soll in unserer Gesellschaft Forum und Faktor der politischen Willensbildung sein sowie zwischen staatlichen und kommunalen Handlungsebenen und den Interessen der Bürger vermitteln." Für die Mitgliederentwicklung ist eine Verknüpfung organisationspolitischer Maßnahmen mit politischen Inhalten erforderlich. Sie wurde ebenfalls durch "SPD 2000" bereits erarbeitet. Die SPD ist nicht austauschbar. "In den 130 Jahren ihres politischen Kampfes errang die Sozialdemokratie in Deutschland und Westeuropa Erfolge, die den Wandel von der Klassengesellschaft zur sozialstaatlichen Demokratie vorantrieben. Zu diesen Erfolgen zählen Rechte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb, die Erweiterung der politischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger und die Beseitigung der rechtlichen Benachteiligung ganzer Bevölkerungsgruppen. Die Konflikte und Widersprüche der alten Klassengesellschaft wurden so vermindert, die Struktur der Gesellschaft wandelte sich und wurde differenziert. Heute läßt sich von einer pluralisierten Klassengesellschaft sprechen. Mit dem geschichtlichen Wandel der Gesellschaft wandelte sich auch die SPD selbst von der Klassenpartei der Arbeiter zu einer linken Volkspartei. Ihr Leitbild des Demokratischen Sozialismus gilt seit dem Godesberger Programm (1959) als die Aufgabe, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität durch Demokratisierung der Gesellschaft und durch soziale und wirtschaftliche Reformen zu verwirklichen. Parteien müssen sich mit dem sozialen Wandel verändern, sonst werden sie zu leeren Hülsen ohne soziale Energien und ohne politische Wirkungskraft." Zielsetzung der Arbeitsgruppe "Mitgliederentwicklung" ist jetzt die praktische Umsetzung der in "SPD 2000" erarbeiteten theoretischen und konzeptionellen Grundlagen.
  2. Die darin erforderliche Aufnahme der Fakten erfolgt methodisch durch Auswertung empirischen Materials und durch Werkstattgespräche mit organisatorisch tätigen oder betroffenen Sozialdemokraten.
    1. Das vorhandene Datenmaterial sowie Umfragen und Studien wurden ausgewertet und analysiert. Wesentliche Ergebnisse sind:
      • Die Mitgliederzahl der SPD ist seit 1976 von 1.022.191 auf 849.374 Ende 1994 gesunken.
      • Der Anteil der Frauen an den Mitgliedern in der SPD ist im gleichen Zeitraum von 21,05 auf 28,04 Prozent gestiegen. Die Zahl der weiblichen Mitglieder hatte 1991 mit 251.600 einen Höchststand erreicht und ist seitdem auf 238.192 gesunken.
      • Der Anteil der Mitglieder bis 35 Jahre ist seit 1976 von 30,3 Prozent auf 15,09 Prozent gefallen. Dabei wirkt sich der geringere Anteil Jüngerer an der Gesamtbevölkerung aus. So gab es bis 1983 im alten Bundesgebiet ca. 2,8 Millionen Jugendliche im Alter von 18 bis 21 Jahren, 1993 waren es nur noch ca. 1,3 Millionen.
      • Der Anteil der unter 36-Jährigen bei den Mitgliederneuaufnahmen lag 1994 bei 44,4 Prozent. Er betrug aber auch 1963 nur 49,3 Prozent und 1985 45,1 Prozent. Der Höchstanteil wurde 1971 mit 65,6 Prozent erreicht. Von einem Ausbleiben jüngerer neuer Mitglieder kann nicht gesprochen werden.
      • Der Mitgliederrückgang ist nicht darauf zurückzuführen, daß mehr Mitglieder aus der SPD austreten als eintreten. 1994 standen ca. 23.000 Austritten 29.000 Eintritten gegenüber. Dieses positive Ergebnis reicht aber nicht aus, um insbesondere die hohe Zahl verstorbenen Mitglieder auszugleichen.
      • Überproportional viele Austritte gibt es in der Altersgruppe bis 36 Jahren, bei einer Parteizugehörigkeit unter 15 Jahren sowie bei Frauen.
      • Der Organisationgrad der SPD (Mitgliederzahl im Verhältnis zur Zahl der Wahlberechtigten) ist in den Bezirken und Landesverbänden extrem unterschiedlich. Ende 1994 betrug er im Bundesdurchschnitt 1,41 Prozent. Den höchsten Organisationsgrad hatte der Landesverband Saar mit 4,59 Prozent gefolgt vom Bezirk Hessen-Nord mit 3,29 Prozent. In den alten Bundesländern hatten der Landesverband Bayern mit 1,19 Prozent und der Landesverband Baden-Württemberg mit 0,82 Prozent den geringsten Organisationsgrad. In den neuen Bundesländer betrug der Organisationsgrad in Berlin 0,95 Prozent, in Brandenburg 0,35 Prozent, in Thüringen 0,31 Prozent, in Sachsen-Anhalt 0,29 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 0,25 Prozent und in Sachsen 0,15 Prozent.
      • Im Gegensatz zu den alten Bundesländern war die Mitgliederentwicklung 1994 in den neuen Bundesländern positiv (plus 6,63 Prozent). Gegenüber dem Stand Ende 1991 betrug das Plus allerdings nur 1,88 Prozent. Bei der Mitgliederentwicklung Ost sind genauere Analysen in Arbeit.
      • Das Institut für Demoskopie Allensbach hat 1991 ermittelt, daß 12 Prozent der Befragten bereit sind, Mitglied in einer Partei zu werden. Dies ist zwar etwas niedriger als 1979, aber doppelt so hoch wie 1953. In den neuen Bundesländern ist die Bereitschaft mit 5 Prozent erheblich niedriger.
      • Die Allensbach Umfrage macht deutlich, das es ein großes Potential für die Mitgliederwerbung der demokratischen Parteien und damit auch der SPD gibt.
    2. Die Arbeitsgruppe Mitgliederentwicklung plant drei Werkstattgespräche mit je ca. 100 Teilnehmern. Geplant sind Gespräche mit Jüngeren sowie mit Ortsvereinsvorsitzenden, Kassieren und Geschäftsführern West bzw. Ost. Mit den öffentlichen Werkstattgesprächen geht die Arbeit der Arbeitsgruppe direkt in eine Kampagne zur Mitgliederentwicklung über.
  3. Auf der Grundlage des empirischen Materials sind die Motive für eine SPD-Mitgliedschaft erfaßbar.
    1. Aus historischen Gründen gibt es große Unterschiede zwischen Ost und West. Für die weitere Arbeit ist daher eine Differenzierung zwischen Ost und West notwendig.
    2. Es besteht ein großes Potential an neuen Mitgliedern in Parteien. Das allgemeine Motiv einer Mitgliedschaft ist demokratisches Engagement. Es kann durch Abbau von Politikverdrossenheit oder Parteienverdrossenheit gestärkt werden. Hier läge eine gemeinsame Aufgabe aller demokratischen Parteien.
      1. Generelle Motive zum Eintritt in die SPD sind:
        • die sachliche Unterscheidbarkeit von konkurrierenden Parteien,
        • das Personalangebot,
        • die Geschlossenheit der Parteiführung,
        • die geradlinige Verfolgung der Grundziele.
      2. Zwei Drittel der Parteimitglieder wollen nicht aktiv sein. Damit ist Partizipation nicht das einzige Leitmotiv der Mitgliederwerbung. Es müssen aber für die unterschiedlichen Ausprägungen der Partizipationsbereitschaft entsprechende Angebote und Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies schließt auch Personalentscheidungen über Mitgliederbefragungen und Mitgliederbegehren ein. Der wesentliche Unterschied in der Mitgliedschaft der SPD im Westen und im Osten ist, daß im Osten die nicht aktiven Mitglieder fehlen.
      3. Eintrittsgründe
        • persönliche Problembetroffenheit,
        • berufliche Betroffenheit, als persönliche Betroffenheit, als Gruppenbetroffenheit,
        • Lebensweltbezogene Betroffenheit insbesondere Umweltfragen,
        • Partizipationsbedürfnisse.
        Diese Gründe müssen differenziert untersucht werden für: Männer und Frauen, Junge; Berufstätige, durch Alter aus dem Beruf Ausgeschiedene, evtl. Arbeitslose, nach Bildungsstand, nach Stellung im Beruf.
    3. Hinderungsgründe/Hemmnisse Hierzu gehört insbesondere die Beitragshöhe.
    4. Mitgliederpflege
      1. Partizipation
        • Kommunikation (unterteilt in aktive Kommunikation und passive Kommunikation)
        • Tätigkeit
      2. Geselligkeit Kommunikation hat sowohl technische wie ästhetische und kulturelle Aspekte, die aufgrund technologischer Entwicklungen teilweise neu sind.
    5. Austrittsgründe
      • Verneinung der Positivgründe
      • Parteileben
      • politische Positionswechsel der SPD
      Im nächsten Arbeitsschritt wird sich die Arbeitsgruppe "Mitgliederentwicklung" insbesondere mit den Bereichen Partizipation und Kommunikation beschäftigen.


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