Interview mit Inge Wettig-Danielmeier, MdB und Verhandlungsführerin der SPD


§ 218: Endlich Rechtssicherheit!

Das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz löst die Anordnung des Bundesverfassungsgerichtes ab. Endlich wird Rechtssicherheit für die betroffenen Frauen, Ärztinnen, Ärzte und Beratungsstellen geschaffen. Hinter dem Beratungskonzept mit eigenverantwortlicher Entscheidung der Frau steht eine breite parlamentarische Mehrheit.

Frage: In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause hat der Deutsche Bundestag nach langem Hin und Her die Reform des § 218 verabschiedet. Wie lange schon kämpft die deutsche Sozialdemokratie für ein liberales Schwangerschaftsabbruchrecht?

Wettig-Danielmeier: Wir haben uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit den 20er Jahren, seit Gustav Radbruch für eine Fristenregelung eingesetzt. Wir treten ein für eine Regelung, die die Würde der Frau wahrt, die die eigene Entscheidung der Frau respektiert, die aber auch dem werdenden Leben Schutz und Entwicklungschancen garantiert. Wir sind immer noch überzeugt, daß das Strafrecht werdendes Leben nicht schützen kann, und wir glauben, daß die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Gleichstellung von Frau und Mann mehr bewirkt zum Schutz des werdenden Lebens. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Auch heute sind die Meinungsverschiedenheiten zu den anderen Parteien nicht ausgeräumt, aber wir können nicht immer wieder das Verfassungsgericht als Schiedsrichter anrufen.

Frage: Bereits im Juni 1992 fand der sogenannte Gruppenantrag zur Reform des § 218 eine fraktionsübergreifende Mehrheit im Parlament, das Land Bayern und die Mehrheit der CDU/CSU-Abgeordneten erhoben dagegen Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht. Wurde der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers jetzt nicht auch zusätzlich eingeschränkt durch das dann von Karlsruhe verhängte Urteil vom Mai 1993?

Wettig-Danielmeier: Ja, in einigen Punkten schon. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht das Beratungskonzept des Gruppenantrags mit eigenverantwortlicher Entscheidung der Frau in den ersten drei Monaten grundsätzlich verfassungsrechtlich gebilligt und in den wesentlichen Grundzügen nicht angetastet. In seinem Bemühen aber, es vielen recht zu machen, hat das Gericht eine Fülle von Widersprüchlichkeiten provoziert. Besonders kompliziert war die Forderung nach Bestrafung des familiären Umfeldes. Die Finanzierung des Abbruchs für alle versicherten Frauen hat das Gericht für nicht verfassungsgemäß erklärt. Dies war sicher die für die betroffenen Frauen einschneidendste Maßnahme. Gleichzeitig aber soll der Staat Vorsorge treffen, daß keine Frau sich gezwungen sieht, aus finanziellen Gründen auf fachkundigen ärztlichen Beistand beim Schwangerschaftsabbruch zu verzichten. Für den Abbruch muß es nach den Vorstellungen der Karlsruher Richter Einkommensgrenzen geben. Daran ist der Bundestag gebunden.

Frage: Wie hat die SPD diese Auflagen in ihrem Gesetzentwurf umgesetzt? Und sind ihre Vorstellungen noch in dem Kompromißentwurf erkennbar?

Wettig-Danielmeier: Wir haben gegen die Vorstellungen der CDU/CSU durchgesetzt, daß die Frau wie bisher zu ihrer Krankenkasse geht und nicht zum Sozialamt. Ihre Anonymität wird gewahrt. Allerdings bekommen nur Frauen mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1.700 DM (1.500 DM übergangsweise für die neuen Länder) den Schwangerschaftsabbruch voll bezahlt. Dazu wird für jedes Kind 400 DM gerechnet. Das Einkommen von Ehepartner, Eltern und sonstigen Unterhaltsverpflichteten wird nicht berücksichtigt. Das bedeutet bei dem Einkommen der Frauen heute: Die meisten bekommen den Schwangerschaftsabbruch bezahlt. Die Länder regeln die Erstattung an die Krankenkasse. Beim abbrechenden Arzt oder Ärztin gibt es keine zusätzliche Konfliktberatung über die pflichtgemäße ärztliche Unterrichtung hinaus. Das diskriminierende Verbot, das Geschlecht des Kindes mitzuteilen, entfällt. Entgegengekommen sind sich SPD und CDU bei der Bestrafung des familiären Umfeldes. Hier hat die CDU/CSU auf ein Sonderstrafrecht verzichtet, im Gegenzug haben wir der Klarstellung zugestimmt, daß der bereits bestehende Nötigungstatbestand des § 240 StGB immer auch die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch umfaßt. Außerdem wurde die Bestrafung bei Unterhaltspflichtverletzungen erweitert, die zum Schwangerschaftsabbruch führen. Diese Regelung ist ein Zugeständnis an Karlsruhe, zufrieden bin ich damit nicht.

Frage: Wo haben Sie nur schweren Herzens zustimmen können?

Wettig-Danielmeier: Die Beratungsregelungen waren der schwierigste Teil des Kompromisses. Wir hatten 1991 auf die freiwillige Beratung gesetzt, aber die Mehrheiten im Bundestag und in Karlsruhe waren anders. Jetzt ist im Strafgesetzbuch die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichtsurteils im Wortlaut übernommen. Die praktischen, im Alltag für die Beratungsstellen wichtigen Fragen stehen im Schwangerschaftskonfliktgesetz:

Frage: Die embryopathische Indikation ist entfallen.Gibt es keinen rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch bei einer Schädigung des Fötus?

Wettig-Danielmeier: Der Schwangerschaftsabbruch wird nicht mehr abhängig gemacht von der späteren Behinderung des Kindes, sondern einzig und allein von der Situation der Frau, ihrer seelischen und gesundheitlichen Befindlichkeit, und dafür gibt es die medizinisch-seelische Indikation. Die SPD hatte dies schon 1991 in ihrem ersten Gesetzentwurf nach der Wiedervereinigung aus ethischen Gründen vorgeschlagen.


Kompromiß zur Reform des § 218

Mit dem neuen Paragraphen 218 haben wir zum ersten Mal eine Regelung des Schwangerschaftsabbruches, die von einer breiten Parlamentsmehrheit getragen wird und die auch Ärztinnen und Ärzten und Beratungsstellen Rechtssicherheit bringt. Die Frauen werden auf dieser Grundlage ihre Entscheidung eigenverantwortlich treffen können. Hier die wichtigsten Punkte, in denen entscheidende Kompromißvorschläge der SPD durchgesetzt werden konnten.

Kein Sonderstrafrecht

Bei der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Bestrafung des familiären Umfeldes hat die CDU/CSU auf ein Sonderstrafrecht verzichtet, allerdings wie schon im Vermittlungsverfahren wird deutlich gemacht, daß das bisherige Strafrecht Sanktionsmöglichkeiten bietet wie im § 240 StGB. Erweitert wird die Bestrafung bei Unterhaltspflichtverletzungen, die zum Schwangerschaftsabbruch führen.

Beratung

Die Beratungsregelung war der schwierigste Teil des Kompromisses. Hier wurde schließlich die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichtsurteils im Wortlaut - mit Ausnahme des Indikationshinweises - in den §219 StGB übernommen und die praktischen, für die Beratungsstellen relevanten Fragen im Schwangerschaftskonfliktberatungsgesetz geregelt. Dort wird einleitend festgestellt:

"Die nach § 219 des Strafgesetzbuches notwendige Beratung ist ergebnisoffen zu führen. Sie geht von der Verantwortung der Frau aus. Die Beratung soll ermutigen und Verständnis wecken, nicht belehren oder bevormunden."

Finanzierung

Im vorgelegten Entwurf wird die Struktur des SPD-Gesetzentwurfs übernommen. Die Krankenkassen wickeln die Finanzierung ab, die Anonymität der Frauen wird gewahrt. Sie müssen nicht zum Sozialamt. Die Bedarfsgrenze wird bei einem persönlichen Nettoeinkommen von 1.700 DM (1.500 DM übergangsweise für die neuen Länder) festgelegt, zusätzlich 400 DM für jedes Kind. Übersteigen die Kosten der Unterkunft für die Frau und die Kinder fünfhundert Deutsche Mark, so erhöht sich die Einkommensgrenze um den Mehrbetrag, höchstens jedoch um fünfhundert Deutsche Mark. Das Einkommen von Ehepartner, Eltern oder sonstigen Unterhaltsverpflichteten wird nicht berücksichtigt. Der Einkommensnachweis wird im vereinfachten Verfahren von den Kassen vorgenommen. Die Länder regeln die Erstattung an die Kassen.

Ärzte

Beim abbrechenden Arzt oder der abbrechenden Ärztin gibt es keine zusätzliche Beratung über die pflichtgemäße ärztliche Unterrichtung hinaus. Ärztin oder Arzt müssen der Schwangeren Gelegenheit geben, ihre Gründe darzulegen, das heißt, sie müssen sich Zeit nehmen. Das diskriminierende Verbot, das Geschlecht des Kindes mitzuteilen, entfällt. Diese Regelungen entsprechen dem SPD-Entwurf.



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