Mitteilung der SPD-Bundestagsfraktion vom 14. Juli 1995 Peter Dreßen
Die neuesten Pläne des Arbeitsministers sind ein weiteres Kapitel in der unendlichen Geschichte des regierungsamtlich betriebenen Sozialabbaus. Mittelfristig zielt Norbert Blüm darauf ab, die Arbeitsverwaltung zu einem Instrument zu machen, mit dem die Bindung der Löhne an Ausbildung und Tarife unterlaufen werden sollen. Das Argument, mit der Ermittlung von "Marktchancen" nur die Bezieher von hoher Arbeitslosenhilfe treffen zu wollen ist ein Popanz, denn aktuell liegt die Arbeitslosenhilfe nur bei 2,8 Prozent der Betroffenen über 1.800 DM netto im Monat. Außerdem handelt es sich keineswegs nur um eine "Konkretisierung" des Arbeitsförderungesetzes! Wenn Blüm behauptet, die Anpassung nach unten sei bereits im Arbeitsförderungsgesetz (AFG) vorgesehen und werde nur präzisiert, dann ist das Nebelwerferei. Zwar sieht das AFG bereits jetzt eine Neufestsetzung der Bemessungsgrundlage für die Arbeitslosenhilfe vor, bei der "alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen" sind (§ 136 Abs. 2b). Die Regelung bestimmt aber auch, daß die Leistungen nach der Beschäftigung bemessen werden sollen, "für die der Arbeitslose nach seinem Lebensalter und seiner Leistungsfähigkeit unter billiger Berücksichtigung seines Berufes und seiner Ausbildung nach Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes in Betracht kommt" (§ 112 Abs. 7). Erst wenn in dieser Regelung die persönliche Qualifikation nicht mehr berücksichtigt ist, erhält man die Blüm'sche Reform. Von bloßer "Konkretisierung" kann daher keine Rede sein. Es ist daher absehbar, daß wiederum die breite Masse der Langzeitarbeitslosen bluten müssen - denn das hat bereits Tradition. Tatsächlich geht es dem Minister darum, die Aufwendungen des Bundes für die Arbeitslosen zurückzufahren. Damit ist die Arbeitslosenversicherung nicht nur erneut zum Verschiebebahnhof für die Haushaltspolitik des Bundes geworden. "Marktgerechte" Lohnersatzleistungen werden zunächst Druck auf die unteren Lohngruppen entwikkeln und die Arbeitsverwaltung mittelfristig zu einem Instrument der Lohndrückerei machen. Ist die Arbeitslosenhilfe erst an einen "Marktwert" angepaßt, und können die Betroffenen angesichts struktureller Arbeitslosigkeit nicht vermittelt werden, dann werden eine Vielzahl von Personen unweigerlich auf bzw. unter die Schwelle der Sozialhilfe-Bedürftigkeit sinken.Wenn dann noch das Seehofer'sche Lohnabstandsgebot zwischen Sozialhilfe und unteren Lohngruppen zustandekommt, dann fällt der Leistungsbezug für eine Unzahl an Arbeitslosen in sich zusammen. Das führt auf geradem Wege zur Verarmung gerade derer, die heute schon zu den untersten Einkommensbeziehern gehören. Das AFG soll keine "unterwertige" Beschäftigung fördern und hat bisher die Tarifautonomie respektieren müssen. Die Regelungen für die Umwelt-ABM hat diesen Grundsatz bereits aufgeweicht: Hier werden 80 Prozent des Lohnes für 100 Prozent Arbeitszeit gezahlt. Die Tariflandschaft ist so bereits teilweise untergraben worden. Wird jetzt auch noch die "Marktchance" beurteilt, dann wird die Bindung der Löhne und Gehälter an die Ausbildung systematisch untergraben und von Amts wegen entwertet. Die Folgen für die Tariflandschaft sind absehbar: Wenn erst höher gebildete Arbeitslose wegen ihres "geringen Marktwertes" Kürzungen beim Leistungsbezug hinnehmen müssen, dauert es nicht mehr lange, bis sie auch auf "unterwertige" Arbeitsplätze vermittelt werden können. Die Arbeitsverwaltung gerät so vollends zu einem regierungsamtlichen Instrument zur Aushebelung der Tarifbindung., da der Druck auf die unteren Lohngruppen unweigerlich zunehmen wird. Und dieser Druck auf die Ungelernten sowie Beschäftigten mit einfacher Ausbildung verlagert sich in der Folge auf die Angehörigen mit mittlerer Qualifikation. Mittelfristig kündigt sich damit eine Abwärtsspirale in der Lohn- und Gehaltsstruktur an. Die Bundesregierung macht die Arbeitsverwaltung damit in der Tarifpolitik zum Erfüllungsgehilfen der Arbeitgeberseite.