Informationsdienst der SPD 19.7.1995

Glotz: Der Multimediamarkt braucht eine Ordnungspolitik aus einem Guß

Peter Glotz fordert breite Debatte über Chancen von Risiken der Informationsgesellschaft Der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der SPD- Bundestagsfraktion, Prof. Dr. Peter Glotz, erklärte heute im "Informationsdienst der SPD":

Der Weg in die moderne Informationsgesellschafft wird bestimmt von einer zunehmenden internationalen Vernetzung. Dies gilt für Betriebe, Schulen und Ausbildungsstätten, für Hochschulen und Bibliotheken, für Arztpraxen und Krankenhäuser. Es gilt für dezentrale Arbeitsplätze, mit dem Ziel, eine neue Form der Kommunikation und Effizienzsteigerung zu ermöglichen. Damit geht es vor allem um eine Neubestimmung der Rolle des kommunizierenden Menschen als gleichberechtigtem Teilhaber in einem neuen gesellschaftlichen Kommunikationsprozeß. Die Anwendung der Interaktivität auf fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie die Arbeitswelt, das Erziehungswesen, die Medizin und die tägliche Lebenswelt verändert die Gesellschaft grundlegend. Die modernen Kommunikationsformen ermöglichen immer mehr einen unbegrenzten Austausch von Informationen und Meinungen. Diese neuen Technologien können - durch Zeitgewinn - den Lebenstag des Menschen verlängern; sie können aber auch zu Ausbeutung und Selbstausbeutung der Arbeitskraft mißbraucht werden. Deshalb können die neuen multimedialen Produkte und Dienste nicht einfach dem Selbstlauf des Marktes überlassen werden. Es bedarf an den richtigen Entscheidungspunkten überlegter Regulierungen und Deregulierungen.

Die internationalen "Datenautobahnen" ebnen allen Anbietern den Weg zu den Kunden und sorgen für eine nahezu perfekte Transparenz und Vergleichbarkeit von Preisen und Produkten. Es wird sich ein Konzentrationsprozeß beschleunigen, der mit einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen einhergeht. Auf der anderen Seite werden völlig neue Berufsbilder und Dienstleistungsangebote entstehen. Je mehr Telepräsenz betriebliche Prozesse ersetzt und Kommunikation in Datennetzen stattfindet, desto mehr verlieren Betriebe ihre identitätsstiftende Wirkung. Virtuelle Betriebe haben keine der oft beklagten Standortnachteile, aber auch keine Werkstore, an denen Streikposten für ihre Rechte kämpfen können. Den Gewerkschaften stehen harte Zeiten bevor. Es liegt am politischen und gewerkschaftlichen Engagement, ob Telearbeit mit sozialer Isolation und einer Aushöhlung von Arbeits- und Sozialrechten verbunden wird, oder ob künftig mit hoher Qualifikation und Selbstständigkeit verbundene Telearbeitsplätze entstehen. Beide Prozesse werden ablaufen. Wir müssen den ersten sozial begleiten, den zweiten aber fördern und vorantreiben.

Die Politik darf sich nicht auf die primitive Alternative Jobkiller oder Wachstumsparadies festlegen lassen. Weder zielloses Nach-Vorne-Stürmen noch hilflose Verhinderungsstrategie führen weiter. Notwendig ist eine kritische, international orientierte und auf Dauer angelegte Debatte von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften über Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft.

Kommunikationspolitisch ist eine "Kehre" nötig: Von der Programmkontrolle zum Rezipiententraining. Die neue Frage wird sein, was neue Spielräume der Wahrnehmung, der Erkenntnis und damit des souveränen Verhaltens eröffnet und wie man die Menschen befähigt, mit den neuen Techniken sinnvoll umzugehen. Zum Beispiel durch eine systematische Medienerziehung in allen Schulen und auf allen Ebenen unseres Bildungssystems. Die deutsche Politik muß sich um die Entwicklung eines neuartigen Begriffs der "Kommunikationskultur" bemühen.

Wir haben nicht die Option, die neuen Medien und damit die Informationsgesellschaft zu wollen oder nicht zu wollen. Sie wird kommen; zum Teil ist sie schon da. Aber wir haben die Option - und die politische Aufgabe - die Informationsgesellschaft zu gestalten. Notwendig ist eine systematische und vielseitige Debatte, um die bisher isoliert diskutierenden Partner an einen Tisch zu bringen. Rundfunkrechtliche Konzentrationskontrolle und kartellrechtliche Fusionskontrolle müssen genauso zusammengebracht werden, wie Kultur und Dienstleistung, Medien-, Post-, Technologie-, Bildungs- und Industriepolitik. Der Multimediamarkt braucht Ordnungspolitik aus einem Guß.

Weitere Informationen:

Pressestelle des SPD-Parteivorstands
Redakteur Lars Haferkamp
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