Begrüßung


Hilmar Kopper


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Liebe Frau Herrhausen, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich heiße Sie herzlich willkommen.

Das dritte Kolloquium unserer Herrhausen-Gesellschaft hat es in sich. Wenn einer in Superlativen schwelgen möchte, dann wendet er sich diesem Thema zu - Multimedia. Nirgends sonst findet die Phantasie soviel Nahrung wie auf diesem Feld. Wir aber wollen heute und morgen nicht Visionen erörtern, weder schöne noch schreckliche. Wir wollen erkunden, in gebotener Nüchternheit, was dran ist an Ängsten und Hoffnungen und worauf wir uns einzustellen haben.

Vor fünf Wochen erst hat in Los Angeles die erste Messe der multimedialen Unterhaltungsindustrie stattgefunden. In einem nie dagewesenen Licht- und Tongewitter hören wir die Botschaft: Eine neue Kultur ist über uns gekommen. Gleichzeitig erklärt ein Computergott aus dem Silicon Valley, die neue Herausforderung sei allenfalls mit dem Mondfahrtprogramm der sechziger Jahre vergleichbar.

Eine schöne neue Welt wird nicht nur in der Unterhaltungsbranche ausgemalt. Der amerikanische Vizepräsident sieht das Netzwerk aller Netzwerke entstehen. Er sagt, die globale Infrastruktur schaffe Informationsforen und in denen ziehe ein neues athenisches Zeitalter der Demokratie herauf.

Kreativität kennt keine Grenzen mehr. Wenn Telekommunikation und EDV zusammenwachsen, mittels digitaler Technik und leistungsstarker Mikroprozessoren, scheint alles möglich zu werden, vor allem jede Menge Umsätze und jede Menge Arbeitsplätze. Unterhaltung ist tatsächlich nur eine, wenn auch eine besonders bunte Blüte, die der multimediale Baum treibt.

Den Phantastereien liegt eine einfache Wahrheit zugrunde. Die Kosten von Kommunikation, Aufwand wie Preis, sind rapide gesunken und sinken weiter. Schon heute kann jeder, der im Besitz von Computer, Telefon und Modem ist, Botschaften in die Welt schicken und solche empfangen - für fast nichts.

Auch der Transport von Gesprochenem und Gefilmten wird in den nächsten Jahren sehr erschwinglich werden. Und nicht nur das. Unser Fernseher oder Computer, oder wie der Apparat dann auch heißen mag, wird wie ein Tor wirken - aus der Welt heraus- und in sie hineinführend. Man muß nur dieses Tor passieren, um Bankgeschäfte zu regeln, Bibliotheken zu besuchen, Einkäufe zu tätigen, Karten zu bestellen, Flüge zu buchen, Reden zu halten. Es werden Dinge getan, die auch zuvor schon getan worden sind. Nur auf andere Weise.

Mit dieser Technologie verhält es sich, wie es sich immer verhalten hat, wenn Neues möglich wurde. Es wird genutzt, um alte Bräuche besser und billiger auszuüben. Die Leute geben nicht mehr aus, wenn sie über interaktives Fernsehen einkaufen, und ihre Bankkonten werden nicht deshalb dicker, weil der Zugang nur noch medial ist. Das Angebot aber, zum Beispiel für das Direct oder Electronic Banking, muß gemacht werden. Über den Nutzen entscheiden die Kunden selbst, und fast immer zeigen sich die jungen Kunden aufgeschlossener als die alten. Aber eine Regel, die fürs Bankgeschäft ebenso gültig wäre wie für die Unterhaltung? Nein, die gibt es nicht, noch nicht.

Der Siegeszug der multimedialen Unterhaltung, um nur bei diesem sinnträchtigen Beispiel zu bleiben, hat zwei Voraussetzungen: Der Konsument muß von seinen bisherigen Gewohnheiten lassen, und er muß mehr Zeit als bisher in diese Art von Vergnügen stecken. Tut er das? Während in Hollywood große Namen ganz Großes planen und noch nie Dagewesenes, erfreut sich unser gutes altes Radio größerer Beliebtheit denn je. Und der Stoßseufzer eines Managers, der seine Karte mit einer e-mail-address verziert hatte, war weltweit zu hören. Vergeblich suchte er nach einem elektronischen Gehilfen, um die Eingänge zu sortieren. Seine Sekretärin holte er mit der Bemerkung zurück, die stehe zwar nicht für Zukunft, doch sie könne arbeiten. Also bleibt alles beim Alten, nur mit ein paar neuen Einsprengseln? Das nun auch wieder nicht.

Versetzen wir uns einmal zurück, in die Zeit jener Entdeckungen, die das Industriezeitalter eingeleitet haben. Als die erste Kohle mit Hilfe der Dampfmaschine zu Tage gefördert wurde, war das Staunen groß. Niemand dachte an die Folgen der Elektrizitätsgewinnung, und niemand hatte auch nur eine Ahnung von neuen Bedürfnissen, die daraus entstehen würden. So ist es auch heute. Welche Bedürfnisse die neuen Technologien schaffen und welche Gewohnheiten sie wecken und wie sich unter ihrer Herrschaft das Leben verändert, diese Fragen bleiben einstweilen unbeantwortet. Hochzurechnen was ist, führt mit Sicherheit in die Irre. Und recht hat der Mann eines einschlägigen deutschen Konzerns, der über die multimediale Marktentwicklung sagte: "Man kann jede Zahl von eins bis 999 Milliarden Mark einsetzen. Eine Zahl wäre so spekulativ wie die andere."

Die Euphorie zu dämpfen, ist das eine. Die Untergangsstimmung zu heben, das andere. Wo viel schöngeredet und viel investiert wird, wird auch viel schwarzgemalt. Segen und Fluch gehören zusammen, auch insoweit hat sich nichts verändert. Immerhin, was wird, wenn die Kategorien von Raum und Zeit sich auflösen und sich über Kommunikation beliebig verfügen läßt, wenn der Mensch sein Gegenüber nur noch in seinem Apparat findet und Sein und Schein zusammenfallen, das alles muß überlegt werden dürfen. In der Überlegung relativieren sich dann die Sorgen.

Auch Glühlampe und Telefon haben tiefe Einschnitte bedeutet, und trotzdem ist der Mensch nicht verkommen. Er hat nämlich die angenehme Eigenschaft, sich das Neue anzuverwandeln. Keine technische Erfindung und keine industrielle Fertigung haben der menschlichen Gemeinschaft ihr Gesetz je unmittelbar aufgenötigt. Sie weiß sich zu wehren, auf diese oder jene Weise. Je gewaltiger die Neuerung, desto härter die Abwehr. Auch deshalb ist Vorsicht geboten, bis in die Wortwahl hinein. Im übrigen bleibt eine Technologie nie, was sie im Urzustand ist. Massenweise Anwendung, wenn es denn dazu kommt, schafft Fakten, die nicht vorhersehbar sind.

Die wahren Jünger des kybernetischen Zeitalters predigen eine Zivilisation, in der den Staaten der Garaus gemacht und der Geschichte nun tatsächlich das Ende gesetzt wird. "Das Netz", so kündet einer von ihnen, "ist die vollendete Anarchie." Keine Kontrolle mehr, keine Hierarchie, kein Gesetz. Nun spielt für einen, der den Computer ans Netz schließt, tatsächlich keine Rolle, ob er in Deutschland, Frankreich oder im Silicon Valley zu Hause ist. Wissen muß er allerdings, ob er zu Microsoft gehört oder zu Sega oder Walt Disney oder was die Namen sein mögen.

Also doch keine Anarchie, sondern Herrschaft von Firmen, die weltumspannende Organisation werden? Weder noch. Im Pentagon werden die neuen Lehren gefördert und angewandt wie nirgends sonst. Nirgends aber sonst gebietet das nationale Sicherheitsinteresse so viele Vorkehrungen, Vorkehrungen gegen elektronische Einbrüche. Und was in Washington gilt, gilt bis auf weiteres auch in anderen Hauptstädten. A propos neue Zivilisation: Die Informationsnetze spannen sich um die ganze Welt. Aber sie dienen nur der Hälfte der Menschheit. Die andere Hälfte hat noch nicht einmal einen Telefonhörer in der Hand gehabt.

Ein Theoretiker der Infowelt, Autor des Buches über die "virtuelle Demokratie" und wohl nicht zufällig ein Franzose meint, daß der Mensch ganz schön robust sein müsse, wenn er sich seine Freiräume bewahren wolle, aus denen die Demokratie lebt. Man muß nicht so fortschrittsgläubig sein wie Al Gore, um doch an eines zu erinnern: Gefährdet ist die Demokratie nicht erst, seit die Medien in die Welt gekommen sind. Anpassen an neue Verhältnisse muß die Demokratie sich immer. Sie muß es vor allem in Zeiten eines so rasanten Wandels, wie wir ihn erleben.

Neue Technologien bringen neue Produktions- und neue Arbeitsformen hervor, und die wiederum schaffen neue soziale Gegebenheiten. Und da soll das innerstaatliche Organisationsgefüge bleiben, was es lange war? Das deutsche Medienrecht mit all seinen Landesanstalten stammt aus einer Zeit, in der es wenig Frequenzen und wenig Anbieter gab. Diese Zeit ist schon längst nicht mehr. Der Anachronismus gehört abgeschafft, damit genutzt wird, was genutzt werden kann.

Neue Ängste entstehen, ja. Aber alte Ängste schwinden. Eine Schreckensvision hat uns lange begleitet, und nun ist sie ausgelöscht: Big Brother is not watching you. So viele Kanäle und so viele Informationen zu kontrollieren, ist schon heute kein Big Brother mehr in der Lage. Orwells Welt datiert von 1984. In jenem Jahr hat die multimediale Revolution ihren Anfang genommen. Zufall oder nicht?

Alles ist übertrieben, was in multimedialen Zusammenhängen vorgebracht wird, im Guten wie im Bösen. Der Geist, einmal aus der Flasche entwichen, läßt sich nicht wieder einfangen. Läßt er sich steuern? Nur um den Preis großer Verwerfungen. Niemand weiß, wohin die Reise geht und welche Ziele gewollt werden. Doch immer noch drängt es die Regierungen, kleine und große, zu richten. Furcht vor jener Anpassung, die die eigene Macht bedroht, prägt ihr Verhalten ebenso wie die Hoffnung auf Arbeitsplätze, die sie sich selbst zugute halten möchten.

Aber Regierungen sind nun einmal nicht geeignet, technologischen Wandel zu steuern und die Weichen zu stellen. Über seine Bedürfnisse entscheidet das Publikum selbst. Sie zu wecken und gegebenenfalls zu erfüllen, ist keine amtliche Aufgabe, sondern ein Risiko, das der Wettbewerb regelt.

Wir befinden uns auf einer Entdeckungsreise. An dieser Reise wollen wir heute und morgen teilhaben. Zugegeben, nur stückchenweise. Zuviele Wege bieten sich an, als daß sie alle abgemessen werden könnten. Begnügen wir uns mit der Auswahl. Und hoffen wir, daß sie sich bezahlt macht - durch einen Zuwachs an Erkenntnis.

Ich wünsche der Tagung eine guten Verlauf.

Stand: Juni 1995


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