Prof. Werner Pollmann
Statement von Prof. Werner Pollmann, Umweltbevollmächtigter des Daimler-Benz- Konzerns und Leiter des Forschungsbereiches Produktions- und Umwelttechnik, auf der Pressekonferenz am 24. August 1995 in Stuttgart
Meine Damen und Herren,der Umweltschutz in Deutschland hat in den letzten Jahren eine neue Qualität erhalten. Die Ereignisse um die Nordseeplattform "Brent Spar" zeigen deutlich, daß es in der öffentlichen Diskussion nicht mehr so sehr um rein quantitative Aussagen (wie Emissionen pro Kubikmeter Luft) geht, sondern daß es heute auf die Wirkung von Umweltschutzmaßnahmen ankommt.
Es ist in der Tat heute ein Streit entbrannt, der sich im wesentlichen an der Frage orientiert, wie wir Umweltschutz-
Maßnahmen bewerten wollen. Ein Beispiel: Ist es sinnvoller, die "Brent Spar" zu versenken und ihre Schwermetalle wieder auf den Meeresgrund zu versenken oder ist es besser - mit allen verbundenen Risiken und der Frage nach der Endlagerung - die Entsorgung an Land vorzunehmen? Ähnliche Fragen betreffen auch uns bei Daimler-
Benz: Sollen wir recyclierbares Verpackungsmaterial wie z.B. Pappe verwenden - was vor jedem neuen Einsatz einen enormen Verbrauch an Ressourcen wie Wasser und elektrische Energie etwa zur Reinigung und Desinfektion mit sich bringt? Oder ist die Verbrennung von Kunststoff- Verpackungen letztlich doch ökologisch sinnvoller? Wir bei Daimler-
Benz stellen uns ganz gezielt die Frage nach den Umweltqualitäts- Zielen. Auf die politische Diskussion, die zur Zeit dazu im Zusammenhang mit der Bewertung von "Ökobilanzen" und der "ökologischen Steuerreform" im Gange ist und an der wir uns im Bewußtsein unserer Verantwortung intensiv beteiligen, gehe ich später noch ein.
Umweltbericht 1995: Weitere Verbesserung der Bilanz
Lassen Sie mich zuerst auf den Ihnen jetzt vorliegenden Umweltbericht zu sprechen kommen. Er faßt das Geschehen im Konzern im Jahr 1994 zusammen. Nach wie vor haben wir Probleme, unsere Gesamtaufwendungen für den Umweltschutz in Zahlen zu fassen: Der Faktor "Umweltschutz" läßt sich etwa bei den Investitionskosten für eine neue Maschine immer schwerer ermitteln. Dieses Problem wird auch in den kommenden Jahren nicht leichter zu lösen sein, denn wir sind längst in einer Phase, in der wir fast gar nicht mehr wissen, wie unökologisch man Produkte auch herstellen kann - wir sehen das nur gelegentlich in Fabriken außerhalb unseres Konzerns und außerhalb unseres Landes, wo man immer noch preisliche Wettbewerbsvorteile durch eine Belastung der Umwelt erkauft. Ich persönlich glaube, dieser Preisvorteil ist letztlich zu teuer erkauft.
Ich will Ihnen ein Beispiel geben: In unserem Mercedes-
Benz- Werk in Argentinien haben wir im vergangenen Jahr eine Abwasserkläranlage in Betrieb genommen, die mit Hilfe von Bakterien die Abwässer reinigt. Es ist die erste Kläranlage dort mit dieser modernen biologischen Technik. Sie erfüllt bereits Umwelt- Standards, die vor Ort noch lange nicht gesetzlich gefordert sind. Wenn Sie die Zahlen des Umweltberichts betrachten, wird Ihnen der Zuwachs bei den laufenden Kosten für den Umweltschutz besonders auffallen. Dieser Aufwand ist von 579 (1992) über 669 (1993) auf 861 Mio. DM im Jahr 1994 gestiegen. Dies entspricht Steigerungsraten von 15 % bis 20 %, und auch sie dokumentieren die bereits angesprochene neue Qualität im Umweltschutz: Es ist nicht mehr damit getan, einmal in eine neue Anlage zu investieren. Umweltschutzanlagen und Eigenvorsorge erfordern vielmehr einen ständig zunehmenden Wartungs- und Betriebsaufwand.
Daß der Investitionsaufwand gegenüber dem Vorjahr auf 132 Mio. DM gesunken ist, gleicht den Anstieg des Gesamtaufwandes keineswegs aus: Wir haben mit der Umstellung auf Wasserbasislacke bei Mercedes-
Benz und der Fertigstellung der Endmontagelinie der Daimler- Benz Aerospace Airbus zwei wesentliche Meilensteine erreicht. Um welche Dimensionen es sich bei diesen Projekten handelt, möchte ich Ihnen am Beispiel der Tauchlackieranlage von Mercedes-
Benz in Düsseldorf schildern. Dies ist die größte kataphoretische Tauchlackieranlage Europas mit 425 Kubikmeter Grundierungslack. Durch diese Anlage werden alle Rohkarossen des neuen "Sprinter"- Transporters gezogen, bevor Spritzroboter sie mit Füller und Decklack überziehen. Vor der Lackierung wird die Karosse gereinigt und mit einer Zinkphosphatschicht von nur 1,5 Tausendstel Millimeter Dicke überzogen. Ein Vorteil dieser neuen Technik: Die Anlage verbraucht pro Jahr nur noch 20 000 Kubikmeter Wasser. Der Vorgänger benötigte 97 000 Kubikmeter. Der Wasserverbrauch konnte somit um 80 % gesenkt werden. Erfreulich ist, daß trotz gesteigerter Produktion der Gesamt-
Energieverbrauch im Konzern mit ca 7.700 Gigawattstunden (GWh) nahezu konstant geblieben ist bzw. langfristig leicht sinkt (1992: 8100 GWh; 1993: 7700 GWh). Dies ist eine Folge unserer konsequenten Maßnahmen zur besseren Energienutzung. Beim Prozeßwasser- Verbrauch haben wir trotz der gestiegenen Produktion einen Rückgang von 7,3 Mio. m3 (1992) über 5,8 Mio. m3 (1993) auf 5,5 Mio. m3 (1994) zu verzeichnen. Sie sehen: Unsere Maßnahmen zur Wassereinsparung, etwa durch Kreislaufprozesse, greifen. Auch die Senkung der Abfallmengen ist gelungen: Wir vermelden 7 % weniger Abfall im Vergleich zu 1993, was einem Rückgang von 124.300 auf 115.000 Tonnen entspricht. Betrachten wir die Veränderung gegenüber 1992, haben wir unseren Abfall innerhalb von nur zwei Jahren sogar um 27 % reduziert. Parallel dazu wuchs der Anteil an wiederverwertbaren Reststoffen, und zwar von rund 450.000 Tonnen (1992 und 1993) auf über 550.000 Tonnen, also um 25 %. Das bedeutet , daß wir weniger als ein Drittel unseres Abfalls entsorgen müssen und zwei Drittel als Reststoffe wieder in die Produktion zurückführen.
Auch bei den Emissionen haben wir Fortschritte gemacht: Die Lösemittel sinken dank der konsequenten Umstellung auf Wasserbasislacke. Den dramatischen Rückgang bei den Staub- und Schwefeldioxid-
Emisssionen habe ich Ihnen schon im vergangenen Jahr als Sondereffekt eines übernommenen Kraftwerks in der ehemaligen DDR geschildert, das wir auf unsere Umwelt- Standards umgestellt haben. Nur der Rückgang bei den Stickoxiden ist vorläufig noch relativ gering. Das liegt aber daran, daß der verringerte Ausstoß aus den Heizkraftwerken durch längere Triebwerkslaufzeiten auf den Prüfständen bei Daimler- Benz Aerospace beinahe kompensiert wird. Immerhin tragen diese Prüfarbeiten dazu bei, daß die Triebwerke im späteren Einsatz besonders wenig NOx emittieren. Natürlich nutzen wir die uns verfügbare Technik auch, um neue Meßdaten über die Umwelt zu erhalten. Daimler-
Benz Aerospace Airbus hat mit mehreren Fluggesellschaften Verträge abgeschlossen, um Umweltdaten z.B. über die Ozon- und Wasserdampfkonzentration in großer Höhe zu erhalten. Wir rüsten die Airbus- Flugzeuge vom Typ A340 mit speziellen Sensoren aus, die während des Fluges alle vier Sekunden Messungen durchführen. Das französische Forschungszentrum CNRS sowie eine Vielzahl angeschlossener europäischer Forschungseinrichtungen beteiligt sich an der wissenschaftlichen Auswertung. Sensoren setzen wir auch ein, um die Umweltqualität in unseren angestammten Lebensräumen zu überwachen. Trotz der in den letzten Jahren rasant fortschreitenden Umweltmeßtechnik setzen wir dabei auch auf Bioindikatoren, also auf Lebewesen, die uns über die Wasser- und Luftqualität Auskunft geben. Um z.B. die Luftqualität zu überprüfen, stehen im Werk Sindelfingen von Mercedes-
Benz an 14 Stellen offene Kleingewächshäuser mit Pflanzen, die besonders sensibel auf Lacklösemittel in der Luft reagieren. Abwasserproben werden an 21 Stellen im Werk vorgenommen. Ihre Schmutzfracht ist teilweise so gering, daß höhere Wasserorganismen wie z.B. Wasserflöhe oder Fische gar nicht mehr darauf reagieren. Als empfindlicher haben sich Leuchtbakterien erwiesen, deren Leuchtkraft in einem klar bestimmbaren Verhältnis zur Wasserverschmutzung steht. Dies soll als ein kleiner Einblick in unsere letztjährige Arbeit genügen. Er soll Ihnen zeigen, wie wir uns bemühen, unsere Produkte und die Produktion umweltfreundlicher zu gestalten. Dieses Bemühen hat die Stadt Ulm erst vor wenigen Wochen mit der Verleihung ihres Umweltpreises an unsere Forscher für die Entwicklung des weltweit ersten Verfahrens zur Trennung von Kunststoffverbundabfällen honoriert.
Aber, meine Damen und Herren, je mehr wir tun, und je mehr wir über umweltrelevante Vorgänge in der Natur lernen, desto wesentlicher wird die Frage, ob wir uns mit unseren Arbeiten wirklich ökologisch richtig verhalten.
Umweltqualitätsziele - eine notwendige Voraussetzung für die Bewertung von Ökobilanzen
Sie wissen: Umweltschutz ist seit vielen Jahren ein wesentliches Ziel der Umweltpolitik in der Daimler-Benz AG, die sich mit ihren Leitsätzen für den Umweltschutz der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen verschrieben hat. Der Konzern bekennt sich zum integrierten Umweltschutz, der an den Ursachen für die Umweltbelastung beim Produkt sowie dessen Herstellung ansetzt. Dies bedeutet, daß jeweils bei Beginn einer Neuentwicklung die Auswirkungen über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes betrachtet und gegebenenfalls mit Alternativen verglichen werden. Hierzu werden auf der Basis der Ökobilanzierung Schwachstellenanalysen durchgeführt, die ausgehend von Energie- und Stoffströmen für ausgewählte Einzelstoffe auch Aussagen zu deren Wirkungspotential machen. Allgemeine Aussagen zu Human- und Ökotoxikologie der auftretenden Stoffe und Stoffgruppen lassen sich auf der Basis des derzeitigen Kenntnisstandes nicht ableiten. Darüber hinaus fehlen gesicherte Ansätze für die Bewertung zwischen den einzelnen Wirkungen, so daß auch der Vergleich zwischen Produkt- und Produktionsalternativen auf der Basis von Wirkungskriterien nicht möglich ist. Dies führt nicht zuletzt zu der Diskrepanz zwischen den Erwartungen seitens der Politik wie auch von umweltpolitischen Interessengruppen an Ökobilanzen und den tatsächlich möglichen Ergebnissen.
Um dies klarzustellen: Daimler-
Benz sieht in dem derzeitigen Stand der Ökobilanzierung einen sinnvollen Ansatz zur Durchführung von Schwachstellenanalysen, die auch ohne die Wirkungsbilanz zu Verbesserungen in der Produkt- und Prozeßgestaltung führen. Wir haben hierzu bereits einige Produkte, Produktkomponenten und Produktionsprozesse analysiert und Verbesserungsmaßnahmen eingeleitet. Wir geben uns damit allerdings nicht zufrieden und haben zur Änderung der Situation Gespräche in zweierlei Hinsicht initiiert:
Zur Verbesserung des Kenntnisstandes im Hinblick auf human- und ökotoxikologische Wirkungen von Schadstoffen haben wir in mehreren Diskussionsrunden mit Vertretern der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Bedeutung dieses Themas festgestellt und entsprechende Forschungsschwerpunkte definiert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wird ein interdisziplinäres Forschungsprogramm vorbereiten und hat beschlossen, hierzu eine Arbeitsgruppe einzurichten. Damit ist die Wissenschaft in die Validierung bestehender und Ableitung zukünftiger Wirkungskriterien eingebunden. Dies ist ein erster, aber entscheidender Schritt im Hinblick auf die Integration von wissenschaftlich fundierten Wirkungskriterien in die Ökobilanzierung.
Für die Bewertung der verschiedenen Umweltwirkungen ist es notwendig, die Wertigkeit zwischen einzelnen Wirkungen auf den Menschen und seine Umwelt zu kennen. Dies kann aus unserer Sicht nur über Umweltqualitätsziele, die zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und gesellschaftlichen Verbänden konsensfähig sind, erreicht werden. Hierzu wurde seitens Daimler- Benz im Jahre 1994 eine Initiative mit dem damaligen Umweltminister Töpfer ergriffen, die Ableitung von Umweltqualitätszielen als vorrangige Aufgabe zu starten. Am 18. November 1994 fand dazu ein Workshop mit Experten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Verbänden im Umweltministerium in Bonn statt. Die beteiligten Experten bestätigten, daß die Bewertung von Ökobilanzen auf der Basis des derzeitigen Wissensstandes und der fehlenden Umweltqualitätsziele nicht möglich ist. Das Umweltbundesamt wird im Herbst dieses Thema aufgreifen, um mit Fachleuten aus der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft und aus Verbänden Vorschläge für Umweltqualitätsziele zu erarbeiten. Damit ist der notwendige, übergreifende Dialog sichergestellt. Wir hoffen und fordern, daß die Arbeitsgruppe kurzfristig ihre Arbeit aufnimmt und zügig die notwendigen Aufgaben erledigt. Denn in letzter Zeit gewinnt das Thema "Umweltqualitätsziele" noch in einem anderen Zusammenhang - nämlich mit der ökologischen Steuerreform - an Bedeutung. Wir von Daimler-
Benz unterstützen Maßnahmen, die eine Besteuerung von Emissionen mit dem Ziel der Reduzierung der tatsächlich notwendigen Schadstoffe verfolgen. Dazu muß aber Konsens darüber bestehen, ob z. B. die Absenkung der klimarelevanten Schadstoffe oder die Schadstoffe, die zur bodennahen Ozonbildung führen, vorrangig zu betrachten sind. Ohne Umweltqualitätsziele ist diese Frage nicht plausibel zu beantworten. Aus diesem Dilemma resultiert nicht zuletzt die von einigen politischen Gruppen geforderte Ressourcenbesteuerung, die für uns allerdings noch keinen tragfähigen Ansatz bietet.
Pressetext zum Umweltbericht
Online-Fassung des Umweltberichts
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