Anlage: Befugnisse der Europäischen Union
Die Bayerische Staatsregierung tritt ein für eine starke und handlungsfähige Europäische Union, die in ganz Europa Frieden und Freiheit sichert und die Grundlagen des wirtschaftlichen Wohlstandes stärkt. Damit die Europäische Union diesem Leitbild gerecht werden kann, sind grundlegende Reformen notwendig. Die Kompetenzen der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten müssen nach dem Subsidiaritätsprinzip klar abgegrenzt werden. Handlungsfähigkeit und Transparenz müssen entscheidend verbessert werden. Hierzu sind die Organe nach demokratischen Prinzipien umzugestalten. Die Europäische Union muß sich der drängenden, nur gemeinsam lösbaren Herausforderungen annehmen. Sie darf sich nicht wie bisher mit Angelegenheiten beschäftigen, die ausreichend und in aller Regel auch besser von den Mitgliedstaaten und ihren Regionen erledigt werden können. Zudem muß durch die Heranführung und Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten einschließlich der baltischen Staaten und Sloweniens aus der westeuropäischen eine gesamteuropäische Union geformt werden.
Für die Regierungskonferenz 1996 hat die Bayerische Staatsregierung daher erste wichtige Forderungen - wo nötig, mit kurzer Begründung - formuliert. Diese werden im Lichte der weiteren Entwicklung weiter konkretisiert und fortgeschrieben werden.
Bayern lehnt einen europäischen Staat auch in Form eines Bundesstaates ab, da dieser unnötigen
europäischen Zentralismus und Bürokratismus bedeuten und von der Mehrheit der Bürger
nicht akzeptiert würde.
2. Anstelle der undeutlichen Absicht, eine immer engere Union der Völker Europas zu verwirklichen,
muß sich der Staatenverbund Europäische Union begrenzte und im Rahmen klar formulierter
Kompetenzen erreichbare Ziele vorgeben.
Zur Überwindung der derzeitigen Vertrauenskrise der Europäischen Union ist klar zu sagen, wohin
sich die Europäische Union entwickeln soll. Eine "dynamische Entwicklung", die das Ziel nicht absteckt,
schürt Ängste und Mißtrauen.
Alle Aufgaben von europäischer Dimension sollten im gemeinsamen institutionellen Rahmen der
Europäischen Union wahrgenommen werden. Dies kann in unvermeidbaren Fällen auch mit
unterschiedlichen Geschwindigkeiten geschehen. Es würde den Erfolg der europäischen Integration
jedoch gefährden, würden sich für alle möglichen Aufgaben verschiedene Staaten in
verschiedenen institutionellen Konstruktionen zusammenfinden. Eine solche Zersplitterung - über die
ohnehin bestehende hinaus - stünde den Erfordernissen der Transparenz und Konzentration
europäischen Handelns entgegen. Europa drohte in diesem Fall erneut zum Spielball widerstrebender
Interessen und Allianzen zu werden.
4. Die von der Europäischen Union wahrzunehmenden Aufgaben sollten grundsätzlich von
allen Mitgliedstaaten gleichzeitig mitgetragen werden. Für eine von einzelnen Mitgliedstaaten
gewünschte engere Zusammenarbeit sollte der Vertrag über die Europäische Union in einer
Weiterentwicklungsklausel die Bereiche festlegen, innerhalb derer dies - im Rahmen der EU - möglich sein
soll. In Betracht kommen etwa Bereiche der inneren Sicherheit, der Flüchtlings- und Asylpolitik, der
Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik oder der Außen- und Sicherheitspolitik.
Die Mitgliedstaaten, die davon Gebrauch machen wollen, legen Einzelheiten - nach Anhörung von
Kommission, Rat und EP - in einem Vertrag fest, der der nationalen Ratifizierung bedarf.
Grundsatz soll die Beteiligung aller Mitgliedstaaten an allen gemeinschaftlichen Aufgaben der EU bleiben. Das
gilt vor allem für den gegenwärtigen Integrationsstand. Wünscht eine beschränkte
Anzahl von Mitgliedstaaten aber eine engere Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen, sollte ihnen das nicht
verwehrt werden. Sie soll sich aber im institutionellen Rahmen der EU vollziehen.
Dazu ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Im Vertrag selbst und damit unter Zustimmung aller
Mitgliedstaaten sollten die Bereiche festgelegt werden, die einer engeren Zusammenarbeit offenstehen. Im
wesentlichen handelt es sich um Bereiche, die bisher nicht vergemeinschaftet sind. Dies läßt die
weitergehende Forderung nach einer Vergemeinschaftung von Teilen der Innen- und Justiz- sowie Außen-
und Sicherheitspolitik unberührt (Ziffern 8, 9). Die WWU wird nicht erwähnt, weil hierfür
bereits spezielle Regeln im Vertrag vorgesehen sind. An der zweiten Stufe, nämlich bei der vertraglichen
Festlegung zu konkreten Bereichen der engeren Zusammenarbeit, sollen nur die Mitgliedstaaten mitwirken, die
sich daran beteiligen wollen. Diese Zweistufigkeit soll den (noch) nicht beteiligungswilligen Staaten das
Gefühl geben, nicht ausgegrenzt zu werden.
5. Der Vertrag sollte weiter vorsehen, daß beitrittswillige Staaten für bestimmte Bereiche
bereits vor dem vollen Beitritt eine Teilmitgliedschaft erhalten können.
Die gebräuchlichen Assoziationsabkommen, die es weiterhin geben soll, werden nicht immer voll den
Bedürfnissen der beitrittswilligen Staaten gerecht. Solche Staaten könnten jetzt bereits in
bestimmten Bereichen an der Politik der EU mitwirken. Konkrete Vereinbarungen sind formal wie
Beitrittsabkommen zu behandeln.
6. An der Ausarbeitung von Rechtsakten können in den Organen der EU nur die Mitgliedstaaten
mitwirken, die sich daran beteiligen. Die anderen Mitgliedstaaten haben aber jederzeit das Recht, an diesen
Politikbereichen nach Durchführung der notwendigen nationalen Ratifizierungsverfahren
teilzunehmen.
Die Entscheidungen in Bereichen einer engeren Zusammenarbeit sollen in den Organen der EU mit den dort
üblichen Instrumenten erfolgen. Es sollen aber nur die jeweils beteiligten Mitgliedstaaten mitwirken. Das
gilt umgekehrt auch in Fällen einer Teilmitgliedschaft, hier wirken die beitrittswilligen Staaten
zusätzlich mit.
Die derzeitige Vertrauenskrise der Europäischen Union kann nur überwunden werden, wenn die
Europäische Union endlich in die Lage versetzt wird, die eigentlichen europäischen
Herausforderungen erfolgreich anzugehen. Die Europäische Union muß aufhören, unter
Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip in die Bereiche der Bürger einzugreifen, die
ausreichend auf mitgliedstaatlicher und regionaler Ebene gelöst werden können.
8. Die Europäische Union muß verstärkte Befugnisse in der Außen- und
Sicherheitspolitik erhalten. Dies schließt eine gemeinsame Verteidigung ein. Das Einstimmigkeitsprinzip
ist auf besondere Ausnahmefälle zu begrenzen. Die Vorbereitung der gemeinsamen Politik ist der
Kommission, hilfsweise einem hochrangig besetzten gesonderten Sekretariat zu übertragen. Einzelne
Bereiche sind in den EG-Vertrag zu überführen und damit zu vergemeinschaften.
Eine erfolgreiche gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitikist eine Kernvoraussetzung für die
Schaffung einer Politischen Union. Sie ist unabdingbar für die Rückgewinnung von
Glaubwürdigkeit der EU und die Überwindung der derzeitigen Vertrauenskrise. Die eklatanten
Schwächen der zudem nur ansatzweise verwirklichten intergouvernementalen Zusammenarbeit in der sog.
2. Säule des Vertrages über die Europäische Union müssen beseitigt werden.
9. Wichtige Bereiche der Innen- und Rechtspolitik sind in die Gemeinschaftsverfahren zu
überführen. Das gilt für das materielle und formelle Asylrecht ebenso wie für eine
gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik sowie einen gemeinschaftlichen Fahndungs- und Datenverbund
im Bereich innere Sicherheit.
Diese Verfahren der intergouvernementalen Zusammenarbeit haben sich bisher als wenig effizient und
zeitraubend erwiesen. Die Schengen-Methode (Konventionen, die durch die nationalen Parlamente ratifiziert
werden müssen) ist nicht geeignet, die größer werdenden Herausforderungen der inneren
Sicherheit zu bewältigen. Aus Gründen der Effizienz ist es zudem notwendig, von dem
Einstimmigkeitsprinzip zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen.
10. Bestimmte Aufgaben der Europäischen Union wie beispielsweise Fremdenverkehr müssen
gemäß dem Subsidiaritätsprinzip auf die Mitgliedstaaten zurückverlagert werden.
Schon heute verfügt die Europäische Union nicht über Befugnisse im Bereich
Fremdenverkehr. Aber auch die bloße Aufgabenzuweisung in Art. 3 EGV ist aufzuheben.
11. Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigugng ist zu stärken. Die Befugnisnormen des
Vertrages müssen im Interesse der Rechtssicherheit und Transparenz nach dem Vorbild der Artikel 126 bis
129 EGV eindeutiger gefaßt werden. Notwendig ist eine exakte Unterscheidung zwischen zulässiger
Auslegung vorhandener Befugnisnormen und Vertragsänderungen.
Ziel ist es, Klarheit für die Bürger zu schaffen, inwieweit die Europäische Union rechtsetzend
tätig werden darf. Bayern wird hier zu Beginn der Arbeiten der Reflexionsgruppe konkrete
Vorschläge vorlegen. Es ist auch ein Gebot des Demokratieprinzips, daß die nationalen Gesetzgeber
jeder Ausweitung der im Vertrag nicht vorgesehenen Rechtsetzung durch die Europäische Union
zustimmen müssen.
12. Art. 3 EGV ist in einen nur beschreibenden Katalog vorhandener Aufgaben umzuwandeln, der auf die
maßgeblichen Befugnisnormen verweist. Konkret soll Art. 3 mit nachfolgendem Satz eingeleitet
werden:
"Die Gemeinschaft besitzt Aufgaben in den Schranken des Art. 3 b und nach Maßgabe der in diesem
Vertrag zugewiesenen Befugnisse in folgenden Bereichen:"
Der bisherige Zielkatalog des Art. 3 EGV ist problematisch, da er zu einer unzulässig weiten Auslegung
vorhandener Befugnisnormen und zu einer zu weit gehenden Anwendung von Generalklauseln geführt hat.
Dieser weitgefaßte Zielkatalog ist daher unter Verweis auf das Prinzip der begrenzten
Einzelermächtigung in einen rein deklaratorischen Aufgabenkatalog umzuwandeln. Ein erster Vorschlag
für einen solchen Aufgabenkatalog findet sich in der Anlage.
13. Die Generalklausel Art. 235 EGV ist zu streichen, Art. 100 a EGV ist entsprechend der Rechtsprechung
des EUGH einzuschränken.
Generalklauseln hatten in der Anfangsphase der Gemeinschaft als Vertragsabrundungskompetenzen einer auf
dynamische Entwicklung angelegten Gemeinschaft eine Berechtigung. Heute haben diese stark an praktischer
Bedeutung eingebüßt. Bei dem nach Abschluß der Regierungskonferenz 1996 erreichten Stand
der Integration kommt es nun darauf an, die Unterscheidung zwischen den begrenzt eingeräumten
Hoheitsbefugnissen und der Vertragsänderung konsequent zu beachten.
15. Der mißverständliche letzte Halbsatz des in Art. 3 b EGV verankerten
Subsidiaritätsprinzips ("und daher .... besser .... erreicht werden können.") muß gestrichen
werden.
16. Die systemfremde nur im Text des Subsidiaritätsprinzips vorgenommene Unterscheidung
zwischen ausschließlichen und nicht ausschließlichen Zuständigkeiten muß
entfallen.
17. Jedes Tätigwerden der Europäischen Union ist zu begründen und unterliegt der
Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof.
18. Demnach hätte das in Art. 3 b verankerte Subsidiaritätsprinzip künftig folgenden
Wortlaut:
"Die Gemeinschaft wird nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in
Betracht gezogenen Maßnahmen auf den Ebenen der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden
können. Bei der Ausübung einer Gesetzgebungsbefugnis müssen die Voraussetzungen dieses
Satzes von dem Organ der Gemeinschaft, das die Initiative ergriffen hat, nachvollziehbar dargelegt werden. Ihr
Vorliegen unterliegt der gerichtlichen Überprüfung durch den Gerichtshof."
Die Kommission wendet im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips die Besserklausel an und ignoriert damit
die wesentliche Festlegung des Art. 3 b EGV, daß die EU nur dann tätig werden kann, wenn Ziele
auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können. Zudem versucht die Kommission
den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips durch eine viel zu weitgehende Definition der
ausschließlichen Zuständigkeiten einzuschränken (z.B. Binnenmarktbereich).
Demgegenüber sollte die umfassende Geltung des Subsidiaritätsprinzips und die vereinzelt
bestrittene gerichtliche Überprüfbarkeit dieses Prinzips festgeschrieben werden. Durch den im Plural
verwendeten Begriff "Ebenen der Mitgliedstaaten" wird klargestellt, daß auch Regionen und Kommunen
umfaßt sind.
Nur so werden die Aufgaben und politischen Verantwortlichkeiten der einzelnen Organe klar getrennt und damit
transparent. Die Wahrung des Gewaltenteilungssatzes ist nicht nur in einem Staat, sondern auch in einem
Staatenverbund erforderlich, der wichtige Bereiche staatlicher Souveränität zur selbständigen
Ausführung übertragen erhalten hat. Je mehr Aufgaben einem solchem Staatenverbund
übertragen werden, desto eher muß er sich an den allgemein gültigen demokratischen und
verfassungsrechtlichen Grundprinzipien messen lassen.
20. Die politische Verantwortung der Europäischen Kommission für eine
Zusammenführung der verschiedenen nationalen Interessen zu einem Gemeinschaftsinteresse muß
gerade in der größer werdenden Europäischen Union gestärkt werden.
Diese Forderung dient einer transparenteren und rechtstaatlichen Grundsätzen genügenden
Organstruktur der EU. Sie ist zudem eine Voraussetzung dafür, die Handlungsfähigkeit der
Europäischen Union zu sichern. Die Vergrößerung der EU führt zwangsläufig
auch zur Zunahme unterschiedlicher nationaler Interessen. Es bedarf daher eines Gemeinschaftsorgans, das unter
Beachtung der Kompetenzabgrenzung dem Gemeinschaftsinteresse verpflichtet und andererseits dem Rat und
dem Europäischen Parlament politisch verantwortlich ist.
Der derzeitige Zustand bewirkt ein weitgehendes Fehlen politischer Führung innerhalb der
Europäischen Union:
21. Die Anzahl der Mitglieder der Kommission sollte begrenzt werden. Sie sollte 20 nicht
überschreiten. Die genaue Anzahl der Kommissare wird vom Rat in Zusammensetzung der Staats- und
Regierungschefs einvernehmlich mit dem benannten Präsidenten der Kommission während des
Besetzungsverfahrens festgelegt.
Die Zahl der Mitglieder der Europäischen Kommission muß angesichts der bevorstehenden weiteren
Erweiterung der EU im Interesse der Arbeitsfähigkeit begrenzt werden. Die Folge wäre, daß
über kurz oder lang die größeren Mitgliedstaaten nicht mehr zwei Kommissare bzw. nicht
mehr alle (kleinen) Mitgliedstaaten einen Kommissar stellen können. Die Auswahl der Kommissare
muß daher künftig insbesondere nach geographischen und politischen Gesichtspunkten erfolgen.
22. Der Präsident der Kommission wird durch den Rat in Zusammensetzung der Staats- und
Regierungschefs benannt und durch das Europäische Parlament bestätigt. Er wählt gemeinsam
mit dem Rat in Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs die übrigen Kommissare aus. Die
Kommission stellt sich insgesamt einem Zustimmungsvotum des EuropäischenParlaments. Abstimmungen
im Rat sollten in diesem Zusammenhang mit doppelter, qualifizierter Mehrheit erfolgen (siehe Ziffer 29).
Der Kommissionspräsident soll ein Mitentscheidungsrecht bei der Zusammensetzung der Kommission
erhalten, für deren Entscheidungen er politische Verantwortung zu übernehmen hat.
23. Das Europäische Parlament und der Rat bilden gemeinsam die Legislative der
Europäischen Union. Hierbei ist das Europäische Palament Vertretungsorgan der Bürger in
der Europäischen Union, der Rat Vertretungsorgan der Mitgliedstaaten der Europäischen
Union.
24. Dem Europäischen Parlament soll eine grundsätzlich gleichberechtigte Stellung neben dem
Rat durch Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens eingeräumt werden. Das Europäische
Parlament erhält ein Initiativrecht. Voraussetzungen dafür ist aber, daß das Prinzip der
Gleichheit der Wahl bei Zusammensetzung des Europäischen Parlaments mit Ausnahmen für die
kleinsten Mitgliedstaaten erfüllt ist.
Die Stärkung des Europäischen Parlaments setzt unter anderem eine Stärkung der
demokratischen Prinzipien im Parlament selbst voraus. Wesentliches Manko ist derzeit, daß das Parlament
nicht nach dem Prinzip der Gleichheit der Wahl zusammengesetzt ist. Da das Parlament Vertretungsorgan der
Bürger, nicht in erster Linie der Mitgliedstaaten - diese Rolle übernimmt der Rat als zweite Kammer
der Legislative - sein soll, verstößt eine Umsetzung des Prinzips der Gleichheit der Wahl bei der
Zusammensetzung des Europäischen Parlaments nicht gegen den Charakter der Europäischen Union
als Staatenverbund. Dennoch sollte den kleinsten Mitgliedstaaten eine gewisse Mindestrepräsentanz im
Europäischen Parlament gesichert werden.
25. Ein einheitliches europäisches Wahlverfahren mit regionalem Bezug der Abgeordneten sollte bei
der Europawahl 1999 Anwendung finden.
26. Voraussetzung für die Übertragung stärkerer politischer Verantwortung auf die
Europäische Kommission und für die gleichberechtigte Stellung des Europäischen Parlaments
als Legislativorgan neben dem Rat ist eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen Europäischer Union und
Mitgliedstaaten.
Europäische Kommission und Europäisches Parlament als strukturbedingt eher zentralistisch
ausgerichtete Organe können nur gestärkt werden, wenn Eingriffe in die Kompetenzen der
Mitgliedstaaten und Regionen durch eine verbesserte Kompetenzabgrenzung, wie sie oben gefordert wird,
weitgehend ausgeschlossen werden.
27. Der Rat sollte sich künftig auf seine Rolle als Legislativorgan beschränken. Wegen des
Charakters der Europäischen Union als Staatenverbund muß er eine gleichberechtigte Rolle, wie sie
das derzeitige, aber zu vereinfachende Mitentscheidungsverfahren sichert, behalten. Neben dem
Europäischen Parlament erhält auch der Rat ein Initiativrecht.
28. Zur Verbesserung der Kontinuität der Arbeit des Rats wird der Vorsitz durch ein aus drei
Mitgliedstaaten gebildetes Präsidium wahrgenommen. Dieses Präsidium wird gebildet aus dem
turnusmäßigen Vorsitzenden sowie den beiden Mitgliedstaaten, die den Vorsitz in der Periode
vorher und nachher innegehabt haben bzw. inne haben werden. Im Präsidium werden alle Entscheidungen
einvernehmlich getroffen.
29. Bei Abstimmungen im Rat wird die bisherige qualifizierte Mehrheit durch eine doppelte Mehrheit
ersetzt. Beschlüsse kommen demnach zustande, wenn eine Mehrheit von Staaten zugestimmt hat und diese
Mehrheit eine Mehrheit der von diesen Staaten repräsentierten Bevölkerung der Europäischen
Union ausmacht. Im Regelfall sollte es sich bei den Mehrheiten um einfache handeln (einfache doppelte
Mehrheit), bei besonders bedeutsamen Beschlüssen muß jeweils eine 2/3 Mehrheit erreicht werden
(qualifizierte doppelte Mehrheit).
30. Europäisches Parlament und Rat wirken anhand weniger Verfahren zusammen. In der Regel
findet ein vereinfachtes Mitentscheidungsverfahren Anwendung.
31. Beim Europäischen Gerichtshof wird eine gesonderte Kammer gebildet, die für
Kompetenzstreitigkeiten einschließlich Rechtsstreitigkeiten über die Wirkung des
Subsidiaritätsprinzips als Kompetenzausübungssperre zuständig ist. Diese Kammer setzt sich
aus den Richtern des Europäischen Gerichtshofs sowie je einem Vertreter der obersten Gerichte der
Mitgliedstaaten zusammen. Die gesonderte Kammer tagt in paritätisch besetzten Senaten von 8
Richtern.
Der Europäische Gerichtshof als Organ der Europäischen Union ist angesichts des Charakters der
EU als Staatenverbund in seiner derzeitigen Zusammensetzung nicht geeignet, Kompetenzstreitigkeiten zwischen
der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten und Regionen zu schlichten. Durch eine
paritätisch aus Richtern der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten besetzte Kammer lassen
sich drohende Konflikte zwischen dem EUGH und den obersten Gerichten der Mitgliedstaaten leichter
vermeiden.
32. Die Mitglieder des Europäischen Rechnungshofs sollen wie die Richter des Europäischen
Gerichtshofes einvernehmlich von den Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt werden.
Die Mitglieder von Europäischem Gerichtshof und Rechnungshof üben Kontrollfunktionen
gegenüber der Europäischen Union aus. Es entspricht daher ihrer Bedeutung, wenn die Mitglieder
dieser beiden Organe nicht durch ein anderes Organ der Europäischen Union, sondern durch die
Regierungen der Mitgliedstaaten ernannt werden.
Die Regionen müssen ein eigenes Organ innerhalb der Europäischen Union
erhalten. Nur so kann ihre Rolle ihrer Bedeutung entsprechend gestärkt werden. Nur so kann zudem die
Legitimität des Ausschusses der Regionen als Organ der dritten Ebene gestärkt und damit die
Durchsetzbarkeit von regionalen und von den Regionen mitvertretenen kommunalen Interessen verbessert
werden. Eine möglichst hochrangige politische Vertretung der Regionen ist hierfür
unerläßlich. Dies bedeutet aber nicht, daß nicht zur Gewährleistung einer sachgerechten
und umfassenden Vorbereitung der Plenarsitzungen auf den Ebenen unterhalb der Plenarsitzungen eine
Vertretung der Mitglieder des Ausschusses der Regionen durch bevollmächtigte Beamte möglich
sein sollte.
Für die Kommunen ist ein Beirat der kommunalen Gebietskörperschaften bei der Kommission
einzurichten.
34. Der Regionalausschuß muß ein Mitentscheidungsrecht erhalten, sobald er zu einem reinen
Vertretungsorgan der Regionen als dritter Ebene der Europäischen Union fortentwickelt ist.
Ein Ausschuß der Regionen, in dem wie derzeit lediglich Repräsentanten aus den verschiedenen
nachmitgliedstaatlichen Ebenen vertreten sind, bleibt mangels nachvollziehbarer Auswahl und Legitimation
zwangsläufig auf eine beratende Funktion beschränkt.
35. Dem Regionalausschuß sind zusätzliche obligatorische Anhörungsrechte in den
Bereichen Umwelt, Verwirklichung der Informationsgesellschaft und berufliche Bildung einzuräumen. Er
muß zudem ein Klagerecht erhalten, daß sich auch auf die Durchsetzung des
Subsidiaritätsprinzips erstreckt. Seine Stellungnahmen sind auch dem Europäischen Parlament
zuzuleiten. Für Bereiche, in denen der Ausschuß der Regionen obligatorisch zu hören ist,
erhält er ein Initiativrecht.
36. Der Regionalausschuß sollte einen eigenen organisatorischen Unterbau erhalten.
38. Das kommunale Selbstverwaltungsrecht ist in den Verträgen zu verankern. Hierzu ist Art. F Abs.
1 EUV um folgenden Satz zu ergänzen:
"Die Europäische Union achtet insbesondere den Staatsaufbau der Mitgliedstaaten und das kommunale
Selbstverwaltungsrecht."
Eine Beeinträchtigung der kommunalen Selbstverwaltung, die ein innerhalb der EU anerkanntes Prinzip
ist, durch Maßnahmen der EU muß ausgeschlossen werden.
Dies bedeutet, daß - wie schon bei den Verhandlungen zum Vertrag von Maastricht gefordert - auf der
Regierungskonferenz 1996 die institutionellen und kompetenzmäßigen Voraussetzungen für
eine erfolgreiche Politik der Europäischen Union vor allem in den Bereichen der Außen- und
Sicherheitspolitik sowie der Innen- und Rechtspolitik geschaffen werden müssen. Ohne eine
gleichgewichtige Politische Union ist eine Wirtschafts- und Währungsunion nach allen Erfahrungen nicht
lebensfähig.
40. Die im Vertrag vorgesehenen Möglichkeiten für eine Koordinierung der
Wirtschaftspolitiken müssen voll ausgeschöpft, die im Vertrag niedergelegten Konvergenzkriterien
strikt eingehalten werden. Im Vertrag oder in sonstiger Form muß klargestellt werden, daß die
Konvergenzkriterien strikt nach der jeweils aktuellen Datenlage angewendet werden müssen und die
Mitgliedstaaten nicht nur zu einem Stichtag die Kriterien voll erfüllen müssen, sondern auch in der
Lage sein müssen, dies weiterhin zu tun.
Die Erfahrungen beim Ratsbeschluß vom 19.09.1994 zur Überwachung der Haushaltslage in den
Mitgliedstaaten machen eine nachdrückliche Einforderung einer strikten Anwendung der
Konvergenzkriterien erforderlich. Obwohl ein Mitgliedstaat damals hinsichtlich seines Schuldenstandes den
Referenzwert von 60 % um gut die Hälfte überstiegen hat, wurde ihm kein
übermäßiges Haushaltsdefizit attestiert. Es ist daher notwendig, solche
Mißinterpretationen der ohnehin nicht übermäßig ambitiösen Konvergenzkriterien
durch eine Klarstellung im Vertrag oder in sonst verbindlicher Form künftig auszuschließen.
42. Wesentliche Bestandteile der Finanzreform für das Jahr 1999 müssen sein
Eine Finanzreform der EU verbunden mit einer ausgewogenen Lastenverteilung auf die Mitgliedstaaten wird
erhebliche Auswirkungen auf die agrarpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinschaft nach sich
ziehen. Dies gilt insbesondere für den Europäischen Ausgleichs- und Garantiefonds für die
Landwirtschaft.
Zusätzlicher Druck, die Agrarpolitik neu zu ordnen, wird mittelfristig durch den Beitritt der mittel- und
osteuropäischen Staaten entstehen.
44. Wesentliche Bestandteile einer Neuordnung der gemeinsamen Agrarpolitik sollten sein:
I. Staatenverbund Europäische Union beibehalten
1. Die Europäische Union muß auch künftig ein Staatenverbund bleiben. Die
Kompetenz-Kompetenz ist bei den Mitgliedstaaten zu belassen.
II. Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten
3. Alle nur gemeinsam lösbaren Aufgaben in Europa müssen im Rahmen der
Europäischen Union wahrgenommen werden. Sonderformen der europäischen Zusammenarbeit
außerhalb der Europäischen Union sollten soweit als irgend möglich vermieden werden.
III. Verteilung und Abgrenzung der Kompetenzen
7. Die Aufgaben und Befugnisse der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten sind unter strikter
Anwendung des Subsidiaritätsprinzips klar abzugrenzen. Die Europäische Union muß sich auf
die nur gemeinschaftlich lösbaren Aufgaben konzentrieren und die hierfür notwendigen
Kompetenzen erhalten. Demgegenüber sind Belange, die ausreichend auf der Ebene der Mitgliedstaaten
und Regionen lösbar sind, diesen zu überlassen.IV. Subsidiaritätsprinzip
14. Das im Vertrag verankerte Subsidiaritätsprinzip muß konsequent angewandt werden.
Mißinterpretationen muß durch Klarstellungen im Text des Art. 3 b EGV der Boden entzogen
werden.
V. Institutionelle Reformen
19. Den Organen der Europäischen Union muß im Sinne des Grundsatzes der Gewaltenteilung
eine klare und eindeutige Funktion entweder als Exekutive, Legislative oder Judikative (sowie
Rechnungsprüfung) zugewiesen werden. Die Zusammensetzung der Organe, muß auf deren jeweilige
Funktion hin ausgerichtet sein.
Die von manchen Mitgliedstaaten geforderte Schwächung der Kommission zugunsten des Rats hätte
eine Renationalisierung und damit eine Schwächung der EU insgesamt zur Folge. Die ungefilterte
Einspeisung nationaler Gegensätze in den Rat könnte seine Einigungsfähigkeit
überfordern und damit auch das bisher Erreichte wie den Binnenmarkt gefährden. VI. Ausschuß der Regionen
33. Der Ausschuß der Regionen ist zu einem reinen Organ der dritten Ebene, also der Regionen,
fortzuentwickeln. Im Ausschuß der Regionen sollten alle Regionen vertreten sein. Die Vertreter
müssen demokratisch legitimiert sein und für ihre Region sprechen können. Soweit eine
Vertretung aller Regionen im Ausschuß der Regionen wegen der begrenzten Zahl der zur Verfügung
stehenden Sitze pro Mitgliedstaat nicht möglich ist, müssen sich diese Regionen auf gemeinsame
Vertreter einigen.
VII. Klagerecht für Regionen, kommunales Selbstverwaltungsrecht
37. Alle Regionen, die durch Maßnahmen der Europäischen Union in eigenen
Gesetzgebungskompetenzen betroffen sind, erhalten ein Klagerecht.
VIII. Politische Union als Voraussetzung der Wirtschafts- und Währungsunion
39. Bayern betont seit Beginn der Verhandlungen zur Wirtschafts- und Währungsunion, daß
ohne eine gleichgewichtige Politische Union (in Form eines Staatenverbundes) ein Eintritt in die dritte Stufe der
Wirtschafts- und Währungsunion nicht in Betracht kommt. Nur innerhalb der notwendigen Klammer einer
Politischen Union kann eine Wirtschafts- und Währungsunion mit ihren auch divergierenden Kräften
erfolgreich durchgeführt werden.
IX. Vorbereitung der Finanzreform 1999
41. Die Regierungskonferenz 1996 muß genutzt werden, um den Eigenmittelbeschluß 1999
vorzubereiten. Notwendig ist vor allem eine gerechtere Verteilung der Nettolasten, die sich nach dem
wirtschaftlichen Wohlstand bemessen müssen. Die derzeit mit der wirtschaftlichen Leistungskraft nicht in
Einklang stehende hohe Nettobelastung der Bundesrepublik Deutschland von 22 Milliarden DM mit steigender
Tendenz muß erheblich reduziert werden.
X. Vorbereitung der Anpassung der Agrarpolitik an die Vollendung des Binnenmarktes und an die
Auswirkungen der Finanzreform
43. In der gemeinsamen Agrarpolitik ist eine Entflechtung der Zuständigkeiten und eine teilweise
Rückverlagerung auf die Mitgliedstaaten zwingend erforderlich.
Diese absehbaren Beschränkungen der finanziellen Möglichkeiten des Europäischen
Ausgleichs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft, verbunden mit einer überzogenen
Komplexität der Rechtssetzung in diesem Bereich, die erhebliche negative Wirkungen auf die Akzeptanz
der Politik hervorruft, machen eine Entflechtung der Zuständigkeiten für die gemeinsame
Agrarpolitik zwingend erforderlich. Nur so kann auch dem Subsidiaritätsprinzip zum Durchbruch
verholfen werden.
Anlage: Befugnisse der Europäischen Union
Vorbemerkung: Im folgenden werden die bestehenden Aufgaben der EG/EU in Art einer "Inhaltsangabe"
zusammengefaßt. Die Inhaltsangabe ist unterteilt in Buchstaben A. bis D., wobei unter A. die
ausschließlichen, unter B. die nicht-ausschließlichen, unter C. die ergänzenden
Zuständigkeiten und unter D. die noch zu vergemeinschaftenden Bereiche eingeordnet sind.
Eingerückt finden sich Hinweise auf einschlägige Fundstellen in den geltenden Verträgen.