Die Analyse der DFG zur Situation im Bibliothekswesen und künftigen Anforderungen an die Bibliothekssysteme


Jürgen Bunzel

Deutsche Forschungsgemeinschaft, Bonn-Bad Godesberg

DMV-Workshop, Osnabrück 20. Juni 1995


Einleitung

Ich danke für die Gelegenheit, in diesem Kreis die Sicht der DFG zur darstellen zu können.

Ich werde zunächst

  • den heutigen Stand der Bibliothekssysteme beschreiben, dann
  • die Auswirkungen der grundlegenden Veränderungen im Informations- und Publikationswesen auf die Bibliotheken charakterisieren, und schließlich aufzeigen,
  • was im Bibliotheksbereich bereits getan wird und zukünftig aus Sicht der DFG noch getan werden muß, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.

    DFG-Förderung der Bibliotheksdatenverarbeitung

    Zunächst eine kurze Vorbemerkung über die Rolle der Deutschen Forschungsgemeinschaft bei der Entwicklung des wissenschaftlichen Bibliothekswesens.

    Die Förderung von wissenschaftlichen Bibliotheken gehört seit ihrer Gründung mit zu den Aufgaben der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

    Die meisten von Ihnen werden das Sondersammelgebietssystem der DFG kennen.

    Auch die Zentralen Fachbibliotheken, z.B. die Technische Informationsbibliothek in Hannover, sind durch die DFG initiiert und in ihrer Aufbauphase durch die DFG mitfinanziert worden.

    Zuständig für diese Aufgaben ist unser Bibliotheksausschuß.

    Für Fragen der Bibliotheksdatenverarbeitung hat der Bibliotheksausschuß einen eigenen Unterausschuß eingesetzt.

    Dieser Unterausschuß für Datenverarbeitung und Kommunikationstechniken kann die Entwicklung der Bibliothekssysteme im wesentlichen durch 3 Instrumente mit gestalten :

    1. Durch das DFG-Förderungsprogramm "Modernisierung und Rationalisierung in wissenschaftlichen Bibliotheken", in dem innovative Modell- und Pilotvorhaben zur Bibliotheksdatenverarbeitung gefördert werden können.
    2. Durch Empfehlungen, die der Ausschuß in unregelmäßigen Abständen zur Entwicklung der Bibliotheksdatenverarbeitung abgibt, und
    3. als vielleicht wirksamstes Element, durch die Zuständigkeit, die der Unterausschuß im Rahmen des HBFG-Verfahrens bei der Begutachtung von Großgeräteanträgen von Bibliotheken zusammen mit der DFG-Kommission für Rechenanlagen wahrnimmt.
    Jedes Bibliothekssystem über 150.000 DM, das in Deutschland mit Bundesmitteln über das HBFG-Verfahren beschafft werden soll, muß vom Unterausschuß zuvor positiv begutachtet worden sein.

    Grundkonzepte

    Beim Aufbau der Datenverarbeitung in den deutschen Bibliotheken waren 2 Grundprinzipien leitend:
    1. Arbeitsteilung und Kooperation,
    2. die Rationalisierung interner Verwaltungsabläufe.
    An erster Stelle stand und steht auch heute noch die Idee der Arbeitsteilung zwischen Bibliotheken und der gemeinsamen Nutzung von Personalressourcen und Beständen.

    Als zentrale und auch personalintensivste Aufgabe der Bibliotheken gilt dabei die Katalogisierung der Bücher und Zeitschriften.

    Datenverarbeitung wurde daher in erster Linie zum kooperativen Aufbau gemeinsamer Katalogdatenbanken genutzt. Ziel war es, jedes beschaffte Buch möglichst nur einmal zu katalogisieren.

    Aufgrund der Länderstruktur wurde dieses Prinzip auf regionaler Ebene umgesetzt, was zum Aufbau von 7 regionalen Bibliotheksverbundzentren geführt hat.

    Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die getrennte Entwicklung von Bibliotheken und Fachinformationssystemen in Deutschland. Für den Benutzer bedeutet das, daß eine bibliographische Recherche, die sowohl Fachaufsätze in Zeitschriften als auch selbständige Publikation umfassen soll, grundsätzlich in zwei ganz unterschiedlich strukturierten Systemtypen erfolgen muß.


    Situation Ende der 80iger Jahre

    Die Situation nach Abschluß der Aufbauphase der deutschen Bibliothekssysteme, also etwa Ende der 80iger Jahre, läßt sich folgendermaßen charakterisieren: Die grundlegenden Veränderungen der EDV in den 80iger Jahren durch das Aufkommmen von PC's und Workstations hatten in die Bibliotheken noch so gut wie keinen Eingang gefunden.

    Offensichtlich mußte daher eine System-Modernisierung stattfinden.

    Der DFG-Unterausschuß für Bibliotheksdatenverarbeitung veröffentlichte 1991 Empfehlungen, in denen Ansatzpunkte für eine solche Modernisierungspolitik vorgeschlagen wurden.

    Die Umsetzung dieser Empfehlungen hat nach entsprechenden Abstimmungen in der Fachgemeinschaft einen breiten Konsens gefunden.


    Verbesserung der Dienstleistungen

    Ein wesentlicher Gesichtspunkt dieser Empfehlungen war es, die Verbesserung der Bibliotheksdienstleistungen in den Mittelpunkt der weiteren Entwicklung zu stellen.

    Hierzu wurde gefordert:

    Diese fachlichen Ziele sollten durch entsprechende Anforderungen bei der Begutachtung im HBFG-Verfahren umgesetzt werden.

    Offene Systemarchitekturen

    In technischer Hinsicht wurden folgende Anforderungen gestellt:
    1. Einsatz von PC's und Workstations anstelle,,dummer'' Terminals;
    2. Redesign der Verbundsysteme und lokalen Systeme im Sinne einer Client-Server-Architektur;
    3. die Integration von Bibliothekssystemen in die Netzumgebungen der Hochschulen;
    4. keine weiteren Beschaffungen von proprietären Systemen; und
    5. die Migration zu offenen Betriebssystemen, insbesondere zu UNIX. Dies war nicht allein wegen der funktionalen Vorteile, sondern auch aus Kostengesichtspunkten eine zentrale Forderung.
    Weitere wichtige Themen waren: Als wichtigste Standards für Bibliotheken gelten dabei ISO SR (Search & Retrieve)/ Z39.50 und ISO ILL (Interlibrary Loan).

    Insbesondere SR / Z39.50 haben wir im deutschen Bibliotheksbereich von Beginn an stark unterstützt, und liegen dadurch heute auch im internationalen Vergleich durchaus gut.

    Dies geschah unter der Überschrift OSI, die auch heute noch - etwa im Projekt DBV/OSI gilt. Auf der Implementierungsebene hat man sich aber nie einseitig auf OSI-Protokolle eingeengt. Die TCP/IP-Standards wurden sehr frühzeitig als gleichwertige Losungen mit berücksichtigt.


    Lokale Bibliothekssysteme

    Die System-Modernisierungspolitik hat auf die Beschaffungsentscheidungen der letzten Jahre einen wesentlichen Einfluß genommen.

    Dies gilt insbesondere für die lokalen Systeme.

    Die meisten Hochschulbibliotheken installieren gegenwärtig Systeme der 2. Generation. Zumindest gibt es definierte, begutachtete und finanzierte HBFG-Beschaffungsprogramme für diese Systeme in allen westlichen und den meisten östlichen Bundesländem.

    Systeme der 2. Generation meint hier lokale Bibliothekssysteme, die die wesentlichen im Rahmen der System-Modernisierungspolitik geforderten Funktions-Module enthalten, also:

    De facto sind Ausleihe und On-Line Publikumskatalog die grundlegenden Funktionalitäten, die nahezu bei allen Installationen an erster Stelle stehen.

    CD-ROM Netze, die vor allem den Zugriff auf Fachinformations-Datenbanken in die Bibliothekssysteme integrieren sind in einer Reihe von Bundesländem flächendeckend eingeführt worden. Zum Teil wird von diesen Netzen auch der direkte Zugang zum INTERNET für Bibliotheksbenutzer eröffnet.

    Erwerbung wird von den meisten Bibliotheken gewünscht, ist aber ähnlich wie Management & Verwaltung bislang erst selten implementiert.

    Insgesamt muß man darauf hinweisen, daß die einzelnen Module zumeist in mehrjährigen Ausstattungsprogrammen zeitlich gestaffelt eingeführt werden. Und man muß betonen: es handelt sich hier um noch laufende Maßnahmen. Es gibt also derzeit immer noch eine Reihe deutscher Hochschulbibliotheken, in denen gegenwartig OPACs und vereinzelt sogar Ausleihverbuchungssysteme noch nicht eingeführt sind.

    Systeme mit den beschriebenen Eigenschaften werden jedoch in naher Zukunft an den meisten Hochschulstandorten im Einsatz sein.


    Regionale Bibliotheksverbundsysteme

    Insgesamt geht die technische Modernisierung, also z.B. der Umstieg auf UNIX, schneller von statten als die Verbesserung der Dienstleistungen. Die Umstellung der lokalen Systeme ist leichter als die der regionalen Verbundsysteme. Es handelt sich sich hier allerdings auch um große und komplexe Produktionssysteme, von denen eine hohe Stabiltät im Alltagsbetrieb gefordert wird und die daher nicht von heute auf morgen umgestellt werden können.

    Dennoch sind auch bei den Verbundsystemen wesentliche Fortschritte festzustellen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Reduktion der bisherigen Systemvielfalt und der Verbesserung der überregionalen Kompatibilität:

    1. wurden im Zuge der Vereinigung keine neuen regionalen Zentren in den östlichen Ländern aufgebaut. Die östlichen Länder erklärten sich bereit, ihre Bibliotheken an regional benachbarte westliche Verbünde anzuschließen.
    2. wird das DBV/OSI-Projekt ab 1996 die Vernetzung von Bibliotheksverbünden untereinander sowie mit 2 wichtigen Fachinformationssystemen - STN und DIMDI - auf der Basis von SR/Z 39.50 bringen.
    3. ist aus Sicht der DFG die Einführung des PICA-Systems in Deutschland ein wesentlicher Schritt. PICA wird bis heute in 3 regionalen Verbünden und bei Der Deutschen Bibliothek eingesetzt.
    Die PICA-Lösung erfüllt aus Sicht der DFG wesentliche Anforderungen der System-Modernisierungspolitik, sowohl im technischen als auch im Dienstleistungsbereich.

    Von den 16 Bundesländem nutzt heute die Hälfte PICA-Systeme für Verbundanwendungen. Die andere Hälfte wird von 4 Verbundsystemen mit 3 verschiedenen Systemvarianten bedient.

    Es ist unbestritten, daß diese 3 Systemtypen alle in den nächsten Jahren abgelöst werden müssen. Es besteht also die große Chance, jetzt einen weiteren wegweisenden Schritt zur Verbesserung der Bibliothekssysteme in Deutschland zu tun.


    Neue Informations-Infrastrukturen

    Dabei müssen vor allem die fundamentalen Veränderungen der Informationslandschaft berücksichtigt werden, die wir heute beobachten und die unter Begriffen wie "Informationsgesellschaft" und "Neue Informations-Infrastrukturen" subsumiert werden.

    Der Anteil wissenschaftlicher Informationen, der vom Endnutzer heute direkt über das INTERNET bescham werden kann, ist in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Ebenso das Angebot der Verlage an elektronischen Publikationen.

    Diese Entwicklungen müssen gravierende Auswirkungen auf die wissenschaftlichen Bibliotheken als traditionelle Informationszentralen der Hochschulen haben.

    Der Bibliotheksausschuß der Deutschen Forschungsgemeinschaff hat sich hierzu jüngst in zwei Memoranden geäußert:

    1. den Empfehlungen "Elektronische Publikationen im Literatur- und Informationsangebot wissenschaftlicher Bibliotheken" (Bonn, Juni 1995), die demnächst publiziert werden;
    2. Empfehlungen zur "Migration der deutschen Bibliotheksverbünde", die Anfang dieses Jahres publiziert wurden (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, 1995 (42) 2, S. 106-136), und insbesondere auf die zukünftigen Anforderungen an Verbundsoftwaresysteme eingehen.
    Die neuen Anforderungen an die Bibliothekssysteme ergeben sich m.E. aus den 4 wesentlichen technischen Entwicklungen, die die Grundlage der Neuen Informations-Infrastruktur bilden:

    Digitalisierung und Massenspeicher

    Wenn Information in erheblichem Umfang digital vorliegt, können Bibliotheken ihre Datenverarbeitungssysteme nicht mehr als bloße Organisationsmittel zur Rationalisierung von Betriebsabläufen ansehen. Bibliotheksdatenverarbeitung wird vielmehr zum zentralen Träger der bibliothekarischen Dienstleistungsaufgabe.

    Das bedeutet vor allem, daß alle Bibliotheksdienstleistungen zukünftig im wesentlichen über Datenkommunikationsnetze vom Arbeitsplatz des Benutzers oder auch von zu Hause aus zugänglich sein müssen.

    Der Benutzer-PC wird zum wesentlichen Zugangs- und Service-Punkt für Bibliotheksdienste. Und zwar betrifft dies sowohl

    Diese Anforderung an zukünftige Bibliothekssysteme ist unter Bibliothekaren heute weitgehend unumstritten.

    Durch die Ausrichtung auf Client-Server Architekturen sind die Bibliothekssysteme hierfür auch grundsätzlich gut vorbereitet.

    Der Fernzugriff auf viele Bibliothekskataloge ist heute bereits vielfach über TELNET-Verbindungen oder experimentelle WorldWideWeb-Server möglich. Bisher haben diese Angebote jedoch eher experimentellen Charakter. Erforderlich sind

    Anstelle bloßer technischer Zugriffsmöglickeiten auf 1OOte individueller Bibliothekskataloge und Web-Server mit jeweils unterschiedlichen und zumeist undefinierten Dienstleistungskonditionen müssen klar strukturierte Konzepte für Dienstleistungsverbünde aufgebaut werden. Nur auf diese Weise wird der Fernzugriff für breite Nutzerkreise attraktiv. Dabei sind primär organisatorische Fragen wie Kundenverwaltung, Lieferkonditionen, Gebührenverrechnung usw. zu lösen.

    Ein zweites wesentliches Thema ist die Digitalisierung der Bibliotheksbestände selbst.

    Bisher bieten Bibliotheken im wesentlichen ihre Kataloge elektronisch an. Die heute verfügbaren Speicherka pazitäten machen es aber möglich

    Die DFG-Empfehlungen zur Migration der Verbundsysteme fordern daher, daß zukünftige Verbundsysteme auf solche Diensterweiterungen ausgerichtet sind und vor allem Möglichkeiten des direkten Zugriffs auf elektronisch gespeicherte Texte und Literatur vorsehen.

    Bibliotheken, vor allem in den USA und Frankreich, haben bereits intensiv damit begonnen ihre Bestände auf digitale Träger zu reformatieren.

    Die digitale Speicherung einer Bibliothek von 1 Mio. Bänden erfordert bei Image-Scanning und angenommenen 200 Seiten pro Band einen Speicherbedarf von ca. 20 TeraByte, d.h. etwa 10.000 Digital Audiotypes. Die Kosten des Speichermediums liegen bei rd. 200 TDM, der Platzbedarf bei ca. 20 qm.

    Die Digitalisierung der historischen Bibliotheksbestände ist auch deswegen erforderlich, weil viele Bücher vor allem ab 1830 durch säurehaltige Papiere stark vom Zerfall bedroht sind und ohnehin auf neue Träger überführt werden müssen um in der Zukunft nutzbar zu bleiben.


    Elektronische Publikation und Multimedia

    Die Digitalisierung betrifft, über die historischen und im wesentlichen urheberrechtsfreien Bibliotheksbestände hinaus, vor allem natürlich auch die aktuelle Verlagsproduktion.

    Elektronische Publikationen und Multimedia verändern die traditionellen Formen der Zusammenarbeit zwischen Bibliotheken, Verlagen und Buchhandel.

    Zwei Bereiche sind zu unterscheiden:

    CD-Rom basierte Publikationen werden über die weit verbreiteten CD-ROM Netze in den heutigen Bibliothekssystemen bereitgestellt.

    Probleme liegen

    Die DFG regt Kooperationsprojekte zwischen Verlagen und Bibliotheken an, um Problemlösungen zu schaffen.

    Grundsätzlich bieten die elektronischen Publikationen für Verlage ganz neue Möglichkeiten der Konfektionierung und des Vertriebes.

    In den USA laufen bereits mehrere Pilotprojekte zur elektronischen Dokumentlieferung durch Verlage (CARL, UNCOVER). Die Bibliotheken übemehmen hierbei die Rolle eines Vertriebskanals für Verlagsprodukte.

    Von großem Interesse ist auch das kürzlich bekanntgegebene neue Publikationskonzept der Association of Computing Machinery (ACM).

    Solche neuen Vertriebsformen können erhebliche Auswirkungen auf die finanzielle Organisation des Bibliothekswesens haben, z.B. durch nutzungsbezogene Entgelte.

    Die DFG votiert in ihren Empfehlungen zu elektronischen Publikationen dafür, auch zukünftig eine über Bibliotheksetats finanzierte, also für den Endnutzer gebührenfreie Grundversorgung mit elektronischen Publikationen sicherzustellen.


    Wissenschaftsnetze als Publikationsmedien

    Ein wesentliches Kennzeichen der heutigen Wissenschaftsnetze ist der fließende Übergang zwischen wissenschaftlicher Kommunikation und wissenschaftlicher Publikation. Formen des Nachrichtenaustauschs, die für die Kommunikation zwischen Individuen und kleinen Forschergruppen geeignet sind, können umstandslos zur allgemeinen Veröffentlichung von Informationen für einen potentiell unbegrenzten Leserkreis genutzt werden.

    Die hiermit verbundenen Vorteile hinsichtlich

    muß sich der Wissenschaftssektor zu nutze zu machen und dies geschieht ja bereits durch den Aufbau von Dokumentservern und elektronischen Fachinformationssystemen.

    Solche Systeme werden heute weitgehend unabhängig voneinander von den verschiedenen Fach-Communities, aber auch institutionell von Hochschulen, Bibliotheken und Rechenzentren aufgebaut.

    Wichtig ist es hier, Experimente - auch unterschiedliche Experimente für die verschiedenen Fachgebiete - gezielt zu fördern.

    Zugleich sollte aber auch ein Erfahrungsaustausch und die Kooperation zwischen den Expenmenten der verschiedenen Institutionen angeregt werden. Gemeinsame Rahmenbedingungen sind notwendig, damit eine wirkliche neue Struktur der wissenschaftlichen Informationsversorgung entsteht.

    Die Vereinigten Staaten fördern dies derzeit gezielt mit einem großangelegten, von NSF, NASA und ARPA gemeinsam finanzierten Digital Libraries Programm.

    Auch die Probleme, die mit der Nutzung dieser "Grauen" Literatur in elektronischer Form verbunden sind, können letztlich nur kooperativ und arbeitsteilig gelöst werden.

    Da ist zunächst die Menge von Publikationen und Publikations-Urhebern, die bewältigt werden muß.

    In den DFG-Ausschüssen ist wiederholt die Dringlichkeit eines Projektes zur kooperativen Erschließung der INTERNET-Dokumente angesprochen worden. Derzeit arbeiten hier Rechenzentren, Bibliotheken, Fachbereiche unkoordieniert und mit unterschiedlichen Konzepten. Zur Selektion, Klassifikation und Indexierung sind sicherlich fachbezogene Konzepte unerläßlich. Ebenso unverzichtbar sind aber auch gemeinsame Rahmenstandards und eine überregionale Arbeitsteilung. Aus Sicht der DFG müßte hier umgehend ein kooperatives Projekt initiiert werden, um diese Probleme gemeinsam durch Fachbereiche, Fachreferenten der Bibliotheken und Rechenzentren anzugehen.

    Ganz neuartige Probleme entstehen durch die Ablösung der elektronischen Dokumente von ihrem stabilen Papier-Träger und durch die verteilte Speicherung im Netz. Zu nennen sind hier:

    Auch hierfür müssen Betreiber- von Dokumentservern und Bibliotheken gemeinsam Lösungsstrategien entwickeln.

    Der Nachweis von INTERNET-Ressourcen in den Bibliothekssystemen wird zukünftig ebenso zu den unverzichtbaren Aufgaben der Bibiotheken gehören wie der direkte Zugriff von der Katalogdatenbank auf INTERNET-Dokumente selbst.

    Es bietet sich an, hierfür neue technische Lösungskonzepte durch die Kopplung von Bibliothekssystemen, Dokumentservern und Internet-Werkzeugen zu erproben. Denkbar wäre z.B. die automatische Einspeisung von INTERNET-Locators in Bibliotheksdatenbanken durch Indexierungssysteme, wie z.B. HARVEST.

    Aus Nutzersicht wären auch direkte Zugangsschnittstellen zwischen Bibliothekssystemen und Dokumentservern sinnvoll.


    Neue Datenbanksysteme und IR-Techniken

    Die heutigen Systeme sind noch wenig geeignet, um in sehr großen Dokumentmengen gezielt und vollständig relevante Informationen und Dokumente aufzufinden.

    Für den Einsatz der neuen Informationstechniken mit großen Dokumentkollektionen müssen daher in größerem Umfang Instrumente erst geschaffen werden, um eine Informationsüberflutung zu vermeiden.

    Es gibt bereits vielfältige Ansätze für Suchmaschinen, Information-Alert-Systeme usw. im INTERNET. Sie tragen jedoch noch stark experimentellen Charakter. Es ist sicherlich lohnend, solche Ansätze durch gezielte Weiterentwicklungen für die Produktionssysteme der Bibliotheken nutzbar zu machen.

    Sicherlich werden sich in den nächsten Jahren auch neue Datenbanktechnologien durchsetzen, wie etwa objekt-orientierte Datenbanken, die für den Multimedia-Bereich besonders geeignet sind.

    Eine verstärkte Objektorientierung wird sich m.E. auch allgemein durch die Übertragung von Konzepten aus der Softwareentwicklung in Informationssysteme ergeben. Dokumente werden aus einzelnen Informationsobjekten zusammengesetzt werden, die individuell ansprechbar sind, und über spezielle softwaretechnisch abgebildete Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen. Der Zugriff wird dann nicht mehr nur auf Dokumente sondern auch auf die in Dokumenten enthaltenen Informationsobjekte gehen.

    Diese und andere Bereiche waren Aufgaben für eine anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung.


    Ansatzpunkte für Zukunftsstrategien

    Ansatzpunkte dafür, die genannten Anforderungen an Bibliothekssysteme und Dienstleistungen zu verwirklichen, sieht die DFG in mehreren bereits laufenden - z.Teil auf ihre Anregung zurückgehenden Initiativen:

    Zunächst sind hier die Anstrengungen zur Beschleunigung der Fernleihe und der bibliothekarischen Dokumentlieferung zu nennen.

    In einzelnen Bundesländem wurden in jüngster Zeit regionale Dokumentliefersysteme eingeführt, z.B. JASON in Nordrhein-Westfalen oder RAPDOC in Niedersachsen.

    Die DFG selbst erprobt für ihre Sondersammelgebiete zur Zeit Schnellbestellsysteme unter dem Namen SSG/S (vgl. Dokumentlieferung für Wissenschaft und Forschung : Perspektiven der weiteren Entwicklung / Deutsche Forschungsgemeinschaft, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, 41 (1994) 4, S. 375-392).

    Einen gemeinsamen Rahmen für diese Einzelaktivitäten könnte die Bund-Länder Initiative SUBITO bieten.

    Bei der Dokumentlieferung müssen sicherlich 3 Ansätze parallel verfolgt werden:

    1. die pragmatische Verbesserung des vorhandenen Fernleihsystems mit neuen technischen und organisatorischen Verfahren;
    2. Elektronische Dokumentbestell- und Lieferungssysteme zunächst für Zeitschriften und dann für Monographien; und schließlich
    3. der direkte Zugriff auf elektronische Dokumentserver (Instant Document Access).
    Eine zweite wesentliche Initiative ist der Aufbau des Deutschen Bibliotheks- und Fachinformationsverbunds im Rahmen des Projekts DBV/OSI.

    Das DBV/OSI Projekt, das der BMBF und die DFG gemeinsam fördern, wird aus unserer Sicht ein wesentlicher Meilenstein bei der flächendeckenden Veretzung der Verbundsysteme und insbesondere der Vernetzung von Bibliotheks- mit Fachinformationssystemen sein.

    Der Verbund wird Anfang 1996 in den Probebetrieb gehen.

    Hervorzuheben sind aus meiner Sicht zwei Gesichtspunkte:

    1. Die strategische Orientierung an SR / Z39.50 als der Client-Server-Schnittstelle für verteilte elektronische Informationssysteme.
    2. Das hier verfolgte Dienstleistungskonzept eines integrierten und universellen Informations-Warenhauses von Bibliotheken und Fachinformation.
    Der dritte wesentliche Aktionsbereich ist schließlich die anstehende Migration der Bibliotheksverbundsysteme.

    Die 4 Nicht-PICA Verbünde streben die gemeinsame Entwicklung eines neuen zukunftsweisenden Verbundsystems an. Die DFG hat sie darin mit ihren neuen Empfehlungen zur "Migration der Verbundsysteme" nachdrücklich unterstützt.

    Die DFG hat aber auch darauf hingewiesen, daß ein solches Projekt einerseits nur Sinn machen würde, wenn es gezielt auf die genannten neuartigen Anforderungen an Bibliothekssysteme ausgerichtet ist.

    Andererseits ist ein solches Projekt anspruchsvoll und steht unter Erfolgszwang. Um es erfolgreich umzusetzen, sind aus unserer Sicht weitgehende organisatorische Neubestimmungen in den Verbundzentralen vor allem in Hinblick auf das Projekt-Management und eine funktionierende länderübergreifende Kooperation erforderlich.

    Falls dies nicht umsetzbar oder finanzierbar sein sollte, sieht die DFG auch in der einheitlichen Einführung des PICA-Systems in Deutschland eine zukunftsträchtige Alternative.

    Die Fähigkeit des PICA-Systems, sich schrittweise an neue Anforderungen anzupassen werden günstig eingeschätzt. Eine einseitige Abhängigkeit der deutschen Verbünde von PICA kann durch entsprechende vertragliche Kooperationsvereinbarungen vermieden werden.

    Grundsätzlich hat sich die DFG dafür ausgesprochen, zukünftig maximal 2 Verbundsoftware-Lösungen in der Bundesrepublik parallel einzusetzen. An diese Verbünde sollten über offene, standardisierte Client-Server-Schnittstellen jedoch durchaus unterschiedliche lokale Systemtypen angekoppelt werden können.


    Bibliotheken als wesentlicher Bestandteil neuer Informations-Infrastrukturen

    Die DFG sieht die Bibliotheken als einen wesentlichen Partner beim Aufbau neuer Informations-Infrastrukturen in den Hochschulen. Die vorhandenen Leistungskapazitäten in den Hochschulbibliotheken müssen hierfür gefordert und genutzt werden.

    Bibliotheken können als Informationszentralen der Hochschulen in einzigartiger Weise die neuen elektronischen Medien mit den traditionellen papiergestützten Literaturformen, die ja in absehbarer Zeit nicht aussterben werden, zusammenführen.

    Sie können weiterhin ihr fachliches Know-How und ihre technischen Systeme bei der Katalogisierung, der Erschließung und dem Zugriff auf elektronische Dokumente einbringen.

    Sie haben geborene Aufgaben bei der Langzeitsicherung und Archivierung der elektronischen Medien und gewinnen möglicherweise neuartige Funktionen bei der Qualitätssicherung, der Selektion und Authentifizierung von elektronisch verteilten Informationen hinzu.

    Die Probleme der Neuen Informations-Infrastrukturen betreffen jedoch die wissenschaftlichen Bibliotheken nicht alleine.

    Produktion und Rezeption von Publikationen und Informationen stehen im Zentrum von Forschung und Lehre. Die Informations-Infrastruktur ist insofern ein strategischer Bereich der Hochschule insgesamt. Die Herausforderungen der neuen Techniken können nur durch neue Formen der Zusammenarbeit von Fachbereichen und Infrastruktureinrichtungen wie Rechenzentren und Bibliotheken gelöst werden.

    Diese zu initiieren und zu organisieren, ist vor Ort Aufgabe eines modernen Hochschulmanagements, überregional eine Aufgabe der Wissenschafts- und Forschungspolitik. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, muß eine gezielte Weiterentwicklung der Informationssysteme für Wissenschaft und Forschung gefördert werden. Die DFG bereitet derzeit ein Positionspapier zu diesen Fragen vor, das eine gemeinsame strategische Konzeption der Kommission für Rechenanlagen, des Bibliotheksausschusses und des Verlagsausschusses vorstellen wird.


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