Beschlossen vom Programm-Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 20. Dezember 1989 in Berlin
Wir wollen Frieden.
Wir arbeiten für eine Welt,
in der eine Politik der Partnerschaft und eine Kultur des Streits den Konflikt zwischen 0st und West überwinden,
in der alle Völker Europas zusammenarbeiten in einer demokratischen und sozialen Ordnung des Friedens, von der Hoffnung und Frieden für die Völker des Südens ausgeht,
in der die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas durch eine gerechte Welt wirtschaftsordnung faire Chancen zu eigenständiger Entwicklung haben.
Wir wollen die gesellschaftliche Gleichheit von Frau und Mann, eine Gesellschaft ohne Klassen, Privilegien, Diskriminierungen und Ausgrenzungen.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der alle Frauen und Männer das Recht auf humane Erwerbsarbeit haben und alle Formen der Arbeit als gleichwertig behandelt werden.
Wir wollen durch solidarische Anstrengung Wohlstand für alle erreichen und gerecht verteilen.
Wir wollen, daß Kultur in ihren vielfältigen Erscheinungsformen das Leben aller Menschen bereichert.
Wir wollen Demokratie in der ganzen Gesellschaft, auch in der Wirtschaft, im Betrieb und am Arbeitsplatz verwirklichen wirtschaftliche Macht begrenzen und demokratisch kontrollieren.
Wir wollen, daß wirtschaftliche Grundentscheidungen, vor allem darüber, was wachsen und was schrumpfen soll, demokratisch getroffen werden.
Wir wollen, daß die Bürger über die Gestaltung der Technik mitbestimmen, damit die Qualität von Arbeit und Leben verbessert wird und die Risiken der Technik gemindert werden.
Wir wollen einen modernen demokratischen Staat, getragen vom politischen Engagement der Bürgerinnen und Bürger, der zur Durchsetzung gesellschaftlicher Ziele fähig ist und sich ständig an neuen Aufgaben wandelt und bewährt.
Bloßes Fortschreiben bisheriger Entwicklungen ergibt keine Zukunft mehr.
Wir wollen Fortschritt, der nicht auf Quantität, sondern auf Qualität, auf eine höhere Qualität menschlichen Lebens zielt. Er verlangt Umdenken, Umsteuern Auswählen und Gestalten, vor allem in Technik und Wirtschaft. Je gefährdeter die Welt, desto nötiger der Fortschritt. Wer Bewahrenswertes erhalten will, muß verändern: Wir brauchen einen Fortschritt, der den Frieden nach innen und außen sichert, das Leben von Mensch und Natur bewahrt, Angst überwindet und Hoffnung weckt. Wir brauchen einen Fortschritt, der unsere Gesellschaft freier, gerechter und solidarischer macht. Ohne diesen Fortschritt hätte der Rückschritt freie Bahn. Darum wollen wir Sozialdemokraten gemeinsam mit den demokratischen Sozialisten aller Länder für ihn arbeiten.
Die bürgerlichen Revolutionen der Neuzeit haben Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mehr beschworen als verwirklicht.
Deshalb hat die Arbeiterbewegung die Ideale dieser Revolutionen eingeklagt: Eine solidarische Gesellschaft mit gleicher Freiheit für alle Menschen. Es ist ihre historische Grunderfahrung, daß Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig.
Die Sozialdemokratie führt die Tradition der demokratischen Volksbewegungen des neunzehnten Jahrhunderts fort und will daher beides: Demokratie und Sozialismus, Selbstbestimmung der Menschen in Politik und Arbeitswelt.
Dennoch ist ihre Geschichte nicht frei von Fehlern und Irrtümern: Im Ersten Weltkrieg enttäuschte die sozialdemokratische Arbeiterbewegung Europas viele in der Hoffnung, sie könne den Frieden erzwingen. Sie entzweite sich über das Verhältnis von nationalen zu internationalen Aufgaben der Arbeiterklasse.
Später trennten sich die Kommunisten, die vorgeblich im Namen der Arbeiterklasse die Diktatur ihrer Partei errichteten, von den demokratischen Sozialisten, die durch Reformen in parlamentarischen Demokratien eine bessere Ordnung der Gesellschaft anstrebten. Die Ordnungen, die als angeblich sozialistische Alternative zum Kapitalismus entstanden, haben die von ihnen geweckte Hoffnung bitter enttäuscht. Anstelle einer Gesellschaft brüderlich und schwesterlich zusammenlebender Menschen haben sie die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie errichtet die weder politische Freiheit noch kulturelle Entfaltung zu sichern vermochte.
Die Sozialdemokratische Partei übernahm am Ende des Ersten Weltkrieges erstmals nationale Regierungsverantwortung. Sie erwies sich als zuverlässigste Stütze der ersten deutschen Demokratie und begann mit dem Aufbau des demokratischen Sozialstaats. Die Sozialdemokratie trat der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entgegen, vermochte sie aber nicht zu verhindern. Ihr opferreicher Widerstand im Dritten Reich legitimierte den besonderen Anspruch der Sozialdemokraten, beim Aufbau der zweiten deutschen Demokratie prägend mitzuwirken. Die Erfahrungen mit Diktatur und Terror lassen uns besonders wachsam sein gegenüber der Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen und einem Wiederaufleben faschistischer Ideologie. Der Widerstand vertiefe die Erfahrung, daß auch Menschen unterschiedlicher Glaubenshaltungen und politischer Grundüberzeugungen gemeinsam für gleiche politische Ziele arbeiten können.
Die politischen Machtverhältnisse, die unterschätzte Dynamik des Kapitalismus, aber auch die mangelnde Fähigkeit der Sozialdemokraten, Mehrheiten zu mobilisieren, verhinderten, daß sozialdemokratische Reformpolitik undemokratische Grundstrukturen des überkommenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems tiefgreifend verändern konnte. Die Macht der Großwirtschaft, das Übergewicht der Kapitaleigner und Unternehmensmanager konnten eingeschränkt, aber nicht überwunden werden. Die Einkommens- und Vermögensverteilung blieb ungerecht.
Das Godesberger Programm zog aus den geschichtlichen Erfahrungen neue Konsequenzen. Es verstand Demokratischen Sozialismus als Aufgabe, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität durch Demokratisierung der Gesellschaft, durch soziale und wirtschaftliche Reform zu verwirklichen.
Die Sozialdemokratische Partei stellte sich in Godesberg als das dar, was sie seit langem war: die linke Volkspartei. Sie wird es bleiben.
Als Regierungspartei konnte die Sozialdemokratie beachtliche Erfolge erringen: Rechte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Betrieb und die Beteiligungsrechte der Bürger und Bürgerinnen erweitern, den Sozialstaat ausbauen und rechtliche Benachteiligung ganzer Bevölkerungsgruppen beseitigen. Aber auch in dieser Zeit unterlagen Sozialdemokraten Fehleinschätzungen oder trafen falsche Entscheidungen: Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen hatte noch nicht den notwendigen Stellenwert, der Extremistenbeschluß hat Gegnerinnen und Gegner unserer Demokratie eher geschaffen als bekämpft. Die herausragende Leistung dieser Zeit bleibt die Aussöhnung mit den Staaten Osteuropas und die Sicherung des Friedens.
Wir sind stolz darauf, in der Tradition einer Bewegung zu stehen, die niemals Krieg, Unterdrückung oder Gewaltherrschaft über unser Volk gebracht, sondern aus dem rechtlosen Proletariat selbstbewußte Staatsbürgerinnen und Staats bürger gemacht hat.
Die Sozialdemokratische Partei steht, seit es sie gibt, für Frieden und internationale Zusammenarbeit. Inzwischen ist der Internationalismus der sozial demokratischen Tradition zur einzig verantwortbaren Realpolitik geworden.
In unserer Geschichte wurzeln die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus. Sie bilden auch künftig das Fundament unserer Reformpolitik.
In der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands arbeiten Menschen verschiedener Grundüberzeugungen und Glaubenshaltungen zusammen. Ihre Übereinstimmung beruht auf gemeinsamen Grundwerten und gleichen politischen Zielen. Der Demokratische Sozialismus in Europa hat seine geistigen Wurzeln im Christentum und in der humanistischen Philosophie, in der Aufklärung, in Marxscher Geschichts- und Gesellschaftslehre und in den Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Die Ideen der Frauenbefreiung sind bereits im 19. Jahrhundert von der Arbeiterbewegung aufgenommen und weiterentwickelt worden. Wir haben mehr als 100 Jahre gebraucht, diese Ideen wirksam werden zu lassen. Wir begrüßen und achten persönliche Grundüberzeugungen und Glaubenshaltungen. Sie können niemals Parteibeschlüssen unterworfen sein.
Wie auch immer wir die Würde des Menschen begründen, sie ist Ausgangs- und Zielpunkt unseres Handelns. Für uns alle gilt der Satz, mit dem die Vereinten Nationen ihre Erklärung der Menschenrechte einleiten: "Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen."
Gemeinsam verstehen wir den Menschen als Vernunft- und Naturwesen, als Individual- und Gesellschaftswesen. Als Teil der Natur kann er nur in und mit der Natur leben. Seine Individualität entfaltet er nur in Gemeinschaft mit seinen Mitmenschen.
Der Mensch, weder zum Guten noch zum Bösen festgelegt, ist lernfähig und vernunftfähig. Daher ist Demokratie möglich. Er ist fehlbar, kann irren und in Unmenschlichkeit zurückfallen. Darum ist Demokratie nötig. Weil der Mensch offen ist und verschiedene Möglichkeiten in sich trägt, kommt es darauf an, in welchen Verhältnissen er lebt. Eine neue und bessere Ordnung, der Würde des Menschen verpflichtet, ist daher möglich und nötig zugleich.
Die Würde des Menschen verlangt, daß er sein Leben in Gemeinschaft mit anderen selbst bestimmen kann. Frauen und Männer sollen gleichberechtigt und solidarisch zusammenwirken. Alle sind für menschenwürdige Lebensbedingungen verantwortlich. Die Würde des Menschen ist unabhängig von seiner Leistung und Nützlichkeit.
Wir sind den Menschenrechten verpflichtet. Staat und Wirtschaft sind für die Menschen und ihre Rechte da, nicht umgekehrt.
Volle Geltung der Menschenrechte verlangt gleichrangige Sicherung der Freiheitsrechte, der politischen Teilhaberechte und der sozialen Grundrechte. Sie können einander nicht ersetzen und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Auch kollektive Rechte dienen der Entfaltung des Individuums.
Nur wo Freiheitsrechte garantiert sind und genutzt werden, können Menschen als Freie und Gleiche leben und Demokratie praktizieren. Nur wo soziale Grundrechte verwirklicht sind, können Freiheitsrechte und politische Teilhaberechte von allen wahrgenommen werden. Nur wo die Respektierung von Freiheitsrechten und politischen Teilhaberechten freien Meinungsstreit und politisches Engagement erlaubt, können Menschen ihr Recht auf ausreichende Ernährung, Wohnung, Arbeit und Bildung geltend machen. Nur zusammen ermöglichen diese Menschenrechte menschenwürdiges Leben.
Alle Menschen haben ein Recht auf ihre Heimat, ihr Volkstum, ihre Sprache und Kultur. Ein Volksgruppenrecht, das im Einklang mit den Menschenrechten der Vereinten Nationen steht, ist unentbehrlich.
Politik ist eine notwendige Dimension menschlichen Zusammenlebens. Sie beschränkt sich nicht auf Institutionen des Staates. Wo immer Information verbreitet oder vorenthalten, Bewußtsein oder Lebensverhältnisse verändert, Meinung gebildet, Wille geäußert, Macht ausgeübt oder Interessen vertreten werden, vollzieht sich Politik.
Politischem Handeln sind Grenzen gezogen. Sie lassen sich nicht ohne Schaden für den einzelnen und die Gesellschaft überschreiten. Irrtum und Schuld, Krankheit und Unglück, Schmerz und Verzweiflung, Versagen und Scheitern gehören auch in einer Gesellschaft der Freien und Gleichen zum Leben des Menschen.
Politik kann nur Bedingungen für ein sinnerfülltes Leben schaffen. Wenn sie selbst Glück und Erfüllung bewirken will, läuft sie Gefahr, in totalitäre Reglementierung abzugleiten.
Politik muß jedoch mehr und anderes sein als das Verwalten des unvermeidlich Gewordenen; um glaubwürdig sein und bleiben zu können, muß sie sich Handlungsspielräume sichern und neuen Aufgaben stellen. Überläßt sie die Weichenstellungen für Technik und Wachstum wirtschaftlichen Interessen, so handelt sie sich Sachzwänge ein, die sie nur noch vollziehen kann.
Der demokratische Staat bezieht seine Inhalte von den gesellschaftlichen Kräften. Er ist nicht Selbstzweck, sondern Instrument zur Gestaltung von Gesellschaft. Politische Parteien sind Anreger und Mittler zugleich. Sie vermitteln zwischen Gesellschaft und Staat, indem sie gesellschaftliche Impulse und Erfordernisse aufgreifen und in Gesetzgebung und Regierungshandeln umsetzen. Sie müssen selbst Denkanstöße geben und Entscheidungsvorschläge zur Diskussion stellen.
Politik, die mehr sein will als der Vollzug wirklicher oder angeblicher Sachzwänge, muß getragen und durchgesetzt werden vom Bewußtsein und Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Sie wird möglich als Resultat eines freien, im Ergebnis offenen Bürgerdialogs, der die Kräfte der Gesellschaft fordert und einbezieht, Information vermittelt, Problembewußtsein schafft, Urteilsfähigkeit fördert und schließlich zu Konsens oder klaren Mehrheiten führt.
Der Bürgerdialog ist Ausdruck demokratischer Kultur. Er rückt ins Zentrum der Politik, wo -wie bei der Gestaltung der Technik -Entscheidungen zu treffen sind, die alle angehen und später nur schwer zu verändern sind.
Für den Bürgerdialog sind Meinungs- und Medienfreiheit unerläßlich. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen das Recht und die Möglichkeit haben, zu Themen, die ihre oder ihrer Nachkommen Lebenschancen berühren, ihre Meinung zu erarbeiten und zu verbreiten. Staat, Wissenschaft und Medien müssen die Voraussetzungen zu einer fundierten Meinungsbildung und damit zu einer demokratischen Streitkultur schaffen.
Bürgerdialog bedeutet mehr Demokratie, nicht mehr Staat.
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die Grundwerte des Demokratischen Sozialismus. Sie sind unser Kriterium für die Beurteilung der politischen Wirklichkeit, Maßstab für eine neue und bessere Ordnung der Gesellschaft und zugleich Orientierung für das Handeln der einzelnen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.
Die Sozialdemokratie erstrebt eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben mitwirken kann.
Der Mensch ist als Einzelwesen zur Freiheit berufen und befähigt. Die Chance zur Entfaltung seiner Freiheit ist aber stets eine Leistung der Gesellschaft. Freiheit ist für uns die Freiheit eines jeden, auch und gerade des Andersdenkenden. Freiheit für wenige wäre Privileg.
Die Freiheit des anderen ist Grenze und Bedingung der Freiheit des einzelnen. Freiheit verlangt Freisein von entwürdigenden Abhängigkeiten, von Not und Furcht, aber auch die Chance, individuelle Fähigkeiten zu entfalten und in Gesellschaft und Politik verantwortlich mitzuwirken.
Nur wer sich sozial ausreichend gesichert weiß, kann seine Chance zur Freiheit nutzen. Auch um der Freiheit willen wollen wir gleiche Lebenschancen und umfassende soziale Sicherung.
Gerechtigkeit gründet in der gleichen Würde aller Menschen. Sie verlangt gleiche Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Chancen der politischen und sozialen Teilhabe und der sozialen Sicherung. Sie verlangt die gesellschaftliche Gleichheit von Mann und Frau.
Gerechtigkeit erfordert mehr Gleichheit in der Verteilung von Einkommen, Eigentum und Macht, aber auch im Zugang zu Bildung, Ausbildung und Kultur.
Gleiche Lebenschancen bedeuten nicht Gleichförmigkeit, sondern Entfaltungsraum für individuelle Neigungen und Fähigkeiten aller.
Gerechtigkeit, das Recht auf gleiche Lebenschancen, muß mit den Mitteln staatlicher Macht angestrebt werden.
Solidarität als die Bereitschaft, über Rechtsverpflichtungen hinaus füreinander einzustehen, läßt sich nicht erzwingen. Solidarität hat die Arbeiterbewegung im Kampf für Freiheit und Gleichheit geprägt und ermutigt. Ohne Solidarität gibt es keine menschliche Gesellschaft.
Solidarität ist zugleich Waffe der Schwachen im Kampf um ihr Recht und Konsequenz aus der Einsicht, daß der Mensch der Mitmenschen bedarf. Wir können als Freie und Gleiche nur dann menschlich miteinander leben, wenn wir füreinander einstehen und die Freiheit des anderen wollen. Wer in Not gerät, muß sich auf die Solidarität der Gesellschaft verlassen können.
Solidarität gebietet auch, daß die Menschen in der Dritten Welt die Chance für ein menschenwürdiges Leben erhalten. Kommende Generationen, über deren Lebens chancen wir heute entscheiden, haben Anspruch auf unsere Solidarität.
Solidarität ist auch nötig, um individuelle Entfaltungschancen zu erweitern. Nur gemeinsames Handeln, nicht egoistischer Individualismus schafft und sichert die Voraussetzungen individueller Selbstbestimmung.
Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität bedingen einander und stützen sich gegenseitig. Gleich im Rang, einander erläuternd, ergänzend und begrenzend erfüllen sie ihren Sinn.
Diese Grundwerte zu verwirklichen und die Demokratie zu vollenden, ist die dauernde Aufgabe des Demokratischen Sozialismus.
Industrielle Revolution und moderne Technik haben in Teilen der Welt einen geschichtlich beispiellosen Wohlstand geschaffen, der durch den Ausbau des Sozialstaats und die Politik der Gewerkschaften allen zugute gekommen ist.
Die Überwindung des Mangels bei uns wurde weltweit mit neuen Gefährdungen für Mensch und Natur bezahlt. Die Dynamik der industriellen Zivilisation läßt alte Ungerechtigkeiten bestehen und schafft darüber hinaus neue Bedrohungen für Freiheit und Gerechtigkeit, Gesundheit und Leben.
Nie zuvor verfügten Menschen über so gewaltige Macht. Mit der Gentechnik können sie die Evolution in die eigene Hand nehmen. Die Entfesselung des Atoms kann zur Ausrottung der menschlichen Gattung führen. Aber das Bewußtsein erhöhter Verantwortung wächst.
Die Gefahr, daß die Menschheit sich durch atomare, chemische oder biologische Massenvernichtungsmittel auslöscht, ist nicht gebannt. Aber der Widerstand gegen den Rüstungswahn wird stärker. Abrüstung ist in greifbare Nähe gerückt. Das Freund-Feind-Denken schwindet.
Durch Vergiftung von Boden, Wasser und Luft sterben Wälder und Meere, Pflanzen und Tiere. Wir entziehen uns selbst die Lebensgrundlagen . Aber ökologisches Denken gewinnt an Kraft. Neue, aber auch voreilig für veraltet erklärte Techniken und Verfahren machen naturgerechtes Wirtschaften möglich.
Kein Land ist für sich allein lebensfähig. Klimaveränderungen oder der Abbau der schützenden Ozonschicht kümmern sich nicht um nationale Grenzen. Kriege treffen auch unbeteiligte Völker. Wirtschaftliche Krisen oder Erfolge in einem Teil der Erde wirken sich auf alle anderen aus. Die Weltgesellschaft ist Wirklichkeit, eine gerechte Friedensordnung ist jedoch noch in weiter Ferne. Aber die Einsicht wächst, daß sie notwendig ist. Gemeinsame Aufgaben zwingen zu Frieden und internationaler Zusammenarbeit.
Die Konzentration wirtschaftlicher Macht in immer weniger Händen scheint unaufhaltsam, der weltweite Wettlauf um Märkte und knappe Hilfsquellen unvermeidlich zu sein. In immer kürzerer Zeit bewegen sich Kapitalströme um den Erdball. Gigantische multinationale Konzerne planen ihre Gewinnstrategien weltweit, unterlaufen demokratische Kontrollen und erzwingen politische Entscheidungen. Expansionsmacht und Gewinnstreben schaffen gewaltigen Reichtum, erniedrigen aber gleichzeitig unzählige Menschen und ganze Nationen. Sie begrenzen unseren nationalen Handlungsspielraum. Globale Konjunktur- und Strukturkrisen lassen Wirtschaftsregionen zusammenbrechen . Aber Gegenmacht entsteht, wo sich Staaten erfolgreich zu regionalen Gemeinschaften zusammenschließen und Gewerkschaften nationale Grenzen überwinden.
Abhängig von Banken, Rohstoffbörsen Konzernen und Staaten des Nordens durch den Protektionismus der Industriestaaten in ihrer eigenständigen Entwicklung behindert, zum Manövrierfeld des Ost-West-Konflikts erniedrigt, oh von korrupten Eliten ausgebeutet, ringt der Süden um seine Zukunftschance. Je be drückender das Elend, desto stürmischer das Bevölkerungswachstum, desto rascher die Zerstörung der Natur, desto geringer die Chance eigenständiger Ernährung, desto demütigender die Abhängigkeit von Entscheidungen im Norden. Aber die Armen wehren sich gegen Bevormundung und Ausbeutung. Sie schließen sich zusammen und suchen nach eigenen Wegen. Und auch der Norden beginnt zu erkennen, welche Gefahr die Verelendung des Südens für alle Menschen birgt. Das Bewußtsein gemeinsamer Verantwortung wächst in 0st und West.
Neue Technologien, insbesondere der Information und Kommunikation prägen Arbeitswelt, Öffentlichkeit und zunehmend private Beziehungen. Sie bedrohen die Qualität der Arbeit, die Arbeitsplätze und die demokratische Willens bildung; wo immer ihr Einsatz einseitig an Gewinn oder Machtinteressen ausgerichtet ist, verstärken sie Tendenzen der Manipulation und Überwachung. Andererseits eröffnen sie neue Chancen für humanere Arbeitsorganisation, mehr Transparenz, bessere Information und Teilhabe.
Der Staat wird zum überforderten Reparaturbetrieb. Er soll durch soziale Nachsorge oder nachhinkenden Umweltschutz reparieren, was durch ökologisch und sozial unverantwortliches Wirtschaften zerstört wurde. Aber immer mehr Menschen begreifen, daß Vorsorge und Gestaltung unabweisbar sind.
Das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ändert sich. Der einzelne, ohne feste Einbindung und ohne die Erfahrung von Gemeinschaft, sieht sich oh allein einer fremden und anonymen Gesellschaft gegenüber, die ihn durch immer neue Wahlmöglichkeiten zugleich fasziniert und überfordert. Aber die Möglichkeit, frei zu wählen, wird nur dann zu mehr Freiheit und individueller Entfaltung führen, wenn sie in einen persönlichen Lebensentwurf eingeordnet und in Solidarität mit anderen wahrgenommen wird.
Noch immer leben wir in einer männlich bestimmten Gesellschaft. Die Organisation der Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens benachteiligt die Frauen. Aber die Frauen erkämpfen sich zunehmend ihre Rechte.
Viele Menschen leiden unter der Kluft zwischen dem, was politisch zu tun wäre und dem, was geschieht. Sie erwarten nichts mehr von Politik, ziehen sich ins Private und in kleine Gemeinschaften zurück oder fliehen vor der Wirklichkeit in neue Abhängigkeiten.
Wir Sozialdemokraten wollen beweisen daß Politik der Mühe aller wert ist. Wir stellen uns den Gefährdungen unserer Zeit. Ohne uns von mächtigen Interessengruppen einschüchtern zu lassen, suchen wir den Dialog mit den Menschen, die sich mit uns an das Umsteuern, Planen und Gestalten heranwagen.
Die Menschheit kann nur noch gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen. Diese historisch beispiellosen Alternativen verlangen ein neues Herangehen an die internationalen Angelegenheiten, besonders an die Sicherung des Friedens. Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein; dies gilt erst recht im Zeitalter atomarer, chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen. Frieden bedeutet nicht nur das Schweigen der Waffen, Frieden bedeutet auch das Zusammenleben der Völker ohne Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung. Friedenspolitik umfaßt auch Zusammenarbeit der Völker in Fragen der Ökonomie, Ökologie, Kultur und Menschenrechte. Eine Welt in Frieden erfordert das Selbstbestimmungsrecht für alle Nationen.
Friedenspolitik muß Machtkonflikte entschärfen, Interessenausgleich suchen, gemeinsame Interessen aufgreifen, dem Vormachtstreben der Weltmächte durch regionale Zusammenschlüsse entgegenwirken und Gegensätze zwischen Systemen, Ideologien und Religionen im friedlichen Wettbewerb und in einer Kultur des politischen Streits austragen.
Friedenspolitik muß die Vorherrschaft militärischer, bürokratischer und rüstungswirtschaftlicher Interessen brechen und Rüstungsproduktion in die Produktion ziviler Güter überführen.
Friedenspolitik muß sich auf Friedenserziehung und Friedensforschung stützen. Frieden zu schaffen ist nicht allein Aufgabe der Regierungen. Frieden braucht das weltweite Engagement der Menschen für Völkerverständigung, für den Abbau von Waffen und Feindbildern. Massenvernichtungsmittel würden im Konfliktfall zerstören, was verteidigt werden soll. Wir wollen das System der militärischen Abschreckung überwinden und blockübergreifend Sicherheit organisieren. Dazu gehört, daß der Weltraum von Waffen frei bleibt. Wir setzen uns für eine weltweite Beseitigung aller Massenvernichtungsmittel ein. Die Bundesrepublik Deutschland darf atomare, biologische und chemische Waffen nicht herstellen, besitzen oder verwenden. Sie muß von Massenvernichtungsmitteln frei werden und darf auch keine Mitverfügung anstreben. Der Verzicht auf ABC-Waffen soll verfassungsrechtlich abgesichert werden.
Wir wollen die Dynamik der Aufrüstung brechen und eine Dynamik der Abrüstung in Gang setzen.
Unser Ziel ist es, den Export von Waffen und Rüstungsgütern zu verhindern.
0st und West haben den Versuch, Sicherheit gegeneinander zu errüsten, mit immer mehr Unsicherheit für alle bezahlt.
Kein Land in Europa kann heute sicherer sein als der mögliche Gegner. Jeder muß also schon im eigenen Interesse Mitverantwortung übernehmen für die Sicherheit des anderen. Darauf beruht das Prinzip gemeinsamer Sicherheit. Es verlangt, daß jede Seite der anderen Existenzberechtigung und Friedensfähigkeit zubilligt. Gemeinsame Sicherheit bewirkt Entspannung und braucht Entspannung. Gemeinsame Sicherheit will Bedrohungsängste abbauen und die Konfrontation der Blöcke überwinden.
Unser Ziel ist es, die Militärbündnisse durch eine europäische Friedensordnung abzulösen. Bis dahin findet die Bundesrepublik Deutschland das ihr erreichbare Maß an Sicherheit im Atlantischen Bündnis, vorausgesetzt, sie kann ihre eigenen Sicherheitsinteressen dort einbringen und durchsetzen, auch ihr Interesse an gemeinsamer Sicherheit. Der Umbruch in Osteuropa verringert die militärische und erhöht die politische Bedeutung der Bündnisse und weist ihnen eine neue Funktion zu: Sie müssen, bei Wahrung der Stabilität, ihre Auflösung und den Übergang zu einer europäischen Friedensordnung organisieren. Dies eröffnet auch die Perspektive für das Ende der Stationierung amerikanischer und sowjetischer Streitkräfte außerhalb ihrer Territorien in Europa.
Im Bündnis muß der Grundsatz gleicher Souveränität gelten. Das Bündnis muß verteidigungsfähig, defensiv und entspannungsbereit sein. Der politische Wille muß über Militärstrategie, Militärtechnik und wirtschaftliche Interessen der Rüstungsindustrie herrschen, nicht umgekehrt. Friede ist eine politische, keine waffentechnische Aufgabe.
Gemeinsame Sicherheit zielt auf die Abschaffung aller Massenvernichtungsmittel und eine drastische Verringerung und Umstrukturierung der konventionellen Streitkräfte bis hin zur beiderseitigen strukturellen Angriffsunfähigkeit. Der Prozeß dahin soll durch begrenzte einseitige Schritte und Signale beschleunigt werden. Dazu gehört die erhebliche Senkung der Rüstunqsausgaben, der Abbau der Truppenstärken und ein allgemeiner Atomteststopp.
Atom- und chemiewaffenfreie Zonen in Europa dienen der gemeinsamen Sicherheit. Wir wollen solche Zonen schaffen und sie auf ganz Europa ausdehnen.
Die Bundeswehr hat ihren Platz im Konzept gemeinsamer Sicherheit. Sie hat aus schließlich der Landesverteidigung zu dienen. Ihr Auftrag ist Kriegsverhütung durch Verteidigungsfähigkeit bei struktureller Angriffsunfähigkeit. Die Struktur der Bundeswehr muß den Abrüstungsprozeß unterstützen und fördern. Die politische Führung der Bundeswehr obliegt allein der Regierung, ihre parlamentarische Kontrolle dem Bundestag.
Der Soldat bleibt auch in Uniform Staatsbürger. Wir bejahen die Bundeswehr und die Wehrpflicht. Wehrdienst für Frauen lehnen wir ab. Das Ziel von Friedens politik ist es, Streitkräfte überflüssig zu machen.
Wir achten das Engagement von Pazifisten, die für die Utopie einer gewalt freien Völkergemeinschaft einstehen. Sie haben einen legitimen Platz in der SPD. Wir garantieren das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung. Wir sind für die Abschaffung der Gewissensprüfung. Der Zivildienst darf nicht so gestaltet werden, daß er abschreckend wirkt oder für die Streitkräfte nutzbar gemacht werden kann.
Die Vereinigten Staaten von Europa, von den Sozialdemokraten im Heidelberger Programm 1925 gefordert, bleiben unser Ziel. Die demokratischen Staaten müssen ihre Kräfte bündeln, um sich selbst zu behaupten, aber auch, um auf eine gesamteuropäische Friedensordnung hinzuwirken.
Die Europäische Gemeinschaft ist ein Baustein einer regional gegliederten Weltgesellschaft. Sie ist eine Chance für den Frieden und die soziale Demokratie. Ganz Europa muß eine Zone des Friedens werden.
Die Europäische Gemeinschaft soll durch eine gemeinsame Außenpolitik dem Frieden dienen, ihren Völkern in den internationalen Beziehungen mehr Gewicht verleihen und der Konfrontation der Weltmächte entgegenwirken. Die historische Perspektive der EG liegt nicht darin, eine eigene Vormachtrolle zu übernehmen. Statt in militärischer Stärke findet sie ihre Identität als weltweit gefragter Partner für Handel und Industrie, für Technik und Wissenschaft, für eine intakte Umwelt und eine dauerhafte Entwicklung der Dritten Welt. Sie muß auch bereit sein, alle Demokratien Europas als Mitglied aufzunehmen und vielfältige Formen enger Kooperation mit allen Ländern Osteuropas anzubieten, um damit die Spaltung Europas zu überwinden.
Die Europäische Gemeinschaft muß durch partnerschaftliche Politik gegenüber dem Süden ein Stück historischer Schuld der europäischen Kolonialmächte und gegenwärtiger Schuld an ungerechten Wirtschaftsbeziehungen abtragen. Sie muß daher Länder und Kräfte des Südens in ihrem Streben nach eigenständiger, selbstbestimmter Entwicklung unterstützen und auf eine gerechte Weltwirtschaftsordnung hinarbeiten.
Wir wollen die Europäische Gemeinschaft zu den Vereinigten Staaten von Europa weiterentwickeln, in denen die kulturelle Identität der Völker bewahrt, sprachlich-kulturelle Minderheiten respektiert und für alle Bürger gleiche Freiheiten und gleiche Entwicklungschancen gesichert werden.
Dies verlangt volle Rechte für das Europäische Parlament, eine handlungs fähige, parlamentarisch verantwortliche Regierung, klar umrissene Zuständig keiten und europäische Wirtschaftsdemokratie. Wir wollen eine sozialstaatliche Ordnung in ganz Europa.
Unser Ziel ist eine gesamteuropäische Friedensordnung auf der Grundlage gemeinsamer Sicherheit, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Achtung der Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa. Alle europäischen Staaten haben sich vertraglich zu verpflichten, die Prinzipien der Schlußakte von Helsinki zu verwirklichen .
Die rasch fortschreitende Demokratisierung und Humanisierung der Gesellschaften in Zentral-, Ost- und Südosteuropa ist eine Hoffnung für ganz Europa. Wir bieten unsere Hilfe bei der Erneuerung dieser Staaten an. In allen Staaten Europas müssen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit gewährleistet sein.
Gesamteuropäische Zusammenarbeit soll helfen, den Nord-Süd-Gegensatz zu überwinden, das gemeinsame Überleben aller Völker durch umfassenden Schutz der Umwelt zu sichern, die individuellen und kollektiven Menschenrechte zu verwirklichen, die wirtschaftliche Zusammenarbeit bis zur gegenseitigen Abhängigkeit auszubauen, das gemeinsame Erbe Europas zu pflegen und kulturelle Kontakte zu fördern. Dazu brauchen wir auch gesamteuropäische Institutionen.
Von deutschem Boden muß Frieden ausgehen. Wir wollen die Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen mit Leben erfüllen, die gemeinsamen Interessen beider deutscher Staaten an Abrüstung, Entspannung und Zusammenarbeit geltend machen.
Die Deutschen haben wie alle Völker ein Recht auf Selbstbestimmung. Die Frage der Nation bleibt den Erfordernissen des Friedens untergeordnet. Wir streben einen Zustand des Friedens in Europa an, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit findet. Die Menschen in beiden deutschen Staaten werden über die Form institutioneller Gemeinschaft in einem sich einigen den Europa entscheiden. Die historischen Erfahrungen der Deutschen und ihre Entscheidung für ein gemeinsames Europa verbieten einen deutschen Sonderweg. Die Westgrenze Polens ist endgültig .
Die Bedeutung Berlins als deutsche und europäische Metropole wird in dem Maße wachsen, wie sich die Menschen über Grenzen hinweg begegnen und verständigen.
Die für Deutschland als Ganzes und für Berlin bestehenden Vorbehaltsrechte der Vier Mächte müssen durch die gesamteuropäische Friedensordnung abgelöst werden.
Ohne einen Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wird die Zukunft der ganzen Menschheit gefährdet. Wo Hunger und Elend herrschen, kann Frieden nicht Bestand haben. Der Süden darf nicht Austragungsort für den Ost West-Konflikt sein. Vielmehr muß Abrüstung in 0st und West Mittel freimachen, um den zwei Dritteln der Menschheit, die in Armut leben, Entwicklungschancen zu eröffnen.
Der Reichtum der Industriestaaten des Nordens beruht auch auf der Ausbeutung der Länder des Südens. Die heutige Weltwirtschaftsstruktur steht immer noch in der Tradition von 500 Jahren Kolonialismus. Sie ist geprägt von ungleichen und diskriminierenden Wirtschafts- und Austauschbeziehungen und geht zu Lasten der Dritten Welt.
Jedes Land hat das Recht auf seinen eigenen Entwicklungsweg. Alle Länder des Südens müssen endlich die Chance haben sich selbst zu ernähren, ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen oder wiederherzustellen, die ihnen gemäße Form von Landwirtschaft und Energieversorgung, Bildung, Beschäftigung, Industrialisierung, Gesundheitswesen und sozialer Sicherung zu finden, über einen leistungsfähigen Binnenmarkt ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen und ihre kulturelle Identität zu wahren.
Entwicklung im Süden kann nur gelingen, wenn die Arbeit der Frauen nicht mehr unterbewertet wird. Die zentrale Rolle der Frau für den eigenen Entwicklungs weg dieser Länder muß anerkannt werden. Frauen müssen auf allen Ebenen an Entwicklungsplanungen und Entwicklungsprojekten gleichberechtigt teilhaben. Sie müssen Entwicklungswege mitbestimmen können. Entwicklung hat sich auch an ihren Interessen und Bedürfnissen zu orientieren.
Regionale Zusammenschlüsse können dies erleichtern, den Einfluß des Südens auf die Weltwirtschaft stärken und so globale Zusammenarbeit fördern.
Wo reaktionäre Kräfte eigenständige Entwicklung hemmen, unterstützen wir die Kräfte der Befreiung. Das System der Apartheid in Südafrika muß fallen.
Es erweitert den Handlungsspielraum des Südens, wenn wir im eigenen Land durch ökologische Erneuerung unsere Industriegesellschaft korrigieren, regenerierbare Energiequellen erschließen oder Technologien fördern, die auch im Süden nutzbar sind.
Daher kann Entwicklungspolitik nicht isolierte Aufgabe eines Ressorts bleiben. Bei allen politischen Entscheidungen wie Konjunktursteuerung, Zollabbau und Exportförderung, Umwelt-, Agrar-, Energie-, Technologie- und Sicherheitspolitik müssen ihre entwicklungspolitischen Wirkungen bedacht werden.
Norden und Süden müssen erst noch zu einer Entwicklung finden, die dauerhaften Fortschritt ermöglicht, ökologische Belastungsgrenzen respektiert und mit den Bedürfnissen der heutigen und künftigen Generationen vereinbar ist. Dauerhafte Entwicklung verlangt, daß sich die Nutzung von Ressourcen, die Richtung technischer Innovation, Umfang, Standort und Zweck von Investitionen an langfristigen Entwicklungszielen und nicht an kurzfristigen Gewinninteressen orientieren. Dazu müssen internationale Institutionen umgestaltet und mit entsprechenden Rechten ausgestattet werden. Wir erstreben eine neue und gerechte Weltwirtschaftsordnung, die eine dauerhafte Entwicklung für alle Länder ermöglicht.
Auf dem Weg dahin müssen die Austauschbedingungen zugunsten des Südens verändert, die Exporterlöse für Rohstoffe gesteigert, die Schuldendienste begrenzt, der Ressourcentransfer von Nord nach Süd gefördert, die öffentliche Entwicklungsfinanzierung erweitert und die Kontrolle transnationaler Konzerne weltweit durchgesetzt werden.
Wo Entwicklungsländer auch im Interesse der Weltgesellschaft wirtschaftliche Möglichkeiten zugunsten des Umweltschutzes ungenutzt lassen, müssen die Industrieländer für den finanziellen Ausfall aufkommen.
All dies gelingt nur, wenn die Entwicklungsländer als gleichberechtigte Partner in den zuständigen internationalen Organisationen deren Reform selbst vorantreiben können. Dies gilt vor allem für den Internationalen Währungsfonds, Weltbank und GATT.
Die Weltgesellschaft muß sich eine Ordnung geben, durch die der Weltfrieden gesichert, wirtschaftliche Macht politisch kontrolliert, Rohstoffe, Technologie und Wissen gerecht verteilt und unsere natürlichen Lebensgrundlagen dauerhaft geschützt werden können. Die Vereinten Nationen können uns diesem Ziel näherbringen. Daher muß ihre Bedeutung wachsen. Sie müssen zu einem Instrument gewaltfreier Weltinnenpolitik werden. Wir wollen sie politisch und finanziell stärken.
Je weniger sie durch die Konfrontation von 0st und West gelähmt werden, desto besser können die Vereinten Nationen Frieden vermitteln, globalen Bedrohungen entgegenwirken und den Interessen armer Länder Stimme geben. Diesen Herausforderungen können die Vereinten Nationen nur dann gerecht werden, wenn die Nationalstaaten bereit sind, ihnen mehr Kompetenzen und Aufgaben zu übertragen. Wir treten ein für die Stärkung des Internationalen Gerichtshofes, die Reform des Sicherheitsrates und die Schaffung internationaler Rüstungskontrollgremien im Rahmen der Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen und die mit ihnen verbundenen Organisationen müssen neu strukturiert und handlungsfähiger gemacht werden.
Die Sozialistische Internationale bündelt und stärkt die Kräfte des Demokratischen Sozialismus. Sie muß weiterentwickelt werden, damit sie Wege zu einer demokratischen Weltgesellschaft weisen kann.
Kultur -und in jeder Gesellschaft leben viele Kulturen -erweist sich im Umgang von Menschen mit Menschen, mit anderen Lebewesen und mit Dingen.
Kultur wurzelt auch in geistig-weltanschaulichen und religiösen Traditionen. Wo immer dieses Erbe lebendig ist und sich im Dialog bewährt, gehen davon ethische und soziale Impulse aus.
Kultur zeigt sich in den Formen des Zusammenlebens und in der Zuwendung zu Schwächeren. Sozialstaat und Rechtsstaat, aber auch der Friede nach innen und außen sind Kulturleistungen ersten Ranges.
Kultur muß sich aber auch im Umgang mit der Natur bewähren. Sie verlangt Rücksicht auf ihre Eigengesetzlichkeiten. Die Erhaltung und Pflege einer lebensfähigen Natur wird zur lebenswichtigen Kulturleistung.
Kultur wird auch geprägt durch die Qualität der Arbeit, der Erwerbsarbeit so gut wie der Haus-, Familien- und Eigenarbeit. Wir wollen keine von ökonomischen Interessen manipulierte Kultur, nicht die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche, sondern eine Wirtschaft, die sich in eine Kultur des Zusammenlebens einfügt.
Soziale Kultur wird für die meisten Menschen in Städten und Gemeinden erfahrbar. Kommunale Kultur erweist sich im zivilisierten Umgang und solidarischen Miteinander von Menschen am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, bei der Diskussion öffentlicher Belange und im geselligen Beisammensein.
Kultur des Zusammenlebens bewährt und verdichtet sich in politischer Kultur, in der Fähigkeit, den notwendigen Grundkonsens mit notwendigem Streit zu verbinden. Dazu ist Toleranz nötig.
Gesellschaftliche Gleichheit von Frau und Mann
Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleich, frei und solidarisch miteinander leben.
Wir wollen eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer nach eigener Wahl in allen Bereichen der Gesellschaft wirken, ihnen nach Haus-, Familien- und Erwerbsarbeit Zeit und Kraft bleibt für Bildung, Kunst, Sport oder gesellschaftliches Engagement.
Wir wollen eine Gesellschaft,
in der nicht mehr hochbewertete Erwerbsarbeit Männern zugeordnet, unterbewertete Haus- und Familienarbeit Frauen überlassen wird,
in der nicht mehr eine Hälfte der Menschen dazu erzogen wird, über die andere zu dominieren, die andere dazu, sich unterzuordnen.
ist das Verfassungsgebot der gesellschaftlichen Gleichheit von Mann und Frau nicht verwirklicht,
sind Frauen stärker von Armut betroffen,
werden Frauen in Ausbildung und Beruf benachteiligt,
werden sie in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst, in Politik und Medien zu rückgesetzt,
wird ihnen der private Bereich, Hausarbeit und Kindererziehung zugewiesen,
wird die Rolle, die Frauen in der Geschichte spielten, unterschlagen oder verfälscht,
werden Zeitabläufe und Organisationsformen von Erwerbsarbeit und ehrenamtlicher Tätigkeit durch männliche Bedürfnisse bestimmt,
werden Frauen Opfer männlicher Gewalt, wird ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung mißachtet.
Unter der Spaltung zwischen männlicher und weiblicher Welt leiden beide, Frauen und Männer. Sie deformiert beide, entfremdet beide einander.
Diese Spaltung wollen wir überwinden. Wir fangen bei uns selbst an. Der rechtlichen Gleichstellung muß die gesellschaftliche folgen. Dies bedeutet nicht die Integration der Frau in eine Männerwelt, sondern die Umgestaltung der Gesellschaft.
Erziehung soll junge Menschen auf diese Gesellschaft vorbereiten. Sie muß helfen, die Spaltung in eine männliche und eine weibliche Welt zu überwinden und die starren Rollenmuster zu durchbrechen, die diese Spaltung immer neu verfestigen.
Wir müssen die Arbeit neu bewerten und anders verteilen. Wer nicht nur Erwerbsarbeit, sondern auch Haus-, Familien- und Eigenarbeit gerecht verteilen will, muß vorrangig die tägliche Arbeitszeit verkürzen. Wir erstreben als Regel zunächst den sechsstündigen Arbeitstag in der Fünf-Tage-Woche, damit Frauen und Männer Erwerbsarbeit, Haus- und Familienarbeit, ehrenamtliche Tätigkeit und kulturelle Teilhabe besser miteinander verbinden können.
Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz, ein Ende der Lohndiskriminierung, Förderpläne für Frauen im Beruf, Gleichstellung im Sozialversicherungs- und Beamtenrecht durch eigenständige Ansprüche und Hilfen für die Wiedereingliederung in den Beruf. Mutterschutz, Ausfallzeiten für Elternurlaub und Krankenpflege müssen über einen Familienlastenausgleich finanziert werden, damit nicht Sonderlasten für Einzelbetriebe zum Arbeitsplatzrisiko für Frauen werden. Öffentliche Finanzhilfen und Aufträge müssen davon abhängig gemacht werden, daß Gleichstellung verwirklicht ist.
Kindertagesstätten und Ganztagsschulen gehören zu den Voraussetzungen dafür, daß Erwerbs- und Familienarbeit für Männer und Frauen vereinbar werden. Neue Wohnformen, dezentrale soziale Dienste für Kinder und Alte, Kranke und Behinderte sollen helfen, Familienarbeit aus ihrer Isolierung zu lösen.
Bei ehrenamtlichen Tätigkeiten in Parteien, Gewerkschaften, Vereinen und Verbänden, als Laienrichterinnen, Aufsichtsratsmitglieder oder Elternvertreterinnen müssen Frauen die gleichen Beteiligungsmöglichkeiten haben wie Männer. In allen Gremien sollen Frauen und Männer je zur Hälfte vertreten sein; wo Überzeugungsarbeit dies nicht erreicht, sind gesetzliche Vorschriften nötig. Zur Gleichstellung in der Politik kann es notwendig werden, Wahlsysteme in Bund, Ländern und Gemeinden zu ändern.
Die Zukunft verlangt von uns allen, Frauen und Männern, vieles, was lange als weiblich galt: wir müssen uns in andere einfühlen auf sie eingehen, unerwartete Schwierigkeiten mit Phantasie meistern, vor allem aber partnerschaftliche mit anderen arbeiten.
Wer die menschliche Gesellschaft will muß die männliche überwinden.
In einer Gesellschaft, in der immer mehr alte Menschen mit immer weniger jungen Menschen zusammenleben und sich die Formen und Bedingungen des Zusammenlebens spürbar verändern, sind solidarische Beziehungen wichtiger denn je. Sie müssen erhalten, erweitert, geschützt und unterstützt werden.
Spannungen zwischen den Generationen können durch rasche kulturelle und technische Veränderungen verschärft werden. Unsere Kultur-, Bildungs- und Sozialpolitik will diese Spannungen für die ganze Gesellschaft fruchtbar machen. Nicht Unverständnis und Konkurrenz, sondern Erfahrungsaustausch und Solidarität müssen das Verhältnis zwischen Jung und Alt bestimmen.
Der Wandel der Gesellschaft spiegelt sich im Wandel der Lebens- und Beziehungsformen. In ihren Lebensgemeinschaften suchen Menschen Liebe, Geborgenheit, Anerkennung und Wärme. Sie gehen dazu vielfältige Formen von Bindungen ein, die auf Dauer angelegt sind. Davon ist die Ehe die häufigste. Sie steht wie die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Für uns haben aber alle Formen von Lebensgemeinschaften Anspruch auf Schutz und Rechtssicherheit. Keine darf diskriminiert werden, auch die gleichgeschlechtliche nicht.
Familie als Lebensgemeinschaft Erwachsener mit Kindern setzt gegenseitige Verantwortung von Eltern und Kindern füreinander voraus und endet nicht, wenn die Kinder erwachsen sind. Dem Solidarverband Familie darf nicht aufgebürdet werden, was Aufgabe des Sozialstaats ist.
Überforderung im beruflichen und gesellschaftlichen Leben schlägt auch auf die Familie zurück. Dort können nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden, die in einer Berufswelt schonungsloser Konkurrenz keinen Platz haben. Daher müssen wir auch die Arbeitswelt verändern, damit Frauen und Männer in den Familien partnerschaftlich füreinander und für ihre Kinder Verantwortung übernehmen und gleichermaßen zu Lebensunterhalt, Erziehung und Hausarbeit beitragen können.
Familien- und andere Lebensgemeinschaften sind für die persönliche Entfaltung jedes Menschen unabdingbar. Deshalb müssen Staat und Gesellschaft sie anerkennen, schützen und fördern. Staat und Gemeinden haben die Pflicht, die materiellen Belastungen der Familie wenigstens teilweise auszugleichen Benachteiligungen abzubauen und besondere Hilfen für Alleinerziehende, Familien mit kranken oder behinderten Kindern und mit pflegebedürftigen Angehörigen bereitzustellen.
Wir wollen Lebensverhältnisse schaffen, in denen sich Frauen nicht zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen sehen. Wir wissen jedoch, daß wir nicht alle menschlichen Konflikte lösen können. Die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs hat nicht zum Schutz werdenden Lebens, sondern seit jeher mehr zur Bedrohung und Demütigung von Frauen geführt. Das Strafrecht ist kein geeignetes Mittel für die Lösung von Schwangerschaftskonflikten. Deshalb wollen wir die erforderlichen gesetzlichen Regelungen außerhalb des Strafrechts treffen. Wir wollen werdendes Leben schützen. Das kann nur mit dem Willen, nicht gegen den Willen der Frau geschehen. Deshalb erkennen wir die Verantwortung und das Selbstbestimmungsrecht der Frau an.
Wir wollen eine kinderfreundliche Gesellschaft. Kinder brauchen Ermutigung, damit sie sich in einer schwer durchschaubaren Welt orientieren können. Sie brauchen Förderung und Anregung durch ein Bildungssystem, das ihren Neigungen und Interessen entgegenkommt. Sie brauchen Raum für Spiel und Bewegung, sie bedürfen des Schutzes vor seelischer und körperlicher Überforderung und Gewalt, auch vor ungehemmtem Medienkonsum. Wir Sozialdemokraten wollen, daß Kinder als eigenständige Rechtspersönlichkeiten beachtet und ihre Interessen und Bedürfnisse mehr als bisher bei politischen Entscheidungen berücksichtigt werden. Hierzu ist es notwendig, neben der Familienförderung eine konsequent kinderfreundliche Politik im Rahmen der Stadt- und Dorfentwicklung, vor allem im Wohnungsbau, in der Verkehrsgestaltung und bezüglich eines ausreichenden Angebotes von Kindergärten und Kindertagesstätten, sicherzustellen.
Die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen hat sich grundlegend verändert: Jugendliche gehen länger zur Schule und erreichen höhere Abschlüsse, für viele ist durch die veränderte soziale Lage eine eigenständige Lebensführung ermöglicht worden. Aber auch Jugendarbeitslosigkeit, die Zerstörung der Umwelt und die atomare Bedrohung haben die Werte und die Lebensansprüche von Jugendlichen verändert und ausdifferenziert. Jugend ist zu einer eigenständigen Lebensphase geworden. Jugendliche Wertorientierungen und Lebensansprüche haben sich verändert. In ihrer großen Mehrzahl haben Jugendliche heute gewachsene Ansprüche an gesellschaftliche Gestaltung und individuelle Lebensperspektiven. Dies gilt insbesondere für junge Frauen. Mehr denn je sind Jugendliche den Eingriffsversuchen der Medien und Freizeitindustrie ausgesetzt. Konservative Kräfte versuchen, soziale Spaltung bereits in der Jugend zu verankern und individuelle Lebensansprüche in individualistische Durchsetzungsstrategien umzusetzen. Da gegen wehren wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns. Individuelle Entfaltung ist nur möglich auf der Grundlage gesicherter sozialer Chancen für alle.
Junge Menschen wollen ihr Leben selbst gestalten, unterschiedliche Lebens- und Beziehungsformen ausprobieren, mit kulturellen Ausdrucksformen experimentieren. Dazu brauchen sie materielle Unabhängigkeit. Deshalb treten wir für eine bedarfsgerechte und elternunabhängige Ausbildungsförderung ein. Die soziale Mindestsicherung schließt auch die Jugendlichen, die keine Arbeit haben, ein. Wir werden allen jungen Menschen die Chance eines eigenständigen Lebens geben. Daher müssen alle, Jungen und Mädchen, einen Ausbildungsplatz und im Anschluß auch einen Arbeitsplatz erhalten. Deshalb wollen wir mit einer Umlagefinanzierung neue qualifizierte und zukunftsorientierte Ausbildungsplätze schaffen. Um jungen Frauen gleiche Chancen einzuräumen, muß die Hälfte aller Ausbildungsplätze für Frauen freigehalten werden.
Damit Jugendliche ihre Freizeit eigenverantwortlich gestalten können und nicht auf kommerzielle Angebote angewiesen sind, wollen wir den Ausbau öffentlicher, selbstbestimmter Jugendfreizeit- und Kultureinrichtungen, dazu gehört auch die Förderung von Jugendverbandsarbeit und politischer Jugendarbeit. Wir wollen, daß Schülerinnen und Schüler, Auszubildende sowie Studierende selbständig und mit allen demokratischen Rechten ihre Interessen vertreten können. Das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen zwischen deutschen und ausländischen Jugendlichen muß ausgebaut werden. Damit wollen wir einen Beitrag zu einer solidarischen Völkergemeinschaft über die Grenzen Europas hinaus leisten. Zur Jugendarbeit gehört notwendig die politische Bildung. Sie ist nicht beschränkt auf Wissensvermittlung. Sie soll praktische Handlungsfähigkeit herausbilden und Mitmenschlichkeit, Solidarität und Verantwortungsbewußtsein entwickeln. Wir fördern die politische Bildung gerade in der Jugendarbeit, weil durch die Verbindung von Lernen und Handeln die Fähigkeit zur Zukunftsbewältigung wächst.
Das Älterwerden wird heute anders erlebt als früher. Die Entwicklung neuer Lebensperspektiven endet nicht mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben. Damit beginnt vielmehr ein Abschnitt mit veränderten Lebensbedingungen, für viele mit neuen Inhalten und neuen Lebenschancen.
Weiterbildung und gesellschaftliche Mitwirkung sind auch für ältere Menschen selbstverständlich. Sie sollen ihre Bedürfnisse und ihre Interessen in den verschiedenen Organisationsformen äußern und vertreten, eigene Vorstellungen entwickeln und erproben können. Auch ältere Menschen müssen die Chance haben, ihre gesellschaftliche Verantwortung, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen. Wir wollen sie dazu ermutigen.
Lebens- und Arbeitserfahrungen der älteren Generation sind für alle wertvoll. Damit sich eine sinnvolle Aufgabenteilung und Kooperation zwischen den Generationen entwickeln kann, muß die starre Trennung zwischen Ausbildungs-, Berufs- und Ruhestandszeit aufgebrochen werden.
Nach wie vor kann Alter mit sozialen und persönlichen Risiken verbunden sein. Sozialstaatliche und solidarische Förderung auch in früheren Lebensphasen er höht die Chancengleichheit im Alter.
Sichere Renten für alle, die Absicherung des Pflegerisikos, Wohnformen, Stadt- und Sozialplanungen, die eine selbständige Lebensführung und selbstgewählte Lebensformen zulassen. sollen die gleichberechtigte und verantwortliche Teil habe Älterer am gesellschaftlichen Leben erleichtern. Die sozialen Dienste sind so auszubauen und zu vernetzen, daß Ältere so lange wie möglich in vertrauter Umgebung bleiben können. Für die häusliche Pflege alter Menschen sind familienergänzende und unterstützende Maßnahmen nötig.
Wir wollen verhindern, daß alte Menschen vereinsamen. Wir wollen dafür sorgen, daß ihre Menschenwürde gewahrt und ihre Lebensleistung von der Gesellschaft anerkannt wird.
In der Bundesrepublik leben Menschen unterschiedlicher Nationalität, Kultur und Religion zusammen; die Länder Europas sind multikulturell geworden. Wie in der Bundesrepublik Ausländer leben, so leben auch viele Deutsche im Ausland. Viele unserer ausländischen Mitbürger leiden noch immer unter kultureller und gesellschaftlicher Isolation und werden Opfer von Diskriminierung. Besonders betroffen sind ihre Kinder, die zwischen den Kulturen stehen.
Kulturelle Vielfalt bereichert uns. Daher wollen wir alles tun, was Verständnis, Achtung und Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Nationen und Kulturen fördert, Integration und Teilhabe ermöglicht.
Wir wollen das Aufenthaltsrecht für Ausländerinnen und Ausländer verbessern, ihnen das kommunale Wahlrecht geben. Das Asylrecht für politisch Verfolgte muß uneingeschränktes Grundrecht bleiben. Dies schließt politische Verfolgung aus Gründen des Geschlechts und der Rasse ein. Jeder Ehegatte hat ein eigenständiges Aufenthaltsrecht.
Unsere Gesellschaft ist durch alte und neue Privilegien gekennzeichnet. Die ungerechte Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen teilt die Gesellschaft in solche, die über andere verfügen und solche, über die verfügt wird und deren Selbstbestimmung und politische Mitwirkung rasch an Grenzen stoßen. Das beeinflußt auch die Willensbildung in Politik und Staat
Wir erstreben eine solidarische Gesellschaft der Freien und Gleichen ohne Klassenvorrechte, in der alle Menschen gleichberechtigt über ihr Leben und ihre Arbeit entscheiden. Die neue und bessere Ordnung, die der Demokratische Sozialismus erstrebt, ist eine von Klassenschranken befreite Gesellschaft. Wir wollen sie durch Abbau von Privilegien und Vollendung der Demokratie erreichen.
Die Bedeutung der Arbeit Arbeit ist nicht nur Existenzbedingung, sondern entscheidende Dimension menschlichen Daseins. Durch Arbeit produzieren die Menschen nicht nur die Mittel und Dienste, die sie zum Leben brauchen sondern bestimmen auch ihre Lebensumstände. Arbeit befriedigt menschliche Bedürfnisse und bringt neue hervor. Arbeit und Natur sind Quellen des Reichtums.
Wieviel Arbeit zu leisten ist, wie sie organisiert, gestaltet und verteilt wird, ist abhängig von der Entwicklung der Produktivkräfte, von gesellschaftlichen Machtverhältnissen und kulturellen Traditionen. Dies gilt gleichermaßen für die Erwerbsarbeit, für Familienarbeit, für Gemeinschaftsarbeit und für freie Eigenarbeit. Alle diese Arbeitsformen sind wechselseitig abhängig. Alle zusammen bestimmen unsere Lebensqualität. Arbeitsteilung und Arbeitsorganisation, Arbeitszeit und Arbeitsumfang, Arbeitsinhalte und Arbeitsformen werden von Menschen verwirklicht und sind damit politisch gestaltbar. Jede Form der Arbeit schafft Werte, kann Menschen ausfüllen und bereichern, aber auch Entfremdung bewirken und Leid zufügen. Jede Arbeitsform ist auf die anderen angewiesen. Alle zusammen bestimmen unsere Lebensqualität.
Arbeitsfreude und Arbeitsleid waren stets Bestandteil menschlichen Lebens. Im gestaltenden Umgang mit Stoff, Werkzeug und Maschine, beim Entwerfen, Planen und Organisieren, beim Leisten von Diensten, in Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit anderen Menschen in der Gesellschaft, in Betrieben und im Haushalt entwickeln Menschen ihre Persönlichkeit. Arbeitsleid entsteht aus Überlastung oder Unterforderung, durch Gesundheitsgefährdungen und nicht menschengerecht gestaltete Arbeit, durch Unterdrückung und Entfremdung in der Arbeit. Arbeitsleid kann auch Folge inhumaner Arbeitsteilung oder gesellschaftlich isolierter Arbeit sein.
Die Geschichte der Arbeit ist zugleich die Geschichte der Technik. Technik ermöglicht Reichtum und menschliches Wohlbefinden sie kann Arbeit erleichtern. Ihre gesellschaftliche Anwendung hat jedoch auch Armut, Krankheit, Abhängigkeit und Entfremdung bei denen erzeugt, die kaum mehr besitzen als ihre Arbeitskraft.
Unsere Zukunft wird maßgeblich dadurch bestimmt, wie wir arbeiten. Erwerbsarbeit und unbezahlte, aber gesellschaftlich ebenso notwendige Arbeit in Haus, Familie und Gemeinschaft werden in unserer Gesellschaft ungleich verteilt und bewertet. Dies schlägt sich in unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingun gen und unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Geschlechter nieder.
Die Erwerbsarbeit hat zentrale Bedeutung für das Bewußtsein und Selbstbewußtsein der Menschen. Sie vermittelt Selbständigkeit und soziale Anerkennung, bestimmt Lebensbedingungen und Entfaltungschancen, erleichtert gesellschaftliches und politisches Engagement, sichert materielle Unabhängigkeit.
Alle Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit müssen gleich bewertet und zwischen Männern und Frauen gleich verteilt werden. Wer Familien- und Gemeinschaftsarbeit leistet, darf im Erwerbsleben nicht benachteiligt werden.
Der gesellschaftliche Reichtum, den wir durch die Entfaltung der Produktivkräfte erreicht haben, ermöglicht drastische Verkürzungen der Erwerbsarbeitszeit und erweitert die Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse. Damit können alte sozialdemokratische Ziele Wirklichkeit werden:
Heute ist die Arbeit radikalem Strukturwandel unterworfen. In der Erwerbsarbeit ist er gekennzeichnet durch flexible Automatisierung von Produktion, Dienstleistungen und Verwaltung, durch neue Kommunikations- und Steuerungstechnologien, die Anwendung von Bio- und Gentechnik sowie die schnelle Verbreitung neuer Werkstoffe, Verfahren, Produkte und Dienste.
Die Menschen müssen immer mehr Informationen verarbeiten und sich auf immer raschere Veränderungen einstellen. Planen und Entwickeln, Steuern und Überwachen, Fehler entdecken und korrigieren gewinnt an Bedeutung. Alle werden sich in Zukunft weit mehr als bisher informieren und Neues lernen müssen.
Die wachsende Intensität und Produktivität der menschlichen Arbeit ermöglicht einerseits mehr Lebensqualität, Wohlstand und Freizeit. Sie kann aber auch steigende Arbeitslosigkeit, die Ausgrenzung vieler Menschen aus dem Erwerbsleben, neue körperliche und geistig-psychische Belastungen sowie neue Risiken und Gefährdungen aus der Arbeitsumwelt zur Folge haben.
Angesichts des Ausmaßes und der Dauer dieser Umwälzungen ist klar: Ohne eine neue Politik der Arbeit, die sich dem Recht auf Arbeit verpflichtet weiß, wird Massenarbeitslosigkeit eines der zentralen gesellschaftlichen Probleme bleiben. Dann wird der Anteil der Langzeitarbeitslose weiter steigen, werden immer mehr ältere oder behinderte Menschen, gering Qualifizierte Frauen, Jugendliche und Ausländer aus dem Arbeitsmarkt ausgegliedert und wird die Zahl der ungeschützten Arbeitsverhältnisse zunehmen.
Dies kann zu einer unerträglichen Polarisierung der Lebensverhältnisse und zu einer Spaltung unseres Landes in wohlhabende und verarmte Regionen führen. Unter den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen verschärft sich die Konkurrenz. Solidarität wird erschwert. Es entwickeln sich neue Formen von Ungleichheit: Qualifikation und Leistungsbereitschaft werden weniger wichtig als die Frage, wann jemand geboren ist, ob als Mann oder Frau, als Deutscher oder Ausländer ob man im Norden oder Süden der Republik, auf dem Lande oder in Ballungsräumen lebt. Gleichzeitig wird nicht nur die Zahl der Rentnerinnen und Rentner zunehmen, sondern auch das Durchschnittsalter der Erwerbstätigen steigen.
Kapital und vernachlässigte Bedürfnisse sind reichlich vorhanden. Angesichts des Reichtums unserer Gesellschaft, angesichts der vielen unerledigten Aufgaben zeigt Massenarbeitslosigkeit gesellschaftliches Versagen, das auf Dauer Demokratie gefährdet. Unserer Gesellschaft geht die Arbeit nicht aus.
Das Recht auf Arbeit ist ein Menschenrecht. Es ist die Pflicht eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats, für Vollbeschäftigung zu sorgen. Arbeitslosigkeit ist kein individuelles, versicherbares Risiko auf Zeit, sondern ein gesellschaftlich verursachtes und damit politisch zu lösendes Problem.
Je schwerer die ökonomischen und sozialen Kosten der Massenarbeitslosigkeit auf den Völkern lasten, desto häufiger wird versucht, der eigenen Wirtschaft durch Protektionismus Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen.
Wir halten demgegenüber ein gemeinsames Vorgehen der betroffenen Staaten gegen Massenarbeitslosigkeit für unabdingbar. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß wir bereit sind, eine wirksame Beschäftigungspolitik im eigenen Land in Gang zu setzen.
Notwendig ist eine Kombination von Maßnahmen, die
Ökologische Erneuerung schafft zusätzliche Arbeit. Dies gilt für die Aufarbeitung von Altlasten wie auch für Umweltvorsorge, für naturgerechte Landwirtschaft, den Umbau des Verkehrswesens und des Energiesystems. Wo Energie gespart, Energieversorgung dezentralisiert, Müll wiederaufgearbeitet, umweltschädliche Güter durch umweltfreundliche ersetzt werden, entsteht Arbeit. Städte und Dörfer müssen erneuert, Wohnungen errichtet und modernisiert, Nahverkehrssysteme ausgebaut, Kulturschätze erhalten werden.
Auch der Bedarf an sozialen Dienstleistungen wächst. Wir wollen die öffentlichen Dienstleistungen verbessern und die Angebote insbesondere für benachteiligte Menschen und Gruppen ausbauen. Bildung, Weiterbildung, Kultur, Forschung und Wissenschaft brauchen Menschen. Kinder müssen betreut, Jugendarbeit geleistet, Kranke und immer mehr Alte gepflegt, Ausländer und ihre Kinder eingegliedert, Behinderte betreut und integriert, Suchtprävention geleistet und Suchtkranke geheilt, psychisch Gefährdete begleitet, Straffällige resozialisiert, Hilfe zur Selbsthilfe organisiert werden. Die sozialen Dienste müssen zu einem flächendeckenden Netz ambulanter und stationärer Hilfen verbunden werden
Wir wollen die Steigerung der Produktivität zur Verkürzung der Arbeitszeit nutzen, wobei kürzere Arbeitszeit nicht automatisch kürzere Maschinenlaufzeit bedeutet. Arbeitszeitverkürzung ist auch in Zukunft ein wesentlicher Beitrag für mehr Lebensqualität. Sie verringert die Belastung der Erwerbsarbeit und schafft Raum für notwendige Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit, gibt Zeit für Muße, kulturelle und soziale Aktivität. Sie schafft Arbeitsplätze.
Kürzere Arbeitszeiten sind erst recht nötig, wenn Erwerbsarbeit allen Frauen und Männern zugänglich wird. Soll die partnerschaftliche Teilung der häuslichen Arbeit gelingen, muß die tägliche Arbeitszeit verringert werden. Daher streben wir den sechsstündigen Arbeitstag in der 30-Stunden-Woche als Regel an.
Bei kürzerer Regelarbeitszeit wird gerechte Einkommensverteilung noch wichtiger. Löhne und Gehälter sollten daher nach Einkommensgruppen differenziert erhöht werden.
Flexiblere Arbeitszeiten führen nur dann zu mehr Zeitsouveränität, wenn sie arbeitnehmerorientiert und kollektiv abgesichert sind. Dabei ist auf Arbeitsrhythmen zu achten, die der Gesundheit, der persönlichen Leistungsfähigkeit und sozialen Beziehungen zuträglich sind. Der Samstag darf nicht zum Regelarbeitstag, Sonntagsarbeit nur in zwingenden Ausnahmefällen zugelassen werden. Die Nachtarbeit wollen wir, weil sie gesundheitsschädlich ist, auf Ausnahmefälle beschränken. Überstunden sind gesetzlich zu begrenzen. Wer zu ungewöhnlichen Zeiten arbeitet, hat Anspruch auf angemessenen Ausgleich.
Alle Männer und Frauen sollen die Möglichkeit erhalten, Erwerbsarbeit zu reduzieren oder zu unterbrechen,
Ungeschützte Arbeitsverhältnisse darf es nicht geben. Leiharbeit ist zu verbieten. Wir fordern ein Arbeitsgesetzbuch, um alle Beschäftigungsverhältnisse unter den Schutz eines einheitlichen Arbeitsrechts zu stellen. Alle Formen der Erwerbsarbeit müssen als Normalarbeitsverhältnis abgesichert sein. Dies bedeutet nicht die Aufrechterhaltung starrer Arbeitszeitstrukturen, sondern ein arbeits- und sozialrechtlich geschütztes Verhältnis für alle Formen der Erwerbsarbeit. Wir wollen, wo möglich, nicht Arbeitslosigkeit sondern Arbeitsplätze finanzieren. Wir wollen, daß jedem, der seinen Arbeitsplatz verliert, neue Arbeit oder zusätzliche Qualifizierung angeboten wird.
Unsere Forderungen für die Gestaltung der Erwerbsarbeit sind: Humanisierung, Qualifizierung und Demokratisierung. Diese drei Aufgaben bedingen einander.
Humane Gestaltung der Arbeitswelt verlangt zunächst, daß Menschen nicht durch gesundheitsbelastende Arbeitsbedingungen verschlissen werden. Gesundheitsgefährdende Arbeitsstoffe, Lärm, Hitze Gase, Strahlung und Staub, aber auch Techniken, die Monotonie und nervliche Belastung steigern, Kontrolle und Entfremdung verschärfen und Eigenverantwortlichkeit mindern, können nicht hingenommen werden. In allen Berufen müssen die Bedingungen und Anforderungen der Arbeit auch den Menschen gerecht werden, die durch unzureichende Qualifikation beeinträchtigte Gesundheit oder durch ihr Alter im Nachteil sind.
Daher wollen wir den Arbeits- und Gesundheitsschutz weiter entwickeln, menschengerechte Technologien und Organisationsformen fördern. Es ist staatliche Aufgabe, Tarifvertragsparteien, Wirtschaft und Wissenschaft bei der Erprobung neuer betrieblicher Lösungen zu unterstützen und für die Verbreitung des Wissens über eine menschengerechte Gestaltung zu sorgen.
Humanisierung der Arbeitswelt setzt darüber hinaus bei den kreativen, organisatorischen, fachlichen und sozialen Fähigkeiten der Menschen an. Die Menschen brauchen sinnvolle Arbeitsinhalte, ausgeweitete Handlungsspielräume, mehr Autonomie, verbesserte Qualifizierung sowie verstärkte Mitbestimmung und Beteiligung.
Die Qualität der Arbeit verbessert sich nur über bessere Qualifizierung aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie müssen das Recht auf lebenslange Aus- und Weiterbildung in der Erwerbsarbeitszeit haben. Es soll, ebenso wie ein erweiterter Bildungsurlaub, gesetzlich verankert werden. Neue Technik macht neue Formen der Arbeitsorganisation möglich. Monotonie und Zerstückelung der Arbeit können überwunden, partnerschaftliche Zusammenarbeit kann die Regel werden. Dies ist nicht nur menschengerechter, sondern vielfach auch effizienter. Wo technische Innovation Arbeit in hierarchischen Zwängen überflüssig oder überwindbar, die Dezentralisierung und Demokratisierung der Arbeit in Betrieben hingegen möglich macht, muß die Chance genutzt werden. Erwerbsarbeit, die an vielen Stellen Fremdbestimmung durch gemeinschaftliche und individuelle Gestaltung ersetzt, ist keine Utopie mehr.
Menschen, die Erwerbsarbeit auslaugt, abstumpft oder demütigt, können in ihrer freien Zeit diese Schädigungen nicht wettmachen. Darum ist humane, demokratisch und sozial organisierte Arbeit ausschlaggebend für ein menschenwürdiges Leben. Humanisierung der Arbeitswelt hat auf jeder Stufe von Technik und Organisation menschenwürdige Arbeitsverhältnisse herzustellen. Dabei sind die steigenden Ansprüche der Menschen zu berücksichtigen .
Demokratisierung zielt auf Befreiung in der Arbeit. Sie muß durch die Arbei tenden unter Ausweitung der Mitbestimmungskompetenzen selbst verwirklicht werden. Aus Wirtschaftsuntertanen werden Wirtschaftsbürger und -bürgerinnen.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen darüber mitbestimmen, welche Arbeit mit welcher Zielsetzung in welchen Organisationsformen zu welchen Zeiten ge leistet werden soll. Mitbestimmung ist weiter nötig, wo über neue Möglichkei ten der Beschäftigung, ökologische und soziale Verträglichkeit von Arbeits plätzen zu entscheiden ist. Wir werden die rechtlichen Voraussetzungen hier für, auch im öffentlichen Dienst, schaffen.
Kindererziehung und Familienarbeit machen unsere Gesellschaft lebensfähig. Sie müssen gesellschaftlich anerkannt und sozial abgesichert werden. Humanisie rung, Verkürzung und angemessene Verteilung der Erwerbsarbeit kommen auch der Haus- und Familienarbeit zugute. Wie die Erwerbsarbeit ist die Haus- und Fami lienarbeit Aufgabe beider Geschlechter. Wie andere Arbeitsformen bietet sie die Chance der Selbstverwirklichung, sie kann aber auch Menschen überfordern und in ihrer Entwicklung behindern.
Erwerbsarbeitsplätze in der Nähe der Wohnung können die Lebensqualität verbes sern und die Verbindung von Erwerbsarbeit und Haus- und Familienarbeit er leichtern. Sie sind zu erhalten oder neu zu schaffen. Familiengerechte Wohnun gen, dezentrale Einkaufsmöglichkeiten und der Ausbau der lokalen Infrastruktur erleichtern die Vereinbarkeit von Arbeit im Erwerbsprozeß und in Haus und Familie.
Erziehungs- und Pflegezeiten sind in der Altersversorgung anzurechnen. In den ersten drei Lebensjahren eines Kindes müssen Vater und Mutter Anrecht auf be zahlten Elternurlaub bekommen. Wer zur Kindererziehung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, muß Anspruch auf Wiedereingliederung haben. Bei Einstellun gen und beruflichem Aufstieg sind Erziehungs- und Pflegezeiten zu berück sichtigen. Außerdem besteht der Rechtsanspruch auf weitere Qualifikation und Förderung nach Eignung und Neigung.
Menschliches Leben vollzieht sich im Rhythmus von Arbeit und Muße, Anspannung und Entspannung. Mit der Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit vergrößert sich das Angebot an Zeit für die freibestimmten Tätigkeiten. Diese gewonnene Zeit wollen wir nicht der Freizeitindustrie überlassen. Alle müssen die Chance bekommen, sich für Nachbarschaft oder Umwelt, für gewerkschaftliche oder poli tische Aufgaben zu engagieren. Es muß für alle möglich werden, nach eigener Wahl kreativ zu sein. Die Gesellschaft muß dafür die Voraussetzungen verbes sern.
Ziel von Bildung ist für uns nicht nur Qualifikation für Beruf und Fortkommen. Bildung hat Eigenwert für die Entfaltung der Person.
Bildung soll Verständnis für die eigene Überlieferung wecken und Menschen befähigen, sich selbst und andere, auch andere Kulturen und ihre Menschen, zu verstehen. Bildung soll die Chance eröffnen, selbstbestimmt zu arbeiten und die von Erwerbsarbeit und Familienarbeit freie Zeit für Eigenarbeit, musisch kulturelle Tätigkeit, soziale und politische Aktivitäten zu nutzen. Bildung muß Menschen befähigen, sich mit der Gesellschaft und den Anforderungen der Arbeitswelt kritisch auseinanderzusetzen und mitgestaltend auf sie einzu wirken. Bildung soll Menschen helfen, sich in unserer komplizierter werdenden Gesellschaft zurechtzufinden, Technik und Produktionsmittel sinnvoll zu gebrauchen und ihre natürliche Umwelt zu schützen. Sie soll Kreativität fördern und dazu befähigen, mit dem Überangebot von Unterhaltung und Informationen umzugehen. Sie soll jungen Menschen helfen, grundlegende menschliche Erfahrungen zu bestehen und an ihnen zu wachsen.
Gefühl wie Vernunft, geistige wie praktische Fähigkeiten bedürfen der Bildung. Sie soll für die Natur aufschließen, zur Verantwortung für die Mitmenschen hinführen und solidarisches Verhalten einüben.
Bildung muß dazu befähigen, die Vielfalt der europäischen Kulturen als Bereicherung des eigenen Lebens zu erfahren.
Vielseitige Bildung dient auch der sinnvollen Vorbereitung auf Arbeitsleben und Beruf: In einer Arbeitswelt, in der Teamarbeit und Mitdenken gefragt und immer neue Aufgaben zu bewältigen sind, wird sich berufliche Erfüllung und sogar beruflicher Erfolg um so eher einstellen, je weniger sich Bildung eng und einseitig darauf konzentriert.
Bildung muß allen offenstehen. Schüler, Auszubildende und Studenten sind finanziell so zu unterstützen, daß sie in eigener Verantwortung ihren Berufs weg unabhängig vom Einkommen ihrer Eltern gehen können. Eine qualifizierte Schul- und Erstausbildung eröffnet die Chance zum lebenslangen Lernen und sozialer, kultureller und politischer Teilhabe.
Chancengleichheit im Bildungswesen ist für uns unverzichtbar. In den letzten Jahrzehnten sind wir unserem Ziel der Bildung für alle näher gekommen. Wir haben den Zugang zu qualifizierter Bildung für Kinder aller Schichten geöffnet. Die Schulpflicht wurde verlängert. Mädchen und Frauen wurden in Bildung und Ausbildung einbezogen wie nie zuvor.
Unser Bildungswesen steht vor neuen Herausforderungen. Die quantitative Erweiterung muß einhergehen mit dem qualitativen Ausbau.
Wir wollen allgemeine, politische und berufliche Bildung integrieren: Dies gilt für alle Bildungseinrichtungen.
Wir wollen Ganztagsschulen anbieten, weil sie Chancengleichheit fördern soziales Lernen und den Wechsel von Wissensvermittlung, Gemeinschaftsarbeit und Spiel ermöglichen.
Die Schulen müssen zur Arbeitswelt, vor allem aber zu den Städten und Gemeinden hin geöffnet, in das kommunale Leben eingebunden werden. Wir wollen mehr Mitbestimmung der Beteiligten auch bei der Wahl der Schullaufbahn und einen größeren pädagogischen Freiraum in den Bildungseinrichtungen. Der Staat muß die Rahmenbedingungen so gestalten, daß sie durch Willensbildung vor Ort ausgefüllt werden können. Wir fördern Modellschulen, die neue Lern- und Unter richtsformen erproben.
Wir wollen die gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen, von ausländischen und deutschen, von behinderten und nicht-behinderten Kindern, damit Vorurteile und Benachteiligungen abgebaut werden.
Wissensvermittlung wollen wir mit sozialem Lernen verknüpfen, auch um dem wachsenden Konkurrenzdruck aus der Arbeitswelt entgegenzuwirken.
Sozialdemokratische Bildungspolitik will fördern statt auslesen. Wir wollen Schulen, die eine Vielfalt von Bildungsmöglichkeiten und -abschlüssen anbieten, den unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten der Schüler Rechnung tragen, sie differenziert fördern und so mehr Chancengleichheit verwirklichen. Die Gesamtschule ist am besten geeignet, unsere bildungspolitischen Ziele umzusetzen.
Die Berufsausbildung hat für die persönliche und berufliche Entwicklung zentrale Bedeutung. Alle jungen Menschen haben deshalb das Recht auf einen Ausbildungsplatz. Die Ausbildung muß sie befähigen, einen Beruf auszuüben, sich regelmäßig weiterzubilden und unser Gemeinwesen mitzugestalten. Die Ausbildung muß deshalb eine breite berufliche Grundbildung umfassen und sowohl berufsspezifische wie berufsübergreifende Fähigkeiten vermitteln. Dem Staat kommt auch im dualen System der Berufsausbildung eine besondere Verantwortung zu.
Mädchen und Frauen dürfen bei der Ausbildung, der Weiterbildung und beim Übergang in die Arbeitswelt nicht benachteiligt werden.
Rascher Strukturwandel macht es nötig, Weiterbildung gleichberechtigt mit Schule und Erstausbildung zu fördern. Deshalb muß die allgemeine, die berufliche, die politische und die kulturelle Weiterbildung als kommunale Pflichtaufgabe zur vierten Säule des Bildungswesens ausgebaut werden. Insbesondere Menschen, die im Erwerbsleben und bei der Ausbildung benachteiligt sind oder deren Berufswissen durch die technische Entwicklung entwertet wird, muß der Staat die Qualifikation für eine neue Berufstätigkeit ermöglichen.
Als Gegengewicht zur betriebsbezogenen Weiterbildung ist ein ausreichendes Angebot an öffentlicher und öffentlich geförderter Weiterbildung notwendig. Die Unternehmen müssen sich an den Kosten der Aus- und Weiterbildung beteiligen.
Die während des Berufslebens zur Verfügung stehende Weiterbildungszeit soll mindestens der Zeitspanne der Erstausbildung entsprechen.
Die Öffnung der Hochschule bleibt unser Ziel. Studium und Weiterbildung sollen auch für diejenigen zugänglich werden, die ihre Befähigung im Beruf oder durch andere gesellschaftliche Tätigkeiten erworben haben. Forschung und Lehre müssen stärker als bisher Probleme der Arbeitswelt berücksichtigen.
Alle Gruppen an der Hochschule müssen wirksame Mitbestimmungsrechte erhalten. Wir wollen die Freiräume der Hochschule für Reformen und neue Studiengänge erweitern. Sozial- und Geisteswissenschaften müssen ebenso gefördert werden wie Natur- und Technikwissenschaften. Natur- Gesellschafts- und Geisteswissen schaften gehören untrennbar zusammen.
Wir wollen alles tun, damit die Qualität von Wissenschaft und Forschung internationalen Maßstäben gerecht bleibt.
Freiheit und Verantwortung der Wissenschaft bedingen einander. Wer als Wissenschaftler gegenüber der Gesellschaft die Freiheit der Forschung beansprucht, muß auch bereit sein, für die Folgen ihrer Anwendung Verantwortung zu übernehmen. Die Gesellschaft muß die Freiheit der Wissenschaft und des einzelnen Wissenschaftlers gegenüber staatlicher und wirtschaftlicher Macht sichern. Zur Freiheit der Wissenschaft gehört der freie, unbehinderte wissenschaftliche Disput und die laufende Veröffentlichung von Forschungsergebnissen.
Wir sehen mit Sorge, daß immer mehr Forschungseinrichtungen entstehen, in denen die Forschung militärischen oder ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken unterworfen wird. Sie binden verfügbare Forschungspotentiale und verhindern alternative Forschungsansätze. Sie behindern den Erkenntnisprozeß, indem sie die Ergebnisse ihrer Forschung der Öffentlichkeit vorenthalten.
In der Regel unterliegt wissenschaftliche Forschung erst dann der gesellschaftlichen Kontrolle, wenn es um die Anwendung ihrer Ergebnisse geht. Wo aber Vorhaben der Wissenschaft ethische Normen verletzen oder zu untragbaren Risiken führen, muß der Gesetzgeber Methoden und Verfahren der Forschung untersagen. Dies gilt für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, für medizinische Experimente am Menschen, für Eingriffe in Persönlichkeitsrechte und gentechnische Entwicklungen, insbesondere Veränderungen der Erbmasse des Menschen.
Die gesellschaftliche Kontrolle ethisch fragwürdiger Experimente wollen wir erreichen, indem wir öffentliche Diskussionen über die Zulässigkeit wissen schaftlicher Verfahren anregen und Ethikkommissionen einrichten. Wenn es die Würde des Menschen, das Recht auf Leben oder der Schutz der Natur erfordern, hat der Staat das Recht und die Pflicht, mit Verboten und Auflagen in die Forschung einzugreifen.
Die Arbeiterbewegung hat sich von Anfang an auch als Kulturbewegung verstanden. In der Tradition des europäischen Humanismus und der Aufklärung trat sie für die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks ein und wollte allen die Teilhabe am Reichtum der Kultur ermöglichen. Diesen Zielen bleiben wir verpflichtet.
Unser Begriff von Kultur umfaßt mehr als Literatur, Musik, Kunst und Wissenschaft. Gerade in einer umfassenden Kultur des Zusammenlebens rücken diese Bereiche vom Rand der Gesellschaft in ihr Zentrum.
Wachsende Freizeit vermehrt die Möglichkeiten zu eigener kultureller Tätigkeit. In ihr entfalten sich geistige und emotionale Fähigkeiten, Phantasie und Kreativität, in ihr bilden sich Werte, Bilder und Denkmuster heraus, die auch die Zukunft unserer Demokratie bestimmen. Mit menschenverachtenden, zum Beispiel neonazistischen und faschistischen Strömungen und Gruppierungen werden wir uns mit aller Kraft auseinandersetzen.
Wir orientieren uns in Kulturpolitik und Kulturarbeit an unseren Grundwerten und unserer Tradition. Wir wollen kritisches Bewußtsein fördern zu aktiver und solidarischer Lebensgestaltung anregen, persönliche und gesellschaftliche Emanzipation voranbringen.
Wir wissen, daß wir das kulturelle Leben der Gesellschaft nur dann prägen können wenn sozialdemokratische Kulturarbeit bei der eigenen Partei beginnt, bei ihren Umgangsformen, ihrer Arbeitsweise, ihrer Fähigkeit, kulturelle Impulse aufzunehmen und zu verarbeiten.
Wir fördern eine Vielzahl kultureller Ausdrucksformen in Gruppen und Projekten, in Stadtteilen und Wohngebieten. Kunst muß Sache möglichst vieler Menschen werden. Hindernisse beim Zugang zu Kunst und Bildung wollen wir abbauen, soweit sie nicht in den Kulturerzeugnissen selbst liegen.
Ein buntes und vielseitiges Kulturleben das sich dem industriell normierten Freizeitverbrauch widersetzt, ist für uns allerdings mehr als die Summe unver bundener Aktivitäten. Wir wollen, daß sich unterschiedliche Milieus und Teilkulturen einander aussetzen. Widerspruch und Provokation sind Ausdruck kultureller Vitalität.
Kunst und Kultur brauchen Orte, an denen sie sich öffentlich darstellen können. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen und Künstlerinnen und Künstler zu fördern, ist Sache der Politik. Kulturpolitik ist eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Hände. Der Staat darf nicht Vormund der Kultur, er soll Garant kultureller Vielfalt sein.
Unsere Kulturen, unser gesellschaftliches und politisches Leben werden zunehmend von Medien, vor allem von den elektronischen Medien, bestimmt. Einer neuen Medienindustrie, beherrscht durch nationale und internationale Konzerne, ist damit beträchtliche Macht auch über das kulturelle Leben und über das Fühlen und Denken der Menschen zugewachsen.
Wir Sozialdemokraten stehen für kulturelle und publizistische Vielfalt. Wir wollen die Unabhängigkeit der Medien vom Staat, aber auch von mächtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen sichern und ausbauen. Wir wollen die Mitbestimmung aller, die in den Medien tätig sind vor allem derer, die an Programm und redaktioneller Arbeit mitwirken.
Zeitung, Zeitschrift und Buch behalten als gründlich und umfassend informierende Angebote auch im Zeitalter der elektronischen Medien ihre besondere Bedeutung. Unsere Kultur ist auf das Lesen angewiesen. Wir werden es fördern.
Dem öffentlich-rechtlichen Hörfunk und Fernsehen obliegt die unerläßliche Grundversorgung. Sie besteht in einem umfassenden Angebot an Information, politischer Meinungsbildung, Unterhaltung, Bildung, Beratung und kulturellen Beiträgen. Bestand und Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks müssen daher gewährleistet bleiben. Er muß vor allem gegen parteipolitische Einflußnahme gesichert und wirtschaftlich unabhängig sein. Wir erwarten vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Programmkultur, für die nicht allein die Einschaltquote Maßstab ist und in der kritische und provokative Beiträge nicht einer bequemen Ausgewogenheit geopfert werden. In Journalismus und Unterhaltung stützen wir alle, die die Wirklichkeit kritisch durchleuchten wollen und neue Ideen haben.
Der deutsche und der europäische Film sind zu fördern. Sie können dabei helfen, die kulturelle Identität Europas, seiner Länder und Regionen zu erhalten.
Sport ist ein wesentlicher Teil der Kultur. Er trägt zu Lebensqualität und Lebensfreude bei. Darum übernehmen wir von der Arbeitersportbewegung den Grundsatz des Sports für alle, und daher gilt unser Hauptinteresse dem Breitensport und dem Behindertensport. Wir unterstützen aber auch den Leistungssport, der die menschliche Würde nicht verletzt und die Selbstbestimmung des Sportlers garantiert. Zur Sicherung dieser Bedingungen bedarf es gegebenenfalls gesetzlicher Maßnahmen. In Partnerschaft mit seinen eigenverantwortlichen Organisationen ist der Sport von Bund, Ländern und Gemeinden zu fördern.
Sozialpolitik will Solidarität als Leitidee für die ganze Gesellschaft lebendig machen. Daher ist sie für uns Gesellschaftspolitik, eine Dimension des gesamten politischen Handelns.
Solidarität ersetzt nicht Eigenverantwortung, erträgt nicht Bevormundung. Sie soll auch als Hilfe zur Selbsthilfe wirksam werden. Die Arbeiterbewegung hat über Generationen hinweg den Sozialstaat erkämpft. Wir werden ihn erhalten und ausbauen.
In der Solidargemeinschaft stehen die Jungen für die Alten, die Gesunden für die Kranken, die Nicht-behinderten für die Behinderten, die Arbeitenden für die Arbeitslosen ein. Wir sind gegen eine Privatisierung der elementaren Lebensrisiken.
Sozialpolitik, die sich darauf beschränkt, eingetretene Schäden zu beheben, ist inhuman und überdies finanziell rasch überfordert. Der wirksamste Schutz geschieht durch Vorbeugung. Sozialpolitik will nicht nur reparieren und in Notfällen einspringen, sondern vorausschauend gestalten. Sie soll Lebens- und Arbeitsbedingungen menschenwürdig machen. Ökologische Politik zum Schutze der Gesundheit, Humanisierung der Arbeit, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und gerechtere Einkommensverteilung sind zentrale Aufgaben vorbeugender Sozial politik.
Wir wollen, daß gesunde und preiswerte Wohnungen in ausreichender Zahl angeboten werden, die den Bedürfnissen von Familien und einzelnen gerecht werden. Wohnen ist ein Grundrecht wie Arbeit und Bildung. Jeder hat Anspruch auf eine menschenwürdige Wohnung. Der Schutz der Mieter durch ein soziales Mietrecht muß dauerhaft gesichert bleiben. Es ist die Aufgabe des Staates und der Gesellschaft denen zu helfen, die ihre berechtigten Wohnansprüche nicht aus eigener Kraft erfüllen können oder die als Minderheiten am Wohnungsmarkt auf Ablehnung stoßen. Der soziale Wohnungsbau als Miet- und Eigenheimbau bleibt daher unverzichtbar.
Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes überträgt dem Staat soziale Verantwortung und die Pflicht zu sozialer Gerechtigkeit.
Die tragenden Säulen des Sozialstaats sind staatlich verbürgte soziale Sicherung und Teilhabe, der einklagbare Rechtsanspruch auf Sozialleistungen und die rechtlich gesicherte Stellung der Arbeitnehmer.
Es berührt Menschen in ihrer Würde, ob sie Sozialleistungen aufgrund von Rechtsansprüchen oder als wohltätige Zuwendungen erhalten, ob sie im Arbeitsverhältnis der Willkür des Arbeitgebers unterworfen sind oder, genau wie die Unternehmer, gesetzliche Rechte und Pflichten wahrnehmen. Wer soziale Hilfe in Anspruch nimmt, darf nicht diskriminiert werden.
Soziale Sicherung muß verläßlich sein. Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik sind so aufeinander abzustimmen, daß die Gesamtpolitik am Sozialstaatsgebot orientiert ist.
Auch für Sozialpolitik gilt: Qualität vor Quantität. Wer Abbau verhindern will muß Umbau betreiben.
Gewinninteressen müssen zurückgedrängt, bürokratische Verkrustungen aufgebrochen werden. Die Empfänger von Sozialleistungen müssen ihre Interessen ausreichend geltend machen können.
Soziale Sicherung hat sich über ein Jahrhundert hinweg in zahlreiche Institutionen verzweigt. Das Sozialrecht ist schwer durchschaubar geworden. Berufsständische Abgrenzungen führen dazu, daß gleiche Tatbestände ungleich behandelt werden. Dies wollen wir überwinden.
Unser Ziel ist eine soziale Sicherung, die
Wir werden dafür sorgen, daß die Renten sicher bleiben. Wenn auf immer mehr Rentner immer weniger Beitragszahler kommen, müssen zusätzliche Lasten auf Beitragszahler, Rentner und den Staat gerecht verteilt werden. Der ungünstige Altersaufbau wirkt sich auch auf die Sonder- und Zusatzversorgungen aus. Daher müssen die Systeme der Alterssicherung schrittweise angeglichen werden. Alle müssen die Möglichkeit erhalten, nach eigener Wahl Teile von Rente und Arbeitseinkommen zu kombinieren.
Unternehmen, die Arbeit durch Kapital und Energie ersetzen, zahlen immer weniger, arbeitsintensive Betriebe immer mehr Sozialabgaben. Wir wollen die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung am Leistungsvermögen der Unternehmen, an der Wertschöpfung orientieren.
Wir streben eine Gesundheitssicherung an, bei der die Interessen der Versicherten Vorrang vor den Interessen der Ärzte, der Zahnärzte, der Pharmaindustrie, der Heil- und Hilfsmittelanbieter und der Krankenhausträger haben. Die Krankenkassen müssen in den Stand gesetzt werden, die Rechte der Versicherten gegen die Interesse der Anbieter durchzusetzen und das Interesse der Versicherten an Vorbeugung und kostengünstigen, aber wirksamen Heilverfahren stärken.
Unser Gesundheitswesen ist äußerst erfolgreich, wo Infektionen zu bekämpfen, Schwerverletzte zu retten, chirurgische Eingriffe vorzunehmen sind. Es steht oh hilflos vor der wachsenden Zahl chronisch psychosomatisch und psychisch Kranker. Die Bekämpfung der Suchtgefahren ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von hohem Rang. Auch hier geht Hilfe vor Strafe.
Vorbeugende und heilende Medizin müssen den gleichen Rang erhalten. Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsaufklärung werden zu zentralen Aufgaben. Sie müssen im Kindergarten beginnen. Lebens- und Arbeitsbedingungen, die physisch oder psychisch krank machen, müssen besser erforscht und tatkräftiger verändert werden. Umweltschutz und Arbeitsschutz, Wohnungsbau und naturgerechte Landwirtschaft müssen zur Gesundheitsvorsorge beitragen.
Die Vielfalt sinnvoller medizinischer Ansätze, einschließlich der Naturheilverfahren, darf nicht durch Interessenmacht unterdrückt werden.
Jedem Kranken ist, unabhängig vom Einkommen, eine Behandlung zu ermöglichen, die dem Stand medizinischer Wissenschaft entspricht. Alle haben das Recht auf freie Wahl des Arztes und der Behandlungsmethoden, auch solche der alternativen Medizin.
Intensivmedizin kann Leben retten. Sie wird problematisch, wo sie Sterben verlängert und ihm seine Würde nimmt. Technische Hochleistung, Apparatemedizin und Chemotherapie dürfen einfache und kostengünstige Behandlungsmethoden nicht verdrängen.
Die soziale und psychische Seite von Krankheit ist stärker zu berücksichtigen psychisch Kranke und Behinderte dürfen nicht abgeschoben, verwahrt und isoliert werden. Sie sind in ihrer besonderen Lebenslage anzunehmen, zu respektieren und, soweit wie möglich, zu integrieren.
Dazu müssen gemeindenahe ambulante und stationäre Behandlungsformen geschaffen und miteinander verknüpft werden. Im Versorgungsrecht sind psychisch und physisch Kranke gleichzustellen. Psychisch Kranken ist durch mehr Personal und bessere Rehabilitationseinrichtungen die gleiche Betreuung wie physisch Kranken zu gewähren.
Wir wollen der ambulanten medizinischen Versorgung Vorrang vor der stationären geben. Dazu bedarf es des Aufbaus eines Netzes von möglichst gemeindebezogenen Einzel- und Gruppenpraxen, Gesundheitszentren, erweiterten Sozialstationen, Tageskliniken und Rehabilitationseinrichtungen.
Die notwendige Kostensenkung im Gesundheitswesen verlangt nicht nur veränderte Machtverhältnisse, sondern auch ein humanes Verständnis von Krankheit. Es geht nicht darum, durch oberflächliche Beseitigung von Krankheitssymptomen Arbeitsfähigkeit herzustellen sondern Menschen gesund zu machen. Dazu brauchen wir die vertrauensvolle Partnerschaft von Ärzten, Patienten und nichtärztlichen Heilberufen.
In der gesetzlichen Krankenversicherung lehnen wir eine Kostenbeteiligung der Versicherten über die Beiträge hinaus ab.
Wir wollen eine Gesellschaft selbständiger Menschen, die für sich und für andere Verantwortung übernehmen. Wir wollen denen Hilfe anbieten, die versuchen, ihre Probleme aus eigener Kraft oder zusammen mit anderen anzupacken. Deshalb sind neue Formen der Zusammenarbeit von Sozialverwaltung und Selbsthilfeinstitutionen zu unterstützen. Wir wollen die Selbsthilfe bewegung ermutigen und ihre Ideen und Erfahrungen für den Sozialstaat nutzbar machen.
Selbsthilfe kann große Solidargemeinschaften oder professionelle Dienste nicht entbehrlich machen. Sie kann sie aber entlasten und ergänzen und neuen Bedürfnissen flexibler gerecht werden. Aus dem Willen zur Selbsthilfe sind auch Wohlfahrtsverbände wie die Arbeiterwohlfahrt oder die diakonische und karitative Arbeit der Kirchen entstanden, die wir schätzen und fördern.
Wirtschaften hat dem Gemeinwohl zu dienen. Es soll alle Menschen ausreichend mit Gütern und Dienstleistungen versorgen, das Recht auf Arbeit gewährleisten, natürliche Lebensgrundlagen schonen und sichern. Das Kapital hat dem Menschen, nicht der Mensch dem Kapital zu dienen.
In modernen, demokratisch verfaßten Industriegesellschaften geschieht die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen durch eine gemischte Wirtschaft, in der Wettbewerb und staatliches Handeln zusammenwirken. Dieses System hat sich als überaus leistungsfähig und allen Formen zentraler Verwaltungswirtschaft prinzipiell überlegen erwiesen.
Ein historisches Grundproblem des Wettbewerbssystems ist seine Verbindung mit der privaten Verfügung über die Produktionsmittel. Diese Verbindung hat die kapitalistische Wirtschaftsordnung hervorgebracht und zu unkontrollierter wirtschaftlicher Macht und ungerechter Verteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen geführt.
Demokratische Kontrolle der wirtschaftlichen Macht des Kapitals verlangt einen handlungsfähigen Staat, starke Gewerkschaften und Mitbestimmung.
Die Ungleichheiten in der Vermögens- und Einkommensverteilung haben weiter zugenommen. Eine gerechte Verteilung von Einkommen, Vermögen und Zeit macht Tarifautonomie, staatliche Steuer- und Sozialpolitik und Vermögensbildung der Arbeitnehmer erforderlich.
Das Wettbewerbssystem ist ungeeignet, die Menschen mit Gemeinschaftsgütern und -leistungen zu versorgen. Infrastruktur und soziale Dienste bereitzustellen, ist vor allem öffentliche Aufgabe.
Die Wettbewerbswirtschaft hat durch ihre Tendenz zu ungehemmtem Ressourcen verbrauch und unkontrollierter technischer Innovation zur Verschwendung von Rohstoffen und zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen geführt. Der Staat muß diesen ökologischen Gefährdungen entgegenwirken und die Einführung umweltverträglicher Produkte und Produktionsverfahren durchsetzen.
Wettbewerb kann, ohne Leistungsfähigkeit einzubüßen, auf die Interessen des Gemeinwohls hin gelenkt werden, wenn es gelingt, Rahmenbedingungen gegen Kapitalinteressen verbindlich durchzusetzen. Dies kann in westlichen Industrieländern durch staatliche Steuerung, die Gegenmacht von Gewerkschaften, Dezentralisierung von Entscheidungen und gesellschaftlichen Konsens auf der Grundlage eines breiten Reformbündnisses geschehen, das auch die neuen sozialen Bewegungen einbezieht.
Staatliche Rahmensetzungen sind bisher fast nur im Nationalstaat wirksam geworden. Inzwischen setzt sich kapitalistische Ökonomie aber über nationale Grenzen hinweg. Multinationale Konzerne können dadurch Vorteile auf Kosten der Gesellschaft wahrnehmen und Verpflichtungen ausweichen.
Bei den meisten Industrieprodukten und vielen Dienstleistungen ist die Konkurrenz weltweit geworden. Wir wollen die Chancen der Bundesrepublik im weltweiten Wettbewerb wahren und für die Entwicklungsländer neue Chancen eröffnen. Eine expansive Exportorientierung lehnen wir ab. Um unseren Handelspartnern und insbesondere den Entwicklungsländern neue Chancen zu eröffnen und Ungleichgewichte im internationalen Handel abzubauen, müssen wir die Binnenwirtschaft stärken und den eigenen Markt öffnen.
Um zu verhindern, daß Standortkonkurrenz zwischen Wirtschaftsräumen zum weltweiten Druck auf Löhne, zu schlechteren Arbeitsbedingungen, Sozialleistungen und Umweltnormen führt, werden international verbindliche Regeln für soziale und ökologische Produktionsbedingungen nötig.
Noch mehr hat die Internationalisierung der Märkte für Kapital- und Geldanlagen die nationalen Möglichkeiten zur Steuerung der kapitalistischen Ökonomie vermindert. Währungsspekulation läßt Wechselkurse dramatisch schwanken, verfälscht den internationalen Wettbewerb und gefährdet Industriestandorte. Die Internationalisierung der Märkte engt die Spielräume der nationalen Zins- und Geldpolitik ein, bringt Konjunkturpolitik um ihre Wirkung.
Wo der Verlust nationaler Kompetenz nicht durch internationale Regeln ausgeglichen wird, gilt das Recht des Stärkeren. Alle Volkswirtschaften werden anfälliger für Krisen. Daher wollen wir Möglichkeiten zur Steuerung der Wirtschaften durch internationale Kooperation und Rahmensetzung zurückgewinnen und erweitern, ohne nationale Wirtschaftspolitik aus ihrer Verantwortung zu entlassen.
Noch mehr als wir sind die Entwicklungsländer auf eine Neuordnung der Weltwirtschaft angewiesen. Sie leben in demütigender Abhängigkeit von den Banken, Konzernen und Regierungen des Nordens. Auch im Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, deren Bedingungen sie sich fügen müssen, dominieren westliche Industrieländer.
Um den Forderungen ihrer Gläubiger nachzukommen, werden die Schuldnerländer gezwungen, Maßnahmen zu treffen, die ihre natürlichen Lebensgrundlagen zerstören und das Massenelend verschärfen. Die Rodung tropischer Regenwälder, Verkarstung und Erosion von Gebirgslandschaften, die Ausdehnung der Wüsten wirken auf das Klima der gesamten Erde.
Deshalb gibt es ein gemeinsames Interesse aller Völker, die Weltwirtschaft nicht den ökonomisch Stärksten und Rücksichtslosesten zu überlassen. Nationale und internationale Kontrollmechanismen müssen sicherstellen, daß sich das international operierende Kapital seiner sozialen und ökologischen Verantwortung und seiner Steuerpflicht nicht entzieht.
Wir sind für internationale Konventionen zur Erhaltung der natürlichen Lebens grundlagen. Dazu gehören Abkommen zum Schutz des Waldbestandes, der Atmosphäre und der Meeressysteme. Die Antarktis muß vor ökonomischer Ausbeutung geschützt werden.
Es liegt im Interesse aller, daß die Entwicklung des Südens weder durch Überschuldung noch durch unseren Protektionismus abgewürgt wird. Den ärmsten Ländern müssen die Schulden erlassen werden. In anderen sind teilweiser Erlaß und Begrenzung des Schuldendienstes nötig. Die Regionen des Südens müssen in die Lage versetzt werden, sich gemeinsam ohne Bevormundung durch Weltbank und IWF über ihre eigenen Entwicklungsprioritäten einigen zu können. Entschuldung darf nicht an Bedingungen geknüpft werden, die soziales Elend für die Menschen dieser Länder bedeuten.
Die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von Schwankungen der Rohstoffpreise muß durch internationale Rohstoff-Fonds vermindert werden. Anreize für Überproduktion sind dabei um so eher zu vermeiden, je stärker die landwirtschaftliche Produktion für den Eigenbedarf gefördert wird.
Ein fairer Welthandel muß durch sanktionsfähige internationale Regeln gesichert werden. Präferenzen, die nicht auf Gegenseitigkeit beruhen, können die Märkte der Industrieländer für Fertigwaren aus Entwicklungsländern öffnen und deren junge und schutzbedürftige Branchen vorübergehend absichern.
Eine demokratisch kontrollierte internationale Währungsordnung ist notwendig, um Währungsspekulation und schädliche Währungsschwankungen zu verringern. Diese Währungsordnung kann die notwendige Senkung der Zinsen und die Abstimmung zwischen der Geld- und Haushaltspolitik der Staaten erleichtern.
Eine neue Weltwirtschaftsordnung wird nur dann besser sein, wenn durchgreifende Reformen der ökonomischen, sozialen und politischen Strukturen in den Gesellschaften des Südens den Weg in eine dauerhafte Entwicklung öffnen, und damit den Rückfall in erneute Verschuldung und einseitige ökonomische Abhängigkeit verhindern.
Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung läßt sich nicht aufbauen ohne die enge internationale Kooperation starker Gewerkschaften.
Der Aufbau einer gerechten, demokratisch legitimierten Ordnung der Weltwirtschaft wird durch regionale Zusammenschlüsse gefördert. Wo Länder ihre Kräfte und Interessen bündeln und abstimmen, schaffen sie Bausteine für eine bessere Weltwirtschaftsordnung.
Die Europäische Gemeinschaft eröffnet Handlungsspielräume. Sie bietet die Chance der Selbstbehauptung und Beeinflussung des Weltmarktes. Sie muß zu einem einheitlichen Wirtschafts-, Währungs- und Sozialraum zusammenwachsen.
Die Europäische Gemeinschaft soll
Durch ihre Wirtschaftskraft verfügt die Bundesrepublik über erhebliche nationale Handlungsspielräume, ihr Einfluß auf internationale wirtschaftspolitische Entscheidungen ist groß. Je entschlossener wir unsere nationalen Handlungsspielräume für ökologische und soziale Reform nutzen, desto stärker können wir auf internationale Entscheidungen einwirken. Wer nur auf europäische oder weltweite Regelungen wartet, wird am Ende auch sie nicht bekommen.
Obwohl manche unserer Vorstellungen nur noch europäisch oder gar weltweit voll zu verwirklichen sind, muß unser Handeln da beginnen, wo wir unmittelbar Verantwortung tragen.
Die Krise der Umwelt ist weltweit. Indem wir sie national angehen, wollen wir das international Notwendige vorantreiben. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist als Staatsziel in das Grundgesetz aufzunehmen . Die fortschreitende Zerstörung der Erdatmosphäre, die Vergiftung der Meere und eine drohende Klimakatastrophe, Waldsterben, Grundwasserbelastung, umweltbedingte Krankheiten und die hohen Aussterberaten der Tier- und Pflanzenarten sind die dramatischsten Zeichen einer umfassenden Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Der ökologische Umbau unserer Industriegesellschaft ist zur Frage des Überlebens geworden.
Vor allem die Industriestaaten haben diese Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen weit vorangetrieben. Mit der Fernwirkung ihrer Produktion und ihres Konsums schädigen sie die Meere, vernichten sie weltweit Tier- und Pflanzenarten und zerstören die Erdatmosphäre.
Deshalb haben die Industriestaaten die Hauptverantwortung und damit die Kosten für die weltweite Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen zu tragen. Sie müssen mit dem ökologischen Umbau ihrer Gesellschaften vorangehen und der Verschwendung von Energie, Rohstoffen und Flächen ein Ende setzen. Sie müssen die Völker der Dritten Welt in die Lage versetzen, ihren Beitrag zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu leisten.
Für uns gilt die ethische Verpflichtung zum pfleglichen Umgang mit der Natur auch dort, wo kein unmittelbarer Nutzen für die Menschen daraus folgt. Umweltschutz, Naturschutz, Tierschutz sind Teil unserer solidarischen Gesellschaftskonzeption. Ehrfurcht vor dem Leben ist Grundsatz unserer Politik. Die Erhaltung der Natur muß Aufgabe aller Politikbereiche werden.
Gesamtwirtschaftlich ist nichts vernünftig, was ökologisch unvernünftig ist. Ökologie ist kein Zusatz zur Ökonomie. Sie wird zur Basis verantwortlichen Wirtschaftens. Das ökologisch Notwendige muß daher Prinzip auch betriebswirtschaftlichen Handelns werden. Wir dürfen der Natur nur abverlangen, was sie uns ohne nachhaltige Schäden liefert. Wir müssen Güter herstellen und verwenden, die dem Stoffkreislauf der Natur angepaßt sind. Dieser ökologische Umbau unserer Wirtschaft reicht von der Produktidee über den Produktionsprozeß bis zum Verbrauch und zur Wiedergewinnung genutzter Rohstoffe und zur Schließung stofflicher Kreisläufe. Er erfordert eine ökologische Bewertung der eingesetzten Stoffe, Verbindungen und Verfahren. Er umfaßt alle Formen der Energiegewinnung und Energieumwandlung. Schwerpunkte des ökologischen Umbaus müssen Chemie, Verkehrswesen und Landwirtschaft sein.
Die zunehmende Gefährdung unserer Umwelt führt weltweit zu einer Verschärfung sozialer Ungleichheit. Um so mehr muß der ökologische Umbau sozial gestaltet werden.
Der ökologische Umbau hat klare Ziele:
Mit dem rasch wachsenden Anteil naturfremder Stoffe wachsen die Belastungen der Natur und die Gefahren für die menschliche Gesundheit. Ökologischer Umbau muß deshalb auch der Chemiepolitik eine neue Richtung geben. Chemische Produkte und Produktionsweisen müssen in Stoffkreisläufe eingepaßt werden. Geringstes Risiko muß zum wichtigsten Grundsatz chemischer Forschung, Entwicklung Produktion und Anwendung werden. Die Nutzung der Gentechnologie muß nach diesen Maßstäben beschränkt und kontrolliert werden.
Die Natur aber auch unsere Städte, sind an der Grenze ihrer Belastbarkeit durch Verkehr angelangt. Die unkontrollierte Konkurrenz von Straße, Bahn, Flugzeug und Binnenschiffahrt hat zu Mehrfachinvestitionen, Landschaftsverbrauch und zusätzlicher ökologischer Belastung geführt. Wir wollen Verkehrsträger, die ökonomisch wie ökologisch überzeugen. Die Wettbewerbsbedingungen wollen wir zugunsten solcher Verkehrsträger verändern, die weniger Energie brauchen und die Umwelt weniger belasten. Daher muß im Güter- und Personenverkehr die Bahn den Vorrang erhalten. Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen, Landstraßen und in Wohngebieten müssen die Umwelt entlasten und die Verkehrssicherheit erhöhen.
Raumplanung muß den Verbrauch von Landschaft rasch verringern, gleichzeitig ökologisch gefährliche Verdichtung vermeiden. Restaurierung, Erhaltung und Umbau gehen vor Neubau. Umweltfreundliches Bauen ist zu fördern. Der Flächen bedarf für Wohnungen und Infrastruktur darf nicht bedingungslos zu Lasten der Natur und der Umwelt ausgeweitet werden. Die Innenentwicklung der Städte und der sparsame Umgang mit Grund und Boden müssen als Ziele einer ökologisch sinnvollen Stadtentwicklung Vorrang haben, nötigenfalls unter verschärfter Beachtung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums an Grund und Boden.
Die Landwirte müssen von dem ökonomischen Zwang befreit werden, durch den übermäßigen Einsatz von Chemie und Fremdenergie unverkäufliche Überschüsse zu produzieren, ihre Böden zu überfordern, Luft und Grundwasser zu belasten. Die Intensivierung von Bodennutzung und Tierhaltung soll sich weder lohnen noch nötig sein. Der bäuerliche Familienbetrieb ist auch eine ökologisch angemessene Betriebsform. Wir werden durch flächenbezogene Obergrenzen für den Viehbestand unsere Bauern vor der Massentierhaltung der Agro-lndustrie schützen.
Eine umweltverträgliche Landbewirtschaftung, die organische Kreisläufe verwirklicht, artgerechte Nutztierhaltung ermöglicht und Artenvielfalt und Landschaft erhält, hat ihren Preis. Die Leistungen der Landwirte für unsere Kulturlandschaft müssen angemessen entgolten werden. Nur so kann es gelingen, die Industrialisierung der Landwirtschaft zu verhindern und bäuerliche Formen der Bewirtschaftung als Basis einer ökologisch verantwortbaren Landwirtschaft zu erhalten. Auch unsere Nahrungsmittel können dadurch gesünder und schmackhafter werden.
Ökologische Erneuerung wollen wir, wo immer möglich, nicht durch administrative Einzelentscheidungen, sondern durch politische Rahmensetzung bewirken. Das ökologisch Schädliche muß teurer, das ökologisch Richtige ökonomisch vorteilhafter werden. Dazu dienen Abgaben und Steuern auf der einen, finanzielle Anreize auf der anderen Seite. Energie muß teurer werden.
Wir brauchen wie bisher Gebote und Verbote, Grenzwerte und Genehmigungsvorbehalte. Wir brauchen darüber hinaus die Umweltverträglichkeitsprüfung, ein schärferes Umweltstrafrecht und ein neues Haftungsrecht, das auch die Beweislast umkehrt. Wir wollen die Verbandsklage einführen, die Stellung der Umweltschutzbeauftragten stärken und die Mitbestimmung in Fragen des Gesundheits- und Umweltschutzes ausweiten.
Umweltschutz beginnt vor Ort. Gemeinden und Kreise müssen Motor des ökologischen Umbaus sein. Auch dazu ist ihre finanzielle Leistungsfähigkeit zu stärken.
Nicht jedes Wachstum ist Fortschritt. Wachsen muß, was natürliche Lebensgrundlagen sichert, Lebens- und Arbeitsqualität verbessert, Abhängigkeit mindert und Selbstbestimmung fördert, Leben und Gesundheit schützt, Frieden sichert, Lebens- und Zukunftschancen für alle erhöht, Kreativität und Eigeninitiative unterstützt. Schrumpfen oder verschwinden muß, was die natürlichen Lebensgrundlagen gefährdet, Lebensqualität mindert und Zukunftschancen verbaut.
Eine Politik, die Wachstumsfelder auswählt, muß die Wünsche, Bedürfnisse, Sorgen, Unsicherheiten und Zukunftsängste der Menschen ernst nehmen. Diese Politik muß die Strukturen in der Produktion und im Verteilungssystem, im Recht, in der Kultur und im Bildungssystem verändern.
Sinnvoller Strukturwandel kommt nicht von allein. Strukturpolitik muß Richtung und Geschwindigkeit struktureller Veränderungen so beeinflussen und steuern, daß vor allem folgende Ziele erreicht werden:
Damit der Strukturwandel der Chancengleichheit unter den Regionen dient, werden wir über den Finanztransfers hinaus alle Strukturprogramme so anlegen, daß sie in schwächeren Regionen die Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit fördern, zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen und die Lebensqualität verbes sern.
Durch Technik haben die Menschen die Natur grundlegend verändert und gesellschaftlichen Reichtum produziert. Sie haben damit aber auch Natur zerstört und die Grundlagen ihrer Zivilisation gefährdet. Deshalb ist nicht jede technische Innovation Fortschritt.
Die Möglichkeiten der Technik erweitern sich in einer Geschwindigkeit, für die es keine geschichtliche Parallele gibt. Technik ist aber nicht neutral in ihrer Wirkung auf die Gesellschaft. Technik, Wissenschaft und Vermarktung verschränken sich immer enger. Die Produktion wissenschaftlicher und technischer Erkenntnisse verlagert sich immer mehr auf multinationale Unternehmen und transnationale Forschungseinrichtungen. So werden vollendete Tatsachen geschaffen, die sich immer mehr gesellschaftlicher Einflußnahme entziehen.
Die technisch-wissenschaftliche Entwicklung ist weder autonom noch unabänderlich. Sie bietet immer mehr Möglichkeiten an, als verwirklicht werden. In jedem Fall wird ausgewählt. Es kommt darauf an, nach welchen Kriterien und in wessen Interesse dies geschieht. Bisher dominieren Gewinnstreben und militärische Interessen. So wird Technikgestaltung zur zentralen politischen Aufgabe.
Wir wollen nicht den Menschen der Technik anpassen, wir wollen eine menschengerechte, sozialgerechte und umweltverträgliche Technik.
Technische Innovation - unverzichtbar für jede dynamische Wirtschaft - soll ökologischer Erneuerung und Rationalisierung dienen, Arbeit humanisieren, Grundrechte schützen und Grundwerte verwirklichen. Sie soll die Arbeitsproduktivität steigern, Arbeitszeitverkürzung ermöglichen, Wettbewerbsfähigkeit sichern, Energie und Rohstoffe einsparen, von entfremdender Arbeit befreien und die sinnvolle Gestaltung von Arbeitsprozessen fördern.
Technik muß so gestaltet und eingesetzt werden, daß Fehler beherrschbar und korrigierbar und Fehlentwicklungen durch künftige Generationen revidierbar sind. Technische Neuerungen, deren Risiken nicht abzuschätzen oder die demokratisch nicht beherrschbar sind, wollen wir verhindern. Da dies national häufig nicht möglich ist, brauchen wir internationale Konventionen zur gegenseitigen Information und Kontrolle.
Forschungsförderung in neuen, in ihren Risiken schwer abschätzbaren Entwicklungslinien muß mit einer begleitenden politischen Technikbewertung gekoppelt werden. Schon im Stadium der Forschungsplanung muß eine Abschätzung der möglichen Folgen der Technikentwicklung und -anwendung vorgenommen werden. Dabei sind alternative Varianten der Forschungsplanung zuzulassen und im Bürgerdialog zur Diskussion zu stellen.
Entscheidungen über Weichenstellungen für technische Systeme und damit auch über Felder des Wachstums sind nicht Aufgabe der Verwaltung, sondern der Politik. Sie lassen sich demokratisch nur durch die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und - wie der Streit über die Energiepolitik zeigt - nur als Ergebnis von Bürgerdialogen treffen. Wo immer Dialoge um technische Alternativen geführt werden, brauchen sie die Hilfe der Wissenschaft. Die Gesellschaft muß die Freiheit der Wissenschaft schützen, die Wissenschaft schuldet der Gesellschaft Auskunft über die Ziele ihrer Forschung, deren Ergebnisse und mögliche Anwendungen. Dies setzt intensive Forschung über Folgen neuer Techniken voraus.
Vor allem beim Parlament sind Einrichtungen der Technikfolgenabschätzung zu schaffen. Beratungsgremien sollen den Überblick über die Thematik erleichtern, Informationen bündeln und allgemein zugänglich machen, auf Chancen, Risiken und Alternativen hinweisen und ihre Bewertung zur Diskussion stellen. Wir wollen die Erforschung sozialer und ökologischer Folgen technischer Systeme fördern.
Die Einrichtung einer Institution für Technikfolgenabschätzung und Technikbewertung beim Parlament ist notwendiger, aber nicht ausreichender Ansatz für einen öffentlichen Diskurs über die Risiken wissenschaftlich-technischer Innovationen. Wir Sozialdemokraten fordern den Ausbau und die Vernetzung sozial- und naturwissenschaftlicher Einrichtungen der Technikbewertung und ihrer Öffnung zum Bürgerdialog.
Die Würde des Menschen und die soziale Gerechtigkeit verlangen Demokratisierung der Wirtschaft. Wirtschaftsdemokratie ist selbst ein Ziel, weil sie politische Demokratie sichert und vollendet. Sie ist zugleich Instrument,
In der Wirtschaftsdemokratie haben gesellschaftliche Ziele Vorrang vor den Zielen privatwirtschaftlicher Kapitalverwertung. Nicht wirtschaftliche Macht oder marktbeherrschende Unternehmen dürfen der Politik den Handlungsrahmen vorgeben, sondern demokratisch legitimierte Entscheidungen müssen im Interesse des Gemeinwohls Rahmen und Ziele für wirtschaftliches Handeln setzen.
Ökologisch und sozial verantwortbares Wirtschaften läßt sich nur erreichen, wo der Vorrang demokratischer Entscheidungen vor Gewinninteressen und Wirtschaftsmacht durchgesetzt wird.
Wirtschaftsmacht wirkt
Wir wollen die Teilhabe aller am Sagen und Haben. Dies bedeutet Mitbestimmung der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften auf allen Ebenen und Beteiligung aller am Produktivvermögen.
Wir wollen eine an qualitativen Kriterien ausgerichtete Entwicklung unserer Wirtschaft. Sie soll vor allem der Vollbeschäftigung, der Erhaltung ökologischer Kreisläufe und damit der Lebensqualität dienen. Die hierfür notwendige gesamtgesellschaftliche Steuerung muß politisch bestimmt und durch gesetzt werden.
Daraus ergeben sich Aufgaben für Politik Staat und Wirtschaft. Die Frage ist dabei nicht, ob der Staat auf die Wirtschaft einwirkt, sondern allein, mit welchen Zielen und Mitteln er es tut.
Er muß sein Handeln vorausschauend planen, gewollte Entwicklungen in Gang setzen, erkennbare Fehlentwicklungen abwenden und seine Planungen für Korrekturen fortlaufend offenhalten. Er soll den politischen Mehrheitswillen durchsetzen, der aus der Diskussion seiner Bürger entsteht.
Der Staat setzt Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung. Er muß dafür sorgen, daß soziale und ökologische Kosten, die die Allgemeinheit belasten, soweit wie möglich bereits in die Entscheidungen und Kostenrechnungen der Unternehmen einbezogen werden.
Der Staat - Bund, Länder, Gemeinden und Europäische Gemeinschaften - plant sein wirtschaftsbezogenes Handeln. Das führt zu Jahresetats, mittelfristiger Finanzplanung, besonderen Fachplanungen, regionalen Entwicklungsplänen und Maßnahmenkatalogen. Wo immer dies zweckdienlich und möglich ist, müssen diese Planungen zusammengeführt und zu übergreifenden Entwicklungsplänen verbunden werden. Diese gesetzlichen Rahmenbedingungen und Planungen sind Vorgaben für die autonomen Entscheidungen der Unternehmen.
Für die demokratische Steuerung wie für die Planungskoordination sind verbesserte Informations- und Koordinationsinstrumente nötig:
Innerhalb des demokratisch gesetzten Rahmens sind Markt und Wettbewerb unentbehrlich. Durch den Markt wird die unüberschaubare Vielfalt wirtschaftlicher Entscheidungen wirksam koordiniert.
Öffentliche und private Unternehmen in der Landwirtschaft, in Industrie, Handwerk, Handel und Dienstleistungen sind Grundlage unseres Wirtschaftslebens.
Wirtschaftsdemokratie braucht unternehmerische Initiative und Leistung, wir erkennen sie an und fördern sie. Sie muß sich auch in ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung bewähren.
Leistungswettbewerb kommt den Verbrauchern und ihrer freien Konsumwahl zugute. Der Markt ist ein Instrument zum Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage; er ist, eingebettet in eine entsprechend ausgerichtete Rahmensetzung, auch ein effizientes Instrument zur Steuerung von Nachfrage und Angebot. Er kann Auskunft über mögliche ökonomische und strukturelle Entwicklungen geben. Der Markt kann aber weder Vollbeschäftigung herstellen noch Verteilungs gerechtigkeit bewirken oder Umwelt schützen.
Wettbewerb soweit wie möglich- Planung soweit wie nötig!
Die Wirkungsmöglichkeiten des Marktes werden durch übermäßige Konzentration aufgehoben. Konzentration kann kleine und mittlere Unternehmen wettbewerbsunfähig machen und die demokratisch legitimierten Steuerungsinstrumente des Staates in ihrer Wirkung beschneiden. Deshalb unterstützen wir Unternehmensvielfalt und stärken besonders kleine und mittlere Unternehmen. Sie sind innovationsfähig und in der Lage, sich flexibel auf die vielfältigen Bedürfnisse des Marktes einzustellen. Auch bei der Bekämpfung regionaler Strukturschwächen sind sie besonders wichtig. Wir wollen sie stärken. Wir fördern Existenzgründungen.
Unsere Wirtschaft kommt nicht ohne große Unternehmen aus. Ihre Stärke ist ihre Fähigkeit, langfristig zu forschen und zu entwickeln, rationell zu produzieren. Ihre Gefahr liegt in ihrer Tendenz, durch Entfaltung von Markt macht kleinere und mittlere Unternehmen abhängig zu machen, sich von politischen Rahmenbedingungen abzukoppeln oder diese gar selbst zu bestimmen.
Da Wettbewerb Marktmacht kontrollieren kann, wollen wir die Wettbewerbsgesetze verschärfen. Der Herrschaftsmacht des Kapitals müssen starke Gewerkschaften Grenzen setzen. Der Umsetzung wirtschaftlicher Macht in politische ist größt mögliche Öffentlichkeit entgegenzusetzen. Sie ist eine der Grundlagen gesellschaftlicher Kontrolle.
Um den Einfluß von Banken und Versicherungen auf Grundentscheidungen der Wirt schaft zurückzudrängen, wollen wir ihre Macht über Unternehmen durch Entflechtung von Kapitalbeteiligungen einschränken. Auch der Besetzung von Aufsichtsräten durch Banken und der Ausübung des Depotstimmrechts wollen wir Grenzen setzen.
Nicht nur der Markt, sondern auch der Staat kann versagen. Gegen beide Gefahren müssen wir angehen.
Wir streben eine Reform des öffentlichen Sektors und der Gemeinwirtschaft in ihren unterschiedlichen Formen an. Öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen sind unentbehrlich dort, wo Prinzipien der Gegenmacht oder der Gemeinwirtschaftlichkeit dies gebieten, wo private Initiative fehlt oder über große Risiken bei anerkanntem Bedarf vorliegen. Nicht allein Gewinninteressen verpflichtet, können sie häufig gesellschaftlich anerkannten Bedarf am besten befriedigen. Sie dürfen jedoch nicht auf unrentable Unternehmen und Branchen beschränkt werden.
Besonders verpflichtet fühlen wir uns dem Genossenschaftsgedanken, der solidarische Selbsthilfe mit demokratischer Selbstverwaltung verbindet. Um die Neugründung von Genossenschaften zu erleichtern, wollen wir die ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen verbessern.
Wo mit anderen Mitteln eine sozial verantwortbare Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse und die Durchsetzung der qualitativen Kriterien wirtschaftlicher Entwicklung nicht gewährleistet ist, ist Gemeineigentum zweckmäßig und notwendig. Gemeineigentum kann in unserer Wirtschafts- und Sozialordnung keinen Freiraum für sich beanspruchen und muß sich an deren Bedingungen messen lassen. Vergesellschaftung muß zugleich demokratisches Element als auch wirtschaftspolitisches Instrument sein.
Wirtschaftsdemokratie erfordert gleichberechtigte Beteiligung und qualifizierte Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und ihrer Gewerkschaften bei wirtschaftlichen und sozialen Entscheidungen
Für Wirtschaftsdemokratie ist Tarifautonomie unabdingbare Voraussetzung. Das Gleichgewicht zwischen den Tarifparteien verlangt das gesetzliche Verbot der Aussperrung.
Element der Wirtschaftsdemokratie kann auch die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen am Produktivvermögen sein. Dadurch wird die Arbeitnehmerschaft am Gewinn und dem von ihr miterarbeiteten Kapitalzuwachs beteiligt ohne daß die Mittel für die notwendigen Investitionen geschmälert werden. Die Arbeitnehmerschaft und ihre Vertretungen erhalten damit einen wachsenden Anteil an der Verfügung über ihre eigenen Produktionsmittel.
Wir wollen den gesetzlichen Rahmen bereitstellen, in dem die Tarifvertragsparteien überbetriebliche Fonds zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen vereinbaren können.
Grund und Boden sind Teil der Natur und wesentliche Grundlage unseres Lebens. Sie befriedigen elementare menschliche Bedürfnisse wie Nahrung, Erholung und Wohnen. Grund und Boden sind nicht erneuerbar und unvermehrbar. Das hat sie zum Objekt der Vermögensanlage und der Spekulation gemacht.
Wir wollen ein Bodenrecht, mit dem in der kommunalen und regionalen Raumplanung ökologische und soziale Ziele durchgesetzt werden können. Das gilt vor allem für den Wohnungsbau und die Gestaltung des Wohnumfeldes. Dazu brauchen wir
Wirtschaftsdemokratie muß auch die Rechte der Verbraucher durchsetzen:
Ein wichtiges Instrument zur Steuerung der Wirtschaft sind die öffentlichen Finanzen. Steuern und Abgaben, Haushaltspläne und finanzielle Anreize, öffentliche Aufträge und Investitionen, Geld- und Kreditpolitik müssen so aufeinander abgestimmt werden, daß sie politischen Zielsetzungen dienen.
Nur der Reiche kann sich den armen Staat leisten. Wachsende und neue Staatsaufgaben im Interesse aller erlauben auch künftig kaum geringere Gesamtbelastung durch Steuern, selbst bei strengster Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Wir wollen Ausgaben streichen, denen ein gültiger Anspruch nicht mehr zugrunde liegt.
Öffentliche Fördermittel dürfen nur mit zielorientierten Auflagen und entsprechender wirksamer Erfolgskontrolle vergeben werden.
Öffentliche Investitionen müssen unsere Infrastruktur verbessern, ökologische Erneuerung in die Wege leiten, Arbeitsplätze schaffen und für mehr Lebensqualität in allen Regionen sorgen. Darüber hinaus sind mehr öffentliche Dienstleistungen anzubieten. Die Finanzpolitik muß ihrer Verantwortung für die Beschäftigung gerecht werden. In Zeiten der Konjunkturschwäche dürfen die Ausgaben nicht reduziert werden. Die Verstetigung der Ausgaben muß die wirtschaftliche Entwicklung stabilisieren, selbst wenn dies Kreditaufnahme erfordert. Subventionen, die nicht gesamtgesellschaftlich gerechtfertigt sind, werden abgebaut.
Ausschließlich oder überwiegend kreditfinanzierte öffentliche Programme für wichtige Wachstumsfelder können kurzfristig Konjunktureinbrüche mildern, die ökologische Erneuerung anstoßen und Arbeitsplätze schaffen. Umfassende und langfristige Beschäftigungsprogramme und Investitionsfonds kommen nur für genau definierte ökologische oder soziale Ziele von struktureller Bedeutung in Frage und müssen in erster Linie aus der Belastung nichtinvestierter Gewinne oder höherer Einkommen finanziert werden. Gesetzliche Regelungen dafür sollen zusammen mit der Reform des Steuerrechts die sinnvolle investive Verwendung von Gewinnen fördern und spekulative Verwendung verhindern.
Das Steuerrecht bedarf einer gründlichen Reform. Um die Einkommen gerechter zu verteilen, wollen wir das Existenzminimum steuerfrei stellen, kleine und mittlere Einkommen entlasten, Kinderfreibeträge durch Kindergeld ersetzen, ungerechtfertigte Steuersubventionen abbauen, reinvestierte Gewinne gegenüber ausgeschütteten deutlich begünstigen, Einkünfte aus Finanzanlagen steuerlich nicht besser stellen als Einkünfte aus Arbeit.
Darüber hinaus muß das Steuerrecht Instrument ökologischer Erneuerung sein. Wir wollen umweltbelastende Produkte stärker besteuern, vor allem Energie steuern ausweiten und stufenweise erhöhen, dafür die Arbeitseinkommen entlasten.
Wir streiten für Demokratie. Sie muß allgemeine Lebensform werden, weil allein sie der Achtung vor der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung Ausdruck gibt.
Demokratie ist die Lebensform der Freiheit. Freiheit hat nur Bestand, wo Menschen bereit und fähig sind, Verantwortung wahrzunehmen. Niemand darf in Staat und Gesellschaft von demokratischer Teilhabe ausgeschlossen oder durch soziale Schranken von ihr ferngehalten werden.
Demokratie bezieht ihre Lebenskraft aus der Gesellschaft und ihrer politischen Kultur. Sie wird durch die Ballung von wirtschaftlicher oder Medienmacht und durch die Anhäufung von Herrschaftswissen in privater oder öffentlicher Hand bedroht.
Der demokratische Staat beruht auf den gleichen Rechten und Pflichten aller seiner Bürgerinnen und Bürger. Die Grundrechte sind ihm als Freiheits- und Teilhaberechte vorgegeben und begründen ihn als eine wertgebundene Gemeinschaftsordnung. Gewährleistung und Wahrung der Grundrechte und Abwehr von Gefahren sind vornehmste Aufgaben des demokratischen Staates.
Der Staat soll Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Gesellschaft und Wirtschaft verwirklichen und die dafür notwendige Offenheit der Entscheidungsabläufe garantieren. Er kann jedoch nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen. Wer ihn überfordert, verursacht wuchernde Bürokratien, deren Wirksamkeit abnimmt und die weder zu kontrollieren noch zu finanzieren sind. Wir sind gegen die Verstaatlichung der Gesellschaft.
Der Staat muß Aufgaben da übernehmen, wo einzelne oder Gruppen die gesellschaftlich erforderlichen Verpflichtungen nicht von sich aus eingehen oder Leistungen, die für das Gemeinwohl notwendig sind, auf andere Weise nicht erbracht werden können. Das Prinzip der Subsidiarität, des Vorrangs der kleineren Einheit vor der größeren, kann, wo es nicht überdehnt wird, Macht begrenzen und zur Teilhabe ermutigen.
Der Rechtsstaat bindet alle Machtausübung an Recht und Gesetz. Die Bindung an die demokratische Verfassung, an Gewaltenteilung und gegenseitige Macht kontrolle legitimiert auch die staatliche Befugnis und Pflicht zur Durchsetzung der Rechtsordnung und zur Ausübung des Gewaltmonopols. Schaden erleidet der Rechtsstaat nicht nur durch Rechtsverstöße einzelner Bürger, sondern auch durch staatlichen Machtmißbrauch. Moderne Informationstechnologien verschieben die Gewichte weiter zugunsten bürokratischer Apparate; Demokratisierung ist insoweit nicht ohne Sicherung und Ausbau der Rechtsstaatlichkeit möglich.
Wir bekennen uns zum Gesetzesgehorsam auch da, wo wir ein Gesetz ablehnen. Um Rechtsänderungen durchzusetzen kämpfen wir um Mehrheiten in den Parlamenten. Zur Rechtsordnung gehören aber auch die Prinzipien der Güterabwägung und der Verhältnismäßigkeit. Zur Durchsetzung und zum Schutze höherrangigen Rechts muß im Wege verantwortlicher Güterabwägung niederrangiges Recht zurückgestellt werden. Insofern stellt nicht jede Rechtsverletzung einen Verstoß gegen die Prinzipien der Rechtsordnung dar sondern kann sich geradezu durch den Einsatz für das höherrangige Recht legitimieren.
Demokratie lebt vom Prinzip Öffentlichkeit. Staat und Verwaltung, nicht die Bürger, müssen gläsern sein. Die Bürger müssen den Staat, nicht der Staat die Bürger kontrollieren.
Alle müssen das Recht auf Zugang zu Informationen haben. Über Vorgänge, die das Gemeinwesen oder sie selbst betreffen, müssen Bürgerinnen und Bürger sich kundig machen und ein Urteil bilden können. Nur dann können sie die Staatsgewalt, die in ihrem Namen ausgeübt wird, kontrollieren. Es ist daher ein gesetzlicher Anspruch auf Akteneinsicht und Zugang zu öffentlichen Datenbanken zu schaffen, soweit Belange des Datenschutzes und begründete Geheimhaltungsinteressen nicht verletzt werden.
Selbstbestimmung über die eigenen Daten ist ein Grundrecht. Daher sind Datensammlungen gesellschaftlicher Kontrolle zu unterwerfen, der Schutz personenbezogener Daten bei Behörden und privaten Stellen ständig zu verbessern. Datensammlungen und ihre Vernetzung sind auf das Notwendigste zu beschränken.
Freiheit von Presse und Rundfunk bedarf auch innerer Pressefreiheit. Das Recht der freien Meinungsäußerung, Demonstrationsfreiheit, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit werden wir sichern.
Das tägliche Leben und Zusammenleben und die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit dem Gemeinwesen werden wesentlich durch kommunales Handeln bestimmt. Deshalb wollen wir die im Grundgesetz garantierte kommunale Selbstverwaltung stärken und ausbauen. Eine starke kommunale Selbstverwaltung braucht eine moderne Verwaltung unter politischer Führung und Kontrolle. Der Anteil der öffentlichen Hand am Sozialprodukt ist nach den Aufgaben zu bestimmen, die ihr zugewiesen werden. Die Entwicklung der öffentlichen Einnahmen muß der Aufgabenentwicklung folgen - auch in ihrer Verteilung auf die Gebietskörperschaften. Deshalb lehnen wir Aufgabenzuweisungen an die Kommunen ohne entsprechende Finanzierungsregelungen ab. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen muß verbessert werden. Sie müssen über ihre Haushaltseinnahmen autonom entscheiden können. Kein Finanzausgleich kann eigenständige kommunale Steuern ersetzen. Der verfassungsrechtliche Handlungsspielraum der Kommunen muß erweitert werden. Bei Entscheidungen, die sie betreffen, sind ihnen Mitbestimmungsmöglichkeiten gesetzlich zu sichern.
Der Föderalismus hat sich bewährt. Er begrenzt staatliche Macht, fördert Bürgernähe und regionale Vielfalt. Bund, Länder und Gemeinden müssen in ihrer verfassungsrechtlichen und finanziellen Handlungsfreiheit gesichert bleiben. Der Föderalismus muß Gestaltungsprinzip auch für die Europäische Gemeinschaft werden. Durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Regionen der einzelnen Nationalstaaten können gewachsene Traditionen für zukunftsweisendes Handeln fruchtbar gemacht werden.
Wir wollen die Europäische Gemeinschaft zu den Vereinigten Staaten von Europa weiterentwickeln. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die EG gemäß Artikel 24 des Grundgesetzes ist der herkömmliche Staatsaufbau bereits ergänzt worden. Die Bürgerinnen und Bürger der Gemeinschaft sollen an deren Entscheidungen mitwirken können. Aus einer Wirtschaftsgemeinschaft muß ein Europa der Bürger werden, in dem die Staatsangehörigkeit nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Unser Ziel ist eine Verfassung für die Gemeinschaft, die Demokratie mit den Grundsätzen des Rechts- und Sozialstaates verbindet.
Wir bekennen uns zur parlamentarischen Demokratie. In ihr verleihen freie Wahlen kontrollierte politische Macht auf Zeit.
Mehrheitsmacht bedarf der Selbstbeschränkung. Mehrheiten müssen sich dem dauernden Dialog mit ihren Kritikern stellen, auch außerhalb des Parlaments. Da auch Mehrheiten irren können, müssen Mehrheitsentscheidungen rückholbar sein, vor allem da, wo Lebensgrundlagen berührt sind und das Wohl der kommenden Generationen auf dem Spiel steht. Diese müssen über ihre Lebensverhältnisse selbst entscheiden können.
Parlamentarische Demokratie vermindert und ersetzt nicht die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Daher wollen wir die Bürgerbeteiligung ausweiten und das Petitionsrecht effektiver gestalten. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen Volksbegehren und Volksentscheid in Gemeinden, Ländern und Bund parlamentarische Entscheidungen ergänzen. Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Mehrheitsmacht gelten auch für die direkte Bürgerbeteiligung.
Die Rolle der Parlamente und der Abgeordneten im politischen Willensbildungsprozeß ist zu stärken. Deshalb müssen die Abgeordneten von Informationen aus der Regierung unabhängig werden. Sie haben ihre wirtschaftlichen Bindungen offenzulegen. Frauen und Männer sollen entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung in den Parlamenten vertreten sein.
Parlamentarische Demokratie ist ohne Parteien, die demokratische Willensbildung kontinuierlich ermöglichen, undenkbar. Um wirksame politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger zu realisieren, bedarf es innerparteilicher Demokratie und der Transparenz innerparteilicher Willensbildungsprozesse. Parteiliche Willensbildung, Parteiverhalten und Parteiorganisation müssen unseren grundlegenden Reformzielen entsprechen und neuen gesellschaftlichen Anforderungen nach mehr Mitentscheidung der Bevölkerung entgegenkommen.
Der demokratische Willensbildungsprozeß wird durch Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen belebt, in denen ein verändertes Bewußtsein seinen Niederschlag findet. Auch wenn sie häufig nur Teilinteressen vertreten, erzwingen sie die Diskussion wichtiger Themen, beleben unsere Demokratie durch neue Formen politischer Willensbildung und bereichern unsere ,politische Kultur. Sie können und sollen die Parteien stets aufs neue fordern, sie aber nicht ersetzen.
Verbände sind legitimer Ausdruck gesellschaftlicher Interessen. Wo sie sich am Gemeinwohl orientieren, suchen wir mit ihnen Zusammenarbeit. Wo sie rücksichtslos Teilinteressen durchsetzen wollen treten wir ihnen entgegen.
Ohne freie Gewerkschaften gibt es keine Demokratie. Mit ihnen verbinden uns gemeinsame Geschichte und gemeinsame Ziele. Sie bestimmen ihre Aufgaben selbst. Ihre freie Betätigung ist für uns unantastbar. Wo immer Arbeitnehmer interessen berührt sind, sollen die Gewerkschaften an gesellschaftlichen und politischen Aufgaben mitwirken. Wir respektieren ihre parteipolitische Unab hängigkeit.
Wir unterstützen gewerkschaftliche Forderungen nach gerechtem Anteil der Arbeitnehmer am Ertrag ihrer Arbeit, nach Mitbestimmung bei wirtschaftlichen Entscheidungen und nach aktiver Teilhabe am sozialen Leben. Wir zählen auf sie bei der Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Die Einheitsgewerkschaft, aus bitterer Erfahrung gewachsen, bejahen und verteidigen wir als eine der wichtigsten Errungenschaften der Bundesrepublik.
Tarifautonomie ist ein zentraler Bestandteil der Demokratie. Wir werden sie gegen jeden Angriff verteidigen. Tarifverträge die die Rechtsstellung der einzelnen Arbeitnehmer sichern und stärken, erfordern starke streikfähige Gewerkschaften. Organisationsfreiheit und Streikrecht sind unverzichtbar.
Sozialdemokratische Arbeitnehmer in Betrieb und Verwaltung sind aufgefordert die gewerkschaftliche Arbeit aktiv mitzugestalten.
Die Sozialdemokratische Partei erkennt die besondere Bedeutung und rechtliche Stellung an, die das Grundgesetz den Kirchen und Religionsgemeinschaften einräumt. In Verkündigung, Seelsorge und Diakonie sind die Kirchen und Religionsgemeinschaften eigenständig und keiner staatlichen Einflußnahme unterworfen.
Wir verteidigen die Freiheit des Denkens, des Gewissens, des Glaubens und der Verkündigung und begrüßen es, wenn Kirchen und Religionsgemeinschaften, kirchliche Gruppen und einzelne Gläubige durch Kritik, Anregung und praktische Mitarbeit auf die Gestaltung des gesellschaftlichen und politischen Lebens einwirken und sich damit auch öffentlicher Kritik stellen. Wir sehen darin einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen und politischen Dialog, in dem Toleranz und Achtung vor dem Andersdenkenden sich bewähren müssen. Deshalb suchen Sozialdemokraten auch von sich aus das Gespräch und, wo immer beide Seiten gemeinsame Aufgaben sehen, die Zusammenarbeit mit Kirchen, Religionsgemeinschaften und kirchlichen Gruppen.
Wer sich zu keiner Religion bekennt, darf nicht benachteiligt werden. Allgemein geltende Arbeitnehmerrechte müssen auch in Einrichtungen der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet sein.
Wir brauchen eine bürgernahe und leistungsfähige Verwaltung. Frei von Traditionen des Obrigkeitsstaates muß sie auf allen Ebenen durchschaubar und kontrollierbar sein. Sie soll Selbsthilfe, Verantwortlichkeit und Beteiligung der Bürger nicht entmutigen, sondern fördern.
Wir sind für frühzeitige und umfassende Bürgerbeteiligung bei den Planungen der Verwaltung. Der gerichtliche Rechtsschutz gegen die Entscheidungen der Verwaltung muß gesichert und durch die Einführung der Verbandsklage ausgebaut werden. Wer sich von Mißständen betroffen fühlt, soll sich an eine Ombuds-Person wenden können.
Die Rechtsverhältnisse der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen einheitlich geregelt werden. Dazu gehört das Recht der Personalvertretung. Es soll das Streikrecht einschließen. Anforderungen an die Verfassungstreue müssen vom freiheitlichen Geist des Grundgesetzes her interpretiert werden. Wir wollen Geist und Praxis des Radikalenerlasses überwinden.
Im demokratischen Rechtsstaat kann es nur Macht geben, die durch das Recht legitimiert und begrenzt ist. Rechtsprechung soll dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit dienen. Wir wollen das Recht zur Verwirklichung unserer Grundwerte, insbesondere zum Schutz der Schwächeren und zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen nutzen.
Gerichte müssen für alle gleichermaßen zugänglich sein. Wir wollen, daß Bürgerinnen und Bürger in vertretbarer Zeit zu ihrem Recht kommen. Richterliche Urteile binden. Wer zu richten hat, muß unabhängig sein; die Mitwirkungsmöglichkeiten der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sind zu verstärken. Richterinnen und Richter der Verfassungsgerichte des Bundes und der Länder, der obersten Bundesgerichte und der obersten Gerichte der Länder müssen nach öffentlichen Anhörungen in einem durchschaubaren Verfahren durch demokratisch legitimierte Organe des Bundestages und Bundesrates oder der Landtage mit qualifizierten Mehrheiten gewählt werden.
Bei der Erfüllung des Auftrags, Bürgerinnen und Bürger zu schützen, Straftaten zu verfolgen und den Rechtsstaat zu sichern, braucht die Polizei Hilfe und Kritik durch Bürger und staatliche Institutionen. Politische Konflikte dürfen nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden.
Auch Strafrecht und Strafvollzug dienen der Durchsetzung unserer rechtsstaatlichen Ordnung. Ihr Ziel ist es, Bürger und Gemeinschaft zu schützen und Rechtsbrecher wieder in die Gesellschaft einzufügen, nicht Vergeltung zu üben. Opfern von Straftaten muß die besondere Fürsorge der Gesellschaft gelten.
Das Grundgesetz ist Angebot und Aufgabe. Auf seiner Grundlage haben wir, zusammen und im Wettbewerb mit anderen Parteien, die Bundesrepublik Deutschland aufgebaut. Wir fühlen uns für sie verantwortlich. Insofern ist sie unsere Republik. Sie hat viele Mängel. Daher wollen wir ihre Wirklichkeit an die Verfassungsnorm annähern. In diese Republik bringen wir den Demokratischen Sozialismus ein, damit sie werden kann, was sie nach ihrer Verfassung sein soll: ein demokratischer Sozialstaat. Dazu bedarf es dauernder Reform. Wir sind die Partei der Reform.
Reformarbeit vollzieht sich oft in kleinen Schritten. Mehr noch als auf die Größe der Schritte achten wir auf die Erkennbarkeit der Richtung.
Reformarbeit muß den Widerstand mächtiger Sonderinteressen überwinden. Sie ist nicht nur Sache von Regierungen, Parlamenten und Parteien. Wichtige Reformen können nur gelingen, wenn im Bürgerdialog die aktive Unterstützung der Mehrheit gewonnen wird.
Politik ist undenkbar ohne Streit. In der Art, wie wir streiten, müssen die Ziele erkennbar sein, für die wir streiten. Auch beim Kampf um die Macht heiligt der Zweck nicht die Mittel.
Streit ohne Grundkonsens führt zum geistigen Bürgerkrieg. Wir bejahen den Grundkonsens mit all jenen gesellschaftlichen Kräften, die sich zu den Grundrechten und Grundregeln der Verfassung bekennen. Dieser Konsens muß in den Formen der Auseinandersetzung sichtbar bleiben.
Politische Kultur erschlafft ohne die Spannung zwischen Zukunftsentwurf und Wirklichkeit. Zukunftsentwürfe werden nur wirksam, wenn Millionen selbstbewußter Bürgerinnen und Bürger ihre Hoffnungen darin wiedererkennen.
Nur wo Menschen verantwortlich Politik mitgestalten und erfahren können, wo sie ihre Vorstellungen unbefangen in die Politik einbringen können, werden die Kräfte freigesetzt, die politische Kultur in der solidarischen Gesellschaft braucht. Nur dann kann sich Politik aus dem Vollzug von Sachzwängen befreien, nur dann kann sie bewegen, was bewegt werden muß, nur dann lebensnotwendige Reformen durchsetzen.
Reformpolitik setzt auf Hoffnung. Wo sogar das Bewahrenswerte nur durch Reform zu retten ist, wird Reformarbeit zur einzig verantwortbaren Politik.
Unser Zukunftsentwurf ist ein Angebot für ein Reformbündnis der alten und neuen sozialen Bewegungen. Der Kern dieses Bündnisses bleibt die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Es muß aber auch alle umfassen, die durch Erfahrungen in ihrem Alltag oder ihr Engagement in neuen sozialen Bewegungen von der Notwendigkeit tiefgreifender Reformen überzeugt wurden.
Wir brauchen ein breites Reformbündnis mit möglichst vielen Gruppen und Kräften, weil wir den Widerstand derer zu überwinden haben, die alles zum Fortschritt erklären, was ihren Gewinnerwartungen, ihrer wirtschaftlichen oder politischen Macht zugute kommt. Gegen die Übermacht der wenigen hilft nur der gemeinsame Wille der vielen und die Aufklärung darüber, wie Sonderinteressen das Gemeinwohl verletzen.
Wir versprechen nicht das Paradies auf Erden. Aber gemeinsam können wir Gefahren abwehren, Risiken mindern und eine neue, bessere Ordnung erreichen:
eine Menschheit, die sich vom Wahnsinn des Krieges und des Wettrüstens befreit, Konflikte gewaltfrei austrägt und ihre Kräfte zur Bewahrung der Natur und zur Überwindung des Hungers einsetzt, eine Gesellschaft, in der die Einkommen gerechter verteilt sind, die Arbeitnehmer ihren Anteil am Produktivkapital vergrößern und die soziale Sicherung verläßlich bleibt,
eine ökologisch und sozial erneuerte Wirtschaft, die mit naturverträglichen Energien sparsam umgeht und die Erblast des Atomzeitalters abträgt,
eine Gesellschaft, die bei geringeren Wachstumsraten, weniger Erwerbsarbeit und mehr Eigenarbeit ihren Wohlstand mehrt, ihre Lebensqualität durch gesündere Umwelt, weniger Angst, eine menschlichere Arbeitswelt und mehr Zeit zur eigenen Verfügung verbessert,
eine Gesellschaft der menschenwürdigen Arbeit für alle, die Erwerbsarbeit und Haus- und Familienarbeit zwischen den Geschlechtern gerecht verteilt, Mitbestimmung und Selbstbestimmung in der Arbeit fördert,
eine Gesellschaft der Gleichheit und Solidarität zwischen Frauen und Männern Jungen und Alten, Deutschen und Ausländern,
eine Gesellschaft, in der Bürgerinnen und Bürger, wo immer sie sich betroffen wissen, Entscheidungen gleichberechtigt fällen und verwirklichen können.
Dank an Boris Piwinger für's Runterladen!
Stark verbesserte Hypertextversion von Stephan Jürgens (sjuergen@student.uni-kl.de), Juli 1995.
Tausend Dank!