hide random home http://www.spd.de/politikfelder/wirtscha/steuer-poss.html (Einblicke ins Internet, 10/1995)

Joachim Poß

Finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Ökologische Steuerreform muß jetzt angepackt werden

Die Diskussion über die ökologische Modernisierung der Industriegesellschaft, insbesondere die Einführung und Durchsetzung einer ökologischen Steuerreform, wird bei uns immer noch halbherzig gefü hrt. Hintergrund für diese Zurückhalist die Sorge vor zusätzlichen steuerlichen Belastungen vor allem der Wirt, den vermeintlich negativen Folgen für bestimmte Branchen und letztlich für den WirtDeutschland insgesamt. Andererseits wachsen infolge wiederholter politischer Ankündigungen einer ökologischen Steuerreform die Erwartungen in der Öffentlichkeit. Angesichts der wachsenden Zahl einschlägiger Vorschlä ge ist die aktuelle Diskussion über die ökologische Steuerreform nicht durch Ideenmangel oder Konzeptionsdefizite, sondern zunehmend durch einen politischen Entscheigekennzeichnet. Es gilt, die bisher ausgeEntscheidungen nun unverzüglich nachzuholen.

Die SPD hat bereits Ende der 80er Jahre mit ihrem Programm "Fortschritt '90" ein Konzept für eine ö kologische Modernisierung der Volkswirtschaft entwickelt, das die Umweltpolitik mit anderen Politikbereichen, insbesondere der Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, verzahnen soll. Ausgangspunkt der Überlegungen ist, daß der Markt die Kosten für die Nutzung des Gutes Umnicht berücksichtigt. In seine Preisbildung geht die Knappheit der ökologischen Ressourcen nicht ein. Wir haben es hier mit einem ö kologischen Marktversagen zu tun. Mithin ist die Politik gefordert, durch das Setzen der richtigen Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, daß die Preidie "ökologische Wahrheit" sagen. Spätestens seit Pigou ist bekannt, daß die Steuerpolitik hierzu einen wichtigen Beitrag leisten kann. Grunddes SPD-Konzeptes zur ökologischen Weiterentwicklung des Steuer- und Abgabensyist es deshalb, die dynamischen und innovativen Krä fte der Marktwirtschaft in den Dienst der Umweltpolitik zu stellen. Ein marktwirtschaftliches Umweltkonzept verurkeine neuen Kosten, sondern deckt nur vorhandene Kosten auf und sorgt über die Veränderung der relativen Preise dafü r, daß Wirtund Verbraucher sich um die Verringerung und Vermeidung dieser Kosten bemühen.

Eine ökologische Ausrichtung der Marktwirtschaft dient aber nicht allein der Wahder Umwelt. Sie ist auch Voraussetzung für den zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg. Der Verlust von Arbeitsplä tzen auf den traditionellen Industriesektoren des Maschinenbaus, der Elektrotechnik, der Automobilherstellung, des Kohlebergbaus oder der Stahlproduktion wird durch wirtschaftliches Wachstum nicht mehr zu komsein. Die deutsche Wirtschaft braucht daher unbedingt einen neuen technologischen Schub, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der Energieeinsparung und der alternativen Energien liegen gro ße Wachstumspotentiale. Wer die besten energie- und rohProduktionsverfahren anzubieten hat, wird diesen Zukunftsmarkt beherrschen. Die Bundesrepublik Deutschland gehört schon heute zu den führenExporteuren von umweltfreundlichen Gütern. Diese Position auf dem Weltmarkt gilt es auszubauen. Auch die in der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich relativ gut entwickelte Umweltschutzgesetzgebung und die breite Verankedes Umweltschutzgedankens in der Bevölkerung sind Stärken, auf die sich aufbauen läßt. Ökologie und wirtschaftliches Wachstum müssen deshalb als gleichZielsetzung verstanden werden. Auch hierbei kann die Steuwichtige Rahsetzen.

Der Energieverbrauch hat zentrale Bedeutung für die Wirtschaftsweise moderner Industriegesellschaften und ist ursächlich mit Ressourcenverzehr, Umweltbelastung und der Abfallproblematik verbunden. Eine ö kologisch wirksame Besteuerung des Energieverbrauchs steht deshalb im Mittelpunkt einer ökologischen Steuerreform. Dabei geht es darum, den unbedachten, verschwenderischen Umgang mit Energie stä rker zu belasten und zugleich marktwirtschaftliche Anreize zu bieten, durch intelTechniken die Energieproduktivität zu steigern. Die Energiebesteuerung könnte sowohl durch eine neue Steuer (z.B. allgemeine Energiesteuer oder CO2 -Steuer), durch die Erhöhung bestehender Steuern (z.B. Mineralölsteuer) oder durch eine Kombination von beiden erfolgen. Wichtig ist es dabei, ein längerfristig ange, schrittweises und berechenbares Vorgehen zu wä hlen, d.h. die Energiebemuß politisch über einen Zeitraum von möglichst vielen Jahren vorprowerden. Bürger und Wirtschaft können sich so in ihrem Verhalten auf die hö heren Energiepreise einstellen. Dies ist der entscheidende Punkt, weil nur auf diesem Wege ein ausreichender Lenkungseffekt zu erreichen ist. Die Lenkungswirwiederum ist das entscheidende Kriterium, das über Erfolg oder Mißerfolg einer ökologisch ausgerichteten Steuerpolitik entscheidet. Das fiskalische Ziel hat demgegenüber in den Hintergrund zu treten. Ziel einer ökoSteuerreform ist es gerade nicht, dem Staat neue Einnahmequellen zu erschließ en. Deshalb haben die diversen Mineralölsteuererhöhungen seit 1988 um insgesamt 50 Pfennig je Liter mit einer ökologischen Steuerreform auch nichts zu tun. Diese Steuererhöwaren rein fiskalisch orientiert und dienten lediglich dazu, die Hausödes Bundes zu stopfen.

Die Idee der ökologischen Steuerreform wird häufig immer noch mißverstanden. Die Leitidee ist, einerseits den umweltschädlichen Energieverbrauch stärker zu belasten und andererseits den Faktor Arbeit ü ber eine Senkung der Lohn- und Einkommenoder der Lohnnebenkosten zu entlasten. Die Belastung eines Arbeitnehmers mit Steuern und Abgaben erreicht in diesem Jahr mit rund 48 % eine traurige Reö he. Im Jahre 1982 lag die Steuern- und Abgabenbelastung eines Durchnoch bei 39 %. Verantwortlich für diesen Anstieg ist im besondeMaße die ständig gewachsene Belastung mit Lohn- und Einkommen. Das zus ätzliche Steueraufkommen aus der höheren Besteuerung des Enersoll deshalb an Bürger und Wirtschaft in vollem Umfang zurückgegewerden. Die ökologische Steuerreform ist daher im Grundsatz eine aufkomUminnerhalb des Steuersystems. Selbstverständlich kann und soll über die Entlastungsmaßnahmen kein exakter, invdividueller Ausgleich fü r die Anhebung der Energiebesteuerung erfolgen. Vielmehr hat es jeder selbst in der Hand, ob er künftig mehr Steuern zahlt oder durch umweltbewußtes Verhalten seine Steuerbelastung senkt.

Die jüngste Diskussion über die Nutzung des Jahressteuergesetzes 1996 für den Einstieg in eine ökologische Steuerreform durch Einfü hrung einer Stromsteuer ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Die Entscheidung der Bundesregierung, mit dem ersatzlosen Wegfall des Kohlepfennigs 1996 den Strompreis um rund 10 % abzu, ist aus ökologischer Sicht das vö llig falsche Signal: Einsparbemühungen würden geschwächt und bereits getätigte Einsparinvestitionen würden entwertet werden. Um dieses ökologisch falsche Absinken der Strompreise zu verhindern, sollte zum 1.1.1996 eine Stromsteuer eingeführt werden. Diese Stromsteuer könnte über eine Differenzierung der Steuersätze so ausgestaltet werden, daß die im interWettbewerb stehenden deutschen Untenehmen nicht zusä tzlich belastet werden.

Zu einer richtig verstandenen ökologischen Steuerreform gehört als weiteres Ele, daß unser gesamtes Steuersystem ökologisch durchforstet und damit "ökologisch fit" gemacht wird. Unser Steuerrecht ber ücksichtigt vereinzelt z.B. mit der Spreizung der Steuersätze zwischen verbleitem und unverbleibtem Benzin bei der Mineralölsteuer sowie der Differenzierung der Kraftfahrzeugsteuer für schadund nicht schadstoffarme Pkw bereits ökologische Aspekte. Andererseits enthält das Steuerrecht aber zahlreiche ökologisch kontraproduktive Steuervergünund steuerliche Sonderregelungen. Zu nennen sind in diesem Zusambeispielhaft die Mineralölsteuerbefreiung von Luftfahrtbetriebstoffen für die gewerbBeförderung, die Mineralölsteuerbefreiun g des Eigenverbrauchs von Mineralölher-und Gasgewinnungsbetrieben (das sog. "Herstellerprivileg"), die Gasölfür die Landwirtschaft, die Steuerbefreiung von landwirtNutzfahrzeugen von der Kfz-Steuer sowie die Kilometerpauschale für Fahrten zwiWohnung und Arbeitsplatz. Diese aus ökologischer Sicht schädSteuerünstigungen sollten soweit wie mö glich abgebaut bzw. durch ökologisch verünftige Regelungen ersetzt werden. So wäre etwa die Einführung einer verkehrsängigen Entfernungspauschale als Ersatz für die bisheKilometer ö kologisch sinnvoll, weil dadurch der Umstieg auf öffentliNahverebenso erleichtert würde wie die Bildung von Fahrgemein.

Am Beispiel der Entfernungspauschale lassen sich zugleich aber auch die Grenzen einer strikten ökologischen Ausrichtung des Steuerrechts verdeutlichen: Die Reduder Entfernungspauschale auf deutlich unter 0,50 DM pro Entfernungskilow äre zwar allein unter umweltpolitischen Zielsetzungen wünschenswert, sie würde jedoch für Berufspendler im ländlichen Bereich - insbesondere für Fernpend- eine zusätzlö iche Belastung darstellen. Die zweifellos ökologisch wünschensAbschaffung der Mineralölsteuerbefreiung von Luftfahrtbetriebstoffen verdeutein weiteres Dilemma: Eine EU-Richtlinie zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern aus dem Jahr 1992 sieht die Befreiung des Luftverkehrs von der Mineralölsteuer zwingend vor. Die Verteuerung lediglich des innerdeutschen Flugwürde Fluggesellschaften mit Standorten außerhalb Deutschlands - mögliin Grenznähe - begünstigen oder Tankänge in das benachbarte Ausland verlagern, nicht aber zu einer Einschrä nkung des innerdeutschen Flugverführen. Nicht nur am Beispiel der Besteuerung von Flugbenzin wird deshalb deutlich, daß in vielen Fällen nur ein EU-einheitliches Vorerfolgversprechend ist.

Zu einer ökologischen Steuerreform, die wirksame Lenkungseffekte entfalten soll, gehört nicht nur der Abbau ökologisch schädlicher Steuersubventionen, sondern auch die Förderung umweltpolitisch erwünschter Tatbestä nde. Unser Einkommenkennt eine Vielzahl von Sonderabschreibungen für bestimmte Zwecke wie z.B. Sonderabschreibungen für Investitionen in den neuen Ländern, Sonderabzur Fö rderung kleiner und mittlerer Betriebe, Sonderabschreibungen zur Schaffung neuer Mietwohnungen, Sonderabschreibungen für kulturhistorisch wertvolle Gebäude. Soll mit einer stärkeren ökologischen Ausrichtung des SteuerErnst gemacht werden, so wäre eine sachlich und zeitlich begrenzte und degressiv ausgestaltete steuerliche Förderung privater Zukunftsinvestitionen z.B. in den Bereichen Klima- und Umweltschutz, Energieeinsparung, Maßnahmen zur Erh öhung der Energie- und Materialeffizienz und erneuerbare Energieträger erfor. Dabei wäre auch zu überlegen, die steuerliche Förderung von Umwelt(7d EStG) und Energieeinsparinvestitionen bei Geb äuden (82a EStDV), die im Rahmen des Steuerreformgesetzes 1990 abgeschafft wurden, wieder einzuführen und ökologisch effizienter auszugestalten. Zu prüfen wäre zu, ob statt Sonderabschreibungen die Einfü hrung von Investitionszulagen vorzuist, weil Investitionszulagen unabhängig von der Gewinnsituation des UnterAnreizwirkungen entfalten.

Der ökologische Lenkungseffekt könnte weiter dadurch verbessert werden, wenn gleichzeitig die steuerliche Absetzbarkeit des betrieblichen Energieverbrauchs bewü rde. Heute kann der gesamte Energieaufwand eines Unternehmens als Betriebsausgabe steuermindernd vom Gewinn abgezogen werden. Zu prüfen wäre daher, ob fü r den Energieverbrauch branchenbezogene, am Durchschnittsverbrauch orientierte Aufwandpauschalen eingeführt werden können, deren Überschreitung nicht mehr als Betriebsausgabe steuerlich abzugsfähig wä re. Auch wenn eine Reihe von Detailfragen in diesem Zusammenhang noch offen sind, so wird das Grundmueiner die innovativen Kräfte der Marktwirtschaft nutzenden ökologischen Steuererneut deutlich: Durch Energieaufwandpauschalen - und stärker noch durch deren schrittweise Reduzierung - werden Anreize zu energiespaInvestitioausgelöst. Diese werden zusätzlich durch die Gewä hrung von Sonderabschreioder Investitionszulagen für energieeffiziente Investitionen verstärkt. Insgesamt können somit durch intelligente - im wesentlichen aufkommens- ökologisch ausgerichtete Steuerrechtsä nderungen erhebliche innovative Anreize für die Wirterzeugt werden.

Klar ist, daß zu einer ökologischen Steuerreform als weiteres Element auch der Einsatz einer begrenzten Zahl spezieller Abgaben auf zentrale Umweltbereiche wie z.B. Abfall, Wasser, Flächenverbrauch gehö rt. Das Aufkommen dieser Abgaben ist zweckgebunden zu gezielten Förderungen von Umweltschutzmaßnahmen in den jeweiligen Bereichen zu verwenden.

Die ökologische Steuerreform ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedinfür die Modernisierung der Industriegesellschaft. Durch eine Verengung auf einzelne Instrumente ist der ö kologische Strukturwandel nicht zu erreichen. Dafür ist schon die Aufgabenstellung, eine innovative Wirtschaft und mehr Beschäftigung mit der ö kologischen Modernisierung und der Reform des Sozialstaates zu verbinden, viel zu umfangreich. Eine dauerhafte sozial- und umweltverträgliche Entwicklung erfordert ein politisches Konzept mit klaren Zielvorstellungen und einem Mix unterInstrumente. Neben einer ökologischen Steuerreform muß deshalb u.a. auch das Ordnungsrecht ökologisch weiterentwickelt werden. Ist eine umgehende und totale Vermeidung von umweltbelasteten Tatbeständen mit hohem Gefä hrerforderlich (z.B. der Einsatz von DDT, zunehmend aber auch FCKW in Treibgasen, Kühlmitteln und Verpackungen), dann ist ein ordnungsrechtliches Verbot das geeignete Instrument und nicht die Besteuerung.

Die Politik ist jetzt gefordert, die vorhandenen Vorschläge zur ökologischen Steuerzu bündeln und umzusetzen. Es gibt keinen Grund, länger zu warten. Im Inder Umwelt und der Verantwortung fü r die kommende Generation müssen wir uns dieser Aufgabe jetzt stellen.