http://www.spd.de/politikfelder/internat/bosnien3.html (Einblicke ins Internet, 10/1995)
Deutscher Bundestag
Deutscher Bundestag 13. Wahlperiode 28.06.1995
Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zu dem Antrag der
Bundesregierung "Deutsche Beteiligung an den Maßnahmen zum
Schutz und zur Unterstützung des schnellen Eingreifverbandes im
früheren Jugoslawien einschließlich der Unterstützung
eines eventuellen Abzugs der VN-Friedenstruppen" Der Deutsche
Bundestag möge beschließen:
- Der Deutsche Bundestag spricht sich dafür aus, die vom
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Resolution 998 vom
16.6.95 beschlossene Aufstellung eines schnellen Einsatzverbandes zum
Schutz der UN-Friedenstruppen in Bosnien auch mit Kräften der
Bundeswehr (entspr. Ziff. 4) zu unterstützen. Eine politische
Lösung des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien kann nur erreicht
werden, wenn das humanitäre Mandat der Vereinten Nationen
aufrechterhalten bleibt. Eine militärische Lösung ist nicht
möglich. Um die Menschen in Bosnien vor Gewalt und Vertreibung zu
schützen und um Raum für die politischen
Friedensbemühungen zu schaffen, ist die weitere Anwesenheit von
UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina unverzichtbar. Der Deutsche Bundestag
begrüßt ausdrücklich die Entscheidung der Vereinten
Nationen, ihre in Bosnien eingesetzten Friedenstruppen mit Hilfe des
schnellen Einsatzverbandes zu schützen und zur wirkungsvolleren
Erfüllung ihres Auftrag zu befähigen.
- Der Deutsche Bundestag würdigt die Leistungen der Vereinten
Nationen im ehemaligen Jugoslawien. Ohne die UN-Mandate wären
noch viel mehr Menschen unschuldige Opfer des Konflikts
geworden. Angehörige der Bundeswehr, der Polizei und zivile
Hilfsorganisationen der Bundesrepublik Deutschland unterstützen
die Bemühungen der Vereinten Nationen. Ihnen allen spricht der
Bundestag seinen Dank und seine Anerkennung aus. Gleichzeitig
appelliert der Bundestag an alle Konfliktparteien, auf Gewalt zu
verzichten und den Friedensplan der Kontaktgruppe anzunehmen.
- Der Deutsche Bundestag bedauert, daß die Sanktionen gegen
Serbien und das Waffenembargo nur unzureichend eingehalten werden. Er
fordert die Bundesregierung auf, innerhalb der Europäischen Union
und der UNO eine Initiative zu ergreifen mit dem Ziel, die von den
Sanktionen mitbetroffenen Staaten der Region für die von ihnen
erbrachten und noch zu erbringenden wirtschaftlichen Opfer zu
entschädigen. Die Bundesregierung wird gleichzeitig aufgefordert,
Maßnahmen für eine wirkungsvollere Durchsetzung des
Waffenembargos vorzuschlagen und sich um ihre internationale
Durchsetzung zu bemühen. Die Bundesregierung wird ebenfalls
aufgefordert, dem Bundestag Vorschläge vorzulegen, wie die
deutsche Mitwirkung an der Überwachung der Sanktionen und des
Waffenembargos gesteigert werden kann. Je umfassender das
Waffenembargo durchgesetzt wird, desto größer sind die
Chancen für eine friedliche Lösung. Ohne Waffenembargo wird
der Krieg in Bosnien-Herzegowina sich ausweiten und kann auf andere
Gebiete des ehemaligen Jugoslawien und darüber hinaus
übergreifen.
- Der Deutsche Bundestag ermächtigt nach Prüfung und
Bewertung des Kabinettsbeschlusses vom 26. Juni die Bundesregierung,
zur Unterstützung des schellen Einsatzverbandes im früheren
Jugoslawien durch folgende Maßnahmen beizutragen und
entsprechende Vereinbarungen abzuschließen:
- Bereitstellung von Luftttransportkräften zur Unterstützung der Versorgung der VN-Friedenstruppen außerhalb Bosnien- Herzegowinas.
- Entsendung von Sanitätskräften zum Betrieb eines deutsch- französischen Feldlazaretts in der Republik Kroatien zur sanitätsdienstlichen Versorgung der VN-Friedenstruppen (einschließlich einer lageabhängigen Sicherungskomponente).
- Entsendung zusätzlichen Personals für die internationalen Hauptquartiere in Italien und Kroatien.
- Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes bei seinen Operationen für die VN-Friedenstruppen durch Aufklärungs- Flugzeuge.
- Der Einsatz von Kampfflugzeugen, wie dem ECR-Tornado, wird ausdrücklich ausgeschlossen.
Der Einsatz der genannten Kräfte (Höchstgrenze: 1.700 Soldaten) ist unter Vorbehalt einer erneuten Entscheidung des Bundestages bis zum 31.12.95 befristet. Jede andere Verwendung der genannten Kräfte im Zusammenhang mit den Mandaten der VN im ehemaligen Jugoslawien bedarf der erneuten Befassung und Entscheidung des Bundestages. Im Rahmen des vom Bundestag beschlossenen Einsatzes im ehemaligen Jugoslawien dürfen Grundwehrdienstleistende nicht verwendet werden. Begründung: Die Verschlechterung der Lage im ehemaligen Jugoslawien hat dazu geführt, daß die Schutzzonen in Bosnien nicht wirklich geschützt werden und die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten nur noch stark eingeschränkt möglich ist. In dieser Lage lautet die Alternative: Abzug der VN-Truppen oder Bleiben unter erfolgversprechenden Bedingungen. Die Verstärkung von UNPROFOR bietet wenigstens eine Chance, das humanitäre Mandat fortzusetzen und Zeit für die Bemühungen um eine Friedensregelung zu gewinnen. Die deutsche Politik muß daran interessiert sein, daß diese Chance genutzt wird. Wenn die VN im ehemaligen Jugoslawien endgültig scheitern sollte, wird das negative Folgen für ihre Handlungsfähigkeit in anderen Konflikten haben. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien wird dann nicht eingedämmt werden können. Das Risiko, daß der Konflikt sich sogar noch international ausweitet, ist groß. Die Folgen eines solchen Krieges würden Deutschland unmittelbar betreffen. Über die humanitäre Verpflichtung hinaus, den Menschen im Kriegsgebiet zu helfen, liegt es daher im nationalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland, die Mandate der Vereinten Nationen im ehemaligen Jugoslawien im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu unterstützen. Der Versuch, den Konflikt mittels Sanktionen und Waffenembargo auszutrocknen, ist nicht erfolgreich gewesen, weil die Sanktionen und das Embargo unterlaufen werden. Ein Grund dafür ist die wirtschaftliche Situation in den umliegenden Staaten, die mit den Folgen der Sanktionspolitik bisher allein fertig werden mußten. Wenn die Sanktionen und das Embargo wirklich greifen sollten, muß den Nachbarn des ehemaligen Jugoslawien wirtschaftlich geholfen werden. Deutschland ist an den Aktionen der VN nicht als Truppensteller beteiligt. Koalition und Opposition haben darin übereingestimmt, daß eine direkte Beteiligung Deutschlands an militärischen Maßnahmen im Konfliktgebiet den Konflikt nicht vermindern, sehr leicht aber verschärfen würde. Eine deutsche Beteiligung als Truppensteller, die das Risiko in sich birgt, in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt zu werden, könnte von jeder interessierten Konfliktpartei politisch ausgebeutet werden. An dieser Situation hat sich nichts geändert. Die Bundesregierung trägt diesem Bedenken mit ihrem Beschluß insoweit Rechnung, als der angebotene militärische Beitrag das Risiko, Gewalt anwenden zu müssen, weitgehend ausschließt, während die beteiligten Angehörigen der Bundeswehr sehr wohl Opfer von Gewalthandlungen werden können. Eine Ausnahme bilden die angebotenen ECR-Tornados. Sie hätten den Auftrag, gegebenenfalls serbische Raketenstellungen zu bekämpfen. Auch wenn angesichts der für UNPROFOR und den schnellen Einsatzverband geltenden Regeln die Wahrscheinlichkeit nicht hoch ist, daß es zu einem solchen Einsatz kommt, bleibt der Beschluß der Bundesregierung widersprüchlich. Wenn Deutschland wegen der Eskalationsgefahr kein Truppensteller werden kann, dann kann Deutschland keinen militärischen Beitrag leisten, der diese Gefahr noch vergrößert. Das wäre aber beim Einsatz von ECR-Tornados der Fall. Ein solcher Einsatz ist daher abzulehnen. Der von der Bundesregierung gewollte unbefristete Einsatz kann, wenn man ihre eigenen Erklärungen nach dem Somalia- Einsatz zugrundelegt, nicht akzeptiert werden. Die Befristung, die ja eine Verlängerung nicht ausschließt, ist im Hinblick auf den besonderen Charakter eines Bundeswehreinsatzes gerade im ehemaligen Jugoslawien dringend geboten. Nicht aktzeptabel ist die Absicht der Bundesregierung, gleichzeitig mit dem Einsatz für Schutz und Unterstützung des schnellen Einsatzverbandes einen Vorratsbeschluß zur Beteiligung derselben Verbände an einer eventuellen NATO- Operation zum Schutz des Abzugs von UNPROFOR herbeizuführen. Aus außenpolitischen Gründen ist es nicht hilfreich, gerade jetzt Beschlüsse in Verbindung mit einem eventuellen Abzug zu fassen. Der Bundestag kann aber auch seiner Verantwortung nicht gerecht werden, wenn er einem Einsatz der Bundeswehr unter unbekannten Rahmenbedingungen zustimmen soll. Die Beteiligung von Grundwehrdienstleistenden verbietet sich, weil die Wehrpflicht ausschließlich durch die Landesverteidigung legitimiert ist.
Bonn, 28.6.1995 Rudolf Scharping und Fraktion 4
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