Die Arbeitsgruppe Großstädte hat sich in ihren ersten beiden Sitzungen vor allem mit einer Sichtung der Wahlergebnisse, Fragen des sozialen Wandels und Problemschwerpunkten der Großstädte befaßt. In der nächsten Sitzung werden Schwerpunkte das Kommunikations- und Informationsverhalten in den Großstädten und eine Bestandsaufnahme der Parteiwirklichkeit in ausgewählten Großstädten stehen. Bis Anfang Oktober soll ein Bericht mit Empfehlungen vorgelegt werden. Aus der bisherigen Arbeit zeichnen sich schon einige wichtige Erkenntnisse ab, die hier nur stichwortartig vorgestellt werden können. Schaut man sich die Entwicklung der letzten 25 Jahre an, so stellt sich heraus, daß von einem einheitlichen negativen Trend gegen die SPD in den Großstädten nicht die Rede sein kann. Vielmehr haben sich die Bundestagswahlergebnisse der SPD in den Großstädten im großen und ganzen parallel zu den SPD-Ergebnissen im Bundesgebiet entwickelt - nur auf einem höheren Niveau. Die SPD hat in den Großstädten stets um vier bis fünf Prozentpunkte besser abgeschnitten als in der Gesamtwäh- lerschaft - bei der letzten Wahl betrug der Abstand 3,8 Prozentpunkte. Insofern hat sich die Stimmenentwicklung für die SPD in den Großstädten nicht negativ abgekoppelt von der allgemeinen Stimmenentwicklung für die SPD. Viele der sogenannten "Großstadtprobleme" der SPD sind in Wahrheit Profilprobleme der Partei insgesamt. Daneben gibt es in der Tat einige Großstädte, in denen die SPD Substanzverluste auf allen Wahlebenen zu verzeichnen hat. Dabei hat jede Stadt eine Sondergeschichte. Für die CDU/CSU gilt umgekehrt: Auch hier entwickeln sich die Ergebnisse in den Großstädten parallel zum Bundesergebnis - nur auf einem niedrigeren Niveau: Die Union hat in den Großstädten stets zwischen 5,5 und 6,5 Prozentpunkten schlechter abgeschnitten als im Bundesdurchschnitt. Bei der letzten Wahl betrug der Abstand 5,4 Prozentpunkte. Die Verluste der SPD in manchen Großstadtregionen sind nicht in erster Linie auf Stimmengewinne der Grünen, sondern auf das Anwachsen der Nichtwähler und des Rechtspotentials zurückzuführen. Reale Zuwächse haben die Grünen vor allem in ihren eigenen Hochburgen zu verzeichnen. Die prozentualen Zuwächse der Grünen in anderen Regionen sind nicht in erster Linie Ergebnis absoluter Stimmenzuwächse, sondern erklären sich damit, daß aufgrund der geringeren Wahlbeteiligung die im großen und ganzen unveränderten absoluten Stimmenergebnisse der Grünen stärker ins Gewicht fallen. Nach wie vor gibt es einen Zusammenhang zwischen sozio- ökonomischen Strukturen und Wahlverhalten. Bei den meisten Indikatoren für wirtschaftliche Prosperität schneiden die SPD-Hochburgen schlechter ab als die CDU- Hochburgen. Allerdings haben sich im Zeitverlauf die alten Kontexte zwischen sozio-ökonomischen Strukturen und Wahlverhalten gelockert. (Neue entstehen, aber diese gelten vor allem für die kleineren Parteien.) Insofern werden die inhaltlichen und personellen Angebote der Parteien wichtiger. Entgegen manchen Behauptungen lassen sich deutliche Unterschiede zwischen SPD-Hochburgen und -Problemstädten sowohl auf der sozialstrukturellen als auch auf der Erfahrungsebene feststellen. Deshalb kann es auch keine einheitliche "Großstadtstrategie" geben. Schon gar nicht lassen sich Erfolgsmodelle der SPD in bestimmten Regionen ohne weiteres übertragen auf andere regionale Strukturen. Die Arbeitsgruppe hat sich mit den künftigen Entwicklungstendenzen in den Großstädten bei zentralen politischen Bereichen befaßt (Verkehr, Wohnen, Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Bildung) und die bisherigen Konzepte der Partei daraufhin abgefragt, inwiefern sie diesen Entwicklungen Rechnung tragen. Dabei wurde deutlich, daß für manche Politikfelder Korrekturbe- darf besteht, der aber erhebliches Konfliktpotential in sich birgt.
- 2 - zwberpv Mai 1995