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INTERN Nr 7

Verheugen in INTERN


INTERN Nr 7

Günter Verheugen 5. Juli 1995 Editorial INTERN

Liebe Genossinnen und Genossen,

der Parteivorstand hat sich in seiner Sitzung am 3. Juli lange und mit großem Ernst mit dem Zustand und dem Erscheinungsbild der Partei beschäftigt. Er hatte Anlaß dazu. An der Basis brodelt es, und mit Recht. Die Partei erwartet von ihren führenden Repräsentanten, daß sie im Umgang miteinander und ihren öffentlichen Äußerungen dieselbe Disziplin aufbringen, die von den sogenannten einfachen Mitgliedern auch verlangt wird. Das Meinungsbild im Parteivorstand war einmütig. Er will nicht, daß die Autorität und das Ansehen von Rudolf Scharping aus den eigenen Reihen herabgesetzt werden. Wir haben genug Gegner, mit denen wir uns herumschlagen können; wir brauchen sie nicht bei uns selber zu suchen. Getroffene Vereinbarungen müssen eingehalten werden, gemeinsam gefaßte Beschlüsse müssen gemeinsam verwirklicht werden. Es war wieder einmal so weit gekommen, daß die SPD mit ihren internen Streitereien den Vorhang geliefert hat, hinter dem die Regierung und die Koalition ihre Schwächen verbergen konnten. Im Ergebnis hat der Parteivorstand den Kurs von Rudolf Scharping unterstützt und verlangt, daß persönliche Profilierungsversuche zu Lasten der gesamten Partei aufhören. Den Schuh konnte sich mancher anziehen, und darum habe ich in der Unterrichtung der Öffentlichkeit über den Verlauf der Sitzung auch keine Namen genannt und niemanden vorgeführt. Ich will auch an dieser Stelle keine persönlichen Sündenregister aufblättern, sondern nur zu den einzelnen Sachthemen einige Hinweise geben.

  1. Energiekonsens. Diesen Gesprächen, die zunächst einmal gescheitert sind, lag eine gemeinsame, einmütig beschlossene Position von Partei und Fraktion zugrunde. Wir wollten zu einem Ergebnis kommen, weil wir eine Energiewende, also die stärkere Förderung umweltverträglicher Energien, endlich voranbringen wollen, das Entsorgungsproblem der Kernenergienutzung lösen und den Anstieg aus der Kernenergie organisieren wollen. Die Option auf einen möglichen späteren Wiedereinstieg in die Kernenergie gehörte nicht dazu. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es für eine solche Option auf einem SPD-Parteitag eine Mehrheit geben wird.
  2. Steuerpolitik. Auch hier war die Position von Partei und Fraktion sorgfältig aufeinander abgestimmt worden. Wir hatten mit unserem klaren 'Nein' zu den Steuerplänen der Regierung die Koalition schon in die Ecke gedrängt. Von den Ausgangspositionen des Herrn Waigel ist schon seit langem nichts mehr zu erkennen. Wir wollen im Zusammenhang mit dem Existenzminimum eine stärkere Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen. Im Zusammenhang mit der Familienförderung wollen wir das einheitliche Kindergeld von 250 Mark. Und wir wollen jetzt auch den Einstieg in die inzwischen von allen Parteien verlangte ökologische Steuerreform. Das Gesamtpaket, so war immer wieder vereinbart und von Rudolf Scharping Anfang Juni im Bundestag auch öffentlich gemacht worden, sollte mit Rücksicht auf die Finanzlage der Länder und Gemeinden nicht mehr als 12 Milliarden Mark Mindereinnahmen bedeuten. Konkrete Vorschläge zur Gegenfinanzierung waren seit langem vereinbart, über mögliche Kompromißlinien hatten wir uns rechtzeitig verständigt. Es gab keine Rechenfehler, und es gab keine Position zu Lasten sozialdemokratisch geführter Länder. Eine Einigung mit der Koalition ist nicht erreicht worden. Die Bundesregierung lehnt die von der SPD im Vermittlungsauschuß beschlossene Stufenlösung bei der Steuerfreistellung des Existenzminimums bis 1999 ab. Auch ist die Regierungskoalition nicht bereit, der von uns geforderten Verbesserung beim Kindergeld bereits ab 1996 zuzustimmen. Das mit den Stimmen der SPD im Vermittlungsausschuß beschlossene Paket wird deshalb in der Sondersitzung des Bundestages am 13. Juli nicht die notwendige Mehrheit bekommen. Die Sturheit der Koalition ist dafür verantwortlich, daß es zu keiner Einigung gekommen ist.
  3. Bundeswehr-Einsatz. Die Tragweite des vom Bundestag am 30.06. beschlossenen Einsatzes der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien ist von vielen, auch professionellen Beobachtern, unterschätzt worden. Die deutsche Außenpolitik hat tatsächlich eine bisher strikt beachtete Grenze überschritten. Der beschlossene Einsatz sieht die Beteiligung der Bundeswehr an Kampfhandlungen vor. Die Bundestagsfraktion hatte sich mit ihrem Antrag an die Linie gehalten, die bisher auch die Position der Regierung war: Hilfe für die Vereinten Nationen ja, Beteiligung an Kampfhandlungen im ehemaligen Jugoslawien nein. Die Begründung für das Nein ergibt sich aus der Überlegung, daß deutsche Beteiligung an militärischen Maßnahmen der UNO auf keinen Fall konfliktverschärfend wirken darf. Genau das kann aber im ehemaligen Jugoslawien nicht ausgeschlossen werden. Der Kabinettsbeschluß, dem der Bundestag zugestimmt hat, ist widersprüchlich und unlogisch, mehr ein Dokument der Ratlosigkeit und Halbherzigkeit als der Entschlossenheit. Es ist nicht möglich gewesen, die gesamte SPD-Bundestagsfraktion in dieser Frage zusammenzuführen, obwohl der Konsens am Ende dann doch relativ breit war. Die Vertreter der Fraktionsminderheit haben gewichtige Argumente und respektable Motive ins Feld geführt. Es entsprach gutem Brauch, daß sie Gelegenheit bekamen, ihren Standpunkt in der Debatte darzulegen.
  4. NRW-Koalition. Die SPD/Grüne-Koalition in NRW ist unter Dach und Fach. Das lange, oft mühselige Verhandeln hat sich gelohnt. Herausgekommen ist eine Vereinbarung, mit der die SPD ihrer Verantwortung auch im ökonomischen Bereich gerecht wird. Entsprechend groß war dann auch die Zustimmung auf dem Sonderparteitag der NRW-SPD. Daß Johannes Rau sich entschlossen hat, die neue Regierung zu führen, ist allseits mit Zustimmung und Erleichterung aufgenommen worden. Eine erfolgreich arbeitende SPD/Grüne-Koalition in NRW wird ganz natürlich die Strategie der SPD beeinflussen. Es kommt jetzt darauf an, auch in der Zusammenarbeit mit den Grünen das sozialdemokratische Profil deutlich erkennbar zu machen und es nicht in einer rot-grünen Melange verschwimmen zu lassen.


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