hide random home http://www.spd.de/politikfelder/allgemei/rsmedien.html (Einblicke ins Internet, 10/1995)


Pressemitteilung des SPD Parteivorstandes vom 5. Mai 1995

Im Rahmen der SPD-Medienkonferenz "Für demokratische Medien - Meinungsfreiheit und Menschenwürde sichern" heute in Bonn führt der SPD-Parteivorsitzende Rudolf Scharping folgendes aus:

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

derzeit könnte man in Deutschland das ganze Jahr auf Kongressen verbringen, die sich mit "Multi-Media", Digitalisierung, Datenautobahnen, "Informationsgesellschaft" oder spezieller dann, mit dem Rundfunkstaatsvertrag oder der Zukunft der ARD beschäftigen. Sie könnten sagen: Schon wieder so eine Tagung, diesmal von der SPD. Es gibt aber einen kleinen Unterschied: Viele Veranstalter solcher Kongresse zielen ganz direkt auf neue Märkte und ordentliche Gewinne. Wir müssen an einer anderen Stelle ansetzen, bei den politischen Rahmenbedingungen für Kommunikation. Nicht daß wir prinzipiell etwas gegen Gewinne und Wachstum hätten, im Gegenteil ohne Gewinne keine Investitionen, kein technischer Fortschritt, ohne technischen Fortschritt kein sozialer Fortschritt! Andererseits sind wir aber auch der Auffassung, daß man nicht mit allem und jedem Gewinn machen sollte. Und wir sind weiter der Meinung, daß Bücher und Zeitungen, Radio- und Fernsehprogramme keine Handelsware wie Schrauben oder Schmierseife sind, denn Meinungen und Informationen - gleich, ob gedruckt oder gesendet - sind für eine lebendige Demokratie so notwendig wie die Luft zum Atmen.

Eine vernünftige Ordnungspolitik mit Deregulierungen und Regulierungen ist notwendig, wenn wir die tiefgehende Veränderung von der Industrie - zur Informationsgesellschaft bewältigen wollen. Und genau darum geht es uns heute. Wir sind als stärkste Partei in den Bundesländern dabei, ein Konzept für einen neuen Rundfunkstaatsvertrag zu entwerfen. Wir werden alles tun, um die plumpen Angriffe auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die ARD - ich erinnere nur an Helmut Kohl, Kurt Biedenkopf und Edmund Stoiber - zurückzuweisen. Wir bereiten eine große Initiative zur Informationsgesellschaft in der Bundestagsfraktion vor; und zwar eine Initiative, die nicht nur die ökonomische Seite, sondern auch die kulturellen und sozialen Probleme thematisieren wird. All diese Projekte möchten wir Ihnen heute vorstellen und zu all diesen Problemen möchten wir von Ihnen auch Rat erbitten, und zwar nicht nur heute, sondern auch in einem dauerhaften Kontakt.

Dabei ist mir eines wichtig: Wenn - unter dem von Al Gore populär gemachten Stichwort Datenautobahn, "Nationalen Informationsinfrastruktur", die Neuerungen beschworen werden, die eine moderne Telekommunikationsinfrastruktur mit sich bringen, dann wird vor allem über einige wenige, rasch profitable Multimediaanwendungen geredet: Über die Vervielfachung der Fernsehkanäle zum Beispiel, über Video on Demand, über Computerspiele usf., also über Unterhaltungsangebote. Ich will hier deutlich sagen: Es geht um viel mehr. Es geht um die Vernetzung von Schulen und Ausbildungsstätten, von Hochschulen und Bibliotheken, von Arztpraxen und Krankenhäusern, von Industrie- und Handelsunternehmen, Banken und Versicherungen untereinander und mit ihren Kunden mit dem Ziel, eine neue Form der Kommunikation, der Datenbewältigung, der Effizienzsteigerung möglich zu machen. Der Zapper im Mediamix, der in einer digitalen Welt mit Hilfe der Instrumente Telefon, Personal Computer und Fernseher auf einem hochmodernen "Netz" Botschaften und Meinungen austauscht, lehrt und lernt, sich unterhält, anbietet und, kauft, bezahlt, arbeitet und Geschäfte macht, der wird anders leben, der kann jedenfalls anders leben als diejenigen, die sich nur von Sendezentralen bestrahlen, von Unterhaltungsprogrammen berieseln lassen. Die Anwendung der Interaktivität auf das Erziehungswesen, die Arbeitswelt, die Medizin, die tägliche Lebensbewältigung, die Geschäfts- und Arbeitswelt verändert die Gesellschaft grundlegend. Deshalb können die neuen multimedialen Produkte und Dienste übrigens nicht einfach der normativen Kraft des Faktischen überlassen werden. Umgekehrt bedarf es vielmehr auch der faktischen Kraft des Normativen: Die Politik muß einen vernünftigen und verläßlichen Rahmen setzen.

Ich wiederhole, was ich gerade schon angedeutet habe: Es bedarf an den richtigen Entscheidungspunkten überlegter Regulierungen und Deregulierungen. D.h. übrigens nicht: Selbstlauf des Marktes oder der Technik. "Im Gegenteil," - ich zitiere aus einem Diskussionspapier unserer Medienkommission vom 15.9.94 - " der Ordnungspolitik wird eine besonders wichtige gestalterische Aufgabe zukommen. Die Kunst wird darin bestehen, gesellschafts- und medienpolitisch verantwortungsvoll zu gestalten, ohne jedoch die technische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa zu behindern. Eine gesellschaftspolitisch verantwortungsbewußte Kommunikationspolitik und eine gezielte, überlegte Forschungs- und Technologiepolitik ist unverzichtbar - sowohl global als auch auf der europäischen, auf der nationalen und auf der Länderebene."

Dabei geht es nach meiner Meinung vor allem darum,

Dabei wird ein Durchbruch von der Medien- zur Kommunikationspolitik notwendig. Europapolitiker, Landespolitiker und Bundespolitiker müssen systematisch zusammenarbeiten. Rundfunkrechtliche Konzentrationskontrolle und kartellrechtliche Fusionskontrolle, also Landes- und Bundespolitik müssen genauso zusammengedacht werden wie Kultur und Dienstleistung, wie Medien-, Post-, Technologie-, Bildungs- und Industriepolitik. Es darf nicht so bleiben, daß die Medienpolitiker in einem Landesparlament, die über den Rundfunkstaatsvertrag reden, nicht so genau wissen, was die Telekommunikationspolitiker im Postausschuß des Bundestages treiben. Oder: Wenn man die Medienkonzentration durch einstimmig zu beschließende Staatsverträge nicht bändigen kann, muß man vielleicht auch überlegen, ob man nicht den Artikel 74 des Grundgesetzes, das Recht der Wirtschaft, auf Bundesebene in Anspruch nehmen muß. Kurz und gut: Wir müssen über alte Etiketten hinaus kommen. Ich habe nicht die Absicht, hier - und gleich am Anfang dieses Kongresses - ein vollständiges medienpolitisches Programm zu formulieren. Immerhin will ich drei Bemerkungen machen, die dann in den Podiumsdiskussionen vertieft oder auch bestritten werden können.

  1. Die bisherige Konzentrationskontrolle bzw. Vielfaltssicherung durch die Landesmedienanstalten hat sich als wenig effektiv erwiesen. Dabei betone ich, daß das nicht allein an diesen Stellen lag. Zwar gab und gibt es bei ihrer Kooperation deutliche Schwächen. Darüber hinaus aber reichten ihre Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse zu einer wirksamen Einschränkung der Konzentration nicht aus. Dazu bedarf es einer effizienteren Koordination der Landesmedienanstalten.

    Im System des deutschen Bundesstaates läuft das auf eine zentrale Einrichtung - am besten als Körperschaft der Landesmedienanstalten - zur Zulassung und Aufsicht über bundesweiten, privaten Rundfunk hinaus, um sachbezogene, standortneutrale Entscheidungen zu gewährleisten. Ihr könnte man eine "Kammer für Medienkonzentration" mit unabhängigen sachverständigen Personen angliedern. Schließlich könnte dort ein beratender Medienrat mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angesiedelt werden, der die Programme kritisch beobachtet und einen einfallsreichen öffentlichen Diskurs befördert. Unumgänglich ist ferner die Durchsetzung einer medienrechtlichen Publizitätspflicht, die die Broadcaster und ihre Eigner zwingt, Bilanzen, Treuhandverhältnisse, Programmbeschaffungs- oder Lizenzverträge offen zu legen.

    Die Kontroll- und Aufsichtsbefugnisse der neuen Körperschaft sind aus dem Kartellrecht, aber auch aus der Abgabenordnung zu entlehnen.

  2. Ein unübersehbares Problem für die deutsche Medienszene ist Cross Ownership, also vor allem die Verflechtungen zwischen Fernsehsendern, Presseunternehmen und Programmzulieferern (Rechtehändlern) und Cross Promotion, d.h. die fortgesetzte und gezielte redaktionelle Werbung in einem der konzerneigenen Medien (etwa einer Programmzeitschrift) für ein anderes konzerneigenes Angebot (etwa ein Fernsehprogramm).

    Führende Medienjuristen haben zwar festgestellt: "Ein gegenwärtiges Konzentrationsproblem, das sofortige Entflechtungsmaßnahmen notwendig mache, wird im deutschen Fernsehmarkt aktuell nicht festgestellt".

    Oder anders formuliert: Ich sehe heute keinen deutschen Berlusconi, aber ich sehe strukturelle Gefahren, die eines Tages einen modernen "Hugenberg der elektronischen Medien" auch hierzulande möglich machen könnten. Das kann man auch anders sehen. In jedem Fall wäre ein "Deckel", also in die Zukunft wirkende Cross Ownership und Local Cross-Ownership-Restrictions nach amerikanischem Vorbild sinnvoll.

    Bei der danach erforderlichen Berücksichtigung intermediärer Verflechtungen ist der Rechtemarkt besonders wichtig. Die marktbeherrschende Position eines Programmlieferanten, der zugleich als Veranstalter fungiert, kann nämlich den Marktzutritt eines Newcomers erschweren, weil er nicht mit diskriminierungsfreier Belieferung von Programmen rechnen kann. Diese Gefahren sind von uns klar erkannt worden, so heißt es in einem Beschluß unserer Medienkommission vom 8. März diesen Jahres, der unter Mitwirkung der sozialdemokratisch geführten Staats- und Senatskanzleien erstellt wurde: "Im Rahmen der Prüfung von Medienkonzentrationen werden auch dem Fernsehmarkt verwandte Märkte einbezogen... Bei der Einbeziehung verwandter Märkte hat sich herausgestellt, daß der Rechtemarkt von größter Relevanz ist. Denn ohne die Möglichkeit, Senderechte überhaupt oder zu vertretbaren Preisen zu erwerben, ist ein Fernsehveranstalter praktisch nicht sendefähig. Deshalb muß bei künftigen Regelungen, gleich welche Modelle dabei zugrunde gelegt werden, gerade dieser Bereich im Sinne der Vielfaltssicherung sauber reguliert werden."

  3. Die - dem bisher geltenden Rundfunkstaatsvertrag zugrunde liegende Idee, eine Vielfalt der Meinungen lasse sich über eine Vielfalt der Eigentümer absichern, unterstellt, daß Vielfalt und Vielzahl dasselbe seien. Das sind - aus dem Kartellrecht importierte - wirtschaftsliberale Fiktionen. Kommunikativ kann ein einzelner Unternehmer in einem bestimmten Markt Pluralismus herstellen; in einem anderen, von "Veranstaltergemeinschaften" beherrschten Markt, kann einsinnige Publizistik oder auch einfältige Unterhaltung herrschen. Binnenpluralität läßt sich besser durch gesellschaftliche Kontrolle als durch "Kapitalberechnungsmodelle" erreichen. Wir werden also dafür werben, daß Zwangsehen - wie etwa die Hereinnahme des Medien-Tycoons Rupert Murdoch bei VOX - künftig nicht mehr geschlossen werden müssen.

Das ist die eine Seite der Sache, die kurzfristige sozusagen soweit es an uns liegt, wollen wir den Rundfunkstaatsvertrag noch in diesem Jahr unter Dach und Fach bringen. Das selbe gilt im übrigen für die Gebührenerhöhung für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Im Unterschied zum Bundeskanzler, der schon vor einigen Wochen wußte, daß es überhaupt keine geben dürfe, werde ich der neukonzipierten Kommission zur Ermittlung des Gebührenbedarfs nicht vorgreifen. Sie werden von mir also nicht hören, daß das Gebührenaufkommen um drei oder fünf Mark erhöht werden müsse. Das soll ja gerade nach objektiven Kriterien und von unabhängigen Leuten festgestellt werden.

Dabei ist nach dem Gebührenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar des vergangenen Jahres auszuschließen, daß die Gebührenanpassungen - auch indirekt - zur politischen Gängelung mißbraucht werden. Das Karlsruher Gericht hat sehr deutlich hervorgehoben, daß der enge Zusammenhang von Rundfunkfreiheit und Finanzausstattung das prinzipiell verbietet, und zwar - erst recht dem Bundeskanzler, der von verfassungswegen in Rundfunkfragen überhaupt nicht mitzureden hat. Ich zitiere wörtlich aus der Entscheidung des Gerichts: "Dagegen darf die Gebührenfestsetzung nicht zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik, namentlich im dualen System, mißbraucht werden."

Mir fällt es schwer, gerade in dieser Zeit, in der den Bürgern und Bürgerinnen vielfältige zusätzliche Belastungen zugemutet werden, eine Erhöhung der Rundfunkgebühren in Erwägung zu ziehen (ARD und ZDF haben gerade ihren Bedarf angemeldet, der auf eine Erhöhung um etwa 5 - 6 DM hinausläuft). Aber ich habe gar keinen Zweifel, daß angesichts der allgemeinen Kostenentwicklung und angesichts explodierender Kosten im Rundfunkbereich selbst, zum Beispiel bei den Sportrechten, den Fernsehproduktionen, den Filmlizenzen und rundfunkspezifischen Dienstleistungen eine Erhöhung der Gebühren unausweichlich ist, zumal das ZDF und - etwas weniger dramatisch - die ARD-Anstalten drastische Werbeverluste hinzunehmen hatten. Hinzukommt: Der Aufbau der neuen Sender in Ostdeutschland muß ebenso weiterhin unterstützt werden wie das neue, von den Ländern getragene Deutschlandradio, das die, immer noch bestehende "innere Mauer" zwischen den Menschen in Ost - und Westdeutschland abzubauen helfen soll. Schließlich kostet auch der europäische Kulturkanal ARTE sein Geld. Auch dieses Problem sollte die deutsche Politik noch im Jahr 1995 in Angriff nehmen (anpacken). Das ist indessen nicht alles. Noch wichtiger ist meines Erachtens eine sinnvolle Weiterentwicklung und Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dabei ist zweierlei wichtig:

Ein Wort noch zu Buch, Zeitung, Zeitschrift. Das gedruckte Wort behält als gründlich und umfassend informierendes Medium in einer "elektronischen Informationsgesellschaft" seinen besonderen Rang.

Wir Sozialdemokraten werden alles in unserer Kraft stehende tun, daß es so bleibt. Unsere Kommunikationskultur ist auf das Lesen angewiesen. Wenn das eines Tages nicht mehr gelten sollte - ich glaube allerdings den Untergangspropheten nicht - dann hätte das weitreichende Folgen für unsere Gesellschaft, unsere Kultur, für unser Informationsverhalten und unsere Meinungsbildung, für die Fundiertheit - oder Flüchtigkeit - unseres Urteils, bis hinein in die politische Willensbildung.

Die Tatsache, daß man das, was man schwarz auf weiß besitzt, getrost nach Hause tragen kann, daß man etwa einen Zeitungsartikel ausschneiden, mitnehmen, wieder verfügbar machen kann, ist jedenfalls für mich ein unschätzbarer Vorteil. Und sicherlich für viele Menschen, die Information nicht nur im Takt von eins-dreißig Minuten - heute ist es oft nur noch eine halbe Minute - konsumieren wollen. Ich habe den Eindruck, daß Menschen, die sich nur noch in diesem Takt häppchenweise und hektisch informieren und nicht mehr in der Lage sind einen längeren Zeitungsartikel oder gar ein Buch zu lesen, daß diese Menschen immer mehr wissen und immer weniger verstehen. Aber das ist nur ein persönlicherEindruck.



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