hide random home http://www.spd.de/politikfelder/allgemei/8mai-hdg.html (Einblicke ins Internet, 10/1995)


Pressemitteilung des SPD Parteivorstandes vom 4. Mai 1995

In der heutigen Ausgabe der "Wetzlarer Neue Zeitung" erscheint die folgende Kolumne der stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Herta Däubler-Gmelin:

In diesen Tagen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 50. Mal. Nicht nur die Gefangenen der Vernichtungslager und die Insassen der Gefängnisse der Nazis wurden damals befreit. Nein, für ganz Europa, auch für die Deutschen war das Ende der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten - trotz des persönlichen Leids vieler - eine Befreiung. Davon ist die ganz überwiegende Mehrheit in unserem Land überzeugt. Um so empörender ist es, daß sich hochrangige Vertreter von Union und FDP ungeniert an reaktionären Versuchen, die Geschichte umzudeuten und zu relativieren beteiligen. Daß sie dafür statt öffentlicher Zurechtweisung klammheimliches Verständnis - zuletzt ganz unmißverständlich von Herrn Schäuble - ernten, ist eine Zumutung.

Der 8. Mai ist ein Tag der Befreiung, ein Tag der Erinnerung, auch ein Tag der Trauer über die Millionen Opfer der Naziherrschaft. Fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges müssen wir aber auch klar sagen, daß noch manches dunkle Kapitel aufgearbeitet werden muß.

Der unwürdige Umgang mit den sogenannten "Deserteuren" und "Wehrkraftzersetzern", also jenen deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges, die sich geweigert hatten, Hitlers Befehle zu befolgen, gehört dazu. Es ist skandlös, daß die rechtsstaatliche Justiz der neuen Bundesrepublik die Urteile der NS-Kriegsgeschichte über diese Menschen so lange widerspruchslos hingenommen und sogar als "Recht" behandelt hat. Ihnen, die zu den wenigen Überlebenden der NS-Kriegsgerichtsbarkeit gehören, wird Rehabilitierung, Anerkennung, Respekt und Würde bis heute versagt. Über 100.000 Urteile, darunter 30.000 Todesurteile, hat diese Kriegsgerichtsmaschinerie verhängt. Über 20.000 wurden vollstreckt; zum Teil noch, wie wir aus dem "Fall Filbinger" wissen, in oder nach den letzten Kriegstagen.

Zum Vergleich: Die Vereinigten Staaten haben während des gesamten Zweiten Weltkrieges nur ein einziges Todesurteil wegen Fahnenflucht vollstreckt. Die Zahlen zeigen, daß demokratische Rechtsstaaten auch in einem Krieg anderes vorgehen als mörderische Diktaturen. Und es unterstreicht, daß diejenigen, die sich als deutsche Soldaten dem Befehl Hitlers widersetzten, nicht aus Feigheit, sondern aus anderen Motiven handelten. Unter hohem, ja tödlichem Risiko leisteten sie Widerstand und Verweigerung gegenüber dem mörderischen Angriffskrieg Hitlers.

50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges müssen wir diesen Menschen gerecht werden und die wenigen noch lebenden endlich rehabilitieren und entschädigen. Ihren Angehörigen muß endlich der Druck genommen werden, unter dem sie die letzten Jahrzehnte leben mußten. An dieser Forderung sollten sich Justiz und Bundeswehr beteiligen - gerade weil ihre Werte, ihre Traditionen, ihre Verpflichtung und ihre Verantwortung völlig andere als die von Wehrmacht und NS-Justiz sind.

Wenn es unserem Rechtsstaat heute verwehrt ist, Mörder, wie jenen "Schlächter von Cajazzo" zu bestrafen, der 26 Männer, Frauen und Kinder als Soldat kaltblütig niedergeschossen hat, sollten wir wenigstens jenen Leuten endlich ihre Würde wiedergeben, die damals Befehle dieser Art verweigerten oder sich ihnen entzogen.



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