© 1995 by Christo & Taschen Verlag
Selbstporträt, 1951
Bleistift auf Papier, 51,5 x 41,9cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Eeva-Inkeri
Zusammen mit seinen Eltern und zwei Brüdern der ältere, Anani, ist heute ein bekannter Schauspieler in Bulgarien, der jüngere Bruder Stefan ist Chemiker lebte Christo während des Zweiten Weltkriegs in einem relativ sicheren Landhaus, das eine Zufluchtsstätte für Künstler und andere Freunde der Familie wurde, als die Städte von den Alliierten bombardiert wurden. Zu Christos Kindheitserinnerungen gehören auch die Leichen exekutierter Partisanen auf den Straßen und der Einmarsch der Roten Armee in Bulgarien im Jahre 1944.
Vladimir Javacheff, der Vater des Künstlers, ruhend, 1952
Bleistift auf Papier
24,5 x 18,5cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Eeva-Inkeri
Christos Vater, ein im Westen ausgebildeter Wissenschaftler, wurde vom neuen kommunistischen Regime schikaniert und verfolgt. Seine Chemiefabrik wurde unter den Kommunisten verstaatlicht; er selbst erhielt das Stigma eines Saboteurs und kam ins Gefängnis, wo der halbwüchsige Christo ihn besuchte. Wie Christo der Zeitschrift Balkan erzählte, waren die fünfziger Jahre in Bulgarien eine von hektischen Umwälzungen bestimmte Zeit. Alles verlangsamte sich und begann zu verfallen.
Schon als Zwölfjährigem war Christo der Reichstag ein Begriff, weil das Gebäude eine Schlüsselrolle in den Heldenlegenden der bulgarischen Kommunisten spielte: Georgi Dimitrow, in den späten vierziger Jahren bulgarischer Ministerpräsident, war 1933 im Prozeß um den Reichstagsbrand angeklagt (und später freigesprochen) worden. Christo selbst war ein sanfter, ruhiger Junge, schüchtern und von mimosenhafter Empfindlichkeit. Ich war ruhelos und wild, erinnert sich Christos Bruder Anani, während er immer an Mutters Seite saß, er war ihr Liebling. Er sagte immer zu unserer Mutter, Tzveta war ihr Name, daß sie nie auseinandergehen würden. Sie hat sehr gelitten, als die Entwicklungen in Ungarn ihren Gang nahmen und Christo zunächst nach Prag und von dort aus nach Wien ging. Christo erinnert sich gern an das schöne Haus in Gabrovo und auch an das Dorf, in dem die Familie den Sommer zu verbringen pflegte: Wir lernten dort eine Bäuerin kennen, die uns während des Krieges mit Butter und Käse versorgte. Wir freundeten uns mit ihr an und halfen ihr auf dem Hof. Wir hüteten die Schafe, ernteten das Obst, und so verbrachten wir den ganzen Sommer.
Tzveta, die Mutter des Künstlers
1948
Bleistift auf Papier
48,5 x 31,5cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Eeva-Inkeri
Christos erste künstlerische Gehversuche reichen zurück in diese Zeit: In diesem Dorf lebte eine Frau, die ohne Arme geboren worden war. Sie hatte es sich selbst beigebracht, ihre Füße wie Hände zu benutzen. Sie tat fast alles mit ihren Füßen sie konnte sogar mit den Füßen stricken. Als ich sechs Jahre alt war, ließ ich sie und andere für mich Modell sitzen, damit ich ihre Porträts malen konnte. 1953 schrieb sich Christo an der Kunstakademie der bulgarischen Hauptstadt Sofia ein, wo er bis 1956 Malerei, Bildhauerei und Architektur studierte. Wie überall im damaligen Ostblock gehörte auch in Bulgarien der sozialistische Realismus zur Tagesordnung die Kunst stand unter dem thematischen und stilistischen Diktat des Agitprop und hatte der marxistisch-leninistischen Propaganda zu dienen. Dies führte oft zu grotesken Situationen wenn etwa (an traurigen Herbstwochenenden) die Studenten losgeschickt wurden, um den Bauern der Landwirtschafts-Kooperativen längs der Route des Orientexpreß zu zeigen, wie sie ihre Traktoren und Heuhaufen besonders eindrucksvoll zur Schau stellen konnten, um damit den Reisenden aus den kapitalistischen Ländern zu imponieren.
Textilmaschinen in der Fabrik in Plovdiv, 1950
Bleistift auf Papier
40 x54 cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Eeva-Inkeri
Abgesehen von den Punkten, die man für diese Propagandaarbeit gutgeschrieben bekam, dürfte Christo auch für sein späteres Leben von diesen merkwürdigen bungen profitiert haben: Seine kommunikativen Fähigkeiten und sein Gespür für die Einbeziehung von Naturelementen wie Sonne, Wind, Wasser, Felsen und Entfernungen in seine Projekte mögen teilweise auch von diesen Erfahrungen herrühren.
Mit einer Komposition, Ruhende Bauern auf einem Feld (1954), geriet Christo in Konflikt mit den Prinzipien des sozialistischen Realismus und den Diktaten des Akademieprofessors Panayotow. Einer der Bauern trank, der Ackerboden machte einen ausgetrockneten, unfruchtbaren Eindruck, und selbst die lilafarbene und grünen Hemden der Bauern stießen auf Ablehnung. Christo trotzte dem System. Wie konnte er sich nur auf eine solche Provokation einlassen!
Ruhende Bauern auf einem Feld, 1954
(Studie für ein Ölgemälde)
Zeichenkohle auf Papier
35 x 50cm
New York, Sammlung Jeanne-Claude Christo
Foto: Eeva-Inkeri
Bulgarien war das isolierte Hinterland Europas, das von den doktrinärsten Stalinisten des Ostblocks beherrscht wurde, und Christo wußte nur zu gut: Um Werke von Matisse oder Picasso, Klee oder Kandinsky nicht nur in Kunstbüchern zu sehen, mußte er das Land verlassen. Sein Traumziel war Paris, doch zunächst fuhr er nach Prag, wo er zum ersten Mal Werke der großen Meister der Moderne im Original sah. Am 10. Januar 1956 bestach er dann, zusammen mit anderen Flüchtlingen, einen Zollbeamten an der tschechoslowakischen Grenze und schaffte es, mit dem Zug nach Wien zu gelangen. Ohne Geld und Sprachkenntnisse nahm Christo ein Taxi zur einzigen Adresse, die ihm in Wien bekannt war. Bei einem Freund seines Vaters wurde er freundlich aufgenommen, und Christo immatrikulierte sich kurz darauf an der Wiener Kunstakademie, um nicht als Flüchtling registriert zu werden. Christos Lehrer an der Wiener Akademie, deren Fakultät für Bildhauerei damals von Fritz Wotruba geleitet wurde, war Robert Anderson. Er verbrachte dort ein Semester und zog dann zunächst nach Genf wo er Damen der Gesellschaft und Kinder wohlhabender Familien porträtierte, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und von dort reiste er weiter nach Paris.