Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Es gehört allmählich Mut dazu, zu bekennen,
daß es in diesem Land etwas geben sollte, das den privaten
Vergnügungen entzogen ist, und daß es wichtig ist, daß der
Reichstag dazu gehört.
Es erfüllt mich nicht mit Freude, daß wir als Bundestag und in
dieser Zeit durch eine namentliche Abstimmung, also in höchster Bewertung,
zu einem Teil einer PR-Kampagne werden.
(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und der PDS/Linke
Liste)
Es mißfällt mir, wie leichthin - bis hin zu einem Aids-Plakat -
diejenigen abqualifiziert werden, die gegen das Projekt von Christo sind. Es
mißfällt mir, daß die Antragssteller mit keinem Wort auf die
Beliebigkeit der Argumente des ideologischen Überbaus eingehen, mit
denen dieses Projekt begleitet und begründet wird, bis hin zur
Verhüllung aus Scham wegen des Dritten Reiches oder Verhüllung, weil
es nicht gebraucht wird, oder eine Plastikplane, damit es schön über
die Mauer scheinen möge.
Wir entscheiden in der Tat nicht über Kunst, wir entscheiden auch nicht
über den offenbar beliebigen ideologischen Überbau, sondern wir
entscheiden über den altehrwürdigen Reichstag. Das
Gebäude ist noch nach über 100 Jahren in seiner geschlossenen Fassade
eindrucksvoll geblieben.
Selbst seine Lage ist ein politisches Symbol: jenseits der alten
Stadtgrenze, jenseits des Brandenburger Tores errichtet, mit der Fassade
abgewendet vom damaligen Machtzentrum und dem deutschen Volk gewidmet. Es gibt
kein Bauwerk in der Bundesrepublik, in dem sich Glanz und Elend des deutschen
Parlamentes und die deutsche Geschichte der letzten 120 Jahre so
widerspiegeln wie dort.
Dort haben Bismarck, Bebel, Eugen Richter, Lasker und viele andere einen
mühsamen, vierzig Jahre dauernden Weg in die parlamentarische Demokratie
begonnen. Dort hat Scheidemann die Republik ausgerufen. Von dort haben Rathenau
und Stresemann Deutschland in die Völkergemeinschaft
zurückgeführt.
Ich sehe Marinus van der Lubbe, der für dieses Symbol sein Leben aufs
Spiel gesetzt hat. Ich sehe Göring mit seinen feixenden uniformierten
Abgeordneten. Ich sehe die Erstürmung durch die Rote Armee und 40 Jahre
danach, am 3. Oktober 1990, die Feier der Wiedervereinigung, bei der wir auf
der Treppe vor dem Reichstagsgebäude standen und sich manche die Hand
gegeben haben.
Nun kommt Herr Christo und verpackt alles. Es wird beruhigend versichert,
daß es nichts koste und daß es im übrigen für Berlin eine
famose Reklame sein solle, für die die Besucher 500 Millionen DM ausgeben
werden. Was für Argumente! Wenn ich das lese: Das ist nicht einmal unsere
Zeit, das ist schlechter Stil, das ist stillos.
Warum verpacken wir nicht auch das Brandenburger Tor, wenn es dem Künstler
einfiele? Sollte der Bundestag nicht auch deswegen in das
Reichstagsgebäude einziehen, weil dieses Gebäude für uns eine
einzigartige historische Bedeutung hat? Da ist nichts zu verpacken, und da ist
nichts zu verhüllen.
Wenn Herr Christo vorschlagen würde, das Capitol, das Parliament Building
oder die Assemble Nationale einzupacken, dann würde ein Sturm der
öffentlichen Entrüstung ihn und das Projekt hinwegfegen.
So hat jeder seine eigenen Maßstäbe.
Noch etwas. Selbst, wenn man viele Menschen von dem künstlerischen Wert
des Unternehmens überzeugen könnte, was ist dann eigentlich mit den
vielen anderen, zu denen auch ich gehöre, die dadurch das Parlament und
unsere Vergangenheit eher unwürdig behandelt sehen?
Ist Ihnen, die für das Projekt sind, das Vergnügen, das Sie empfinden
mögen, so viel wert, daß Sie einfach über die Verletzung des
Empfindens der anderen hinweggehen, die die Einfälle des Herrn Christo
bestenfalls für amüsant, aber nicht für wichtig halten?
Es sollte und es muß in unserem Land noch Dinge geben, die für
private Vergnügungen nicht zur Verfügung stehen. Es ist wichtig,
daß der Reichstag dazugehört.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Peter
Conradi [SPD]: Ein echter Liberaler war das! - Gerhard Reddemann [CDU/CSU]: Ja,
das werden Sie nie begreifen!)