Russische Sonderbriefmarke zum 9. Mai 1995.
Sie zeigt den Sturm sowjetischer Soldaten der
beteiligten 380, 674. und 756. Schützenregimenter
auf das Reichtagsgebäude
Danach kennzeichneten "bedingungslose Gefolgschaft" und offene Akklamation die Arbeit des als Relikt der Weimarer Verfassung weiterbestehenden Reichstags, der mehrmals zur Demonstration des einheitlichen Volkswillens benutzt wurde und nachträgliche Zustimmungserklärungen zu "Führerentscheidungen" abzugeben hatte. So erfolgten am 29. März 1936 auf Wunsch Hitlers in propagandistischer Absicht "Neuwahlen unter außenpolitischen Parolen", die Hitlers Außenpolitik und bisherige dreijährige "Politik der Wiederherstellung der nationalen Ehre" nachträglich gutzuheißen hatten (Fröhlich 1987: 578; Hubert 1992: 128f.), allerdings an der politischen Bedeutungslosigkeit des Reichstags nichts änderte. Der neu gewählte Reichstag verlängerte dann auch am 30. Januar 1937 das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, das formell nur bis zum 1. April 1937 Gültigkeit hatte, für weitere vier Jahre bis zum 1. April 1941. Danach benötigte Hitler zur Verlängerung des Ermächtigungsgesetzes den Reichstag nicht mehr: 1941 und 1943 verlängerte er sich als Diktator selbst dieses Gesetz.
Ebenso belanglos für jegliche Einflußnahme auf die Politik Hitlers war denn auch die nächste Wahl vom 10. April 1938 zum sogenannten "Großdeutschen Reichstag"; auch sie änderte nichts an der Bedeutungslosigkeit des nationalsozialistischen Einparteienparlamentes und war wiederum in Verbindung mit einer allgemeinen Volksabstimmung als Zustimmung für eine besondere außenpolitische Aktion - nämlich den Einmarsch der Wehrmacht in Österreich am 12. März 1938 und dessen Anschluß an das Reich - konzipiert. Es ist für die Untätigkeit dieses Pseudo-Parlamentes bezeichnend, daß der "Großdeutsche Reichstag" erst mehrere Monate nach der Wahl am 10. Januar 1939 zusammentrat. Bis dahin wurde er durch weitere Vertreter aus dem inzwischen angeschlossenen Sudetenland erweitert.
Als der von Hitler entfachte Krieg am 1. September 1939 begann, nutzte er das Forum des "Großdeutschen Reichstages", um den Überfall auf Polen öffentlich als Reaktion Deutschlands hinzustellen. Während des Krieges kam es zu mehrmaligen Vergrößerungen der Zahl der Reichstagsabgeordneten aufgrund von Ernennungen neuer Mitglieder aus eroberten oder an das Reich angeschlossenen Gebieten im Osten und Westen.
In der Kriegszeit wurde der Reichstag mehrmals einberufen, um Hitler als größtem Feldherrn aller Zeiten zuzujubeln. Dies geschah nach dem siegreichen Ende des Polenfeldzuges am 6. Oktober 1939, des Westfeldzuges am 19. Juli 1940 und des Balkanfeldzuges am 4. Mai 1941. Da der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion als Blitzkrieg unter dem Namen "Unternehmen Barbarossa" im Dezember 1941 scheiterte, kam es dann am 11. Dezember 1941 zur Einberufung des Reichstags, um Hitlers Kriegserklärung an die USA und einige Erläuterungen zum Kampf an der Ostfront zur Kenntnis zu nehmen.
An ihr zeigte sich, zu welcher Akklamationsstelle der Reichstag herabgesunken war. Die Reichstagsabgeordneten beschlossen: "Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Führer in der gegenwärtigen Zeit des Krieges, in der das deutsche Volk in seinem Kampf um Sein oder Nichtsein steht, das von ihm in Anspruch genommene Recht besitzen muß, alles zu tun, was zur Erringung des Sieges dient oder dazu beiträgt. Der Führer muß daher - ohne an bestehende Rechtsvorschriften gebunden zu sein - in seiner Eigenschaft als Führer der Nation, als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, als Regierungschef und oberster Inhaber der vollziehenden Gewalt, als oberster Gerichtsherr und als Führer der Partei jederzeit in der Lage sein, nötigenfalls jeden Deutschen - sei er einfacher Soldat oder Offizier, niedriger oder hoher Beamter oder Richter, leitender oder dienender Funktionär der Partei, Arbeiter oder Angestellter - mit allen ihm geeignet erscheinenden Mitteln zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten und bei Verletzung dieser Pflichten nach gewissenhafter Prüfung ohne Rücksicht auf sogenannte wohlererworbene Rechte mit der ihm gebührenden Sühne zu belegen, ihn im besonderen ohne Einleitung vorgeschriebener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang und seiner Stellung zu entfernen." (Rgbl 1942: 247)
Durch speziellen "Führererlaß" wurde dann auch am 10. Mai 1943 das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 um weitere vier Jahre verlängert, womit an Stelle des bisherigen Gesetzes vom 23. März 1933 nunmehr eine illegaler und fragwürdiger Erlaß Hitlers als verfassungsrechtliche Basis seiner Diktatur trat (RGBl 1943 295; Hubert 1992: 205f.). Der Erlaß vom 10. Mai 1943 zeigt, "daß Hitler an einer sachlich gebotenen Reichstagsgesetzgebung nicht interessiert war, wenn ihm die Zeit als ungünstig zur Abgabe einer Regierungserklärung erschien. Mit dem Ausbleiben großer militärischer Erfolge in der zweiten Kriegshälfte, die der Diktator in Regierungserklärungen hätte verkünden und vom Reichstag feiern lassen können, erlosch Hitlers Interesse an Reichstagssitzungen" (Hubert 1992: 210).