71
1. Das Versagen der Bundesregierung vor den internationalen Herausforderungen unserer Zeit
Am Ende des 20. Jahrhunderts sind mehr als zwei Drittel der Welt von ökologischer Verwüstung, Hunger und Armut geprägt. Die Wälder schrumpfen, die Wüsten dehnen sich aus, die Ozonschicht nimmt weiter ab, der Treibhauseffekt verstärkt sich, Pflanzen und Tierarten verschwinden, die Wasserverseuchung wächst. Die Industrieländer des Nordens tragen durch ihre Produktions- und Konsumweise für diese Entwicklungen die Hauptverantwortung. So gehen auch zwei Drittel der klimaverändernden Treibhausgase auf ihr Konto. Auf dem "Erdgipfel" von Rio de Janeiro wurde 1992 in der Klimakonvention die Notwendigkeit sofortigen Handelns auch von der Bundesregierung anerkannt.
Doch sie hat den vollmundigen Ankündigungen des Kanzlers keine Taten folgen lassen: es fehlen hinreichende und verbindliche Zielvorgaben für die Reduktion der Schadstoffe, es gibt keine überzeugende Strategie für den ökologischen Umbau. Globale Umweltpolitik ist für diese Regierung ein Thema für Sonntagsreden, nicht für verantwortungsvolles Handeln.
In den westlichen Industrieländern leben rund 20 Prozent der Weltbevölkerung. Sie verfügen inzwischen über das 150-fache Einkommen der ärmsten 20 Prozent der Menschheit. Weit über eine Milliarde Menschen hungern. Elend, Katastrophen, Kriege, rassistische Gewalt und Diktaturen zwingen Millionen von Menschen zu Auswanderung und Flucht.
Doch die Bundesregierung läßt die Mittel für Entwicklungspolitik 1993/94 auf einen historischen Tiefstand sinken und tritt dafür ein, die Grenzen der Europäischen Union gegen Flüchtlinge "dicht" zu machen. In den Verhandlungsrunden über den Welthandel wird weiter an der Schuldenschraube gedreht und das Erbe kolonialer Ausbeutung in den ungerechten Austauschverhältnissen zwischen Industriewaren und Rohstoffen ungehemmt fortgeschrieben.
Seit 1990 ist der Warschauer Pakt zusammengebrochen und der Kalte Krieg beendet. Aber die Möglichkeit zur radikalen Abrüstung und Entmilitarisierung, zur Einsparung der Militär- und Rüstungskosten wird nicht genutzt. Die Bundesregierung tritt für den Erhalt von NATO, Bundeswehr und den Ausbau der westeuropäischen Militärkooperation in der WEU ein. Sie macht lieber Schulden um nach wie vor eine Summe von etwa 60 Milliarden DM für Militär und Rüstung aufzubringen, weil sie 370.000 Soldaten behalten möchte. Soldaten und Waffen sollen konkrete Grundlage für neue Großmachträume bleiben.
Es herrscht Krieg im ehemaligen Jugoslawien, der besonders grausam geprägt ist durch systematische Menschenrechtsverletzungen, Massenmorde, Massenvergewaltigungen, Vertreibungen und offenkundige Absprachen zwischen Kraotien und Serbien zur Vernichtung der muslimischen Bevölkerungsgruppe in Bosnien-Herzegowina. Die Bundesregierung und die Europäische Gemeinschaft haben durch ihre vorzeitige Anerkennungspolitik - ohne Friedensprävention - nicht nur zur Auflösung Jugoslawiens, sondern auch zum Kriegsausbruch mit beigetragen. Durch eine zögerliche und
72
inkonsequente Sanktionspolitik gegenüber Kriegstreibern und Aggressoren tragen sie auch Mitschuld an der Fortdauer des Krieges. Mit Ausnahme weniger, spektakulärer Aktionen fand eine großzügige Aufnahme von Kriegsflüchtlingen nie statt. Besonders makaber ist es, daß die Bundesregierung durch Visumszwang und Beendigung von Aufenthaltsgenehmigungen Flüchtlinge - darunter auch Deserteure - aussperrt und ihnen Schutz und Hilfe verweigert.
Die Zahl der regionalen Kriege und bewaffneten Konflikte ist in den vergangenen Jahren weiter gestiegen. Dabei verfügen die meisten Staaten über keine Rüstungsindustrie, 85% aller Waffen werden von den sechs führenden Rüstungsexporteuren USA, Rußland, Deutschland, China, Frankreich und Großbritannien in die Krisen- und Kriegsgebiete geliefert. Deutschland ist mit über 40% aller europäischen Waffenexporte Europameister. Entgegen den Proklamationen der Bundesregierung, eine "restriktive" Rüstungsexportpolitik zu verfolgen, ist Deutschland unter Kanzler Kohls Verantwortung zum weltweit drittgrößten Exporteur konventioneller Waffen aufgestiegen. Ein Viertel dieser Mordinstrumente sind in die Staaten der Dritten Welt geliefert worden. Zum Aufbau der ABC-Waffenproduktion des irakischen Diktators Saddam Hussein haben deutsche Firmen zu mehr als 50 Prozent beigetragen. Die Waffen der NVA - ehemaligen DDR-Armee - wurden nicht verschrottet, sondern in die Krisenherde in aller Welt exportiert. Um von dieser inhumanen Exportpraxis abzulenken, verweist die Bundesregierung auf die illegalen Rüstungsexporte … la Hippenstiel-Imhausen. In Wirklichkeit sitzen die "Schwarzen Schafe" auf der Regierungsbank, denn 95% aller deutschen Waffentransfers erfolgen legal, also mit Genehmigung der Bundesregierung. Dieser Skandal findet seinen Höhepunkt in den Bemühungen der CDU, die deutschen Exportgesetze mit den anderen EU-Waffenexporteuren zu "harmonisieren" (Lamers-Initiative) und damit die letzten Exportbeschränkungen zu beseitigen. Diese Bundesregierung trägt Mitschuld daran, daß die Hoffnungen vieler Menschen auf eine friedliche Welt mit offenen Grenzen, garantierten Menschenrechten, Arbeit, Wohlstand und einem sinnvollen ökologischen Umbau der Wirtschaft nach dem Ende des Kalten Krieges enttäuscht wurden.
2. Die "Normalisierungspolitik" der Bundesregierung
Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat auch Möglichkeiten eröffnet, die neue Verantwortung des größer, mächtiger und in seinen Entscheidungen unabhängiger gewordenen Deutschland im Sinne einer friedlichen und ökologischen Außenpolitik der internationalen Solidarität zu nutzen. Doch die Kohl-Regierung versteht "mehr Verantwortung" in der Außenpolitik nur machtpolitisch - als Ausweitung wirtschaftlichen und politisch-diplomatischen Einflusses und dessen militärischer Absicherung. Seit 1990 geht sie der Debatte über die Frage aus dem Wege, welche außenpolitische Rolle das wiedervereinigte Deutschland übernehmen soll und wie sich von daher nach dem Zusammenbruch des Ost-West-Konflikts die Zukunft der Bundeswehr bestimmt. Stattdessen versucht sie Fakten zu schaffen, indem sie jede internationale Gelegenheit nutzt, um sich im Zuge einer "Normalisierung" der deutschen Rolle in der Weltpolitik an
73
militärischen UNO-Aktionen zu beteiligen. Sie fordert einen ständigen Sitz mit Vetorecht im UN-Weltsicherheitsrat. Sie will die weltweite Operationsfähigkeit der Bundeswehr als Instrument deutscher Politik durchsetzen. Dazu schickt sie Bundeswehreinheiten unter UN-Flagge nach Somalia und fordert prinzipiell die Beteiligung deutscher Soldaten an UN- Kampfeinsätzen. Die neuen "Verteidigungspolitischen Richtlinien" zeigen klar, daß es hierbei vor allem um die weltweite "Sicherung" von Rohstoffquellen und Absatzmärkten geht. Das gefährliche Ergebnis ist die Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Die Durchsetzung einer Politik des "Standort Deutschland" gegen die Idee einer gesamteuropäischen und globalen Solidarität stellt die Weichen in Richtung eines neuen staatlichen deutschen Nationalismus, der versucht gerade auch die Europäische Union für seine Ziele zu instrumentalisieren.
3. Die Zeit ist reif für eine neue Außenpolitik - unsere Leitgedanken
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wenden sich gegen die herrschende Politik, in der Deutschland die Rolle einer klassischen Großmacht in der internationalen Politik spielen soll. Sie hat für die heraufziehenden Probleme des 21. Jahrhunderts, die ökologische und soziale und damit Menschheitsprobleme sind, keine konstruktiven Antworten. Ihr "weiter so" führt in die Katastrophe. Wir müssen damit brechen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entstammen den Traditionen der Friedens-, der Dritte-Welt- und der Menschenrechtsbewegungen. Sie fühlen sich verpflichtet den Ideen der Gewaltfreiheit, der globalen Solidarität und der Durchsetzung der Menschenrechte. Daraus folgt ein der herrschenden Politik diametral entgegengesetztes Verständnis von Außenpolitik:
Die Menschenrechte sind unteilbar
Die Durchsetzung der Menschenrechte weltweit - bisher meist wirtschaftlichen, bündnispolitischen und militärischen Interessen nachgeordnet - ist ein zentraler Inhalt bündnisgrüner Außenpolitik. Dabei orientieren wir uns an der umfassenden Definition, die die Vereinten Nationen in den beiden Pakten über bürgerliche und politische sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und in den entsprechenden Konventionen ihrer Unterorganisationen erarbeitet haben.
Zu ihrer Durchsetzung bedarf es der Zivilcourage der Einzelnen ebenso wie der politischen, nicht aber der militärischen Einmischung der Regierungen.
Abrüstung und Selbstbeschränkung
Bündnisgrüne Außenpolitik setzt auf friedliche Konfliktverarbeitung und vorbeugende Konfliktvermeidung. Als eine wichtige Voraussetzung dazu schlagen wir ein Konzept machtpolitischer Selbstbeschränkung, der radikalen Abrüstung und der Selbsteinbindung in reformierte internationale Institutionen wie UNO und KSZE, sowie der gesellschaftlichen Kooperation über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg, vor.
74
Die internationalen Beziehungen umbauen
Wir treten ein für eine Politik der globalen Solidarität und des weltweiten, aktiven ökologisch-solidarischen Interessenausgleichs. Dazu bedarf es der Entmilitarisierung der internationalen Politik, des ökologischen Umbaus und der Demokratisierung der Weltwirtschaft. Wir wollen außenpolitische Verantwortung für die Schaffung einer menschenwürdigen Weltgesellschaft und die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen übernehmen.
4. Den Einsatz für die weltweite Verwirklichung der Menschenrechte zum Leitmotiv deutscher Außenpolitik machen
Alle Menschenrechte sind allgemeingültig, unteilbar und bedingen einander. Individuelle Freiheitsrechte, politische, wirtschaftliche, soziale Rechte und unterschiedliche kulturelle Traditionen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Die katastrophale Lage der Menschenrechte in vielen Ländern der Welt, die tiefen sozialen und ökologischen Krisen sowie die dramatisch wachsenden Flüchtlingsbewegungen stehen in direktem Zusammenhang. Aktive Menschenrechtsarbeit, der Kampf für politische Rechte und für soziale Rechte ist deshalb ein wirkungsvolles Mittel gegen die Fluchtursachen weltweit.
Bündnis 90 / Die Grünen stehen in diesem Sinne für eine Politik der weltweiten Umsetzung und Weiterentwicklung der Menschenrechte zu umfassend gewährleisteten BürgerInnenrechten als Grundlage eines beständig neu zu leistenden ökologisch-solidarischen Interessenausgleichs. Die Entwicklung und Förderung einer aktiven Menschenrechtspolitik ist deshalb ein vordringliches Ziel bündnisgrüner Außenpolitik. Unser Einsatz für die Reform der Vereinten Nationen und für den Umbau der Weltwirtschaft dient insbesondere dem Ziel der umfassenden Durchsetzung der Menschenrechte weltweit. Immer noch sind die Instrumente des Menschenrechtsschutzes unzureichend. Wir fordern die Einrichtung eines internationalen Menschenrechtsgerichtshofes. Die Beratungsrechte der Nichtregierungsorganisationen müssen mit dem Ziel eines PartizipativStatus entscheidend ausgeweitet werden.
Wir wissen, daß es vor allem der unermüdlichen Arbeit der internationalen Menschenrechtbewegungen, der vielen Organisationen wie human rights watch, amnesty international oder in Deutschland wie medico international, der Gesellschaft für bedrohte Völker, dem Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen und zahllosen Basisinitiativen zu verdanken ist, daß der Universalitätsanspruch der Menschenrechte zu einem Grundwert der internationalen Gemeinschaft geworden ist. Dieser Universalitätsanspruch bedeutet die gegenseitige gewaltfreie Einmischung in die Menschenrechtsverhältnisse anderer Gesellschaften und Staaten, auch in die Menschenrechtsverhältnisse in Deutschland.
Die systematische Förderung dieser "Basisarbeit" in Verbindung mit einer gezielten Unterstützung entsprechender "kommunaler Außenpolitik" von Städten und Gemeinden ist ein Grundanliegen unserer Politik.
75
Wir wollen Menschenrechtspolitik ebenso wie die Entwicklungspolitik zu einem Querschnittselement außenpolitischer Arbeit machen. Bis heute ist die Menschenrechtsfrage immer den wirtschaftlichen, militärischen und bündnispolitischen Interessen untergeordnet worden. Aktuelles Beispiel dafür ist die Außenwirtschaftspolitik der Bundesregierung gegenüber den Regimen im Iran und in der Volksrepublik China. Die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung diesen und anderen Staaten gegenüber stellt kaum mehr als ein Alibi für die Beförderung der deutschen Exportwirtschaft dar. Dies wollen wir grundlegend ändern.
Das gilt in besonderem Maße gerade auch für die Aufgaben des Auswärtigen Amtes und der deutschen Botschaften im Ausland. Wir wollen die Einsetzung von Menschenrechtsreferenten statt "Militärattach‚s" an allen Auslandsvertretungen. In ihre Hand und in die der angesprochenen Menschenrechtsorganisationen gehört die Abfassung der "Länderberichte", die in ihrer heutigen Form Werkzeug der restriktiven "Ausländerpolitik" der Bundesregierung sind. Formaldemokratische Strukturen, die Existenz von Parlamenten und Parteienvielfalt allein geraten ohne die Verwirklichung der Menschenrechte zur bloßen Fassade, hinter der die alten und die neuen, totalitären Machteliten umso besser ihre Macht stabilisieren können. Beispiele dafür gibt es in allen Teilen der Welt, von Mexiko und Guatemala über die Türkei bis nach Rumänien.
In Europa wird das Problem des Umgangs mit Minderheiten das beherrschende Thema der Menschenrechtsarbeit der nächsten Jahre sein. Dies gilt nicht nur für die nationalen Minderheiten in den neu entstehenden Staaten in Mittel- und Osteuropa. Dies gilt gerade in Westeuropa und gerade hier in Deutschland für die Rechte der Millionen von MigrantInnen und Flüchtlingen. Wir setzen uns ein für die Verbesserung der Rechte aller Minderheiten im eigenen Land und in den Nachbarländern, ohne die alles Bemühen um die Verbesserung der Menschenrechte weltweit unglaubwürdig bleibt.
Wir fordern die Verbesserung der Menschenrechtsinstrumente im Kontext von Europarat und KSZE, insbesondere Initiativen zur Verbesserung des Minderheitenschutzes. Trotz der erfolgreichen Bemühungen, die Minderheitenfrage in der Europäischen Menschenrechtskonvention zu verankern, halten Bündnis 90 / Die Grünen deshalb weiterhin an der Forderung zur Erarbeitung einer Europäischen Minderheitenkonvention fest.
5. Die Entmilitarisierung der internationalen Politik bei uns beginnen
Am Ende des Kalten Krieges bestand die große Chance, den Zerfall des Warschauer Paktes mit einer Initiative zur Auflösung der NATO und der Schaffung eines gesamteuropäischen Sicherheitssystems zu beantworten. Die Bundesregierung hat diese Chance jedoch ausgeschlagen und stattdessen den Ausbau von NATO und WEU betrieben. Dieses historische Versäumnis wiegt schwer und die heutige Lage in Europa ist von seinen Folgen geprägt.
Auf die inzwischen eingetretenen gefährlichen Entwicklungen muß auch bündnisgrüne Friedenspolitik neue Antworten geben:
76
- In den Krisen und Konflikten Mittel- und Osteuropas haben rassistische und nationalistische Kräfte starken Auftrieb bekommen. Chauvinismus und ethnische Konflikte sind in Kriege gemündet, die in ihrer Grausamkeit bis zum Völkermord gehen. - Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die damit verbundene tiefe gesellschaftliche und wirtschaftliche Krise hat in Rußland zum politischen Aufstieg einer rotbraunen Allianz der Reformgegner geführt. Sie propagieren imperialistische Drohungen gegen die unabhängig gewordenen Nachbarstaaten und wollen die Errichtung einer national-chauvinistischen Diktatur. - Die mittel- und osteuropäischen Staaten fühlen sich massiv bedroht und fordern ihre Aufnahme in die NATO.
Eine gesamteuropäische Friedensordnung schaffen
Eine Formierung der westlichen Militärbündnisse als Gegenpol zu Rußland würde ein Wiederaufleben der atomaren Konfrontation des Kalten Krieges und das politische Ende der demokratischen Kräfte in Rußland bedeuten. Die Politik einer Ausdehnung der NATO nach Osten stellt kein Konzept für die Schaffung von Sicherheit in Europa dar. Sie würde im Gegenteil zur Vergrößerung der Gefahr einer kriegerischen Konfrontation beitragen. Denn die NATO hat ihren ursprünglichen militärischen Charakter der atomaren und konventionellen Abschreckung einschließlich einer atomaren Ersteinsatz-Option nicht verändert, sondern ihm lediglich noch die Möglichkeit für eine globale Intervention hinzugefügt. Sie ist strukturell ungeeignet, die komplizierten neuen zivilen und politischen Aufgaben einer gesamteuropäischen Friedensordnung in Europa wahrzunehmen. Frieden und Sicherheit bedürfen in erster Linie der vorausschauenden Verhinderung von Konflikten, der friedlichen Streitbeilegung, des Ausbaus der Institutionen, die Demokratie und Menschenrechte, insbesondere auch Minderheitenrechte sichern, und für den Fall, daß diese Mittel versagen, wirksamer Instrumente von nichtmilitärischem Druck und Einflußnahme.
Die vielfältigen politischen Institutionen in Europa müssen sich dieser Aufgabe stellen. Bündnis 90/Die Grünen treten dafür ein, die KSZE zum zentralen Forum europäischer Außen- und Sicherheitspolitik zu machen, in deren Rahmen die einzelnen Staaten Souveränitätsrechte abgeben. Die "Europäische Föderation Grüner Parteien", der Bündnis 90/Die Grünen angehören, hat deshalb den strukturellen Umbau der KSZE in eine regionale nichtmilitärische Sicherheitsorganisation vorgeschlagen, deren Aufgaben durch einen verbindlichen internationalen Vertrag festgelegt werden sollte. Der Ausbau der bestehenden KSZE- Institutionen muß ein vorrangiges Ziel deutscher Außenpolitik sein, die diesen Prozeß durch kreative Initiativen, einseitigen Verzicht auf Souveränitätsrechte und finanzielle Vorleistungen vorantreibt und eine aktive Rolle in der Konfliktverhütung und friedlichen Streitbeilegung spielt. Ansatzpunkte dafür sind in der gegenwärtigen KSZE-Entwicklung gegeben: ein verbindlicher Mechanismus der friedlichen Streitbeilegung, ein Konflikt- und Krisenverhütungszentrum, ein Beauftragter für Menschenrechte und Institutionen zur Stärkung der Demokratie, Konfliktvermittlungsmissionen, dauerhafte Strukturen der militärischen Vertrauensbildung und Abrüstung, kontinuierliche Einbeziehung von Nicht-Regierungsorganisationen.
77
Die Entmilitarisierung der Politik - dies bedeutet auch die Auflösung der NATO - und der Aufbau ziviler Strukturen sind Prozesse, die parallel laufen müssen. Abrüstung schafft neue Handlungsmöglichkeiten für zivile Konfliktlösungen: durch den Abbau von Feindbildern, durch die Umwidmung der Mittel und Ressourcen, durch einen neuen Zugang zur Konfliktlösung. Abrüstung muß gegen die militärischen Strukturen des Westens, insbesondere die NATO durchgesetzt werden. Strukturen gemeinsamer Sicherheit müssen an die Stelle der Bündnisstrukturen treten und ermöglichen ihre Auflösung.
Europa braucht gerade jetzt einen neuen Anlauf zur Entmilitarisierung von Politik und Gesellschaft. Nicht ein neuer Euromilitarismus, wie ihn die christliberale Bundesregierung über die "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" der Maastrichter Verträge und der Westeuropäischen Union betreibt, sondern Abrüstung und zügige wirtschaftliche und politische Öffnung der Europäischen Union für alle Länder Mittel- und Osteuropas sind das Gebot der Stunde. Nicht der Ausbau von Militärbündnissen, sondern nur das Zusammenwirken von wirtschaftlicher und politischer Integration kann eine dauerhafte Perspektive des Friedens schaffen.
Mit der Abrüstung bei uns anfangen
Unser Ziel ist ein ABC-Waffen-freies Europa. Wir treten darüberhinaus für weltweite Abrüstung und die Auflösung aller Armeen ein. Wir treten für koordinierte Rüstungskonversion und das konsequente Verbot aller Rüstungsexporte ein. Gegen Rüstungsexporte gibt es nicht nur moralische Argumente, sondern auch gute volkswirtschaftliche, da die Rüstungsgüter neben offenen Subventionen häufig auch noch über die Hermes-Kreditversicherung aus deutschen Steuergeldern bezahlt werden. Deswegen kann gegen Rüstungsexporte juristisch und ökonomisch vorgegangen werden, indem die offene und verdeckte Subventionierung ersatzlos entfällt. Ein realer Rüstungsexportstopp ist letztdendlich nur durch den Verzicht auf Rüstungsproduktion erreichbar. Die Bundesregierung muß sich mit ihrem politischen Gewicht dafür einsetzen, den Prozeß der Rüstungskonversion auf gesamteuropäischer Ebene fortzuführen und einen Rüstungsexportstopp auch in den anderen EU-Staaten durchzusetzen. Initiativen auf allen internationalen Ebenen zur Wiederbelebung und Effektivierung weltweiter Abrüsungsverhandlungen haben unsere Unterstützung.
Um den abrüstungspolitischen Prozeß in Europa verstärkt in Gang zu bringen und zu verstetigen, stehen BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN weiterhin für die Strategie der einseitigen friedens- und abrüstungspolitischen Vorleistungen im eigenen Land.
Wir fordern als Einstieg hierzu den sofortigen Stopp aller militärischen Großprojekte, insbesondere des Baus von Jäger 90 / Eurofighter 2000 und des Panzerabwehrhubschraubers PAH 2. Eine Beteiligung der Bundeswehr an UNO-Blauhelmmissionen lehnen wir weiterhin ab. Alle Planungen, die Bundeswehr an Schnellen Eingreiftruppen zu beteiligen, sind zu beenden. Das "Wartime Host Nation Support" Abkommen, mit dem sich die Bundesrepublik zur logistischen Unterstützung von weltweit operierenden US-
78
Interventionstruppen verpflichtet hat, muß gekündigt, das deutsch- französische Eurokorps aufgelöst werden.
Wir wissen, das die Bundeswehr mit ihren bisher über 350.000 Soldaten nicht von heute auf morgen aufzulösen ist. Ihre Abschaffung ist ein Prozeß der Abrüstung und der Konversion, der politisch und gesellschaftlich schrittweise durchgesetzt werden muß. Deshalb fordern wir die Umwidmung des "Verteidigungsetats" im Bundeshaushalt zu einem Konversionsetat. Teile dieser Finanzmittel sollen schrittweise dem Bundesministerium für wirtschafliche Zusammenarbeit übertragen und insbesondere für die internationale Katastrophenhilfe verwendet werden. Desweiteren treten wir dafür ein, diese Mittel für die Konversion der Rüstungsindustrie, den Aufbau eines zivilen Friedensdienstes, die Unterstützung von Friedensforschung und Friedensarbeit vor Ort sowie für die Unterstützung von Konzepten der Sozialen Verteidigung zu verwenden. Berufssoldaten muß das Angebot zur Umschulung, beispielsweise für die Arbeit in der internationalen Katastrophenhilfe gegeben werden.
Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich für die Abschaffung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes ein. Für den Zivildienst schlagen wir ein Ausstiegskonzept vor mit dem Ziel, dessen staatliche Förderung mit mehr als 2 Milliarden DM jährlich zur Finanzierung hauptamtlicher Arbeitsplätze im Sozialbereich umzuleiten. Keinesfalls darf es eine "allgemeine Dienstpflicht" für Frauen und Männer geben, wie konservative Politiker dies als angeblichen Ersatz für die Wehrpflicht vorhaben. Wir beabsichtigen mit der Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht keine Berufsarmee, sondern eine Bundesrepublik ohne Armee. Unsere Solidarität gilt schon heute allen, die den Zwangsdienst in Bundeswehr und den Zivildienst verweigern.
6. Gegen Nationalismus - für Europa
Der neue Nationalismus ist die große Herausforderung für Europa an der Jahrtausendwende, und ihm kann wirkungsvoll nur mit einer erfolgreichen europäischen Einigung begegnet werden. Bündnis 90 / Die Grünen sagen eindeutig Ja zur politischen Integration Europas. Aber die Veränderungen, Umbrüche, Hoffnungen und Gefahren des Europas der neunziger Jahre sind mit alten Konzepten nicht zu bewältigen. Die Krise des "Maastricht-Konzeptes" für die Europäische Union ist eine Krise der eurokratischen Eliten in Wirtschaft, Politik und Intelligenz, die das bisherige EG-Europa im wesentlichen hinter dem Rücken der beteiligten Völker unter weitgehendem Verzicht auf seine demokratische Legitimation vorangebracht haben. Aus den Fehlern der bisherigen Integration speist sich nun die antieuropäische und nationalistische Propaganda. Wir müssen den Prozeß der europäischen Integration grundlegend reformieren, wenn wir ihn fortsetzen wollen.
Das Europa, das wir meinen, beschränkt sich nicht auf die jetzige Europäische Union. Wir sind gegen die Schaffung einer "Supermacht Europa". Eine Vertiefung der Integration darf nicht zu lasten der Erweiterung und Öffnung nach Mittel- und Osteuropa gehen. In den mittel- und osteuropäischen Staaten wollen wir die demokratischen Entwicklungen gegen die nationalistischen Tendenzen der alten Nomenklatura und der neuen Chauvinisten unterstützen. Dabei setzen wir auf einen flexiblen politischen Konsultationsmechanismus, der
79
die Rechte von Minderheiten in besonderer Weise einbezieht und die Regionalität stärker beachtet. Unser Ziel ist die gesamteuropäische Integration.
Die Europäische Union reformieren und öffnen
Wir wollen einen Dreiklang der Reformen der Europäischen Union: Radikale gesamteuropäische Öffnung, Demokratisierung, sozialer und ökologischer Umbau. Wir wollen einen europäischen "Staatenverbund", in dem Elemente eines Bundesstaates und eines Staatenbundes zusammenkommen. Für die supra-nationale Kooperation müssen alle beteiligten Länder auf Teile der nationalstaatlichen Souveränität verzichten. Wir treten für eine gemeinsame Politik und für europäische Mindeststandards ein, die angesichts der Internationalisierung der Wirtschaft die negativen ökologischen und sozialen Folgen des Binnenmarktes zurückdrängen.
Der nötige ökologisch-soziale Umbau der Wirtschaftsweise Europas ist ohne eine gesamteuropäische Öffnung nicht denkbar und ohne einen Demokratieschub nicht durchsetzbar. Um das Demokratiedefizit der Europäischen Union zu überwinden, fordern vor allem wir eine stärkere Dezentralisierung der Gemeinschaft nach dem Prinzip der Subsidiarität: die Europäische Union soll nur die Aufgaben wahrnehmen, die auf der Ebene der Kommunen, Regionen und Mitgliedsstaaten nicht erfüllt werden können. Denn Probleme sollen dort gelöst werden, wo es von der Sache her geboten und der demokratische Einfluß am größten ist. Unser "Schlüssel" für eine Demokratisierung der Europäischen Union liegt "vor Ort" im eigenen Land: in weitreichenden Beteiligungs-, Anhörungs- und Klagerechten von Nichtregierungsorganisationen sowie Formen der direkten Bürgerbeteiligung bei der Durchführung EG-Politiken und in der Kontrolle der Europapolitik der Bundesregierung. Denn noch immer entscheidet sie über die wesentlichen Weichenstellungen in der Politik der Europäischen Union, auch wenn sie sich oft genug hinter "Brüssel" versteckt. Darüber hinaus ist eine gesamteuropäische Initiative zur demokratischen Öffnung der europäischen Institutionen einzuleiten. In diesem Zusammenhang müssen die Rechte des Europäische Parlamentes ausgebaut werden, um Kontroll- und Mitentscheidungsmöglichkeiten zu stärken: Initiativrecht für europäische Gesetzesvorhaben, gleichberechtigte Beteiligung an Entscheidungen in allen Bereichen der EG-Politik, Erweiterung der Haushaltskompetenzen und Wahl, bzw. Abwahl der Kommission sind erste Schritte hierzu. BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN werden sich in diesem Sinne an der in Gang kommenden europäischen Verfassungsdebatte beteiligen.
Unser Ziel ist eine gemeinsame europäische Politik, die verhindert, daß die Europäische Union eine Wohlstandsfestung auf Kosten des Südens und des Osten wird. Europa muß vielmehr offen für Flüchtlinge und ein sicheres Asyl werden. Von Europa müßen die ersten Schritte zur Schaffung einer ökologisch-solidarischen Weltgesellschaft ausgehen. Wir betrachten eine solche Politik nicht nur als moralische Verpflichtung sondern als Lastenausgleich angesichts der historischen Verantwortung die Europa durch das Erbe von Kolonialismus und Imperialismus trägt.
7. An einer internationalen Friedensordnung mitarbeiten - für die Reform der UNO eintreten
80
Die UNO ist ein Spiegel unserer Welt: Hier treffen sich Gläubiger und Schuldner, großmächtige und abhängige Staaten, demokratisch und diktatorisch regierte Länder. Zunehmend drängen auch international vernetzte Nichtregierungsorganisationen auf politische Mitbestimmung. Zurecht ist die bisherige UN-Struktur wegen der Dominanz der reichen Industrieländer, der starken Bürokratisierung und ihrer häufigen Wirkungslosigkeit in die Kritik geraten. Trotzdem sind die Vereinten Nationen die wichtigste Ebene zur Lösung globaler Probleme. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich deshalb für eine umfassende Reform der UNO ein. Die Beschlüsse der Generalversammlung müssen aufgewertet werden. Der Sicherheitsrat als Exekutivorgan der Vollversammlung muß demokratisch gewählt und alle Regionen angemessen repräsentiert werden. Sonderrechte für Staaten, wie das Recht auf einen ständigen Sitz oder das Vetorecht sollten abgeschafft werden.
Auf jeden Fall aber sind wird entschieden gegen die Forderung der Bundesregierung nach einem ständigen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat.
Die Menschenrechte durchsetzen und den Frieden sichern
Wir fordern die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes für Menschenrechte, an dem neben betroffenen Personen auch anerkannte Nicht-Regierungsorganisationen klageberechtigt sind. Verbindliche Verfahren zur Durchsetzung der Menschenrechte und zur nichtmilitärischen Konfliktschlichtung sind in der UN-Charta festzuschreiben. Erst wenn Verfahren der friedlichen Streitbeilegung durch Verhandlungen oder internationale gerichtliche Entscheidung erwiesenermaßen keinen Erfolg haben, ist ein Stufensystem von Angeboten und Druckmitteln einzusetzen, das von zivilen Hilfsmaßnahmen über politische und ökonomische Embargomaßnahmen bis zu Blockaden und deren Überwachung durch zollpolizeiliche UNO-Einheiten reicht. Zur Ersetzung ökonomischer Schäden durch die Einhaltung von Sanktionen fordern wir die Einrichtung eines Sanktionshilfefonds.
Bündnis 90 / Die GRÜNEN setzen sich für eine Präzisierung der UN- Charta ein, um den ursprünglich positiven politischen Ansatz von neutralen, deeskalierenden und vermittelnden UN-Einheiten in der UN-Charta als einzig zulässige Form solcher Einheiten erstmalig festzuschreiben. Die sogenannten "friedenschaffenden" UN-Einsätze lehnen wir ab und fordern, daß sie in der UN-Charta definitiv auszuschließen sind. Eine Stärkung der Vereinten Nationen, an der sich Deutschland mit eigenen personellen Kräften und eigener Infrastruktur in multilateralem Rahmen beteiligt, muß einhergehen mit einseitigen Schritten der Abrüstung, die konsequent die Abschaffung der Bundeswehr zum Ziele haben. Denn nur so wird deutlich, daß die Vereinten Nationen der Stärkung einer zivilen Weltordnung dienen und nicht zum Instrument der Militarisierung von Konflikten im Interesse global agierender Großmächte werden.
8. Den ökologisch-solidarischen Umbau der Weltgesellschaft beginnen
Wenn Armut und Hunger in den Staaten des Südens eingedämmt werden und diese ihren Anteil an der ökologischen Globalverantwortung übernehmen sollen, muß der Irrsinn beendet werden, daß sie dem
81
Norden unter dem Strich mehr an Waren und Kapital liefern, als sie von dort bekommen. Die Lasten für ein gesundes Weltklima und für die Armutsbekämpfung müssen nach dem Verursacherprinzip in erster Linie die tragen, die von der bisherigen Ausbeutung am meisten profitieren: die reichen Industriestaaten des Nordens. Dies ist auch eine notwendige Voraussetzung für die Sicherung grundlegender Menschenrechte für die große Mehrheit der Weltbevölkerung.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich in diesem Sinne für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung ein und schlagen die Schaffung eines demokratisch gewählten UN-Weltwirtschaftsrates vor, der anstelle des jährlichen Weltwirtschaftsgipfels der sieben mächtigsten Staaten Koordinierungsfunktionen übernimmt. Dort sollen Leitlinien und konkrete Schritte für eine ökologische und solidarische Wirtschafts und Währungspolitik vereinbart und vor allem auch überwacht werden. Durch formalisierte Mitwirkungsrechte von Nichtregierungsorganisationen sollte eine erweiterte demokratische Kontrolle der Regierungen in diesem Gremium gewährleistet sein. Wir treten für die Umwandlung der Weltbankgruppe in dezentrale, nicht-profitorientierte Fonds-Strukturen ein, um eine gezielte, regional sinnvolle und abgestimmte Förderungspolitik zu ermöglichen. Wir fordern zusätzlich die Einrichtung eines internationalen Umweltfonds, in den alle Staaten schrittweise 1 Prozent des Bruttosozialproduktes einzahlen und aus dem die Welt- Ökologiepolitik mit finanziert werden kann. Das GATT muß institutionell weiterentwickelt und in Verbindung mit der UNCTAD in den UN-Rahmen integriert werden. Ziel ist die Schaffung einer "Internationalen Handelsorganisation" auf Grundlage einer Konvention für eine ökologisch-solidarische Weltwirtschaft.
Um in unserem Land schon jetzt Möglichkeiten zu schaffen, Produkte aus den Ländern des Südens zu fairen Weltmarktpreisen zu kaufen, treten wir für die staatliche Förderung alternativer Handelsorganisationen, ihrer Werbung und Aufklärungsarbeit sowie für die Einführung eines entsprechenden Gütesiegels für fair gehandelte Produkte ein.
Die deutsche Entwicklungspolitik umbauen und aufwerten
Die bundesdeutschen Entwicklungshilfeleistungen sind 1993/94 mit einem Anteil von nur noch 0,35% am Bruttosozialprodukt auf einen Tiefstand gesunken. Ein Großteil der Entwicklungshilfe muß als verkappte oder offene Exportförderung für die bundesdeutschen Industrie bezeichnet werden. Überdies verlieren die Länder des Südens jährlich durch Zinsen, Schuldentilgungen, Protektionismus der Industrieländer und Preisverfall für ihre Exportprodukte ein Vielfaches der gesamten Entwicklungshilfeleistungen.
Bündnis 90 / DIE GRÜNEN setzen sich für eine Umkehr dieses Finanztransfers von Süden nach Norden ein. Die wirksamste Entwicklungshilfe und ein entscheidender Beitrag für die weltweite Sicherung grundlegender Menschenrechte ist eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, eine Entlastung des Südens von der Verschuldungsbürde und der Aufbau von tragfähigen regionalen ökologischen und sozialen Wirtschaftsstrukturen im Süden. Die staatliche Entwicklungshilfe der Bundesrepublik muß sich auf die
82
Förderung einer solchen Entwicklung im Süden konzentrieren, anstatt weiterhin fragwürdige Projekte im Exportinteresse der Industrie zu begünstigen.
Bündnis 90 / Die Grünen treten für eine Ausweitung des Finanztransfers von Norden nach Süden und Osten ein. Schrittweise soll ein Anteil von 1 % des Bruttosozialproduktes zur Verfügung gestellt werden, um die Armut durch die Förderung dezentraler Wirtschaftsstrukturen zur Selbstversorgung zu bekämpfen, die Grundbildung zu verbessern, die Rolle der Frauen zu stärken, demokratische Prozesse zu unterstützen und vor allem der zunehmenden ökologischen Zerstörung im Süden und Osten zu begegnen. Dabei darf die notwendige verstärkte Unterstützung der Länder des Ostens nicht durch eine Einschränkung der Unterstützung für den Süden finanziert werden.
Eine so verstandene Entwicklungspolitik muß zur Querschnittsaufgabe werden, die alle relevanten Politikressorts umfaßt. Alle Maßnahmen der bundesdeutschen Wirtschafts-, Außenwirtschafts-, Finanz-, Landwirtschafts-, Handels-, Umwelt- und Technologiepolitik müssen künftig auf ihre "Süd-" und "Ost- Verträglichkeit" überprüft werden. Bei einer erwiesenen Entwicklungsunverträglichkeit sind "Strukturanpassungen" im Norden erforderlich. Bündnis 90 / Die Grünen setzen sich für eine Politik des Teilens, für eine Politik der politischen und ökonomischen Selbstbeschränkung des Nordens ein. Wir müssen mit dem ökologisch- solidarischen Umbau der weltgesellschaft bei uns beginnen.
9. Zur Demokratisierung der Außenpolitik beitragen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN treten für die Demokratisierung der Außen- und Sicherheitspolitik ein.
Diese Demokratisierung, die gesellschaftliche Aktivität, die öffentliche Debatte sind heute notwendiger denn je. Initiativen wie "Hilfe für die Kinder von Tschernobyl", "Den Winter überleben - Gastfreundschaft für Flüchtlinge aus Jugoslawien", Organisationen wie amnesty international und der BUND, Kulturstiftungen und Schulpartnerschaften sind wichtige Partner für unserer Außenpolitik.
Dieses zivile Engagement für Dialog und gegenseitige Hilfe zu fördern, uns daran zu beteiligen, bei der Vernetzung zu helfen, wird auch weiter ein Schwerpunkt für uns bleiben. Eine Außenpolitik, die sich der Herausbildung, der Festigung und den Forderungen der zivilen Gesellschaft bei uns und in anderen Ländern mehr verpflichtet fühlt als den Interessen militärischer Apparate und großer Konzerne, braucht Partner. In Europa haben sich aus den Friedens- und Ökologiebewegungen grüne und alternative Parteien gebildet, mit denen wir im Europa-Parlament und in der Europäischen Föderation Grüner Parteien zusammenarbeiten. In Osteuropa sind seit 89 aus der demokratischen Opposition, aus den neuen Bewegungen, aus den alten Nomenklatura-Zusammenhängen, aus neu entstehenden Interessengruppen Parteien und Gruppierungen entstanden, deren Konturen aber oft noch unbestimmt und unklar sind.Bündnis 90/Die Grünen werden mit allen sprechen, die mit uns sprechen wollen. Zugleich suchen wir aber nach denen, die sich im
83
eigenen Land für Demokratie, Ökologie und Frieden einsetzen. Dazu gehören Gespräche und Besuche, gemeinsame Aktivitäten und Projekte.