hide random home http://www.hamburg.pop.de:800/bda/nat/cz/archiv/210.html (Einblicke ins Internet, 10/1995)

Software-und-Service-Anbieter brauchen den Tritt in den Hintern

Software-und-Service-Anbieter brauchen den Tritt in den Hintern

Die hausgemachte Krise läßt sich nur durch drastische Maßnahmen beheben

Nicht wenige Software-und- Service-Gesellschaften, kurz SSGs, schreiben rote Zahlen. Null- oder Minuswachstum, Entlassungen, der Verkauf von Unternehmensteilen und sogar Reorganisationen machen auch vor großen Namen nicht halt. Doch eine Wende ist möglich.

Die weltweite Rezession - wie es die SSG-Manager wortreich behaupten - ist keinesfalls an allem schuld. Die mit der von vielen bereits für beendet erklärten Wirtschaftskrise einhergehende Nachfrageschwäche hat den Niedergang der SSGs allenfalls beschleunigt. Die Hauptursachen der Krise sind dagegen hausgemachte Probleme. Wachstum um jeden Preis galt lange Zeit als die Unternehmensmaxime schlechthin. Nur die wenigsten Käufer waren aber in der Lage, die erworbenen Unternehmen organisch in das Kerngeschäft zu integrieren.

Reibungsverluste und überschneidungen der Geschäftsfelder waren die Folge, in manchen Fällen verloren die besten Mitarbeiter die Lust und kündigten. Verbürgt ist beispielsweise die Geschichte einer großen SSG, die 1986 für knapp zehn Millionen ein kleines Unternehmen mit 130 Mitarbeitern erwarb. Schon drei Jahre später waren von der aufgekauften Gesellschaft gerade noch ein Dutzend Mitarbeiter an Bord.

DV-Experten heute im Angebot!

Aufgrund der Wachstumsmanie wurde oft das Heer der Programmierer stark vergrößert, um so den Bedarf der Kunden zu befriedigen. Die Fachleute wurden an Kunden verliehen, um dann in der dortigen DV-Abteilung an einem Projekt zu arbeiten. Body-Shopping hieß dieses risikolose und hochprofitable Geschäft. Der Gewinn, den die Unternehmen mit diesem nicht unumstrittenen Handel erwirtschaftet haben, war bemerkenswert. Doch Ende der achtziger Jahre waren die verantwortlichen SSG-Manager vom Erfolg der "Mitarbeiterverleihung" anscheinend derart geblendet, daß sie die Veränderungen hinsichtlich der Kundenanforderungen nicht wahrgenommen haben.

Moderne DV-Projekte verlangen nämlich zunehmend eine Integration in die Prozesse des Unternehmens. Ein Online-Auftragseingangssystem reicht heute vom Verkauf über die Produktion bis hin zur Lieferung. Um es optimal zu entwickeln, benötigt der Produkt- beziehungsweise Servicelieferant ein breites und tiefgreifendes Wissen über die Kunden und die Branche.

Zudem sind die Unternehmungen wesentlich komplexer geworden. Noch in den achtziger Jahren waren Projektabschlüsse von einer Million Mark eine Seltenheit.

Heute sind Kontrakte, in denen das Vertragsvolumen auf eine Summe zwischen 10 und 100 Millionen Mark festgeschrieben wird, gang und gäbe. Sie reichen von Analyse und Design, über Projektspezifikation und Implementierung bis hin zur Systemintegration, das heißt dem Zusammenwirken von Hardware, Software und Netzwerk. Dabei werden standardisierte Softwaremodule mehr und mehr in die Projekte mit eingeschlossen. Dennoch schaffen es viele kleinere Betriebe, im Markt zu bestehen, weil sie auf administrativen überbau verzichten können und so in der Lage sind, um 20 bis 30 Prozent niedrigere Preise für das Body-Shopping anbieten zu können.

Eine weit größere Herausforderung ist freilich die wachsende Konkurrenz aus den asiatischen Ländern, wie Indien, oder aus Osteuropa. Fast alle großen amerikanischen und viele europäische Unternehmen haben heute Dependancen oder Kooperationsabkommen mit Gesellschaften in Ostasien.

Große indische Unternehmen, wie beispielsweise Tatra oder Larsen Tubro, sind über Satellit mit den westlichen Ländern verbunden. Sie führen auf diese Weise die Wartung der Software für große deutsche Konzerne online durch. Tausende von Asiaten sind in den modernsten Techniken geschult, Hunderte von Firmen haben Computer jeden Fabrikates und jeder Größe installiert, um offline oder auch online für Unternehmen in Nordamerika oder Europa zu arbeiten. Hierzulande muß eine große SSG für einen Programmierer mindestens 110 bis 120 Mark pro Stunde verlangen, um die Bezahlung und die Verwaltungskosten zu decken. Aus Indien gibt es Preisangebote, die für Top-Programmierer - inklusive Reisekosten und Aufenthaltskosten - 60 Mark berechnen. Anstatt die Konkurrenz zu bekämpfen, sollten die westlichen Servicegesellschaften in ihre Projektangebote die indischen Gesellschaften beim Programmieren integrieren und die Projektkontrolle für "Remote Programming" als Spezialservice anbieten.

Ein weiterer Nachteil für die SSGs: Kundenorientierung wird immer noch klein geschrieben. Internationale Kompetenz, weltweite Verantwortungsstrukturen und ein Führungssystem, das die internationale Zusammenarbeit fördern würde, sind in den traditionellen SSGs ebenfalls kaum existent. Selbst große, mit Töchtern in mehreren Ländern vertretene Unternehmen arbeiten mit zu starker nationaler Ausrichtung, so daß die internationalen Kompetenzzentren schneller sterben als sie geboren werden. Den Nachteil daraus hat der Kunde, der dringend grenzübergreifenden Support braucht. Großprojekte erfordern aber schon beim Angebot gewisse Vorleistungen, die mit den beschränkten Mitteln und Zielvorgaben einer klassischen SSG-Geschäftsstelle nicht vereinbar sind. Das Resultat ist, daß einige große Gesellschaften keine Aufträge für solche Projekte erhalten und teilweise nicht einmal zum Angebot eingeladen werden. Weiterer Minuspunkt: Die typische Struktur mit sogenannten Professionals und einem überbau von "Supervisonary Professionals", Geschäftsstellenleitern, Regionalleitern und Vorstandsmitgliedern, ist beliebig erweiterbar. Sie ist aber zu aufwendig und unbeweglich. Allein die monatlichen Treffen auf jedem der zahlreichen Organisationsniveaus verschlingen Mannjahre, ohne daß der Kunde etwas davon hat.

Anleitung zum Glücklichsein Trotz dieser gravierenden Schwächen der Software-und- Service-Gesellschaften sollten sie nicht zu Grabe getragen werden. Zur Rettung benötigen sie allerdings mehr als nur eine simple Weichenumstellung - sie brauchen eine Revolution. Für das Parkett, auf dem sich das Serviceunternehmen bewegen will, sind zunächst branchenerfahrene sowie visionäre Management Consultants und Senior Consultants unerläßlich. Management Consultants müssen ein Unternehmen als Ganzes verstehen, sie müssen die Probleme eines Kunden sehen, und zwar lange bevor der Kunde sie entdeckt. Und sie müssen eine Vision davon haben, wie sich die aktuellen Probleme und die Herausforderungen von morgen entwickeln werden. Die Senior Consultants sind Kenner des ganzen Repertoirs der IT-Hardware, einschlägiger Softwarepakete, Modelling Methoden und Kommunikationslösungen. Dazu haben sie eine genaue Vorstellung von Anwendungen auf neuen Gebieten, wie etwa Multimedia, Image Processing und Expertensystemen.

Für das individuelle Design der Projekte sollte die SSG auf Analysten mit einem guten Branchenverständnis zugreifen können. Sie verfügen über umfangreiche Erfahrung mit komplexen Projekten, sind vertraut mit den modernen DV-Techniken und mit der Qualitätskontrolle, und sie sind gleichermaßen in der Lage, Großprojekte bis zur Implementierung zu Ende zu führen sowie einen Help-Desk-Arbeitsplatz zu besetzen. Experten für Schulung, Outsourcing und Downsourcing, Fachleute mit Detailwissen rund um neue Gebiete und Technologien sollten in modernen SSGs ebenso willkommen sein wie Technologiefreaks.

Natürlich braucht die neue SSG auch Programmierer, die aber keineswegs feste Mitarbeiter sein sollten. Stattdessen bietet sich ein Kooperationsvertrag mit einem Partner an, der Programmierkapazität zur Verfügung stellt. Auf keinen Fall dürfen diese Programmierer aber 120 Mark pro Stunde kosten und in jedem Fall sollte das jeweilige Serviceunternehmen die übergeordnete Verantwortung tragen.

Branchenorientierung auf Europa-Ebene Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Derzeit sind etwa 70 Prozent der Mitarbeiter einer solchen Gesellschaft Programmierer ohne Branchenspezialisierung. Die branchenorientierten Consultants machen maximal 10 bis 20 Prozent aus. Eine Lösung des Problems wäre die strikte Trennung in eine "Consulting and Information Technology Company" (CIT) und eine "DV Service Company" (DVS). Die CIT nimmt dann die Management Consultants auf, also die Senior Consultants, die DV Experten und die Systemanalytiker. Die DVS übernimmt alle Programmierer und wird zur Gänze von der CIT getrennt oder sogar an Dritte verkauft.

Empfehlenswert ist, die CIT auf Europa-Ebene in branchenorientierte Teams aufzuteilen, die für alle Aktivitäten von der Managementberatung bis zur Implementierung von IT-Projekten verantwortlich sind. Dabei ist eine Spezialisierung auf wenige Branchen sinnvoller, als schwache Teams in seinen Reihen zu haben. Derartige Teams müßten etwa 20 bis 60 Profis, einige wenige Verwaltungskräfte sowie einen Gruppenältesten umfassen.

Schließlich benötigt die CIT ein eigenes Informationssystem und Computernetzwerk, über das Planungen und Ergebnisse den Teams wie dem Vorstand ständig zur Verfügung stehen. So reduzieren sich die Kontakte auf wirklich notwendige Zusammenkünfte.

Paul Hofmann